Vom eisernen Wolf
Einstmals ging der Teufel zu Gott und sagte: »Ich will die ganze Menschheit ausrotten - erlaube es mir!« Gott dachte nach und dachte nach und erlaubte ihm schließlich, die ganze Menschheit auszurotten. Der Teufel verwandelte sich sogleich in einen eisernen Wolf und fing an die Menschen umzubringen. Er mordete die ganze Welt leer, es blieben nur ein Bruder und eine Schwester am Leben. Sie gruben sich eine unterirdische Höhle und wohnten beide darin. Und der Wolf konnte sie nirgends finden.
Als er einmal durch die Welt flog, traf er einen kleinen Ziegenbock. Er fiel über ihn her und wollte ihn schon verschlingen, doch das Böcklein fing an zu bitten, er solle es doch leben lassen: »Lass mich nur frei, ich werde dir sagen, wo der Bruder und die Schwester leben. Wirf mich über die linke Schulter, und wo meine Hörner in die Erde stechen, dort grabe nach, und du wirst sie finden.« Wie das Böcklein gesagt hatte, so tat der Wolf. Und er grub sie aus. Die Schwester war aber schön, und sie gefiel dem Wolf sehr. Als der Wolf den Bruder umbringen wollte, versteckte sich der sofort hinter der Schwester, doch die rührte der Wolf nicht an. Da verwandelte sich der Wolf in einen jungen Herrn; er streckte den Kopf hin, um sich lausen zu lassen, und schlief ein.
Da liefen die beiden davon. Sie liefen und liefen und kamen schließlich ans Meer. Sie wussten nicht, was sie nun tun sollten, wie sie über das Meer gelangen könnten. Da sahen sie einen Greis kommen, und sogleich fragten sie ihn. Der Alte fragte: »Habt ihr nicht einen Trauring und ein Kopftuch?« Sie sagten, sie hätten beides. »So rollt den Ring über das Kopftuch, und es wird ein Weg sein.« Sie rollten den Ring, und es entstand über das Meer ein Weg, und sie liefen weiter. Doch sie sehen - der Wolf hat sie fast schon eingeholt, und sie sind erst kaum zur Hälfte über das Meer gelaufen. Sofort rollen sie den Ring zurück, und der Weg ist verschwunden. Dem Wolf gelang es nicht mehr, zum Ziele zu kommen, und er schwamm zurück.
Die beiden aber fanden ein Häuschen und wohnten darin. Der Bruder ging täglich in den Wald auf die Jagd, und die Schwester verrichtete die Hausarbeit. Der Schwester begann der Wolf leid zu tun, weil er über dem Meere so heulte. Sie fand das Kopftuch mit dem Ring, sie rollte ihn und machte einen Weg über das Meer. Der Wolf kam auch zu ihr gelaufen.
Zu der Zeit zog der Bruder durch den Wald und begegnete dem Alten. Der gebot ihm, sich drei Stöcke zu schneiden - einen vom Apfelbaum, den zweiten von einer Esche, doch den dritten von einer Eiche, und sagte: »Wenn du auf einen starken Apfelbaum triffst, so gib ihm mit dem Apfelbaumstock einen Hieb; wenn du auf eine starke Esche triffst, so gib ihr mit dem Eschenstock einen Hieb; und wenn du auf eine starke Eiche triffst, so gib ihr mit dem Eichenstock einen Hieb.« Als er einen starken Apfelbaum fand, gab er ihm mit dem Apfelbaumstock einen Hieb, und aus dem Apfelbaum sprang ein großer Hund. Als er eine starke Esche traf, gab er ihr mit dem Eschenstock einen Hieb, da sprang ein noch größerer Hund heraus. Als er aber der Eiche mit dem Eichenstock einen Hieb gab, da sprang aus der Eiche ein Hund, größer als die beiden anderen. Diese Hunde jagten für ihn Hasen und allerlei anderes Wild.
