[swahili, "Geschichte, Legende"]

Yallery Brown

Vor langer Zeit - und es war eine sehr gute Zeit, obwohl es nicht zu meiner Zeit noch zu deiner Zeit war, noch zur Zeit irgendeines anderen -, da arbeitete ein junger Bursche von etwa achtzehn Jahren auf dem Hof Hall. Tom Tiver, so hieß er, ging eines Sonntags über das Westfeld, es war eine schöne Julinacht, warm und ruhig, und die Luft war erfüllt von feinen Lauten, als ob Bäume und Gras mit sich selbst schwatzten. Und auf einmal ertönte ein wenig vor ihm das kläglichste Jammern, das er je gehört hatte, ein Schluchzen, es schluchzte wie ein Kind, das vor Angst fast vergeht. Es brach mit einem Stöhnen ab, und dann stieg es wieder an zu einer langen wimmernden Klage, dass ihm beim Zuhören ganz elend wurde. Er begann überall nach dem armen Geschöpf zu suchen. »Das muss Sally Brattons Kind sein«, dachte er bei sich. »Sie war immer schon ein leichtfertiges Ding und hat sich nie nach ihm umgesehen. Wahrscheinlich stolziert sie wieder in den Gassen herum und hat das Kleine glatt vergessen.« Aber obwohl er schaute und schaute, konnte er nichts sehen. Und plötzlich wurde das Wimmern lauter und stärker in der Stille, und er meinte, er könne irgendwelche Worte heraushören. Er lauschte mit aller Macht, und die Worte des jammervollen Geschöpfes mischten sich mit Schluchzern: »Oh! Der Stein, der große schwere Stein! Oh! Der Stein über mir!« Er wunderte sich natürlich, wo der Stein sein könnte, und wieder schaute er, und da war am Fuße der Hecke ein großer flacher Stein, der war im Morast fast versunken und war verborgen in verfilztem Gras und Unkraut. Von diesen Steinen hieß einer »Die Tische der Fremden«. Nun also, bei diesem Stein ließ er sich auf seine Knie nieder und lauschte aufs Neue. Deutlicher als vorher kam die dünne schluchzende Stimme, aber sie war müde und erschöpft vom Weinen: »Oh! Oh! Der Stein, der Stein über mir!«

Er hatte keine Lust, sich mit dem Ding einzulassen, aber das Wimmern des Kleinen ertrug er nicht, und so zerrte er wie wild an dem Stein, bis er spürte, dass er sich aus dem Morast hob, und auf einmal löste er sich mit einem Schmatzen aus der feuchten Erde und aus dem Gewirr von Gras und Ranken. Und in dem Loch lag da ein winziges Ding auf seinem Rücken, das blinzelte auf zum Mond und zu ihm.

Es war nicht größer als ein einjähriges Kind, aber es hatte lange verfilzte Haare und einen Bart, und damit war sein Körper rund herum eingewickelt, so dass seine Kleider nicht zu sehen waren. Und das Haar war ganz gelb und schimmerte seidig wie bei einem Kind, aber das Gesicht war alt und sah aus, als sei es Hunderte von Jahren her, seit es jung und glatt gewesen war. Es war einfach nur ein Haufen Runzeln mit zwei glänzenden schwarzen Augen mittendrin, und alles war eingefasst in eine Menge von schimmerndem gelbem Haar. Und die Haut hatte eine Farbe wie frisch gepflügte Erde im Frühling - so braun, wie etwas nur braun sein kann, und seine bloßen Hände und Füße waren so braun wie das Gesicht.

Das Weinen hatte aufgehört, aber die Tränen waren noch auf seinen Wangen, und das winzige Ding schaute wie verwirrt in den Mondschein und in die Nachtluft. Die Augen des Wesens gewöhnten sich an das Mondlicht, und plötzlich schaute es Tom ins Gesicht, keck wie nur was. »Tom«, sagt es, »du bist ein guter Junge!« So gelassen, wie du es dir nur vorstellen kannst, sagt es: »Tom, du bist ein guter Junge!«, und seine Stimme war sanft und hoch und piepsig, als ob ein kleiner Vogel zwitscherte.

