[swahili, "Geschichte, Legende"]

Schwakat

Schawkat und das Reh

In fernen Zeiten lebte in Bagdad ein Kalif namens Adyl. Er hatte drei Frauen, blieb jedoch lange Zeit kinderlos. Endlich brachte seine jüngste Frau Dilora einen Sohn zur Welt, der Schawkat genannt wurde. Man hüllte den jungen Prinzen in kostbare Stoffe, und er bekam mehrere Pflegerinnen. Der Knabe war schön wie der Morgenstern am Himmel. Über die Geburt seines Sohnes war der Kalif so glücklich, dass er ein Festmahl für das ganze Land richten ließ, das Volk mit Pilaw bewirtete und unter den Armen Geschenke verteilte. Auf Monate folgten Monate, auf Jahre neue Jahre. Als des Prinzen achtes Lebensjahr begann, rief der Kalif weise Männer zusammen, die Schawkat in den Wissenschaften unterweisen sollten. Der Knabe war ein begabter Schüler. Kaum hatten ihm seine Lehrer eine Aufgabe gegeben, da hatte er sie schon gelöst. Als Fünfzehnjähriger übertraf er an Gelehrsamkeit alle Weisen am Hofe seines Vaters. Es gab keine Wissenschaft, die er nicht meisterte. Zugleich verstand er sich auf die Musik und konnte schön singen. Mit siebzehn Jahren kannte er sich so in der Kriegswissenschaft aus, dass der Kalif ihn zum Truppenführer ernannte und ihm dreitausend Krieger gab.

Eines Tages ritt Schawkat mit seinem Gefolge auf die Jagd. In einer Gebirgsschlucht sprang ihnen plötzlich ein wunderbares Reh entgegen. Seine vier Hufe waren aus Perlmutt, an jedem Bein hatte es zwei bis acht Goldreifen, an seinem goldenen Gehörn flimmerten Perlen und Brillanten, und sein Fell war bald weiß, bald schwarz, bald grün, rot, gelb oder rosa - es schimmerte in allen zweiunddreißig Farben. Als das Reh am Prinzen vorbeilief, sah es ihn an, wandte den Kopf, machte einen Satz und flüchtete. Sein Fell leuchtete in zweiunddreißig Farben, und die Goldringe an den Beinen klingelten. Vor Verwunderung war der Prinz wie erstarrt. »Für mein Leben gern möchte ich solch ein Reh haben!« rief er aus und befahl seinen Kriegern: »Fangt mir dieses Reh lebend!« Die Krieger sprengten dem Reh nach, aber wie sie sich auch abmühten, es ließ sich nicht einfangen. Verdrossen eilte ihm der Prinz selbst nach. Er jagte dahin wie der Wind, konnte es aber nicht einholen. Da befahl Schawkat, das Reh von allen Seiten einzukreisen, um es so zu erbeuten. »Gebt mir gut Acht! Wer das Reh entwischen lässt, der hat sein Leben verwirkt!« rief er. Die Krieger begannen das Reh einzukreisen, allmählich wurde der Kreis immer kleiner. Das Reh aber schien sich gar nicht zu fürchten. Es äugte nach rechts und links und hüpfte munter umher. Schließlich war der Kreis so eng geworden, dass die Männer in einer Reihe nicht mehr Platz hatten, sondern zwei Reihen bildeten. Aber kaum dass sie sich dem Reh genähert hatten, sprang es auf den Prinzen zu, stieß sein Pferd mit dem Huf in die Weiche und sprang davon. Der Prinz schämte sich. Er konnte aber niemanden beschuldigen, hatte er das Reh doch selbst entwischen lassen.

Er gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte dem Reh nach. Sein Pferd war flink und stark, und er überholte das Reh. Aber wie er sich auch anstrengte, was er auch unternahm, es ließ nicht einfangen. »Wenn ich es nicht lebend bekomme, dann eben tot!« entschied der Prinz. Er stieg vom Pferd, nahm seinen Bogen, erkletterte einen Felsen und sandte einen Pfeil nach dem Reh, verfehlte es aber. Nach dem nächsten Pfeil verzog das Reh nur ein wenig die Lippen und wandte sich ab, denn der Prinz hatte wiederum daneben getroffen. Nochmals schoss er einen Pfeil ab, der es beinahe erreicht hätte, aber dennoch vorbei flog. Zornig schoss Schawkat Pfeil um Pfeil ab. Das Reh beachtete ihn jedoch überhaupt nicht, es huschte vor seinen Augen hin und her. Der Prinz verschoss alle seine fünfhundert Pfeile, und kein einziger streifte auch nur sein Ziel. Das Reh flüchtete in die Berge, der Prinz folgte ihm. Es setzte von Stein zu Stein, aber der Prinz blieb ihm mit seinem Ross auf den Fersen. Plötzlich sprang es auf einen Felsblock, sah den Prinzen an und eilte weiter. Nun stand das Tier auf einem hohen Felsen. Obgleich sich das Pferd des Prinzen furchtbar anstrengen musste, erklomm es ihn dennoch. Schawkat aber hatte nur den einen Gedanken, das Reh, wenn nicht lebend, so wenigstens tot zu erbeuten.

Auf dem Felsgipfel gewahrte Schawkat eine schmale ebene Stelle. An der einen Seite grünte Gras, während an der anderen Bäume wuchsen. Auf diesem kleinen Platz tummelte sich das Reh und warf ihm flammende Blicke zu. Prinz Schawkat drückte sich an den Pferdehals und jagte das Reh, um ihm keine Ruhepause zu gönnen. Verfolgt von Schawkat, flüchtete das Reh in den Wald. In diesem Walde wuchsen so schone Bäume, wie sie der Prinz nie zuvor gesehen hatte. Überall standen Blumen, Vögel sangen, und Nachtigallen schlugen. Der Prinz ritt weiter, das Reh aber war verschwunden.

