[swahili, "Geschichte, Legende"]

TI-KE-WA-KUSCH oder der Mann, der die Büffel rief

Dies geschah in der alten Zeit, ehe die Indianer die Weißen getroffen hatten. Damals lebten verschiedene Stammesgruppen in getrennten Dörfern. Die Hütten waren aus Lehm. Die Gruppe Kit-ke-hahk-i zog aus auf Winterjagd nach dem Büffel. Zu dieser Zeit fanden sie in der Nähe keine Büffel. Sie suchten in alle Richtungen, aber sie konnten keine Spuren von Tieren entdecken. Es war eine Zeit des Hungerns. Die Kinder weinten, und die Frauen riefen: »Sie haben nichts zu essen.«

Einer aber war, den rührte es ans Herz, als die Kinder nach etwas zu essen schrieen. Er sprach zu dem Oberhäuptling: »Befiehl du den anderen Häuptlingen und Männern, sie sollen tun, was ich ihnen sage. Mein Herz ist krank, wenn ich an die Leiden der Menschen denke. Vielleicht vermag ich ihnen zu helfen. Lass eine neue Hütte errichten, außerhalb des Dorfes. Dort wollen wir uns treffen. Ich will versuchen, etwas zu unternehmen, ehe alle vor Hunger sterben.« Der Oberhäuptling lobte diesen Mann und gab seine Anweisungen.

Als sie nun die Hütte bauten, fiel auf, dass der Mann nicht im Dorf war. Er pflegte am Abend rasch wie der Wind zu verschwinden und kam erst bei Tagesanbruch wieder zurück.

Manchmal bei Tage, wenn dieser Mann in seiner eigenen Hütte saß, griff er hinter sich und holte ein kleines Stück Büffelfleisch hervor, manchmal fett, manchmal mager. Er reichte es jemandem und sprach: »Wenn du genug haben solltest und noch etwas übrig bleibt, gib es an jemanden weiter, der auch hungrig ist.«

Wenn dann einer so ein winziges Stück Fleisch erhielt, dachte er: »Das ist doch nicht genug, um meinen Hunger zu stillen.«, aber wenn er gegessen hatte davon, war er bald gesättigt. Immer blieb noch etwas übrig, um es weiter zu geben.

In jener Zeit war es üblich, dass der Oberhäuptling des Stammes hin und wieder durch das Dorf ritt. Er sprach dann mit den Leuten, gab ihnen gute Ratschläge und schlichtete kleinere Streitigkeiten. Bei seinem nächsten Rundritt erzählte der Oberhäuptling also den Leuten, was dieser Mann versuchen wollte. Die Leute waren froh. Sie kamen und wollten dem Mann viele Geschenke machen ­ Otternhäute und Adlerfedern.

Er dankte ihnen, und als sie alle zusammenkamen, sprach er zu ihnen so: »Nun, ihr Häuptlinge, ihr Ältesten und Leute des Stammes, ihr habt gut daran getan, mir all diese Dinge zu geben. Ich werde sie an das Wesen, das mir Kraft verliehen hat und sich meiner erbarmt, damit ich mich euer erbarmen kann, weiterreichen. Zunächst sollt ihr noch einmal vier Tage hungern. Danach wird Hilfe kommen.«

Während dieser vier Tage und Nächte verschwand der Mann wieder, aber er kam immer in derselben Nacht wieder zurück. Er sagte den Leuten, er sei weit fort gewesen, so weit, dass gewöhnlich ein Mensch für die Entfernung drei oder vier Tage brauche. Als er in der vierten Nacht zurückkam, kündigte er den Leuten an, dass die Büffel nun nahe seien.