Tom langte an seinen Hut und begann zu überlegen, was er sagen sollte. »Pah!« sagt wieder das Wesen, »du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten. Du hast mir einen besseren Dienst erwiesen, als du glaubst, und ich will für dich genauso viel tun.« Tom vermochte noch nicht zu sprechen, aber er dachte sich: »Herr im Himmel! Das ist doch sicher ein Nachtmahr!«

»Nein!« sagt es blitzschnell, »ich bin kein Nachtmahr, aber du tust gut daran, mich nicht zu fragen, was ich bin. Auf jeden Fall bin ich ein guter Freund von dir.«

Tom schlotterten die Knie, denn sicherlich konnte kein gewöhnliches Wesen wissen, was er sich gedacht hatte, aber es schaute so freundlich drein und sprach so lieblich, dass er Mut fasste und ein wenig zittrig herausbrachte: »Dürfte ich nach Euer Ehren Namen fragen?«

»Hm«, sagt es und zupfte an seinem Bart. »Was das anbelangt -« und es überlegte ein wenig. »Nun also«, fuhr es schließlich fort, »du kannst mich Yallery Brown nennen. So bin ich, du siehst's, und für einen Namen taugt es so gut wie irgendwas anderes. Yallery Brown, Tom, Yallery Brown ist dein Freund, mein Junge.«

»Dank Euch, Meister«, sagt Tom recht demütig. »Und nun habe ich es heute Nacht eilig«, sagt er, »aber sag mir rasch, was soll ich für dich tun? Willst du eine Frau haben? Ich kann dir das hübscheste Mädchen der Stadt geben. Willst du reich sein? Ich gebe dir Gold, soviel du tragen kannst. Oder willst du Hilfe bei deiner Arbeit? Sag es nur.« Tom kratzte sich am Kopf. »Nun, was eine Frau betrifft, so hab ich keine Sehnsucht danach. Das sind nur lästige Wesen, und zu Hause habe ich genug Weibervolk, das mir meine Fetzen flickt. Und was das Gold betrifft, damit mag es so bleiben wie es ist. Aber wegen der Arbeit, nun, ich kann Arbeit nicht ausstehen, und wenn Ihr mir dabei helfen wolltet, werde ich Euch danken...«

»Halt«, sagt er, schnell wie der Blitz, »ich werde dir helfen und damit gut, aber wenn du jemals das zu mir sagst - wenn du mir jemals dankst, dann, verstehst du, siehst du mich niemals wieder. Merk dir das jetzt: ich brauche keinen Dank, ich will keinen Dank.« Und er stampfte mit seinem winzigen Fuß auf den Boden und sah so bösartig aus wie ein wütender Stier. »Merk dir das jetzt, du großer Klotz«, fuhr er fort und beruhigte sich ein wenig, »und wenn du jemals Hilfe brauchst oder in der Klemme steckst, dann ruf nach mir und sag einfach: ›Yallery Brown, komm aus der Erde, ich brauche dich!‹, und sofort werde ich bei dir sein. Und jetzt«, sagte er und pflückte ein Löwenzahnlaternchen ab, »wünsch ich dir gute Nacht«, und er pustete darauf, dass Tom alles in Augen und Ohren flog.