Die Nacht zog herauf. Schawkat dachte nicht daran, mit leeren Händen zurückzukehren. »Ich will hier übernachten und morgen meine Jagd nach dem Reh fortsetzen.«, entschied er. Er wählte eine kleine Lichtung, rieb seinem Pferd den Schweiß ab, löste den Sattel und hängte dem Pferd die Zügel um den Hals. Danach ließ er es weiden und sagte: »Das Gras ist hier gut, mein wackeres Pferd, weide, bis du satt bist!« Für sich breitete er die Satteldecke im Gras aus, legte sich den Sattel unter den Kopf und wollte schlafen. Kaum hatte er die Augen geschlossen, drangen laute Stimmen zu ihm. Er fuhr empor, horchte, hielt Umschau und begriff, dass der Wald voller wilder Tiere war. Seine Müdigkeit war im Nu verflogen. Er überlegte, wie er einem Unheil wohl entgehen könnte. Darum erstieg er einen hohen Baum. Kaum hatte er sich auf einem Ast niedergelassen, fanden sich unter dem Baume Elefanten, Tiger, Löwen, Panther, Bären, Wölfe und Schlangen ein.

Bis zum Morgen saß Schawkat auf dem Ast, ohne ein Auge zu schließen. Bei Tagesanbruch verschwanden die Tiere. Schawkat kletterte herab und machte sich auf die Suche nach seinem Pferd. »Wenn die wilden Tiere es nur nicht zerrissen haben!« dachte er. Da sah er es auf einer kleinen Wiese weiden. Erfreut zäumte und sattelte er es, saß auf und ritt den Spuren des Rehs nach. Bis zur Mittagsstunde streifte Schawkat im Walde umher, ohne das Reh zu finden. Schließlich erreichte er den Waldrand, wo ein Röhricht begann. »Vielleicht hat sich das Reh im Schilfdickicht versteckt«, dachte er, setzte seine Suche fort, konnte aber keine Spuren finden. Wieder wurde es Abend, und es wäre Zeit zur Heimkehr gewesen. Schawkat aber hatte sich so weit entfernt, dass er nicht mehr wusste, wo er war und in welche Richtung er reiten sollte. Wieder musste er auf einem Baum nächtigen.

Der Garten der guten Fee

Im Morgengrauen kletterte er herab, sattelte sein Pferd und versuchte einen Pfad zu finden, der ihn aus dem Walde herausführen würde. Nach etwa vier Stunden gelangte er auf eine von Hügeln umrandete Lichtung. Auf einem der Hügel war ein kleines Anwesen zu erkennen. »Dort wohnen ja Menschen, und bei ihnen kann ich den Weg erfragen!« dachte Schawkat und hielt auf das Anwesen zu. Als er den Hügel empor geritten war, sah er dahinter einen Talgrund, durch den ein großer Bach floss. An beiden Ufern erstreckte sich ein Garten. Schawkat ließ sein Pferd am Ufer entlang traben und erreichte das Anwesen.

Er ritt durch das Tor und gelangte in einen großen Hof. An der einen Seite erstreckte sich eine Wand, an den übrigen drei reihten sich Zimmer aneinander. Die einen waren mit grünem Porzellan geschmückt, andere mit roten, gelben, blauen oder bunten Platten belegt. In der Mitte des Hofes befand sich ein großes Marmorbecken, dessen Wasser hell wie Milch war. An den vier Ecken wuchs je ein Baum. Etwas weiter gewahrte er einen Pferdestall mit Ständen aus Marmor. In einer Krippe lag Gras, in der anderen Kischmisch, in der dritten Korn. Ringsum war alles sauber gefegt, obgleich man nirgends Menschen sah. Da dachte sich Schawkat: »Ich will vorläufig hier bleiben. Wenn jemand herauskommt, frage ich ihn nach dem Weg, und wenn niemand hier ist, ruhe ich mich einfach aus und reite weiter.« Er band sein Pferd vor einer Krippe an und sagte: »Friß dich satt, mein wackeres Pferd! Hier hast du Gras und Körner.« Er selbst war so müde, dass er kaum bis zu dem Wasserbecken gelangte, sich dort unter einen Baum legte und einschlief.

Vielleicht schlief er lange, vielleicht auch nicht, jedenfalls erwachte er plötzlich von einem Geräusch, schlug die Augen auf und sah, dass eine Zimmertür sich geöffnet hatte. Ein schönes, schlankes Mädchen von etwa achtzehn Jahren trat heraus. Es hielt einen goldenen Krug in der Hand. Lautlos ging es zu dem Wasserbecken, schöpfte den Krug voll und kehrte ins Haus zurück. Den Prinzen hatte es nicht einmal angesehen. »Wie geht denn das zu«, fragte sich Schawkat verwundert. »Dieses Mädchen kommt heraus, sagt nichts, sieht mich nicht einmal an und geht ins Haus zurück!« Das Mädchen aber war so schön und von so edler Gestalt, dass Schawkats Herz heiß und stürmisch schlug. Er konnte den Blick von der Tür, hinter der das Mädchen verschwunden war, nicht losreißen. Nach einer geraumen Weile öffnete sich die Tür abermals. Diesmal erschien ein schöner, stattlicher Greis mit ergrautem Bart, der vor Gesundheit strotzte. Der alte Mann kam auf Schawkat zu, kreuzte die Arme auf der Brust und sagte: »Oh, ein Gast! Herzlich willkommen!« Schawkat erwiderte seinen Gruß höflich und sagte: »Ich habe mich verirrt und bin müde. Hier sehe ich Schatten und möchte mich ausruhen. Verzeiht, dass ich Euren Garten ohne Erlaubnis betreten habe.«

»Steht auf und begleitet mich!« forderte ihn der Greis auf. Schawkat überkamen Zweifel. »Wohin ruft Ihr mich?« wollte er erfahren. »Folgt mir nur! Um Euer Pferd seid ohne Sorge, es wird versorgt werden.« Der Alte führte Schawkat durch dieselbe Tür, aus der das Mädchen herausgekommen war.

