Wenn die Wölfe heulen
Auf einem Hofe lebte ein Bauer. Dem starb seine Frau, und er nahm sich eine andere, die war noch ganz jung. Sie liebte ihren Mann aber nicht ein bisschen und gab ihm nur sehr schlechtes Essen. So reichte sie ihm einmal ein Fladenbrot aus Weizen, das schmeckte so schlecht, dass man es nicht herunterbekam. Da fragte er seine Frau: »Warum schmecken deine Fladenbrote so schlecht? Sie riechen auch schon übel!« Doch seine Frau antwortete: »Warum säst du auch deinen Weizen am Rande des Weges? Ein jeder, der hier des Weges kommt, geht immer in den Weizen, seine Notdurft zu verrichten. Deshalb riechen auch die Fladenbrote aus diesem Weizen so übel.«
Der Alte glaubte seiner Frau und ging hin, um aufzupassen, wer in seinen Weizen geht, um seine Notdurft zu verrichten. Da kommt ein Junge des Weges, vielleicht war er schon fünfzehn, und geht in den Weizen des Alten. Der Greis ergriff ihn und begann ihn zu verprügeln. Der Junge bittet, ihn nicht mehr zu schlagen, und verspricht, so lange bei dem Alten zu dienen, bis in seinem Hause die Wölfe zu heulen beginnen. Der Greis dachte nach: Wann können wohl in meinem Hause die Wölfe zu heulen beginnen? Ach, der will mir also dienen, bis er stirbt! Und er nahm den Jungen mit nach Hause.
Am anderen Morgen gingen beide hinaus zum Pflügen. Als sie schon ein Stückchen gepflügt hatten, sagt der Junge: »Oheim, lass mich nach Hause, ich will das Frühstück holen!« Der Greis antwortet ihm: »Kindchen, so viele Jahre, wie ich schon mit ihr lebe, war nie etwas zu essen da, auch nicht, wenn schon ein großes Stück umgepflügt war! Doch andererseits, wenn du so gerne willst - geh hin, du sollst selber sehen, dass du nichts bekommst!« Der Junge ritt nach Hause, band das Pferd am äußersten Ende des Gemüsegartens an und ging zu Fuß weiter zum Wohnhaus. Als er herangekommen ist, schaut er durchs Fenster.
Er sieht, dass der Tisch mit allerlei Speisen voll gestellt ist: Würste, Eier, Kuchen und Branntwein - alles ist da, was das Herz begehrt. In der Stube stolziert der Schuster aus der Nachbarschaft umher, der Geliebte der Hausfrau, und sie sprechen miteinander: »Wenn die beiden nun angeritten kommen, wo soll ich dann hin?«
»Du kriechst unter den Ofen«, antwortete die Hausfrau. Der Junge lief eiligst zum Ende des Gartens, und im selben Augenblick kam er auch schon auf den Hof geritten. Der Schuster hörte, wie das Pferd »prrr« angehalten wurde und kroch blitzschnell unter den Ofen.
Der Junge kam herein, und das Weib sagte zu ihm: »Kindchen, ich habe das Frühstück fertiggemacht. Eben wollte ich es selbst bringen, doch da du gekommen bist, nimmst du es mit.« Doch der Junge antwortet ihr: »Ich bin aber nicht nach dem Frühstück gekommen. Der Oheim hat mir gesagt, ich soll die Zaunpfähle unter den Ofen packen, es zieht Regen herauf.«
»Kindchen, die werde ich schon hintragen; lauf du nur mit dem Frühstück.«
»Wenn der Oheim mir doch geboten hat, sie dorthin zu bringen, dann muss ich das auch machen!« antwortete der Junge. Er schleppte von draußen die Pfähle herein, schob sie unter den Ofen, bis er alle darunter gezwängt hatte. Dann nahm er das Essen vom Tisch und ritt wieder aufs Feld. »Nun, Oheim, ich habe das Frühstück schon gebracht, komm essen!« Der Alte isst und lobt die ganze Zeit das Essen und sagt, dass er noch nie in seinem Leben so gut zu essen bekommen habe wie jetzt.
