[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Sohn von Molopelope

Molopelope war der Herrscher eines großen Ortes. In diesem Ort gab es ein besonderes Haus, in dem die Mädchen schliefen. Eines Nachts kam ein Mann zu den Mädchen und sagte: »Macht mir Platz!« Die Mädchen fragten ihn, wer er sei, und er antwortete: »Ich bin Molopelopes Sohn!« Da machten sie ihm Platz, und er schlief in dem Haus. In der Nacht ging eins der Mädchen einmal hinaus. Als sie zurückkam und die Beine der schlafenden Mädchen betrachtete, sah sie den Schwanz einer Schlange unter ihren Füßen hervorgucken. Sie weckte die Mädchen und sagte: »Steht auf, da ist eine Schlange! Wir haben mit einer Schlange geschlafen!« Die anderen riefen: »Wo ist sie?« und begannen die Schlange zu suchen. Der Mann erhob sich ebenfalls, doch er half ihnen nicht beim Suchen, sondern lief weg. Die Mädchen waren sehr erstaunt, dass der Mann, anstatt ihnen zu helfen, so schnell davongelaufen war, aber sie schwiegen. An einem anderen Tag kam jener Mann wieder, um bei den Mädchen zu übernachten. Und wieder fragten sie: »Wer bist du?« Und er antwortete: »Ich bin es, der Sohn von Molopelope.« Die Mädchen machten ihm Platz, und er schlief in ihrem Haus. Am frühen Morgen stand er auf und ging zur Tür hinaus. Ein Mädchen beobachtete ihn und sah bei ihm einen Schlangenschwanz. Sie berichtete den anderen: »Die Schlange, die wir damals gesucht haben, gehört sicherlich jenem Mann. passt nur auf, wenn er das nächste Mal hier schläft, werdet ihr sie sehen.« Und der Mann kam wieder und gab an, Molopelopes Sohn zu sein. Die Mädchen machten ihm Platz, und er schlief bei ihnen. Als der Mann am frühen Morgen aufstand, weckte jenes Mädchen die anderen, und alle sahen, dass er eine Schlange bei sich hatte. Da waren sie sehr bedrückt und fürchteten sich, den Vorfall kundzutun, denn der Mann hatte ja gesagt, er sei Häuptling Molopelopes Sohn. Und so bat eine Lieblingstochter des Häuptlings ihren Vater: »lass uns von diesem Ort wegziehen.« Der Vater fragte: »Warum sollen wir wegziehen?« Doch nun bestürmten alle Töchter ihre Väter, an einen anderen Ort zu ziehen. Schließlich berief der Häuptling eine Versammlung ein, und alle Männer kamen. Molopelope sprach zu ihnen: »Männer, wieder und wieder bittet mich mein Kind, an einen anderen Ort zu ziehen. Mein Kind sagt mir nicht, was es zu dieser Bitte veranlasst. Ich habe das Mädchen gefragt, was ihr an diesem Ort nicht gefällt, doch sie sagt es mir nicht.« Da standen die Männer der Versammlung einer nach dem anderen auf, und jeder berichtete: »Häuptling, auch mein Kind sagt mir nicht, was ihm hier nicht mehr gefällt.« Und einer schlug vor: »Wir wollen ihnen zustimmen und an einen anderen Ort ziehen.« So zogen alle fort.

Nur ein einziges Mädchen blieb zurück, eine der Töchter Molopelopes. Sie wollte nicht weggehen und blieb in dem verlassenen Ort. Ihre Mutter brachte ihr Hirsebrei und sagte: »Mein Kind, du stellst mein Herz auf eine Geduldsprobe. Hier ist der Hirsebrei. Iß doch! Du hast gesagt, dass du es allein aushalten kannst.« Eines Tages geschah es, dass ein Mann zu dem Mädchen kam und sagte: »Du wirst sterben, du wirst verderben, du wirst verhungern. Deine Mutter kommt von weither, vielleicht wird sie bald müde und bringt dir keinen Hirsebrei mehr. Du wirst sterben, du wirst zugrunde gehen. Komm doch mit mir.« Und das Mädchen ging mit dem Mann und begleitete ihn bis zu seinem Haus. Der Mann wollte sie heiraten, doch sie weigerte sich.

Eines Tages hörte das Mädchen, wie der Mann zu seiner Mutter sagte: »Sag dem Mädchen, dass ich aufs Feld gegangen bin. Gib ihr den Rat, sich mal wieder scheren zu lassen. Wenn sie zustimmt, dann töte sie dabei mit dem Messer. Ich möchte sie essen, wenn ich heute Abend heimkomme.« Die Mutter bat das Mädchen, nachdem es von seinem Schlaflager aufgestanden war: »Komm her, ich werde dein Haar schneiden. Es ist zu lang und sieht nicht mehr schön aus.« Das Mädchen antwortete: »Bring mir doch das Messer, ich will prüfen, ob es scharf genug ist.« Nachdem sie das Messer erhalten hatte, tötete sie die Frau und bereitete sie dem Mann als Abendessen. Dann nahm das Mädchen die Decken der Frau und legte sich in den Schatten des Baumes an den Platz, wo jene zu schlafen pflegte. Als der Sohn am Abend vom Feld kam, fragte er: »Mutter, hast du alles, was ich sagte, ausgeführt?« Und das Mädchen antwortete, als ob es die Mutter wäre, mit dünnem Stimmchen: »Ja, es steht alles im Haus!« Der Sohn ging ins Haus und aß. Als er wieder herauskam, erblickte er das Mädchen, das inzwischen aufgestanden war. Drohend fragte er: »Wo ist meine Mutter?« Da schrie das Mädchen laut: »Die Schlange hat ihre Mutter gegessen. Sie dachte, als sie aß: ›Ich esse ein jungfräuliches Mädchen!‹« Da geriet der Mann ganz außer sich und verfolgte das fliehende Mädchen, das immer wieder rief: »Die Schlange hat ihre Mutter gegessen.« Sie dachte: »Ich esse ein jungfräuliches Mädchen!« Das Mädchen floh zu ihren Verwandten. Der Mann folgte ihr. »Schnell, bringt Messer her!« rief das Mädchen, als sie endlich bei ihren Verwandten angelangt war. Und sie gruben die Messer in den Weg, damit die Schlange sich daran schneide. Und die Schlange wurde von den Messern getötet. Da strömte alles Volk herbei und pries das Mädchen. Sie aber sagte: »Wegen dieser Schlange bin ich geblieben. Es ist schon lange her, dass sie bei uns geschlafen hat, nun habe ich sie entlarvt und getötet.« Und die anderen Mädchen riefen: »Ja, seht, wegen dieser Schlange wollten wir damals wegziehen. Aber wir hatten Angst, über sie zu sprechen, denn sie sagte, sie sei Molopelopes Sohn, ein Kind des Häuptlings.« Molopelope veranstaltete zu Ehren seiner Tochter, die der Schlange den Tod gebracht hatte, ein Dankesfest.