Schawkat sah dort einen Garten, noch schöner als der erste. Von allen Seiten umstanden ihn so herrliche Gebäude, wie Schawkat sie nicht einmal im Palast seines Vaters, des Kalifen von Bagdad, gesehen hatte. Der Garten war voller Blumen, und an den Zweigen reiften vielerlei Früchte. Schawkat wollte von ihnen kosten und riss eine Frucht ab. Er konnte jedoch nicht hinein beißen, denn sie war steinhart. An diesen Bäumen hingen nämlich keine Früchte, sondern Edelsteine. Der alte Mann führte Schawkat zu einer Supa aus Marmor mit goldenem Geländer. Auf ihr waren leuchtend rote Seidenteppiche ausgebreitet, über denen golddurchwirkte Atlasdecken lagen. Der Alte lud Schawkat ein, sich zu setzen. Neben der Supa stand eine Frau mit gekreuzten Armen und verneigte sich. Der Greis und sein Gast ließen sich nieder, die Frau trat näher und begrüßte Schawkat. Sie konnte fünfundzwanzig bis achtundzwanzig Jahre alt sein, ihre Wangen waren wie Äpfel, ihr Körper weiß wie Perlen, ihre Brauen zu Bogen geschwungen, und wenn sie einen ansah, verwundete ihr Blick wie ein Pfeil. Sie hatte einen Hals wie ein Schwan, Augen wie Sterne, Lippen so zart wie die Stängel junger Zwiebeln und rot wie Mohn. An der Oberlippe hatte sie ein schwarzes Muttermal, unter dem zarten Kinn ein zweites, noch zarteres. Ihre blauschwarzen Zöpfe schlängelten sich den Rücken hinab, während die Spitzen bis an die Knie reichten. Die Frau ließ sich neben dem alten Mann nieder. Bald erschien auch das Mädchen, das Wasser aus dem Becken geschöpft hatte. Sie verneigte sich einige Male vor Schawkat und sagte: »Willkommen, lieber Gast!«

Die Frau wies sie an: »Sorge für die Bewirtung unseres Gastes!« Das Mädchen verneigte sich und ging ins Haus. Kurz danach kam ein anderes Mädchen, das dem ersten ähnlich sah, aber noch schöner und schlanker war. Es blickte Schawkat an, verneigte sich und sagte: »Einen Gruß dem teuren Gast!« Schawkat erhob sich, kreuzte die Arme vor der Brust und verbeugte sich. Das Mädchen verschwand im Haus, brachte einen Dastarchan aus Brokat mit Goldfransen und breitete ihn aus. Danach kam noch ein Mädchen, grüßte und verschwand. Eine nach der anderen kamen Mädchen und tischten kostbare Schüsseln mit Leckerbissen auf. Da gab es schneeweiße Teigfladen, Kuchen, Honig, Zucker, Eisbonbons, Obstsäfte, Pistazien, Mandeln und vielerlei Süßigkeiten. Die schöne Frau neben dem Greis brach die Brotfladen und forderte den Gast auf zuzulangen. Mittlerweile brachte das erste Mädchen einen goldenen Samowar und begann Tee in die Tassen zu gießen. Die erste Tasse reichte sie Schawkat, die nächsten dem Hausherrn und der Hausfrau, dann setzte sie sich ebenfalls um den Dastarchan. Geruhsam tranken alle Tee, aßen und plauderten. Danach sagte der Alte zu den Mädchen: »Unser Gast ist sehr müde. Richtet ihm ein Lager, möge er sich ausschlafen!« Die Mädchen brachten eine goldene Bettstelle in den Garten, stellten sie unter den Baum neben dem Wasserbecken, breiteten Decken darauf, brachten weiche Kissen und seidene Oberdecken. Schawkat legte sich schlafen. Während er schlief, standen zwei der Mädchen neben ihm und verscheuchten die Fliegen mit Fächern. Als der Prinz erwachte, brachten ihm die Mädchen Wasser in einem goldenen Krug. Schawkat wusch sich Gesicht und Hände und trocknete sich mit einem seidenweichen Handtuch ab.

Die Mädchen gingen ins Haus, zu Schawkat aber kamen der alte Mann und die Frau und fragten: »Hat unser Gast gut geschlafen?« Da erschien eines der Mädchen und verkündete, dass das Abendessen fertig sei. Man breitete den Dastarchan aus und stellte Speisen in reicher Auswahl darauf. Ein Mädchen brachte einen goldenen Krug mit Wein, goss ihn in goldene Becher und schlug vor: »Trinken wir zu Ehren unseres lieben Gastes!« Als sie gegessen und getrunken hatten, kam aus dem Hause eine ganze Schar Mädchen, eines schöner als das andere: schwarze Brauen, braune Augen, weiße Hälse. Alle trugen seidene Gewänder. Jedes Mädchen hielt ein Musikinstrument in den Händen. Sie spielten auf Flöten, Geigen, schlugen Trommeln und Tamburins. Es wurde gesungen, und Tänzerinnen zeigten ihre Kunst. So belustigte man sich die ganze Nacht hindurch. Danach wurde der müde Gast zu seinem Ruhebett geführt. Am Morgen kamen die Mädchen zu Schawkat. Eines goss ihm Wasser aus einem goldenen Krug in die Hände, ein anderes brachte ein schneeweißes Handtuch. Danach setzte man sich zum Frühstück. Später luden die Mädchen Schawkat zu einem Spaziergang durch den Garten ein. Bis zur Mittagsstunde spazierte der Prinz umher, dann rief man ihn zur Mahlzeit und bewirtete ihn wieder mit Wein. Am Abend machten die Mädchen wieder Musik, sangen, tanzten und waren guter Dinge. So wurde Schawkat den ganzen Tag und die Nacht hindurch zerstreut und bewirtet. Danach legten sich alle schlafen. Am nächsten Morgen schickte der Hausherr nach dem Frühstück alle Mädchen weg. Im Garten blieben nur er, die schöne Frau und Schawkat.

