[swahili, "Geschichte, Legende"]

Wie man dem Mullah eine Lehre erteilte

Es war einmal ein Mullah. Er war geizig und lüstern dazu. Eines Tages, als die Schüler nach Hause gingen, rief er den Knaben Chassu beiseite und trug ihm folgendes auf: »Richte deiner Mutter leise aus, dass ich ihr ›Kik‹ zurufe.« Chassu war zu jener Zeit sieben Jahre alt und begann gerade den Koran zu lesen. Seine Mutter war eine junge, sehr schöne Frau von sittsamem Lebenswandel. Der Mullah hatte seit langem ein Auge auf sie geworfen; obwohl er alt und hässlich war, verzehrte er sich vor Sehnsucht nach ihr und wartete voller Ungeduld auf einen glücklichen Zufall. Chassus Mutter, die die Absichten des Mullah durchschaute, war empört und beschloss, einfach so zu tun, als bemerke sie nichts. Der Mullah gab nicht auf. Tagtäglich erinnerte er an den »Kik«, und Chassus Mutter entschloss sich endlich, ihrem Mann von den Erpressungsversuchen des Mullah zu erzählen. »Mag Chassu dem Mullah deine Antwort ›Kik‹ ausrichten«, riet er ihr. »Lade ihn ruhig einmal ein zu dir.« Tags drauf richtete Chassu dem Mullah die Botschaft aus. »Mutter lässt dir ›Kik‹ sagen. Vater ist heute nicht daheim, hat sie gesagt, da kannst du kommen.« Mann und Frau schafften unterdessen zehn Scheffel Korn zum Mühlrad im Hinterraum, das von einem Esel in Bewegung gesetzt wurde. Dann verließ der Mann die Sakija. Der Mullah legte sein schönstes Gewand an, in das er sich nur kleidete, wenn er auf den Basar oder zur Dschuma ging, schob aus Großspurigkeit die Taschenuhr in die Seitentasche, legte sich eine Kette quer über die Brust, hängte einen Kompass daran und begab sich, als die Dämmerung hereinbrach, zu Chassus Mutter. Der brodelnde Kessel auf dem Herdfeuer, die erleuchtete Sakija, das freundliche Antlitz der jungen Frau - all dies überzeugte den Mullah davon, dass man ihn hier erwartete und dass die Einladung kein Schwindel und keine Falle war.

Nach der Begrüßung wechselten sie miteinander einige Scherzworte, die nicht für fremde Ohren bestimmt waren, und der Mullah war im Vorgeschmack künftiger Wonnen zutiefst erregt. Er legte sein Obergewand ab, machte es sich auf den Kissen bequem wie bei sich daheim, als im Hof plötzlich ein Hüsteln ertönte. Der Mullah begriff, dass der Mann heimgekehrt war, und blickte die Frau erschrocken an. »O Allah, wo kann ich mich nur verstecken?« Die junge Frau führte ihn behände in den hinteren Raum, spannte ihn statt des Esels in den Riemen des Mühlrads und hieß ihn, im Kreise zu gehen. »Arbeite hier, ich aber werde meinem Mann sagen, dass der Esel Mehl mahlt«, sagte sie. »Beeil dich, damit mein Mann nichts merkt.« Der Mann trat ein, erklärte seiner Frau mit lauter Stimme, warum er so früh zurückgekehrt sei, und machte es sich auf dem Teppich bequem. Der Mullah war bald von der ungewohnten Anstrengung erschöpft, und sein Schritt verlangsamte sich. »Was ist heute nur mit unserem Esel? Hast du ihn zu füttern vergessen, bevor du ihn eingespannt hast?« fragte der Mann seine Frau und fügte hinzu: »Gib mir den Stock, ich werde ihm schon Beine machen.«

»Ich werde mich selbst um den Esel kümmern. Ruh du dich nur aus! Bist sicherlich müde«, gab die Frau zurück, ging in den Hinterraum, befahl dem Mullah mit Gesten, sich geschwinder zu bewegen, und drohte ihm mit der Faust. Der Mullah glaubte, sein letztes Stündlein habe geschlagen, warf sich mit letzter Anstrengung in die Riemen, ging wieder im Kreis, und die Mühle arbeitete schneller.

Mann und Frau taten in dieser Nacht kein Auge zu. Als der Morgen graute, hatte der Mullah den ganzen Weizen gemahlen. Die Hähne krähten schon, da flüchtete er erschöpft ohne Obergewand aus seinem unfreiwilligen Gefängnis und schlich sich durch die Gärten, hinter den Häusern vorbei in seine Sakija.

Am nächsten Tag flüsterte Chassu dem Mullah verstohlen zu: »Mutter lässt dir ein ›Kik‹ zurufen!«

»Möge Brandfeuer ihre Sakija verheeren, ist ihr das Mehl so schnell ausgegangen?« schrie der genasführte Mullah erbost.