[swahili, "Geschichte, Legende"]

Vom Mädchen, das von den Tauben verschleppt worden war

Es wird erzählt, dass es da ein Mädchen gab, mit Namen Usitungusobenhie, das ins heiratsfähige Alter gekommen war. Eines Tages waren alle Frauen des Kraals zur Feldarbeit hinausgegangen, die Mädchen waren Gras schneiden, und Usitungusobenhie war allein. Da kamen ein paar Tauben und nahmen Usitungusobenhie mit. Sie trugen sie durch die Luft, und als sie an der Stelle vorüber kamen, an der die Frauen arbeiteten, flogen sie mit ihr über dem Kopf ihrer Mutter hin und her. Als Usitungusobenhie ihre Mutter sah, rief sie: »Mutter, Mutter! Ich fliege mit den Tauben fort!« Und die ließen sie in der Luft schweben. Die Mutter versuchte, sie zu packen, aber die Tauben wollten die Mutter nur quälen. Schließlich flogen sie mit Usitungusobenhie davon. Weinend folgte ihnen die Mutter. Als es Abend wurde, kamen die Tauben zu einem Baum. Sie ließen sich in seinem Wipfel nieder, um auszuruhen. Die Mutter legte sieh unter den Baum. In der Nacht aber hoben die Tauben Usitungusobenhie auf und flogen mit ihr in ihr Land. Als die Mutter am Morgen die Tauben nicht mehr auf dem Baum sitzen sah, kehrte sie um. Die Tauben aber flogen mit Usitungusobenhie nach Hause. Sie sprachen: »Sie soll die Frau des Häuptlings sein.« Und so wurde sie die Häuptlingsfrau. Sie gebar ein Kind. Ihr Mann war auch eine Taube. Wiederum gebar sie ein Kind und dann noch eins - zusammen also drei.

Da geschah es, dass man auf die Jagd gehen wollte, um in einiger Entfernung Beute zu machen. Alle Leute sollten mitgehen, auch Usitungusobenhies Mann und die Kinder. Nur Usitungusobenhie und eine alte Frau wollten zu Hause bleiben. Da schmiedete Usitungusobenhie mit ihren Kindern einen Plan. Sie hieß sie, Krankheit vorzutäuschen.

Am Morgen brachen alle zur Jagd auf. Als sie aus dem Dorf kamen, ließ sich Usitungusobenhies ältester Sohn fallen und schrie auf: »O weh, ich hab mich verletzt!« Sein Vater schickte ihn nach Hause. Die Leute zogen weiter. Da sagte der Zweitälteste Sohn: »O weh, tut mir auf einmal mein Bauch weh.« Auch ihn schickte der Vater zurück. Als die Gruppe weiter zog, sagte der jüngste: »Ich habe Kopfschmerzen.« Da schickte der Vater auch ihn zurück. Das alles hatten sie absichtlich getan, um ihren Vater zu täuschen. Sie glaubten nämlich, dadurch fort zu kommen. Nun waren sie alle drei bei ihrer Mutter zu Hause.

Die Mutter schnürte ihr Bündel, nahm die Kinder und ging mit ihnen davon. Als die alte Frau ihr Verschwinden bemerkte, war Usitungusobenhie schon nicht mehr da. Da schlug die Frau Lärm und rief: »Die Frau des Häuptlings ist mit den Kindern fort gegangen!« Das hörte einer der Jäger und sagte: »Still! Was ruft die Frau da? Mir war, als hätte sie gesagt, dass die Frau des Häuptlings mit seinen Kindern verschwunden ist.« Da ergriffen sie ihn und sagten: »Du verheißt den Kindern des Häuptlings Unglück.« Und damit töteten sie ihn. Aber die alte Frau rief wieder: »Yi, yi, yi! Die Frau des Häuptlings ist mit den Kindern fort gegangen!« Und ein anderer sagte: »Ihr habt zwar den Mann eben getötet. Aber da ruft jemand. Mir ist, als ob sie sagt, dass die Frau des Häuptlings mit seinen Kindern weg ist.« Sie ergriffen auch ihn und töteten ihn, wobei sie sagten: »Du verheißt den Kindern des Häuptlings Unglück.« Wieder schrie die alte Frau: »Yi, yi, yi! Die Frau des Häuptlings ist mit den Kindern fort gegangen!« Und wieder hörte das einer und sagte: »Sei es drum! Ihr habt zwar diese Männer getötet, aber da ruft wirklich jemand, dass die Frau des Häuptlings mit seinen Kindern verschwunden ist.« Auch ihn töteten sie und sagten: »Du verheißt den Kindern des Häuptlings Unglück, wenn du sagst, dass sie verschwinden könnten!« Zum vierten Mal rief die alte Frau: »Yi, yi, yi! Die Frau des Häuptlings ist mit den Kindern fort gegangen!« Und ein Vierter sagte: »Seid still und lasst uns horchen! Ihr habt zwar diese Männer getötet, aber da ruft jemand, dass die Frau des Häuptlings mit seinen Kindern fort gegangen ist. lasst mich in Frieden und tötet mich nicht auch noch! Wir wollen lieber umkehren und in der Nähe horchen, ob da jemand ruft.« Der Häuptling ließ den Mann ungeschoren, und sie kehrten nach Hause zurück. Die alte Frau sagte: »Die Frau des Häuptlings ist mit seinen Kindern verschwunden.« Und der Mann sprach: »Hab ich es nicht gesagt? Ich habe euch gesagt, dass da jemand ruft.«