Nun hob der Greis zu sprechen an: »Entschuldige uns, lieber Gast. Nun lebst du schon zwei Tage bei uns. Am ersten Tage war es unziemlich, dich zu fragen, wer du bist und von wo du kommst. Zudem warst du damals sehr müde. Nun aber erzähle uns, wer du bist und was dich zu uns geführt hat!« Schawkat gab ihnen zur Antwort: »Ich bin der Sohn des Kalifen von Bagdad, das hinter diesen Bergen liegt. Mein Vater ist der Kalif Adyl. In diesen Tagen bin ich mit meinen Mannen auf die Jagd geritten. In einer Bergschlucht kam mir ein Reh entgegen, das Hufe aus Perlmutt und ein goldenes Gehörn mit Perlen und Brillanten hatte. An seinen Beinen waren goldene Reifen, und sein Fell schimmerte in zweiunddreißig Farben. Es sprang so anmutig, dass ich es lebend erbeuten wollte. Ich befahl meinen Mannen, es zu fangen, sie brachten es aber nicht fertig. Da entschloss ich mich, das Reh zu schießen. Fünfhundert Pfeile habe ich aus meinem Bogen abgeschickt, aber kein einziger hat es getroffen. Das Reh ist in die Berge geflüchtet, und ich bin ihm nachgejagt. Dann ist das Reh im Wald verschwunden...«

Noch war er mit seinem Bericht nicht am Ende, da tat sich plötzlich eine Tür auf, und strahlendes Licht erhellte den ganzen Garten. Aus dem Hause kam ein Mädchen von sechzehn Jahren, dessen Augen schwarzen Weinbeeren glichen. Ihre Brauen waren wie gemalt, die schwarzen Zöpfe reichten bis zu den Fersen, ihre Gestalt war glaszart, unter dem Kleid zeichneten sich die Brüste wie zwei Äpfel ab, ihre Lippen waren purpurrot, ihr Hals schlank wie der eines Schwanes, unter der Lippe hatte sie ein dunkles Muttermal, ihre Wangen waren granatrot, und die Zähne wie Perlen. Mit anderen Worten, eine paradiesische Gestalt. Das Mädchen lief an Schawkat vorbei, sah ihn über die Schulter an, lächelte, schlug die Tür zu und war verschwunden. Der Alte winkte ihm nur nach, als wollte er sagen: »Ach, du Wildfang!«

Als Schawkat das Mädchen sah, gerieten alle seine Gedanken in Verwirrung. Er vergaß, wovon er gesprochen hatte. Seinem Kopfe entfloh der Verstand, und die Worte erstarrten ihm im Munde. Der Prinz verstummte. »Erzähle weiter, Prinz!« forderte der Hausherr ihn auf. Schawkat suchte seine Gedanken zusammen und fuhr fort: »Bis zur Nacht jagte ich dem Reh durch den Wald nach, konnte es aber nirgends erspähen. Den ganzen nächsten Tag ritt ich umher, und wieder nutzlos. Da erkannte ich, dass ich das Reh nicht erlangen würde, und entschloss mich heimzukehren. Ich konnte den Heimweg jedoch nicht finden, darum bin ich zu Euch gekommen.« Indessen tat sich die Tür ein zweites Mal auf, und wieder zeigte sich das übermütige Mädchen. Es lachte, stampfte mit dem Füßchen auf und verschwand. Wieder verschwamm alles vor Schawkats Augen. Nur mit Mühe kam er zu sich und sagte: »Nun hab ich Euch von mir erzählt, jetzt seid Ihr mit dem Erzählen an der Reihe.« Der Alte erwiderte: »Dafür wird sich die Zeit noch finden. Jetzt wollen wir uns vergnügen.« Er rief die Mädchen, und wieder führten sie den Prinzen in den Garten.

So vergingen drei oder vier Tage. Anfangs hatte es Schawkat sehr gefallen, im Garten spazieren zu gehen und sich zu belustigen. Dann aber bekam er Heimweh, seine Brauen zogen sich zusammen, und er wurde traurig. Die Mädchen bemerkten es und sangen und tanzten noch fleißiger, um ihn aufzuheitern. Er aber blieb verstimmt, lächelte nicht einmal, sondern dachte nur an jenes lustige, übermütige junge Ding.

Eines Tages bat Schawkat den Hausherrn: »Erzählt mir, wer Ihr seid und warum Ihr in diesen einsamen Bergen lebt!« Der Alte wollte immer wieder von etwas anderem sprechen. Der Prinz aber gab nicht nach und drang in ihn.

Sadyk

Endlich erzählte der Alte: »Ich wurde in der Stadt Herat geboren. Mein Vater war ein reicher Kaufmann, er hatte tausend Kamele. Aus Herat sandte er Waren in andere Städte und beförderte auch viele Waren nach Herat. Als mein Vater alt geworden war, rief er mich eines Tages zu sich und sprach: ›Mein Sohn Sadyk! Du bist schon erwachsen und verständig, du kannst jeden Auftrag erledigen. Ich aber bin schon alt. Mir fällt es schwer, mit den Karawanen umherzuziehen. Darum übergebe ich dir meinen Handel. Du wirst in verschiedene Länder ziehen und meine Geschäfte führen.‹ Ich verneigte mich ehrerbietig vor meinem Vater und antwortete: ›Es sei, wie Ihr sagt, Vater! Wenn Ihr es befehlt, mache ich mich mit Freuden auf den Weg und werde dorthin ziehen, wohin Ihr befehlt.‹ Wir trafen Anstalten zu einer Karawanenreise nach Indien. Mein Vater belud tausend Kamele mit Waren, gab mir mehrere Treiber, und ich machte mich auf den Weg. An den Hälsen der Kamele klingelten Glöckchen. Ich ritt bald auf einem Pferd, bald auf einem Kamel. Wenn ich des Reitens überdrüssig war, schritt ich zu Fuß. So zogen wir von Stadt zu Stadt, durchmaßen Dorf für Dorf. Danach ging die Reise durch wasserlose Steppen und Wüsten. Viel haben wir dort gelitten: kein Wasser, kein Gras, nur Sand und Hitze. Tagelang sind wir so dahin gezogen, bis wir Indien erreichten. Endlich kamen wir in eine Stadt, und jede unserer Karawanen füllte eine ganze Karawanserei. Den ersten Tag ruhten wir uns aus, und ich richtete mich in der Karawanserei ein. Am nächsten Tage boten wir den Kaufleuten der Stadt unsere Waren an. Den ganzen Tag lang handelten wir. Dann wurde es Nacht, und wir legten uns schlafen.

