[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Lerche

Der Vogel, der »Lerche« gerufen wird, war früher einmal ein junger und schöner Hirte. Hört zu und erfahrt, wie er Vogel wurde.

Als ihm der Schnurrbart zu sprießen begann und sein Herz zu singen, wie die Flöte im Frühling erklingt, wenn die Waldwiesen grün werden, weißt du, gerade dann, wenn die Herden der Macedo-Rumänen, weidend, langsam und schön in die Berge hinaufsteigen, da wurde auch er ein Hirte.

Er wurde Hirte, aber seine Herde weidete mehr Viroana - seine Hündin - als er selbst, der den ganzen Tag nach Vogelnestern und den Augen der Schönen suchte. Sonst war er gut, so dass du sagen könntest: er krümmte keinem Menschen ein Haar. Mit einem Wort: er war ein rechtschaffener Mensch.

Als er eines Tages im Schatten saß und auf der Flöte blies, da erklang aus dem Gesträuch des Waldes eine süße Stimme, so süß, dass du stehen bleiben würdest, um ihr zu lauschen, und dass du dich gar nimmer an ihr satt hören könntest. Der Hirte wurde ganz verwirrt von diesem Gesang, und es überfiel ihn eine so große Sehnsucht nach jenem Vogel, dass er es sich in den Kopf setzte, ihn zu fangen. In diesem kindischen Gedanken verließ er seine Herde und ging dem Vogel nach.

Aber: hier fängst du ihn beinahe, dort beinahe - wo wirst du wohl den Vogel finden, der stehen bleibt? Sobald der Hirte zu dem Stamm des Baumes gelangte, auf dem der Vogel sang - denn er hörte gar nicht auf zu singen - flog dieser weiter auf einen alten Baum und begann wieder zu singen und immer weiter zu singen. Dem Hirten blieb der Mund offen, als Ausschau hielt, wo sich der Vogel niederlassen würde, und sobald er sich setzte, lief er in schnellem Lauf dorthin.

Drei Tage: und drei Nächte lief der schöne und geplagte Hirte mit hängender Zunge hinter jenem vergoldeten Vogel her. Und als er schließlich zu dem Stamm des Baumes gelangte, wo der Vogel sang, lehnte er sich ein wenig an - todmüde, wie er war -, dazu noch der schöne Gesang des Vogels, der das Herz labte wie Honig - dies alles schläferte ihn zu einem langen und süßen Schlafe ein. Kaum ging sein Blut wie bei einem Lebenden; du hättest meinen können, er sei zu totem Staub geworden. In dem Schlaf, den er schlief, schlief und schlief er drei lange Jahre, und vielleicht wäre er noch gar nicht aufgewacht, wenn nicht der morsche Baum unter seiner Schwere zusammengebrochen wäre.

Er wachte auf, rieb sich die Augen und sah um sich, um zu sehen, wohin der goldene Vogel geflogen sei. Er meinte, nur ganz wenig geschlafen zu haben. Als er sich jedoch nach allen Seiten umgeblickt hatte und ihn nirgends hatte erblicken können, wäre er am liebsten zerplatzt vor Ärger und Kummer, weil er geschlafen hatte, so dass ihm der Vogel entschlüpft war. Wie vom Hagel zerschlagen kehrte er zu seiner Herde zurück, und auch auf dem ganzen Wege verlöschte der Brand seines Zornes nicht, »weshalb ihm der Vogel entkommen wäre«. Als er zu der Herde kam, wunderte er sich sehr, als er sah, dass die Zahl der Schafe dreimal so groß war, wie er sie zurückgelassen hatte. Als er die Hündin rief, und sie ihm sagte, dass er drei Jahre lang weg gewesen war, da erstarrte er vom Kopf bis zu Fuß. Er hatte gemeint, dass er nur ein klein wenig eingeschlafen sei, und nun siehe: drei ganze Jahre Schlaf!

