[swahili, "Geschichte, Legende"]

Wie Aldar-Kosse der Verfolgung entkam

Der Khan sagte: »Nimm von meiner Herde ein halbes hundert der schnellsten Reitpferde, nimm die besten Krieger und suche Aldar-Kosse. Schleppe ihn mir lebend oder tot an!« Der Oberwesir machte vor dem Khan einen unterwürfigen Kniefall. Sieben und noch mal sieben Monate ritt eine Truppe des Wesirs durch die Steppe und kam Aldar-Kosse endlich auf die Spur. Aldar-Kosse entging der Verfolgung durch Laufen, durch Kriechen, manchmal versteckte er sich auch in Schluchten und im Gebüsch. Er wurde bleich, mager, wetzte sich Kleider und Stiefel ab. So erschien er, wie vom Himmel gefallen, in einer alten halbverlassenen Karawanserei, die an einem Schilf bewachsenen See stand. In diese Karawanserei kehrte selten jemand ein, deshalb lief der Wirt, als er Schritte hörte, eilig zum Tor: Ob der Prophet endlich einen Gast schickt? Als er aber den zerlumpten Fremden sah, ließ er die Nase hängen und wandte sich verärgert ab. »Dshigit, wenn du zu mir geritten bist, um Almosen zu erbetteln oder umsonst bei mir zu übernachten, dann höre meinen Rat: Laufe weiter, mein Seelchen.« Aldar schüttelte vorwurfsvoll den Kopf: »Aber nein, ehrwürdiger Bei, nicht zu meiner, zu deiner Rettung eilte ich, ohne auf meine Gesundheit zu achten, zu dir. Sage mir frei heraus, womit du dich vor dem Khan schuldig gemacht hast, warum er dir so zürnt?«

Der Wirt schluckte sogar vor Verwunderung. »Der Khan zürnt mir? Was für ein Unsinn! Ich habe den Khan nie in meinem Leben gesehen. Was kümmere ich denn den Khan? Aus welchem Nasenloch hast du denn das gepopelt?« »Mein lieber Freund, ich würde dir alles im einzelnen erklären, hätten wir Zeit«, sprach Aldar-Kosse mit bebender Stimme. Er flüsterte dem Wirt ins Ohr: »Ich sage dir nur, was ich von treuen Leuten erfahren habe: Der Khan hat eine Truppe Kopfjäger ausgeschickt, um dich einzufangen und zu ihm zu bringen. Schau nur in die Steppe!...« Der Wirt blickte in die Richtung, in die Aldar zeigte, und erzitterte: Reiter ritten direkt auf die Karawanserei zu. Es waren schon die drohenden Stimmen, das Hufetrappeln und Pferdewiehern zu hören. Die hängenden Wangen des Wirts wurden weißer als Quark. Mit bebenden Fingern hielt er an Aldars Lumpen fest. »Du mein Wohltäter, überlasse doch einen Unschuldigen nicht dem Tod! Sei barmherzig: Wenn du mir schon die Kunde vom Unglück gebracht hast, weise mir auch den Weg zur Rettung. Ich erfülle dir jede Bitte, wenn du mir hilfst!«

Aldar-Kosse krauste die Stirn, tat, als denke er über etwas nach. »Nun sprich schon, rede!« rüttelte ihn der Wirt. »Ich hab's!« Aldar-Kosse klopfte sich an die Stirn. »Gib mir dein Gewand, damit ich etwas über meinen nackten Leib ziehen kann, du aber eile, so schnell dich deine Beine tragen, ins Schilfdickicht. Warte dort ein paar Tage ab. Soll kommen, was wolle, ich riskiere meinen Kopf, nehme statt deiner die Abgesandten des Khans in Empfang. Ich werde ihnen sagen: ›Ihr seid zu spät gekommen, meine Lieben, der, den ihr holen wollt, ist gestorben... Wurde vor drei Tagen begraben. Hat sich überfressen und starb an Durchfall, und dabei pries er den Khan... Und was wollt ihr mit einer Leiche?‹ Die Räuber müssen mit leeren Händen abziehen. Wie heißt es doch so schön in dem Sprichwort: Waren auf einen gekochten Fettschwanz erpicht und erhielten nicht einmal Abfälle...« »Möge Allah dich segnen! Möge Allah dich segnen!« sagte der Wirt hastig. Und war im Unterhemd im Nu im Schilf verschwunden.