Am nächsten Morgen stand ich in aller Frühe auf, wusch mich und ging in die Moschee. Da sah ich Leute eilig aus der Moschee laufen und folgte ihnen. Auf der Straße hatte sich eine riesige Menschenmenge zusammengefunden: Kinder, Jugendliche, ältere Menschen, Greise und Greisinnen, Frauen und Mädchen. Alle eilten irgendwohin. Ich hätte gern erfahren, wohin alle diese Menschen eilten, und ging ihnen nach. Die Menge war bereits vor einem riesigen Tor angelangt, zu dessen beiden Seiten grimmige Wächter standen. Ich sah einen großen Platz, den an drei Seiten Bäume und an einer Seite eine lange, hohe Mauer umgaben. Auf dem Platz hatten sich Reiter in einer Reihe aufgestellt. Ihre Pferde waren hochbeinig, gut genährt, hatten lange Mähnen und Schweife, eine breite Brust und geschwungene Hälse. Die Reiter waren alle gleich gekleidet, jung und einer schöner als der andere. Vor den Reitern stand bei den Säulen auf dem Platz ein Jüngling von edler Gestalt, mit dunklen Augen und dunklen Brauen. Sein Gesicht war von frischer Farbe, als könnte von seinen Wangen rotes Blut auf die Erde rinnen. Er trug eine feuerrote Seidenjacke, war mit einem golden leuchtenden Tuch umgürtet und hatte ebensolche Beinkleider. Seinen Kopf schmückte eine Goldkrone.

Das Volk füllte mittlerweile den ganzen Platz. Nie zuvor hatte ich eine solche Menschensammlung gesehen. Die Leute sahen die Reiter und den Jüngling im roten Gewand an und jammerten laut: ›Was für ein Unglück! So ein wackerer Dshigit!‹ Alle Gesichter waren traurig, als ob die Menschen sagen wollten: ›Und so ein prächtiger Dshigit geht für nichts zugrunde!‹ Einige alte Leute weinten sogar.

Plötzlich sprengte ein Reiter hervor, stieg vom Pferd und lief zu zwei Pfählen, an denen eine große Trommel hing. Mit einem Stock schlug er einige Male kräftig gegen sie. Da hoben alle Männer ihre Köpfe und sahen zur Mauer. Diese Mauer hatte zwei Tore. Über dem einen sah man Menschenköpfe auf Zinken gespießt. Sobald die Trommel erdröhnte, öffnete sich das Tor, und zehn schöne Mädchen in weißen Seidenkleidern kamen auf den Platz geeilt. Sie hatten schwarze Augen, schwarze Brauen und lange Zöpfe. Lächelnd liefen sie auf den Jüngling zu, fassten ihn unter die Arme und führten ihn mit sich. Danach schloss sich das Tor. Die Unruhe der Menschen wurde noch größer. Hinter der Mauer hörte man klägliche Töne eines Blashorns, dann erschien auf der Mauer ein abscheulicher runzeliger Mensch in einem blutbesudelten bunten Chalat. In der Rechten hielt er ein Messer und in der Linken - o Grauen! - den Kopf des Jünglings. Er zeigte ihn der Menge und spießte ihn neben anderen abgeschlagenen Köpfen über dem Tor auf. Beim Anblick des Henkers erhob sich lautes Jammern. Menschen warfen sich schreiend zu Boden, andere riefen: ›Oh, Unheil! So einen jungen Dshigiten hat man getötet!‹ Frauen stöhnten und weinten: ›Ach, wärest du lieber nie geboren, als dass du durch Henkershand umkamst!‹ Nach und nach trockneten die Menschen ihre Tränen und gingen auseinander. Auch ich kehrte in die Karawanserei zurück und schloss mich in meinem Zimmer ein. Nach dieser furchtbaren Hinrichtung konnte ich lange keine Ruhe finden. Gern hätte ich erfahren, was da vorgegangen war, konnte mich aber nicht entschließen, jemanden zu fragen.

Plötzlich vernahm ich draußen eine Stimme: ›O weh, o weh! Was für ein Unglück!‹ Ich ging hinaus und sah einen alten Mann, der sich auf einen Stock stützte und immer wieder ausrief: ›O weh, o weh! Was für ein Unglück!‹ Der Alte schloss ein Zimmer der Karawanserei auf und verschwand darin. Ich klopfte bei ihm an. Er öffnete mir die Tür und lud mich ein: ›Komm herein, mein Sohn, komm nur herein!‹ Ich folgte der Aufforderung und grüßte. Der alte Mann lud mich zum Sitzen ein. Es entging mir allerdings nicht, dass er sich über mein Erscheinen wunderte. ›Welcher Wind hat dich hierher geweht, mein Sohn?‹ begann er das Gespräch. Ich erkläre ihm, dass ich ein Auswärtiger sei, und erkundigte mich nach dem Grund dieser grauenhaften Hinrichtung. ›Du bist nicht von hier, mein Sohn, darum kennst du die Ursachen dieser schrecklichen Hinrichtung nicht‹, gab der Alte zur Antwort. ›Es ist auch gut, dass du nichts darüber weißt. Du wirst davonziehen, und wenn man dich danach fragen sollte, dann wirst du sagen: Ich weiß es nicht.‹ Zu gern hätte ich das Geheimnis erfahren. Deshalb drang ich in den Alten, mir alles zu erzählen. ›Ach, Vater, ich war doch in Eurer Stadt und habe das Furchtbare gesehen. Wenn ich heimkehre, werde ich Vater, Mutter und meinen Verwandten davon erzählen, und sie werden wissen wollen, weshalb der junge Mann getötet wurde. Ist es etwa richtig, wenn ich dann antworte: Ich weiß es nicht!‹ Der Alte überlegte ein Weilchen, schließlich gab er nach: ›Sei's drum! Ich will es dir erzählen, und du wirst es weitererzählen.‹