Als Tom wieder etwas sehen konnte, war das winzige Wesen weg, und wäre da nicht immer noch der Stein gewesen und das Loch zu seinen Füßen, dann hätte er gedacht, er müsste geträumt haben. Nun gut, Tom ging nach Hause und zu Bett, und am Morgen hatte er alles fast vergessen. Aber als er an die Arbeit ging, da war keine zu tun! Es war bereits alles getan, die Pferde waren versorgt, die Ställe saubergemacht, alles war an Ort und Stelle, und es blieb ihm nichts zu tun, als sich hinzusetzen und die Hände in die Taschen zu stecken. Und so ging es weiter, Tag für Tag, alle Arbeit tat Yallery Brown, und der tat sie noch dazu besser, als Tom selbst es vermocht hätte. Und wenn sein Herr ihm mehr zu tun gab, dann setzte er sich nieder, und die Arbeit geschah von selbst: die Sengeisen oder der Besen oder was auch immer machten sich daran, und ohne dass eine Hand dabei war, wurden sie im Nu mit allem fertig. Er sah Yallery Brown niemals bei Tageslicht; nur in der Dämmerung sah er ihn umherhüpfen wie ein Irrlicht ohne sein Laternchen.

Am Anfang war es großartig für Tom, er hatte nichts zu tun und wurde dafür gut bezahlt. Aber nach und nach wandte sich alles ins Gegenteil. Wenn Toms Arbeit getan war, so war die der andern Burschen ungetan, wenn seine Eimer voll waren, so waren ihre umgestürzt, waren seine Geräte geschärft, so waren ihre stumpf und verbogen. Waren seine Pferde sauber wie Gänseblümchen, so waren ihre mit Mist bespritzt, und so fort, es war tagaus, tagein das gleiche. Und die Burschen sahen, wie Yallery Brown in den Nächten umherflitzte, und sie sahen, wie die Dinge bei Tag ohne eines Menschen Hand arbeiteten, und sie sahen, dass Toms Arbeit für ihn getan wurde und die ihre für sie verdorben. Da fingen sie natürlich an, ihn schief anzusehen, sie wollten weder mit ihm sprechen noch, in seiner Nähe sein, und sie trugen dem Herrn allerlei Geschichten über ihn zu, und so wurde es immer schlimmer.

Denn Tom brachte es nicht zuwege, etwas selbst zu tun: der Besen blieb ihm nicht in der Hand, der Pflug lief ihm davon, die Hacke ließ sich nicht fassen. Er meinte, er könnte seine Arbeit schließlich doch allein tun, damit Yallery Brown ihn und seine Nachbarn in Ruhe ließe. Aber es war nicht möglich - es war um den Tod nicht möglich. Er konnte nur dabeisitzen und zusehen und musste sich die kalte Schulter zeigen lassen, und die ganze Zeit tat das unheimliche Wesen seine Arbeit und kam den andern bei der ihrigen in die Quere. Zuletzt war es so schlimm geworden, dass der Herr Tom den Laufpass gab, und hätte er es nicht getan, hätten alle übrigen Burschen dem Herrn den Dienst aufgekündigt, denn sie hatten geschworen, sie blieben nicht mit Tom zusammen auf einem Hof.

Nun, freilich war es Tom jämmerlich zumute, es war ein sehr guter Dienstplatz und er hatte auch einen guten Lohn, und er war ganz schön wütend auf Yallery Brown, der ihn in so eine schlimme Lage gebracht hatte. Tom schüttelte deshalb seine Faust über dem Kopf und rief so laut er nur konnte: »Yallery Brown, komm aus der Erde, du Schurke, ich brauch dich!« Ihr werdet es nicht glauben, aber kaum hatte er die Worte herausgebracht, da spürte er schon, wie etwas ihn von hinten ins Bein zwickte, dass er vor Schmerz hochsprang. Und als er herunterschaute, da war das winzige Ding mit seinem schimmernden Haar und dem runzligen Gesicht und den boshaft glitzernden schwarzen Augen.