Er stieg auf den Hügel nahe dem Dorf. Er opferte einige Adlerfedern, eine blaue Perle und etwas indianischen Tabak und dann kehrte er ins Lager zurück. Er sprach zu den Leuten: »Wenn etwas zu dem Opferplatz kommt, stört es nicht, jagt es nicht fort. Bleibt stehen und schaut hin.«

Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch kamen alle Leute aus ihren Hütten und schauten zu diesem Hügel und dem Opferplatz dort. Während sie da standen, kam ein großer Büffel über den Hügel zu der Stelle. Er verweilte dort kurze Zeit, sah sich um und lief dann den Hügel hinab und galoppierte am Dorf vorbei. Da sprach dieser Mann zu den Leuten: »Das war es, was ich gemeint habe. Das war der Anführer der Büffel, wohin er läuft, dorthin wird die ganze Herde ihm folgen.«

Er schickte seinen Diener zu den Häuptlingen und hieß sie vier Jungen auswählen und diese auf die Spitze des Hügels schicken. Das geschah, und darauf kamen die Jungen aufgeregt zurück. Sie gingen zu der Hütte des Häuptlings und sagten zu dem Häuptling, der dort dass: »Hinter dem Opferplatz ist eine ganze Herde im Anzug, sie drängen und stoßen einander nur so.«

Wie es üblich war in diesen alten Zeiten ritt der Häuptling darauf im Dorf umher und befahl allen, sich für die Jagd fertig zu machen. Er sagte zu ihnen auch: »Lasst nichts draußen zurück. Bringt alles ins Lager, nicht nur Fleisch und Häute, sondern auch Beine und Köpfe und alle Teile. Bringt die besten Fleischstücke zuerst herein und tragt sie in die neue Hütte, damit wir dort ein Fest feiern.« So hatte es nämlich der Mann angeordnet.

Die Büffel kamen über den Hügel, und die Leute waren bereit, und sie kreisten die Büffel ein. Sie töteten so viele wie sie konnten und brachten sie dann ins Lager. Jeder Mann brachte sein Rippenstück und ließ es in der besagten Hütte. Die anderen Teile brachten sie ins Dorf, wie man ihnen geheißen hatte. Dann kehrten sie zu der Hütte zurück, blieben dort vier Tage und vier Nächte. Die Rippen wurden gebraten, und sie ließen es sich schmecken. Der Mann erklärte ihnen, es werde drei Jagden geben und sie sollten dabei soviel Fleisch holen, wie sie nur konnten. »Aber«, sagte er, »wenn ihr die Büffel erlegt, müsst ihr darauf achten, dass alles Fleisch mitgenommen wird. Tirawa mag Menschen nicht, die Büffelfleisch verschwenden. Aus diesem Grund rate ich euch: zieht guten Nutzen aus eurer Jagdbeute.«

In den Nächten, in denen sie feierten, pflegte der Mann wieder fortzugehen. In der vierten Nacht sagte er zu den Leuten: »Morgen kommt der Büffel wieder und ihr könntet wieder auf Jagd gehen. Aber seid vorsichtig und tötet nicht das gelbe Kalb, das ihr bei der Herde finden werdet und verschont auch die Mutter.«

Das war im Winter, und doch hatte das Kalb dieselbe Farbe wie die jungen Kälber, die im Frühjahr geboren werden. Also zogen sie auf die Jagd und ließen das Kalb und dessen Mutter am Leben.

Die Männer begriffen nun, was sie an diesem Mann hatten. Er war wirklich großartig. Er hatte für den Stamm viel getan, und sie gaben ihm die besten Pferde zum Geschenk, die sie besaßen. Er dankte ihnen, aber die Geschenke wollte er nicht annehmen. Der Stamm glaubte, er habe dieses Wunder vollbracht, er habe die Büffel herbeigeschafft, und alle waren bereit, alles zu tun, was er sagte.

Bei den ersten beiden Jagden töteten sie viele Büffel und machten auch Fleisch zum Trocknen. Alle ihrer Säcke waren voll, und das getrocknete Fleisch wurde sogar vor den Türen der Hütten aufgeschichtet. Nach der zweiten Jagd feierten sie wieder ein Fest.

Nach vier Tagen, als sie zum dritten Mal auszogen, um auf Büffel zu jagen, schlug der Wind um, und ehe die Leute an die Herde herangekommen waren, witterten die Tiere sie und stoben in wilder Flucht davon. Während sie davon galoppierten, rannte der Mann auf die Spitze des Hügels zu dem Opferplatz. Er trug eine Stange bei sich und rief: »Ska-a-a-a!« Da machten die Büffel auf der Stelle kehrt und kamen zurück. Mitten durch die Schar der Jäger hindurch stürmten sie. Und die Leute konnten viele von ihnen töten. Er wollte den Leuten zeigen, dass er Macht besaß über die Büffel.

