[swahili, "Geschichte, Legende"]

Zwei Spitzbuben

Vor undenklichen Zeiten, zu Zeiten des kurzen Schwanzes, lebten zwei fröhliche Spitzbuben: Einer wanderte durch die Syrdarjaner Steppe, der andere durch die Sara-Arker Steppe. Von ihren Bubenstreichen wusste man allerorts, und oftmals hörten sie Geschichten voneinander. Nun bekamen die beiden - jeder für sich - Lust, irgendwo zusammenzutreffen, sich in Findigkeit und List zu messen. Sie wichsten ihre Stiefel, schürzten ihre Gewänder und begaben sich auf den Weg. Sie gingen lange, bis sie sich eines Tages auf einem Karawanenweg an einem gerade erst aufgestellten Masar begegneten.

Sie begrüßten sich wie alte Freunde, umarmten sich und knüpften ein Gespräch an. »Gibt's Neuigkeiten?« fragte der Spitzbube aus der Syrdarjaner Steppe. »Neuigkeiten gibt's«, antwortete der Spitzbube aus der Sara-Arker Steppe. »Siehst du da den neuen Masar? Hier wurde vor kurzem ein achtenswerter Bei beigesetzt. Viel Vieh und Gold hat er hinterlassen, alles erbte sein einfältiger Sohn.« Der Syrdarjaner Spitzbube sprach: »Der Bei gibt das, was er besitzt, nie und nimmer her, der Arme aber darf nicht auf der faulen Haut liegen. Wollen wir dem Sohn des Beis hundert Goldmünzen abluchsen und sie uns teilen.« Der Sara-Arker Spitzbube antwortete: »Du sprichst wahr! Ich bin einverstanden. Aber wie wollen wir das anstellen?«

Ein Spitzbube und noch ein Spitzbube sind zwei Spitzbuben. Müssen sie da lange überlegen? Sie aßen, rauchten, wetzen ihre Zungen und fassten einen Entschluss. Der Syrdarjaner Spitzbube kletterte in den Masar und versteckte sich dort, der Sara-Arker Spitzbube band sich einen grünen Turban um den Kopf und ging als wandernder Ischan in den Aul des verstorbenen Beis. »Mein liebes Kind«, sagte der Spitzbube zu dem Sohn des Beis, »dein Vater borgte von mir hundert Goldmünzen mit den Worten: ›Du erhältst alles Geld zurück, sobald du es forderst. Wenn ich noch am Leben bin, gebe ich es dir selber, bin ich tot, erhältst du es von meinem Sohn.‹ Nun ist die Zeit gekommen, mir meine alten Schulden zurückzugeben. Erfülle das Vermächtnis deines Vaters.«

Der Sohn des Beis riss bei dieser Nachricht den Mund vor Staunen auf. Denn dem Nehmenden ist sechs zu wenig, dem Gebenden fünf zu viel! Er überlegte ein Weilchen und sprach: »Wie kannst du beweisen, dass hinter deinen Worten kein Betrug steckt?« Der Spitzbube schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und antwortete mit einem tiefen Seufzer: »Wenn du der grünen Tschalma nicht glaubst, dann gehe zum Grab deines Vaters, vielleicht eröffnet er dir selbst die Wahrheit.« In großer Erregung näherte sich der junge Bei dem Masar und fragte vor Angst zitternd: »Vater, spricht der Ischan im grünen Turban die Wahrheit, schuldest du ihm hundert Goldmünzen?« Der Syrdarjaner Spitzbube antwortete mit dumpfer Stimme aus dem Masar: »Er spricht die Wahrheit, mein Sohn! Wegen dieser Schuld erdulde ich hier schreckliche Pein. Gebe dem Ischan schleunigst das Geld zurück, lass meine toten Knochen ruhen!«

In kalten Schweiß gebadet, rannte der Sohn des Beis nach Hause und zählte dem Spitzbuben wortlos die hundert Goldmünzen hin. Der Sara-Arker Spitzbube versteckte das Gold unter dem Hemd und dachte sich im Stillen: Soll der Dummkopf dort im Masar sitzen, bis es ihm langweilig wird. Ich werde mich allein in der Steppe schon nicht verirren.