Aldar-Kosse winkte ihm nach: »So, mein Freundchen, schmeiß dich wie ein Wildschwein in den Dreck, sollen die Mücken sich an dir satt essen, um so einen wie dich ist es nicht schade!...« Aldar-Kosse zog schnell den Chalat des Wirts an, wickelte sich einen herumliegenden Fetzen um den Kopf und humpelte, sich stöhnend und mit der Hand die Wange haltend, der Truppe entgegen. »Liebe Gäste, seid in meiner Karawanserei willkommen!« Der Wesir zügelte sein Pferd aus dem vollen Lauf heraus, so dass es sich direkt vor Aldars Nase aufbäumte. »Was für ein komisches Ding hast du dir um deine blöde Birne gebunden? Du könntest als Wolfsschreck bei den Lämmchen dienen, aber keine Karawanserei unterhalten. Da du dich aber als Wirt vorstellst, antworte: Versteckt sich bei dir vielleicht ein Mann, den wir verfolgen? Das ist ein gefährlicher Verbrecher, der Erzfeind des Khans. Bartlos und hager... Oder ist er vielleicht vorbeigekommen?«

Anstelle einer Antwort stöhnte Aldar herzzerreißend: »O ihr Verfluchten, ihr Unholde! Ihr Mörder! Ihr bringt den Menschen doch bloß Kummer! Ins Feuer mit euch allen, Verdammten! Soll euch der Teufel holen!« Vor Empörung liefen dem Wesir die Augen rot an. »Schweige, du Unverschämter! Wie kannst du es wagen, Diener des Khans zu beschimpfen? Siehst du nicht, wen du vor dir hast? Oder bist du mit Aldar-Kosse im Bunde?«

»Verzeihung, mein Herrscher, Verzeihung«, winselte Aldar, »der Schmerz hat mir den Verstand vernebelt... Von welchem Aldar-Kosse sprichst du? Den kenne ich nicht... Die Zähne! Die Zähne bringen mich um! Sie plagen mich, mir ist schon alles egal, werde wahrscheinlich den Morgen nicht mehr erleben...«

»Du wirst die Nacht nicht erleben, wenn du nicht aufhörst zu winseln und die Antwort hinauszögerst!«

Der Wesir schwang den Säbel. »Ich frage dich zum letzten Mal: Hast du einen bartlosen Mann gesehen oder nicht?«

»Habe ich gesehen, mein lieber Herr... Aber warum denn so zornig? Vor Zorn kann die Leber austrocknen... Der Bartlose... Ja, jaja... Der war vor kurzem hier. Ich habe ihm aber keinen Einlass gewährt. Der ist nicht bei mir, ihr könnt alles durchsuchen.«

»Wo ist er hin?« Der Wesir stieß Aldar mit dem Pferd vor die Brust. »Sprich, na wird's bald!«

»Im Schilf... Steckt im Sumpf, der Dummkopf! (Ach, die Zähne!) Dort gibt es keinen begehbaren Pfad, kein Durchkommen... Lasst euch nicht einfallen, ihn in der Dunkelheit zu suchen. Bewahre euch Gott davor! Dann seid ihr verloren! Ihr und eure Pferde versinken!... Übernachtet bei mir, ich nehme nicht viel. Eine Tenga von jedem (Ach, diese Blutsauger!) Bleibt bis zum Morgengrauen... Die Leute ruhen sich aus, die Pferde auch... Bevor es hell wird, wecke ich euch... Am Morgen fasst ihr den Ausreißer mit bloßen Händen... Wo soll der hin? Wie ein Vogeljunges erwischt ihr ihn. Ach, wie mich die Verfluchten plagen!«

Aldar-Kosse fasste sich wieder an die Wange. »Absitzen!« befahl der Wesir den Kriegern. »Dieser Tölpel hat wahrscheinlich Recht. Manchmal spricht auch ein Dummkopf etwas Vernünftiges. Machen wir hier Rast. Soll Aldar-Kosse im Sumpf nass werden, morgen früh werden wir ihn schon mit Riemenpeitschen trocknen. Legt euch schlafen!« Und er warf dem »Wirt« einen Geldbeutel für die Übernachtung zu. Aldaken fing den Beutel auf wie ein Bergadler ein Vögelchen und breitete geschäftig die Matten für die Gäste. »Gute Nacht, liebe Gäste! Ich wünsche euch einen guten Schlaf!« Die Krieger sattelten die Pferde ab, banden sie an die Pfähle an, fütterten sie, warfen sich auf die Matten und pfiffen alle auf einmal durch fünfzig Nasen. Länger als die anderen warf sich der Wesir auf seinem besonderen Lager hin und her. Beim Einschlafen brubbelte er streng: »Nimm dich in acht, Wirt, wecke uns vor dem Morgengrauen. Geht uns Aldar-Kosse durch die Lappen, ist dein Kopf ab!« Und auch er schnarchte los.

Während die Mieter sich hinlegten, hockte Aldar-Kosse in einer Ecke, stöhnte und fluchte, man wusste nicht, ob über seine schlimmen Zähne oder über die Krieger des Khans. Endlich wurden alle ruhig. Der erste Schlaf ist der festeste, sagte sich Aldar-Kosse. Die beste Zeit zum Handeln... Sofort verwandelte er sich. Zuerst einmal suchte er ohne Lärm und Hast unter den Habseligkeiten des Wirts eine Schere, mit deren man Schafe schert. Er prüfte sie mit dem Finger, ob sie scharf war. Sie war scharf wie eine Rasierklinge! Mit dieser Schere in der Hand kroch Aldaken lautlos wie ein Schatten von einem Schlafenden zum anderen und rasierte allen die Barte ab. Als erstes flog der buschige Bart des Wesirs ab, danach schnitt er auch den anderen die Bärte. Und was das für Bärte waren! Lange und kurze, struppige und glatte, buschige und spärliche, graue, schwarze, rote!... Aldar-Kosse stellte sich so geschickt an, dass keiner der Krieger im Traum sich auch nur rührte.