Er kam nach Hause, doch der Wolf verwandelte sich in eine Nadel, kroch in die Bank und sagte zu der Schwester: »Setze den Bruder hierher, dann werde ich ihn zerreißen.« Die Schwester begann dem Bruder zuzureden: »Mein Brüderlein, du bist im Walde umhergelaufen, du bist müde geworden. Setz dich doch nieder!« Sofort sprang der erste Hund zu und - schnapp! - riss er die halbe Bank heraus. Die Schwester schalt: »Sieh, die Hunde haben die Bank zerbrochen! Schlage sie tot!«
»Das ist doch nur eine Bank - ich mache eine neue, die Hunde ernähren uns doch!«
Am anderen Morgen zog der Bruder wieder mit den Hunden in den Wald auf die Jagd. Und der Wolf sagte: »Jetzt verwandele ich mich in Salz; wenn dein Bruder isst, so streue ihm Salz in das Essen: Dann werde ich ihn zerreißen.« Als der Bruder aus dem Wald nach Hause kam, setzte sie ihm das Essen vor. Sie nahm vom Ofenaufsatz Salz und streute es in das Schüsselchen. Sofort sprang der zweite Hund darauf zu und zerbiss die Schüssel. Die Schwester schalt ihn: »Der eine hat die Bank und der andere das Schüsselchen zerbrochen - schlage doch diese Hunde tot!«
»Ist denn das ein Unglück? Das Schüsselchen mache ich auch neu.«
Am anderen Morgen zog er wieder hinaus in den Wald. Der Wolf aber sagte: »Werde du krank und sage ihm: ›Mir hilft kein Heilmittel.‹ Sage ihm: ›Nur eine Mühle gibt es mit dreimal neun Türen, mit dreimal neun Mühlsteinen; wenn du mir aus der Mühle Mehl holen könntest, dann würde ich gesund werden.‹« Der Bruder kam aus dem Wald und fand sie schon krank. Sie sagte ihm alles so, wie es sie der Wolf gelehrt hatte. Und er ging darauf auch mit den Hunden zu jener Mühle. Doch kaum waren die Hunde alle in die Mühle gelaufen, da - krach! - schlugen die Türen zu. Die Hunde heulten, sie kamen nicht mehr heraus aus der Mühle.
Klagend ging der Bruder los: »Wenn ich jetzt nach Hause komme, werden sie mich zu Tode peinigen!« Da begegnete ihm der Alte. »Warum klagst du so?«
»Wie sollte ich nicht klagen: Meine Hunde sind in der Mühle eingeschlossen, und wenn ich nach Hause komme, wird mich der Wolf zerreißen!« Da gab ihm der Greis ein Blashorn: »Du wirst das Badehaus für dich geheizt vorfinden, in dem sie dich verbrennen wollen. Wenn er dich hineinführt, dann bitte ihn, dich zum letzten Male auf dem Horn blasen zu lassen.«
Als er nach Hause kam, fand er das Badehaus geheizt. Der Wolf hatte ein eisernes Badehaus gebaut. Sofort führte er ihn hinein und fing an, ihn mit dem Badebesen zu schlagen. Er bat, hinausgehen zu dürfen: »Lass mich doch wenigstens noch einmal auf dem Horn blasen!« Der Wolf ließ ihn hinaus. Er blies einmal, da kam der erste Hund angejagt. Er ging wieder in das Badehaus, und aufs Neue wurde er mit dem Rutenbesen geschlagen. Er durfte auch zum zweiten Male hinaus. Als der Bruder ins Horn stieß, kam der zweite Hund angejagt. Wieder wurde er im Badehaus mit dem Badebesen geschlagen und war schon fast zu Tode gepeinigt: »Lass mich noch einmal blasen!« Als er in das Horn stieß, kam der dritte Hund angejagt. Sofort überfielen sie den Wolf und zerrissen ihn. Und der Bruder ging nach Hause.
Die Schwester ging am anderen Morgen in das Badehaus; sie fand dort einen Reißzahn und nahm ihn mit. Am anderen Tag nahm der Bruder die Schwester, fuhr sie in den Wald, band sie an einen Baum, stellte einen Kübel sowie drei Wagen mit Erbsenstroh hin und sagte: »Wenn du dieses Erbsenstroh aufgegessen und den Kübel mit Tränen gefüllt hast, dann werde ich dich freilassen!«
Zu der Zeit wollte die Königstochter einen Mann nehmen. Aber es gab keine Männer mehr außer diesem Bruder. Die Werber kamen zu ihm. Man bereitete die Hochzeit vor. Am nächsten Morgen mussten sie zur Trauung fahren, und die Königstochter fragte: »Hast du keine Verwandten, einen Bruder, eine Schwester oder eine liebe Muhme, das Bett zu bereiten?« Da erinnerte er sich der Schwester: »Ich habe eine Schwester. Vor siebenundzwanzig Jahren habe ich sie in den Wald gefahren, vielleicht ist sie noch am Leben.« So ging er hin. Er fand sie: Das Erbsenstroh war aufgegessen, der Kübel voll geweint. Und er fuhr sie nach Hause.
Als das junge Paar getraut wurde, bereitete die Schwester das Bett und legte den Reißzahn hinein. Als der Bruder sich niederlegte, bohrte sich ihm der Reißzahn tief in die Seite - und er war tot. Die Schwester sagte: »Oje, lasst diese Hunde nicht an ihn heran, denn sie werden den Bruder zerreißen!« Sie fuhren ihn auf den Friedhof, um ihn zu begraben. Als sie ihn hinabsenkten, sprang ein Hund hinterher und trug ihn aus der Grube heraus. Die Schwester schrie: »Ruft die Hunde weg, ruft sie weg!« Doch die anderen sahen zu, was die Hunde nun machen wollten. Sofort beroch ihn der eine Hund, beleckte ihn, fand den Reißzahn und zog ihn heraus. Der Bruder wurde wieder lebendig. Er nahm seinen Säbel und hieb der Schwester den Kopf ab, doch mit der Königstochter lebte er in Eintracht und Liebe.