Aber sei es: Denke dir so viel Freude in ihm aus, wie du nur Lust hast! Die Erde hatte keinen Raum für seine Freude und für eine gute Gesundheit! Als er seine Hunde und seine Lämmchen liebkost, siehe, da kommt auch der Herr Nicola (der Wolf) und bittet ihn um ein Schaf, weil er ihm doch nichts Böses getan hatte, als er fort gewesen war. Gut, wie die Hirte war, und froh, dass er seinen Besitz unangetastet vorgefunden hatte, sagte er zum Wolf: »Nimm' dir«, sagte er, »nimm einen Hammel und geh der Sonne nach!«

Viroana aber war über diese Sache so bekümmert, dass, selbst wenn du sie mit einer Kugel getroffen hättest, kein Blut geflossen wäre. Was sagte sie denn? »Der Wolf hat der Herde kein Leid angetan, weil ich da war, und wusste nun der Herr nichts anderes zu tun, als ihm gerade den besten Hammel zu geben?« Und Viroana konnte sich auf keine Art beruhigen.

Soviel hatte sie nachgedacht, nun nahm sie Abschied von der Herde und machte sich unsichtbar. Am Morgen, als der Hirte im Morgengrauen aufstand und Viroana rief, um ihr zu essen zu geben, da war keine Viroana da. Er ruft sie hier, er ruft sie dort, aber Viroana ist fort und bleibt fort. Er wurde so traurig, dass du bei seinem Anblick wohl gesagt hättest, dass ihm gleichsam alle seine Schiffe untergegangen wären, und er lief hin und her, und wohin lief er nicht?

Er hatte die Erde von einem Ende zum anderen durchstöbert, aber Viroana fand er nicht mehr.

Bekümmert und betrübt, so dass er gar nicht mehr sprechen mochte, wusste er gar nicht mehr, was er machen sollte. Da erinnerte er sich der Torheit, die er begangen hatte, als er dem Wolf den besten Hammel gegeben hatte; nun bereute er es, aber was willst du: zu spät! Und so wandte er sich zu Gott mit dem heißen Gebete: »O Herr, mein Gott,
gib mir Flügel statt des Mantels,
einen Schopf
statt der Kapuze,
Lass mich ein armer Vogel sein,
damit ich Viroana suchen kann;
Lass mich ein armer Vogel bleiben,
bis ich Viroana finde.«
Und Gott erhörte ihn. Er erhörte sein Gebet und verwandelte ihn in einen Vogel. Aus dem Mantel machte er ihm Flügel, aus der Kapuze einen Schopf, so dass der Vogel auch heute noch »Hirtenvogel« genannt wird.

Jeden Morgen kannst du ihn hören, wie er schon in der frühesten Morgendämmerung singt und nach seiner Hündin ruft und sich dabei zum lieben Gott emporhebt. Und der arme Hirte hat sie nicht gefunden, denn er ist auch heute noch ein Vogel. Der Macedo-Rumäne unterscheidet in seinem Gesang das Trillern und diesen Ruf: »Turliu, turliu, iui, iui,
cut - cut! cut- cut!
Vir - Viroana mein,
Vir - Viroana mein.«
Ebenso rufen auch die Hirten ihren Hunden, wenn sie sie verlieren, oder wenn sie ihnen zu essen geben wollen.

Dass der Vogel ein Hirte gewesen ist, beweist auch die Haube, die er noch auf dem Kopfe trägt. Du wirst nun fragen: wie kam es, dass der Hirte die Kapuze auf dem Kopfe hatte, gerade in dem Augenblick, als er zu einem Vogel wurde? Nun wohl, erfahre, dass er so viel hin und her gelaufen war, dass ihn schließlich der Herbst mit seinen Regenschauern erreicht hatte und der Arme, ob er wollte oder nicht, nicht ohne Kapuze umhergehen konnte. Und nun erzähle ich es weiter, so, wie ich es gehört habe.