Als Aldar-Kosse mit den Bärten fertig war, machte er sich ans Pferdegeschirr: Die Sättel und die Schweißdecken, das Zaumzeug und die Sattelgurte- alles zerschnitt er in kleine Stückchen. Nur eine Garnitur, die kostbarste, rührte er nicht an. Sie warf er dem besten Pferd über, stellte den Fuß auf einen Steigbügel und löste sich förmlich in der Morgendämmerung auf.

Im Morgengrauen zuckte der Wesir und wachte auf. Er schaute sich um, es wurde schon hell. »Wirt!« rief er aufgeregt. »Warum hast du uns nicht rechtzeitig geweckt? He, Wirt, wo steckst du denn, Fratze?« Keine Antwort. Den Wesir überlief es eisig. Hat uns dieser Wurm etwa hinters Licht gerührt? ging es ihm durch den Kopf. Schnellstens die Truppe wecken! Die Krieger aber schliefen so fest, dass man sie mit einem Knüppel hätte schlagen können und sie wären nicht aufgewacht. Endlich gelang es dem Wesir, einen wachzurütteln. Der sprang auf und starrte den Wesir wild an. Und auch der Wesir wich entsetzt zurück. »Was für eine bartlose Fratze? Ja, das ist doch Aldar-Kosse! Der Bösewicht hat sich als Krieger verkleidet...« Auch der Krieger rieb sich mit den Fäusten einmal die Augen und noch einmal, starrte wieder den Wesir an. »Schlafe ich etwa noch? Nein, das ist Aldar-Kosse! Der Schlaufuchs hat sich als Wesir verkleidet!« Und sie gingen sich an die Kehle. »Zu Hilfe! Aldar-Kosse hat sich in unser Lager eingeschlichen! Ich habe Aldar-Kosse!« brüllten sie wie aus einem Munde.

Von so einem Geschrei wäre auch ein Toter aus dem Grab gesprungen. Die Krieger waren mit einem Satz hochgeschnellt. »Wer hat geschrieen? Wo ist Aldar-Kosse?« Als sie sich einander anschauten, begann die Rauferei: Jeder sah ja einen Bartlosen vor sich. »Da ist er, Aldar-Kosse!«

»Selbst Aldar-Kosse!«

»Haltet ihn! Schlagt ihn!«

»Ah, du willst dich prügeln! Hier hast du!...« Alle fielen übereinander her, rollten über den Fußboden, schrieen, schlugen aufeinander ein, jeder mit dem, was er gerade zu fassen bekam. Es war ein richtiger Schlachtenlärm, und wer weiß, wie das Handgemenge geendet hätte, wäre nicht hinter den fernen Bergen die Sonne aufgegangen.

Im Sonnenschein kamen die Krieger zur Besinnung und merkten, dass sie in eine Geschichte geraten waren, wie sie sich selbst der Satan nicht schlimmer und beschämender hätte ausdenken können. »Den Wirt ausfindig machen!« Sie durchsuchten die ganze Karawanserei, von dem Wirt keine Spur. »Die Pferde zählen!« Sie zählten. Eines, das Pferd des Wesirs, fehlte. »Ihm nach!« krächzte der geprügelte Wesir. »Derjenige, der sich Wirt genannt hat, war Aldar-Kosse! Er, der Aufrührer und Gotteslästerer, hat uns entehrt und zugrunde gerichtet. Auf, ihm nach!« Die Krieger stürzten zum Pferdegeschirr, aber dort, wo es gelegen hatte, fanden sie jetzt nur einen Haufen Lederschnipsel. Da war an Verfolgung gar nicht zu denken! Die bartlosen Krieger, alle mit Schrammen und blutunterlaufenen Flecken, kletterten auf die ungesattelten Pferde und trotteten, sich an den Mähnen festhaltend, im Gänsemarsch zum Khan. Als letzter ging der bartlose Wesir zu Fuß. Niemand wollte ihm sein Pferd überlassen, denn keiner fürchtete ihn mehr, das Liedchen des grausamen Wesirs war ausgesungen!

Aldar-Kosse war schon weit weg und ritt immer weiter... Und was für ein Weiser könnte sagen, wohin sein Weg ihn führte und wo er das Pferd anhielt. Denn Aldaken fegt von einem Ende zum anderen durch die Steppe wie das Gras, und wohin das rollt, das frage den Wind, und wo es liegen bleibt, das weiß nicht einmal der Wind.