Und er begann: ›Unser Schah Salam hat eine Tochter Mochistara. Ich weiß nicht, ob eine Mutter oder eine Fee sie zur Welt gebracht hat, allein in unserem Land gibt es keine zweite solche Schönheit. Ja, man wird wohl nirgendwo unter der Sonne eine Schönere finden. Die Kunde von Mochistaras Schönheit ist durch die ganze Welt gedrungen. Kein König und kein Königssohn, kein Fürst und kein Fürstensohn, der nicht ihretwegen den Verstand verloren hätte! Alle diese verliebten Dshigiten kommen in ihren Palast und bitten um ihre Hand. Mochistara aber stellt ihnen eine Bedingung: Erfüllst du meine Bedingung, dann werde ich deine Frau, erfüllst du sie nicht, lasse ich dir den Kopf abschlagen! Der Dshigit ist von ihrer Schönheit wie verwunschen und fliegt auf sie zu wie ein Nachtfalter auf das Licht. Seine Augen können schwarz von weiß nicht mehr unterscheiden. Aber sein Verderben besteht darin, dass Mochistaras Bedingung unerfüllbar ist. Darum verlieren sie alle ihre Köpfe. Wie viele wackere Jünglinge mussten schon ihr Leben lassen! Heute hat wieder eine Hinrichtung stattgefunden. Ein Prinz aus Basra hat sein Leben verwirkt.‹ Ich hörte mir die Geschichte des Alten an, dankte ihm und kehrte in mein Zimmer zurück. Mittlerweile hatten meine Leute die Waren vorteilhaft verkauft. Ich brauchte nur noch neue Güter einzuhandeln und konnte heimkehren. Darum ging ich in den Basar. Plötzlich gewahrte ich auf dem Boden ein altes Weib, das neben sich ein Bündel liegen hatte, und schrie: ›He, ihr Leute! Wer kauft mir dieses Bündel für zehntausend Goldstücke ab?‹ Ich fragte sie: ›Sage mir doch, was du in diesem Bündel hast, Mutter?‹ - ›Das sage ich dir nicht‹, erwiderte die Alte. ›Es ist aber seine zehntausend Goldstücke wert. Daheim wirst du es aufknüpfen und dein Glück darin finden.‹ Mich packte die Neugierde. Ich gab der Alten die zehntausend Goldstücke und eilte in mein Zimmer.

Als ich das Bündel öffnete, fand ich darin ein Frauengewand. Es war ganz aus Gold- und Silberfäden gewebt und so herrlich, dass ich nur darüber staunte, was für kunstfertige Meister es auf Erden gibt. Ich drehte es nach allen Seiten um und bewunderte es. Da entdeckte ich, dass in den Stoff ein Mädchenbildnis eingewebt war. Darunter standen die Worte ›Prinzessin Mochistara‹. Beim Anblick des Bildes sank ich in Ohnmacht. Als ich zu mir kam und die Augen aufschlug, sah ich mich von Menschen umringt, die freudig ausriefen: ›Oh, er hat die Augen geöffnet, also wird er am Leben bleiben!‹ Wie ich erfuhr, hatte ich drei Tage und drei Nächte besinnungslos dagelegen. Nun wollten sie wissen, was denn geschehen sei. ›Draußen war es sehr heiß, und ich bin viel umhergegangen, davon habe ich wohl das Bewusstsein verloren‹, erklärte ich ihnen, ohne mein Geheimnis zu verraten. Als die Leute weggegangen waren, wollte ich Mochistara nochmals ansehen. Sobald ich aber das Bildnis anblickte, sank ich wieder in Ohnmacht. Wieder lag ich drei Tage und drei Nächte besinnungslos da, aber auch diesmal gab ich mein Geheimnis nicht preis. Alle Kaufleute, die zusammen mit mir hergekommen waren, hatten bereits Waren eingekauft und begannen mich zu drängen, aber ich wollte an keine Waren denken. Alle meine Gedanken galten der Prinzessin Mochistara. So vergingen einige Tage. Die Kaufleute kamen zu mir, um zu vereinbaren, dass wir beim nächsten Morgengrauen aufbrechen würden. Ich aber hatte die ganze Zeit nur an Mochistara gedacht und lag blass und elend auf meinem Lager. Als sie mich so sahen, wunderten sie sich und fragten: ›Was machen wir nun mit dir?‹ - ›Zieht ohne mich davon‹, sagte ich. ›Ich werde hier bleiben und mich heilen lassen.‹

Die Kaufleute verstanden, dass es schlecht um mich stand, und wollten aus mir herausbekommen, warum ich denn nicht heimzukehren wünschte. Ich sagte ihnen aber nichts, so dass sie unverrichteterdinge weggingen. Nur einer meiner Freunde blieb zurück, ihm erzählte ich alles. Ich hatte mir vorgenommen, in den Palast des Schahs Salam zu Mochistara zu gehen und ihre Hand anzuhalten. ›Ach, Bruder, schlag dir das aus dem Kopf, riet mir mein Freund. Wir sind hergekommen, um Geschäfte zu erledigen, und nicht, um uns Bräute zu suchen. Unsere Geschäfte haben wir besorgt, unsere Waren verkauft- kehren wir lieber heim! Von Mochistaras Schönheit habe ich auch gehört, aber ihre Bedingung kann doch niemand erfüllen, warum dann in den sicheren Tod rennen?‹ - ›Nein‹, widersprach ich, ›allein dafür, dass ich Mochistara sehe, würde ich hundert Köpfe hergeben. Selbst wenn ich ihre Bedingung nicht erfülle, werde ich ihre Schönheit sehen, und mehr brauche ich nicht.‹ Als mein Freund erkannte, dass seine Vernunftgründe auf mich keine Wirkung hatten, gab er mir den Rat: ›Wenn du Mochistara wirklich so liebst, handle, wie du meinst! Warum sollst du aber deine Leute, dein Geld und deine Kamele verlieren? Kaufe alles, was du brauchst, und wir kehren zusammen heim. Erst erfülle den Auftrag deines Vaters, dann kannst du allein herkommen und dich um Mochistara bewerben.‹ Ich sah ein, dass mein Freund Recht hatte, und versprach, mit ihm heimzukehren. Er half mir in jeder Weise, und zwei Tage später machten wir uns auf den Weg. Mehrere Tage zogen wir durch die wasserlose Wüste.