Da versammelten sich alle Untertanen des Häuptlings der Tauben, und der Häuptling befahl ihnen, Usitungusobenhie zu fangen. Sie schickten ein großes Heer von vielen tausend Mann aus, und der Häuptling zog mit. Usitungusobenhie kam an einen See. Sie sprach: »See, See, See! Teile dich. Ich bin Usitungusobenhie.« Und auf einmal teilte sich der See, und sie und die Kinder gingen hindurch. Auf der anderen Seite setzten sie sich nieder. Da kam das Heer der Tauben und sah Usitungusobenhie am anderen Ufer sitzen. Alle wunderten sich sehr, als sie Usitungusobenhie dort sitzen sahen. Usitungusobenhie flocht ein sehr langes Seil. Sie warf es hinüber und rief: »Kommt nur. Ich werde euch herüberholen.« Aber sie trieb nur ihr Spiel mit ihnen. Sie hatte nämlich auch einen scharfen Stein gefunden. Also sagte sie: »Ein Teil von euch kann sich an dem Seil festhalten.« Das taten auch viele. Usitungusobenhie zog am Seil, und als die Krieger in der Mitte des Sees waren, schnitt sie es durch, und die Männer wurden vom Wasser davongetragen. Da sagte sie: »Ach, ich Unglückliche! Die Leute des Häuptlings werden davongetragen.« Aber sie verstellte sich nur, denn sie hatte das Seil absichtlich durchgeschnitten. Dann forderte sie auch die anderen auf: »Haltet euch an dem Seil fest.« Viele taten das. Sie zog, und als die Leute mitten im See waren, schnitt sie das Seil wieder durch und sagte: »Ach, ich Unglückliche! Die Leute des Häuptlings werden davongetragen.« Noch einmal warf sie das Seil und gab vor, es sei ihr aus der Hand gerutscht. Und dann sagte sie: »Haltet euch fest.« Die Krieger hielten sich an dem Seil fest, und als auch sie mitten im See waren, schnitt sie es durch, und die Leute wurden vom Wasser davongetragen. Schließlich waren da nur noch sehr wenige am anderen Ufer übrig geblieben, und einer von ihnen sagte: »Allmählich werden die Männer des Häuptlings ausgerottet.« Und damit kehrten sie um.

Dann machte sich Usitungusobenhie auf den Weg und erreichte ihre Heimat. Als sie ankam, gab es keine Menschen mehr, sie waren alle von einem Ungeheuer aufgefressen worden. Sie erblickte einen Berg, den es früher hier nicht gegeben hatte. »Was für ein Berg ist das?« fragte sie. Sie ging auf ihn zu und fand unweit von dem Ort, wo früher ihr Dorf gestanden hatte, ein großes Wesen, nämlich das Ungeheuer, das sie zuerst für einen Berg gehalten hatte. Sie schlich ganz nahe heran, kroch mit einem Messer in der Hand darunter und schnitt dem Ungeheuer den Bauch auf. Zuerst kam ein Huhn heraus. Es gackerte: »Dokdokdokdääk! Ich sehe die Welt wieder!« Denn es hatte sie lange nicht gesehen. Nach dem Huhn kam ein Mensch heraus und sagte: »Oho! Ich sehe doch noch einmal die Welt!« Nach ihm kam ein Ochse heraus und sagte: »Muuuh! Ich sehe die Welt wieder!« Nach dem Ochsen kam ein Hund und sagte: »Wau, wau! Ich sehe die Welt wieder!« Nach dem Hund kam eine Ziege heraus und sagte: »Mähähäh! Ich sehe die Welt wieder!« Danach kam ein Schaf und sagte: »Mäh, mäh! Ich sehe die Welt wieder!« Und nach dem Schaf kamen alle anderen heraus. Und die Menschen bauten sich wieder Hütten und waren glücklich. Und alles wurde wieder wie früher.