Tom hatte eine richtige Wut, und er hätte gern mit dem Fuß nach ihm gehackt, aber es wäre dabei nichts herausgekommen, denn es war gar nicht genug da für einen Fußtritt. Tom sagte aber: »Schaut mal, Meister, ich will Euch danken, Ihr sollt mich nun nach all dem in Ruhe lassen, hört Ihr? Ich mag gar keine Hilfe von Euch, und ich will mit Euch nichts mehr zu schaffen haben - versteht Ihr.«

Das schreckliche Wesen brach in ein schrilles Lachen aus und zeigte mit seinem braunen Finger auf Tom. »Ho, ho, Tom!« sagt es. »Du hast mir gedankt, mein Junge, und ich sagte dir, du solltest es nicht, du solltest es nicht!«

»Ich will Eure Hilfe nicht, ich sag's Euch«, brüllte Tom ihn an, »ich will nur, dass ich Euch nie mehr wieder sehe und dass ich nichts mehr mit Euch zu tun habe - Ihr könnt gehen.«

Das Wesen lachte nur und kreischte und höhnte, solange Tom fortfuhr zu schimpfen, aber sobald ihm die Luft ausging: »Tom, mein Junge«, sagte es grinsend, »ich will dir was erzählen, Tom. Wahr und wahrhaftig werde ich dir nie wieder helfen, und soviel du rufen magst, du wirst mich nach diesem Tag nie mehr sehen. Aber ich habe nie gesagt, dass ich dich verlassen werde, Tom, und das werde ich auch nie, mein Junge!

Unter dem Stein war ich gut und sicher untergebracht und konnte nichts Böses tun, aber du selbst hast mich herausgelassen, und du kannst mich nicht wieder zurückschaffen! Wärest du klug gewesen, hätte ich dein Freund sein und für dich die Arbeit tun können, weil du aber nicht mehr bist als einer, der als Dummkopf geboren wurde, verschaffe ich dir auch nicht mehr als das Glück eines Dummkopfes. Und wenn nun alles verquer geht und gegen dich ist, dann wirst du daran denken, dass Yallery Brown es getan hat, wenn du ihn auch vielleicht nicht siehst. Behalte meine Worte, hörst du?«

Und er begann zu singen, er tanzte um Tom herum, und wie ein Kind sah er aus mit seinem gelben Haar, aber älter denn je war sein grinsendes verrunzeltes bisschen Gesicht: »Tu was du willst,
nie tust du es recht;
tu was du kannst,
nie bringst du's zu was;
denn Übel und Unglück und Yallery Brown
hast selbst unterm Stein du herausgehaun.«
Tom konnte sich nie richtig erinnern, was er dann gesagt hatte. Es war alles nur Fluchen und Verwünschen und er war so verwirrt vor Schreck, dass er nur dastand und von Kopf bis Fuß zitterte und auf das entsetzliche Wesen herunterstarrte. Und wäre es lange so weitergegangen, wäre Tom ohnmächtig hingestürzt. Aber nach und nach erhob sich das gelbe schimmernde Haar in die Luft, schlang sich um das Wesen, bis er wirklich und wahrhaftig aussah wie eine große aufgebauschte Löwenzahnblüte, und die trieb fort im Wind, hinweg über die Mauer und aus dem Blick, und mit ihr verklang das Quäken der boshaften Stimme und das höhnische Lachen.

Und ihr fragt, ob sich die Verwünschungen erfüllten? Auf mein Wort, und ob, so gewiss wie der Tod! Tom arbeitete hier und er arbeitete dort und er legte seine Hand an dieses und an jenes, aber immer ging es verquer, und es war alles Yallery Browns Werk. Und die Kinder starben, und die Ernte verdarb - das Vieh wurde nicht fett, und nichts geriet, wo er war. Und so lange, bis er tot und begraben war, und vielleicht auch noch danach, hatte Yallery Browns Hass auf ihn kein Ende, tagein und tagaus hörte er ihn immer sagen: »Tu was du willst,
nie tust du es recht;
tu was du kannst,
nie bringst du's zu was;
denn Übel und Unglück und Yallery Brown
hast selbst unterm Stein du herausgehaun.«