Tage und Wochen vergingen. Er kehrte zu seiner Jurte zurück, vergrub das Gold heimlich unter dem Herd und befahl seiner Frau: »Wenn ein gewisser Mann zu uns kommt, sage ihm, dass ich plötzlich gestorben und nach dem Gesetz beigesetzt bin. Versuche, ihn schnellstens loszuwerden, und bringe mir, solange er da ist, das Abendessen in die Schlucht. Ich werde mich dort eine Zeitlang aufhalten.« Der Syrdarjaner Spitzbube wartete unterdessen in der dunklen Gruft vergebens auf seinen Gefährten und begriff endlich, dass der ihn hinters Licht geführt hatte. Er krabbelte heraus, blickte in die Richtung der Sara-Arker Steppe und sagte: »Die Steppe ist groß, der Mensch geschwind! Nein, mein Freund, du entkommst mir nicht, wenn es stimmt, dass sich der Schnee auf dem Pfahl nicht hält. Warte nur, mein Lieber, was du dir in den Kessel gelegt hast, das kommt dir auf die Schöpfkelle.«

Mit diesen Worten machte er sich auf die Suche nach dem Betrüger. Es verging ein Tag, es verging eine Nacht, es verging ein Monat; er ging an Nomadenlagern vorbei, durchmaß die Weite und kam voran. Endlich fand er in der Steppe die Jurte des Ausreißers, öffnete die Tür und schritt über die Schwelle.

Kaum hatte die Frau den Fremden erblickt, begann sie zu weinen und zu wehklagen: »Mein unglückseliger Mann ist tot, vor drei Tagen haben wir ihn begraben. Wer du auch seiest, Fremdling, lass mich allein mit meinem Kummer.« Vergeblich ist deine Mühe, liebe Frau, dachte der Syrdarjaner Spitzbube, aber laut sagte er unter Tränen: »Liebe Frau, du zerreißt mir das Herz mit deinen Worten. O weh, o weh, mein Freund ist tot! Wie kann ich das Haus des Toten verlassen, ohne seiner gedacht und ohne ihn beweint zu haben! Ich schwöre vor Gott, hier vierzig Jahre zu verbringen, solange meine Augen vor Tränen nicht erblinden.« Und unaufhörlich weinend, machte er es sich auf dem Ehrenplatz bequem.

Tag um Tag verging, der Syrdarjaner Spitzbube hauste in der fremden Jurte, gedachte bei Hammelfleisch und Kumys des Freundes. Es blieb ihm nicht verborgen, dass die Frau jeden Abend mit einem vollen Sack irgendwohin verschwand. Eines Abends schlich der Spitzbube der Frau heimlich nach und kannte nun den Weg zur Schlucht. Bald darauf wurde die Frau zu Nachbarn eingeladen. Sie legte ihr Festgewand an, blieb den ganzen Tag aus und kehrte erst nachts wieder. Der Syrdarjaner Spitzbube nutzte die Zeit. Er zog sich das Gewand der Frau an, füllte den Sack mit Speisen und begab sich in der Dämmerung in die Schlucht zum Sara-Arker Spitzbuben.

Der Sara-Arker Spitzbube stürzte sich auf das Essen, und da er den Betrug nicht merkte, fragte er: »Will denn dieser Gauner immer noch nicht abziehen?« Mit verstellter Stimme antwortete der Syrdarjaner Spitzbube: »Nein, der rührt sich nicht von der Stelle, tut so, als sei er ganz von Kummer gebeugt. Dabei sucht er dauernd etwas und schaut sich nach allen Seiten um. Anscheinend hast du etwas vor ihm versteckt? Ich befürchte, er findet es.« Der Sara-Arker Spitzbube lachte: »Keine Angst, dummes Weib, soll er vertrocknen wie ein Stock. Er findet es nie. Pass aber auf alle Fälle auf den Herd auf. Wenn du etwas merkst, lass es mich wissen.«

»Gut«, sagte der Syrdarjaner Spitzbube, insgeheim aber dachte er sich: Aha, also unter dem Herd! Als die Frau in der Nacht heimkehrte, saß der Syrdarjaner Spitzbube, als wäre nichts geschehen, auf seinem Platz, trank Kumys und vergoss bittere Tränen. Hastig steckte sie das Abendbrot in den Sack und lief zum Mann. Sie fürchtete, der würde sie wegen ihrer Verspätung schelten.