Am folgenden Tage geht der Alte wieder mit dem Jungen pflügen, und als sie wieder etwas gepflügt haben, bittet der Knecht den Greis abermals: »Oheim, lass mich nach dem Frühstück reiten!«
»Reite nur, Kindchen«, antwortet der Alte. Als er nach Hause geritten war, band der Junge das Pferd an den Zaun, stellte sich dann ans Fenster und lauscht, was die Hausfrau mit dem Schuster spricht. Wie schon gestern, so war auch heute der Tisch ganz voll Essen und Trinken gestellt, und am Tisch sitzt der Schuster und spricht mit der Herrin. »Gestern hat er mir die ganze Seite zerstochen! Und wenn sie heute wieder angeritten kommen, wo soll ich dann bleiben?«
»Da steht der große Spankorb mit Wolle. Wenn du da rein steigst, wird dich niemand finden!« beruhigt das Weib den Schuster.
Als der Junge das gehört hatte, lief er los, band sein Pferd vom Zaun und ritt auf den Hof. Der Schuster hörte das »prrr!«, wie der Bursche das Pferd anhielt, stieg eiligst in den Spankorb und kroch unter die Wolle. Als der Junge hereingekommen war, sagte das Weib: »Schön, Kindchen, dass du gekommen bist. Ich wollte euch eben schon selbst das Frühstück bringen, doch jetzt kannst du es mitnehmen.«
»Ich bin nicht wegen des Frühstücks her geritten. Der Oheim sagte mir, ich solle die Wolle mit kochendem Wasser übergießen und ausbrühen, denn es haben sich Motten darin eingenistet.«
»Kindchen, ich kann die Wolle doch selber ausbrühen, reite du nur wieder aufs Feld!« entgegnete hastig das erschrockene Weib. »Der Oheim hat mir das doch aber aufgetragen!« beharrte der Junge auf seiner Absicht, nahm vom Vorofen einen Kessel mit kochendem Wasser, schüttete alles in den Spankorb, räumte dann alles Essen vom Tisch und ritt wieder fort.
Auf dem Felde aß er mit dem Alten so gut, dass der Greis den ganzen Tag das Essen lobte.
So ritt der Junge auch am dritten Tage nach Hause. Wieder lauschte er am Fenster und hörte, wie der Schuster der Hausfrau sein Leid klagte: »Vorgestern hat er mir die Seite zerstochen und gestern den ganzen Rücken verbrüht! Dafür müssen sie büßen und qualvoll sterben!«
»Wie könnten wir sie unter Qualen sterben lassen?« fragt die Hausfrau. »Einfach so: Backe Fladenbrote, mache Schmalz warm, und in das Schmalz tue Gift. Dann rufst du sie vom Felde heim, und wenn sie die Fladenbrote in das Fett tauchen, dann ist es aus mit ihnen!« belehrte der Schuster die Herrin.
Der Bursche sprang schnellstens aufs Pferd und war im Nu auf dem Feld.
Als der Alte fragte, warum er kein Frühstück bringe, antwortete er: »Sie will uns nach Hause rufen.« Als sie noch so sprachen, kam die Hausfrau und rief sie nach Hause. Beide bestiegen die Pferde und ritten los. Wie sie so reiten, sagt der Bursche zum Alten: »Wenn wir zu Hause sind, Oheim, pass auf, dass du alles ganz genau machst, was du mich machen siehst!« Sie ritten nach Hause und gingen ins Haus. Das Weib gab ihnen sofort die Fladenbrote und die Tunke mit Gift. Der Junge aß Fladenbrote, doch die Schmalztunke schaute er nicht einmal an, er tat so, als ob die überhaupt nicht da wäre. Der Alte passte auf, was er tat, und aß ebenfalls nur die trockenen Fladenbrote. Doch als er noch so aß, stürzte der Junge plötzlich von seinem Sitz unter den Tisch, und nach ihm auch der Alte.
Da kam sogleich - woher auch immer - der Schuster herein und prahlte vor der Herrin: »Ich habe schon in vielerlei Stimmen gesungen, doch mit Wolfsstimme habe ich es noch nicht versucht. Jetzt will ich es zum Begräbnis deines Alten versuchen!« Und als er zu singen anfing, war es ganz wie ein Wolf. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man sagen, dass da ein Wolf heult und nicht anders. Doch da - husch! - der Junge unter dem Tisch hervor mit einer Peitsche, und der Alte ihm nach, und sie haben den Schuster so verprügelt, dass er nur mit Mühe aus dem Hause kommen konnte.
Jetzt sagt der Junge dem Alten: »So, lieber Oheim, jetzt wirst du wissen, warum das Fladenbrot aus dem Weizen so schlecht schmeckte, und du wirst dich auch erinnern, dass meine Dienstzeit nun zu Ende ist: Die Wölfe haben schon in deinem Hause geheult.« Er nahm Abschied und ging hinaus. Danach begann das Weib den Alten zu lieben, und sie leben noch bis heute sehr glücklich.