Nach der dritten Jagd hatten sie Fleisch in Hülle und Fülle, und er rief die Häuptlinge zusammen und sprach: »Nun, seid ihr jetzt zufrieden?« Sie sagten: »Wir sind mehr als zufrieden. Wir danken dir, dass du mit uns Mitleid gehabt und uns geholfen hast. Durch deine Macht ist der Stamm vor dem Verhungern bewahrt worden.« Er sagte: »Ihr werdet noch eine Jagd machen, und das wird das Ende sein. Ich will, dass ihr alles nehmt, was ihr bekommen könnt. Tötet so viele wie nur irgend möglich, denn dies werden die letzten Büffel in diesem Winter sein. Jene Geschenke aber, die ihr mir gemacht habt und die ich nicht annehmen kann, werdet ihr bitte alle wieder mitnehmen.« Einige der Leute wollten ihre Geschenke nicht zurücknehmen und bestanden darauf, dass er sie behielt, und am Ende war er damit einverstanden.

Die vierte Jagd kam. Die Leute töteten viele Büffel und nahmen alles Fleisch. Aber in der Nacht dieser letzten Jagd, verschwand der Mann - und trieb die Büffel zurück. Am nächsten Morgen hieß er die Leute sich umsehen und fragte, ob sie etwas sähen. »Ja«, sagten sie, »aber keine Büffel.«

Am folgenden Tage verlegten sie ihr Lager und zogen nach Osten, ihrer Heimat zu. Sie hatten soviel trockenes Fleisch, dass sie nicht alles auf einmal mitnehmen konnten, sondern noch einmal zurückkommen mussten, um den Rest zu holen. Als sie nach Osten zogen, hatten sie kein frisches Fleisch, nur getrocknetes, aber manchmal, wenn der Mann von seinen Ausflügen zurückkam, brachte er ihnen ein Stück Fleisch, ein kleines Stück, und teilte es unter den Leuten auf, und sie warfen es in ihre Kessel und kochten es. Jeder aß, und trotzdem konnten sie nicht alles aufessen. Es blieb immer noch etwas übrig. Dieser Mann war so wunderbar, dass er selbst Büffeldung auf der Prärie in Fleisch verwandeln konnte. Er sammelte den Dung in seine Decke, und wenn er die Decke wieder aufschlug - siehe da, da war daraus tup-o-har-asch (Pemmikan) geworden.

Der Mann war nicht verheiratet. Er war ein junger Mann, und mit der Zeit hielten ihn die Leute für den besten Mann des Stammes und hätten es gern gesehen, wenn er geheiratet hätte. Sie gingen zu einem der Häuptlinge und erklärten ihm, sie hätten ihn zum Schwiegervater dieses Mannes ausersehen, denn sie wollten, dass der Mann Nachkommen habe, zum Nutzen des Stammes. Die alten Leute sagten auch, es werde gut sein, wenn er Kinder habe, aber er hatte keine. Hätte er Kinder gehabt, so hätten sie vielleicht dieselbe Macht besessen wie ihr Vater.

Dieser Mann rief die Büffel zweimal, und zweimal rettete er den Stamm vor einer Hungersnot. Das zweite Mal was das Elend furchtbar. Sie hielten Rat und baten ihn, dem Stamm zu helfen. Sie stopften die Pfeife, hielten sie ihm hin und baten ihn, doch Mitleid mit ihnen zu haben. Er nahm die Pfeife, zündete sie an und rauchte. Dann wusste er es einzurichten, dass alles wieder so geschah wie beim erstenmal. Sie gingen viermal auf die Jagd und bekamen viel Fleisch.

Als dieser Mann starb, trauerten die Leute lange. Der Häuptling ritt durch das Dorf und rief: »Ich bin ganz irr im Sinn, weil dieser Mann gestorben ist. Er hatte Mitleid mit uns. Er rettete den Stamm. Nun ist er tot, und keiner ist unter uns, der ihm gleicht.«

Dies ist eine wahre und heilige Geschichte, wie sie unter der Stammesgruppe der Kit-ke-hahk-i erzählt wird. Sie ist wirklich geschehen, vor langer Zeit und wird weitererzählt vom Vater dem Sohn.