Eines Nachts überraschte uns schlechtes Wetter. Es erhob sich ein Wind, der zu einem Sandsturm wurde. Wir mussten anhalten und die Kamele absatteln. Da plötzlich wuchs zwischen Himmel und Erde eine riesige Sandsäule empor, wand sich wie eine Schlange und raste auf uns zu. Die Sandsäule packte mich, drehte mich wie einen Kreisel - und als ich zu mir kam und die Augen öffnete, fand ich mich hier, in diesem Garten, inmitten der schönen Mädchen. Vor Schreck war ich ganz benommen, die Mädchen aber beruhigten mich: ›Hab keine Angst, steh auf und wasche dich!‹ Sie brachten mir Wasser und saubere Kleidung. Hernach führten sie mich zu der Schönsten aller Schönen. Sie nahm mich freundlich auf und sah mich lächelnd an. Dann trat sie auf mich zu, fasste mich bei der Hand und setzte mich auf einen goldenen Sessel. Sie selbst ließ sich auf einem Sessel neben mir nieder und begann mir freundliche Worte zu sagen, um mein Herz zu gewinnen. ›Wo bin ich? Wohin bin ich geraten?‹ fragte ich angstvoll. Das Mädchen stampfte mit ihrem kleinen Fuß auf, lachte, streichelte meinen Arm und sagte: ›Ach, du tapferer Jüngling! Mein Name ist Sanobar. Früher lebte ich im Feenland, erregte aber den Zorn unserer Königin. Darum hat sie mich auf sechzig Jahre hierher verbannt und mir befohlen, diesen Garten zu hüten. Die Mädchen sind meine Dienerinnen. Unsere Königin hat mir erlaubt, einen Mann zu heiraten. An vielen Orten bin ich schon gewesen, konnte aber keinen finden, der mein Herz gefangen nahm. Als du, vom Sandsturm gepackt, über der Wüste flogst, habe ich dich gesehen, und du hast mir gefallen. Sei ohne Sorge, alle deine Kamele sind heil und wohlbehalten, du aber sollst mich heiraten, und wir werden in Ruhe und Glück hier leben.‹ Nach ihren Worten wurde mir alles verständlich, meine Angst verging. ›Was mache ich nun?‹ überlegte ich. Das Mädchen umflatterte mich wie ein Schmetterling und gab mir Ratschläge.

Ich überlegte hin und her, dann sagte ich mir: ›Ich habe mich heiß in Mochistara verliebt und nur an sie gedacht. Würde es mir gelingen, ihre Liebe zu verdienen, dann wäre das ein großes Glück. Gelingt es aber nicht, dann gehe ich zugrunde. Statt dieses gefährliche Beginnen zu wagen, ist es besser, ich heirate die schöne Sanobar.‹ So entschied ich und gab ihr meine Einwilligung. Sie legte mir den Arm um den Hals und teilte den anderen Mädchen meinen Entschluss mit. Am nächsten Tage feierten wir unsere Hochzeit, und seither lebe ich hier. Mittlerweile sind vierzig Jahre vergangen. Damals war ich achtzehn Jahre alt, nun zähle ich schon achtundfünfzig, und das hier ist meine Sanobar.« Mit diesen Worten wies der Hausherr auf die schöne Frau neben sich. Sanobar lächelte und schlug die Augen nieder, während der Alte fortfuhr: »Später wurde uns eine Tochter geboren, die wir Sajora nannten.« Wieder ging die Tür auf, und das übermütige Mädchen kam heraus. Der Alte blickte sie an und lächelte: »So ein Wildfang ist sie: blüht wie eine Blume, singt wie eine Nachtigall, fliegt als Taube umher oder schwimmt als Fischlein im Wasser. Bisweilen verwandelt sie sich in ein Reh und eilt durchs Gebirge. Eben sie hast du gejagt und bist ihr nachgeritten. Sie hat dich aber lieb gewonnen und hierher geführt. Von unserem Winkelchen bis zu deinem Heimatort braucht man einen halben Monat.« Verwirrt schlug Schawkat die Augen nieder. Wieder zeigte sich das Mädchen in der Tür. Der Alte nickte ihr zu und sagte: »Ach, du Wildfang! Warum hast du unseren Gast so ermüdet? Du hättest ihn geradewegs hierher führen sollen!« Dann wandte er sich an Schawkat: »Darum also, mein Sohn, bist du zu uns gekommen. Nun, dann möge unsere Tochter deine Frau werden. Du wirst unser Eidam sein, und wir werden hier einträchtig leben.«

Nachdem Schawkat die Geschichte des Alten angehört hatte, musste er daran denken, wie er dem Reh nachgejagt war, und sein Herz entflammte noch stärker. Doch auf den Vorschlag des Alten antwortete er noch nicht. In diesem Augenblick kamen die Mädchen und luden zum Mittagsmahl ein. Alle ließen sich zum Essen nieder. Der Alte sagte zu einem der Mädchen: »Geh und hole Sajora, sie soll zu uns kommen und sich vor unserem Gast nicht zieren!« Mutter Sanobar bemerkte aber: »Lass sie doch! Sie wird sich ohnehin genieren.« Dem Prinzen missfielen Sanobars Worte. Gern hätte er gesagt: »Holt sie doch!«, aber er verstand, dass sich so etwas nicht schickte. Da warf eines der Mädchen ein: »Ob sie sich geniert oder nicht, sie soll sich zu uns setzen, ich gehe sie holen.« Sie eilte ins Haus. Der Prinz aber dachte die ganze Zeit an das Reh und konnte den Blick nicht von der Tür losreißen. Als das Mädchen aus dem Hause trat, vermeinte er, der Tag breche an. Als sie einen Schritt machte, war ihm, als sende die Sonne hinter den Bergen ihre goldenen Strahlen hervor, und als sie näher kam, schien es ihm wie ein goldheller Sonnentag. Rings um die Sonne schienen die Planeten sie zu grüßen. Sonne und Planeten erröteten, schlugen die Augen nieder, als wollten sie schnell zurückeilen oder sich in Tauben verwandeln und davonfliegen. Sajora aber kam festen Schrittes auf die marmorne Supa zu, sagte: »Seid willkommen, lieber Gast!« und ließ sich inmitten der Mädchen nieder. Für Schawkat brach eine glückliche Stunde an. Ihm war, als lächle ihm die ganze Welt zu, wünsche ihm Glück, und als sängen die Nachtigallen ihm ein Hochzeitslied. Während des Essens trafen sich die Blicke des Prinzen und Sajoras immer wieder. Danach sah Sajora ihn an, verabschiedete sich und verschwand hinter ihrer Tür. Sanobar hatte bemerkt, wie zärtlich Schawkat und Sajora einander anblickten, und helle Freude erfüllte ihr Herz.