Als der Sara-Arker Spitzbube seine Frau sah, wunderte er sich und fragte: »Sag schnell, was ist geschehen? Warum kommst du zum zweiten Mal?« Die Frau antwortete: »Mögest du ewig leben, mein Lieber, was ist denn mit dir? Ich komme heute zum ersten Mal.«

»O weh, du hast mich zugrunde gerichtet!« rief der Spitzbube und rannte, was er konnte, zur Jurte. Dort aber wehte schon der Wind über dem Herd. Die Alten sagen nicht umsonst: »Brüste dich nicht mit deiner Kraft, sonst stößt du auf einen Kräftigen, brüste dich nicht mit deiner Schlauheit, sonst stößt du auf einen Schlauen.«

Der Sara-Arker Spitzbube dachte eine Weile nach und sagte: »Das Glück wendet uns mal das Gesicht, mal den Rücken zu. Wer sich dem Kummer hingibt, verschlimmert seine Lage. Wenn das Pferd nicht im Galopp davonjagt, muss man im Schritt reiten.« Dann nahm er Abschied von seiner Frau, setzte sich auf seinen unbehörnten Bullen, trieb ihn mit einem knorrigen Stock an und ritt in die Syrdarjaner Steppe.

Um die Zeit, als der Sara-Arker Spitzbube in die Steppe ritt und nach dem Weg fragte, erreichte der Syrdarjaner Spitzbube sein Haus und hieß seiner Frau, dem ganzen Aul von seinem Tod Kunde zu geben, er selbst hüllte sich in ein Leichengewand und streckte sich aus wie ein Toter. Die Frau tat, wie ihr geheißen. Auf das Wehklagen der Frau liefen die Leute aus den Nachbarorten zusammen, bekundeten ihr Beileid, dann trugen sie den Leichnam zu einem verfallenen Masar, und es begann die Leichenfeier.

Unterdessen erreichte der Sara-Arker Spitzbube auf seinem unbehörnten Bullen den Aul. Als er erfuhr, dass hier ein Leichenschmaus begangen wurde, erriet er alles: Aha, das Lied kommt mir bekannt vor. Doch er tat so, als erschüttere ihn die traurige Nachricht, und schluchzend rief er aus: »Ohne meinen Freund sterbe auch ich, ohne ihn finde ich kein Glück, das Leben ist mir ohne ihn finster wie die Nacht, um eins bitte ich: Legt mich neben meinen Freund, trennt uns wenigstens nicht im Tode.« Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, ließ er sich auf den Boden fallen, hielt den Atem an und stellte sich tot.

Noch am selben Tage wurde er neben seinem Freund beigesetzt. Das Volk ging auseinander, die beiden Spitzbuben lagen im Masar. »Salem aleikum!« sagte der Sara-Arker Spitzbube leise. »Aleikumsalem!« antwortete der Syrdarjaner Spitzbube ebenso leise. »Wäre es nicht an der Zeit, die Goldmünzen des Beis zu teilen?« fragte der Sara-Arker Spitzbube. »Ja, vielleicht hast du recht...« Kaum hatten sie diese Worte gesprochen, da drang von außen Getrappel, Getöse und Lärm zu ihnen, und über den Masar fiel eine Räuberbande von vierzig verwegenen Halsabschneidern her. Die Räuber setzten sich im Kreis und teilten die Beute. Auf neununddreißig Mann kam je ein Haufen Gold, der vierzigste erhielt ein altes Schwert. Doch keiner wollte das Schwert, alle waren auf Gold erpicht.

Nun begann der Streit. Das sprach der Anführer der Bande: »Dummköpfe, ist denn ein gutes Schwert nicht wertvoller als eine Handvoll Münzen? Ein wackerer Mann schützt damit sein Leben und erwirbt Reichtum. Dieses alte Schwert ist würdig, einem Recken zu dienen. Schaut nun her, wie ich auf einen Streich diese zwei Toten zerschlitze!« Er zog das Schwert aus der Scheide. Die beiden Spitzbuben sprangen in ihren weißen Leichengewändern entsetzt auf und schrieen: »Finstere Gesellen, verfluchte Blutsauger! Genügen euch nicht die Tränen der Lebenden, müsst ihr noch die Toten überfallen! Besinnt euch! Erzittert! Die Stunde eures Gerichts ist gekommen!«

Was sich da tat! Die erschrockene Ente taucht mit dem Schwanz unter. Die Räuber schmissen alle Schätze weg und rannten davon. Die einen fanden die Tür, die anderen stießen sich mit der Stirn einen Ausgang in die Mauern. In wenigen Augenblicken waren sie schon eine Dreitagereise von der Grabstätte entfernt. Nun warfen die Spitzbuben ihre Leichengewänder ab, teilten das Gold brüderlich, lachten aus vollem Herzen über ihre Abenteuer und gingen ihrer Wege: Der eine in die Syrdarjaner Steppe, der andere in die Sara-Arker Steppe.