Indessen setzten der Hausherr und Schawkat ihr Gespräch fort. »Und was haben Sie mit jenen Gewand gemacht?« wollte Schawkat wissen. »Nichts weiter. Ich bewahre es immer noch auf.« Da bat Schawkat den Alten, er möge ihn dieses Bildnis doch wenigstens einmal betrachten lassen. Sanobar gab dem Alten durch Blicke und Gesten zu verstehen, dass das nicht notwendig sei, und der Alte wehrte ab: »Lass das sein, mein Sohn! Du sollst sie nicht ansehen!« Einige Tage vergingen. Der Prinz weilte im Garten und sah seiner Hochzeit entgegen. Eines Tages verwandelten sich Sanobar und die Mädchen in Tauben und flogen davon. Der Alte blieb allein zurück. Dies machte sich Schawkat zunutze und bat ihn wiederum, ihm doch das Gewand zu zeigen. Nach langem Drängen brachte der Alte das Bündel herbei, knotete es auf und holte das Gewand hervor. Schawkat dachte, wie schön Sajora darin sein würde. Er betrachtete das Kleid und drehte es um. Da fiel sein Blick auf das gestickte Bildnis Mochistaras. Sofort erkannte er, dass Sajoras Schönheit im Vergleich mit ihr nichts war. Gleich einem großen Leuchter erhellte Mochistaras Schönheit das ganze Haus, während Sajoras Schönheit nur wie ein Lichtlein glimmte. Beim Anblick des Bildnisses verlor der bestürzte Schawkat das Bewusstsein. Nach einer Weile kam er zu sich und sah den Alten, Sanobar und die Mädchen vor sich. Zornig fuhr Sanobar ihren Gatten an: »Ich habe dir doch gesagt, du sollst ihm das Gewand nicht zeigen! Warum hast du nicht auf mich gehört? Was soll nun werden?« Der Alte geriet in Verlegenheit, und aus Sajoras Augen flossen Tränen. Verschwunden war die frühere Heiterkeit, alle gingen bedrückt umher. Schawkat aber hatte seinen Verstand verloren. Er schenkte Sajora keine Beachtung mehr und bat wieder und wieder, ihm Mochistaras Bildnis nochmals zu zeigen. Doch das Gewand wurde verborgen. Er bekam das Bildnis nicht mehr zu sehen. Die Stimmung des Prinzen war vollkommen umgeschlagen: Er lächelte und sprach nicht mehr.

Am nächsten Morgen bat er seinen Gastgeber: »Gebt mir mein Pferd, ich reite weg!« Der Alte gab ihm das Pferd aber nicht und versuchte ihn die ganze Zeit zu beschwichtigen. Sanobar war niedergeschlagen und machte ihm Vorwürfe, weil er Schawkat das unglückselige Kleid gezeigt habe. Noch ein paar Tage vergingen. Des Prinzen Stimmung wurde düsterer denn eine Gewitterwolke. Sajora kam mehrere Male und sprach freundlich mit ihm, er aber schenkte ihr keinen Blick. All sein Denken galt nur noch der Prinzessin Mochistara. Ein paar Tage später ging der Prinz selbst in den Stall, wollte sein Pferd nehmen und davon reiten. Doch man gab es ihm nicht. Da erklärte Schawkat: »Wenn ihr mir das Pferd nicht gebt, wandere ich zu Fuß!« Da endlich gab es ihm der Alte. Bevor sie Abschied nahmen, sagte Schawkat: »Als Ihr mir das Kleid zeigtet, Vater, habe ich mich in Mochistara verliebt, ohne sie gesehen zu haben. Jetzt reite ich zu ihr. Sagt mir, welchen Weg ich nehmen muss, um in jenes Land zu gelangen!«

»O mein Sohn! Allein wirst du nicht hingelangen«, erwiderte der Alte. »Die Stadt ist sehr weit von hier und die Reise sehr gefährlich. Was willst du denn dort finden? Dieses Bildnis wurde vor vier oder fünf Jahrzehnten gestickt. Inzwischen ist Mochistara eine alte Frau geworden, und ihre Schönheit ist dahin. Ich werde dir nichts sagen.«

»Wenn Ihr mir den Weg nicht zeigen wollt, werde ich auch ohne Euch irgendwie in diese Stadt gelangen«, trotzte Schawkat. Da sah der Alte, dass der Prinz nicht zur Vernunft zu bringen war, und entschied: »Wenn ich ihm den Weg nicht erkläre, wird er unnütz ums Leben kommen.« Also erklärte er Schawkat den Weg nach Indien. Der Prinz dankte dem Alten für die gastliche Aufnahme und den Mädchen dafür, dass sie ihn anmutig unterhalten hatten. Sanobar aber würdigte ihn keines Blickes. So ritt er davon. Als Sajora ihren Liebsten davonziehen sah, weinte sie bitterlich.

Schawkat und die Dschinn

Nach sechs Tagen gelangte Schawkat an einen hohen Berg. In der Ferne gewahrte er etwas Dunkles. Als er näher kam, sah er am Fuße des Berges ein gutes Dutzend Bäume wachsen, unter denen ein Anwesen mit zwei Häusern lag. Vom Berge floss durch eine Rinne Wasser in einen Aryk, der sich durch das Anwesen zog. Der Prinz ritt noch zwei Tage und zwei Nächte, dann endete das Gebirge, und eine endlose Öde schloss sich an. Nach drei Tagen und drei Nächten sah er Sanddünen vor sich. Er ritt noch fünf Tage, aber die Wüste wollte kein Ende nehmen. Wie er so dahin zog, sprang ihm plötzlich etwas von hinten aufs Pferd und er bekam einen Schlag auf den Kopf, dass ihm Funken aus den Augen sprühten. Als er sich umwandte, sah er hinter sich ein Scheusal hocken. Es hatte Augen wie Teller, eine platte Nase und wilde Borsten. Einem Menschen sah es nicht ähnlich, aber auch keinem Affen. Das Scheusal starrte Schawkat an, lachte bald grölend, bald knirschte es mit den Zähnen oder knurrte wie ein Hund. »Was für ein Unhold hat sich da an mich herangemacht?« dachte der Prinz. »Wie werde ich ihn los?« Er wusste nicht, ob er das Wesen töten oder lieber nicht anrühren sollte. Das Scheusal stellte sich auf die Kruppe des Pferdes, krallte sich in die Schultern des Prinzen ein und warf sich über ihn. Schawkat fühlte, dass es ihn gleich erdrücken würde. Auch sein Pferd witterte Schlimmes, stellte die Ohren auf, wieherte und galoppierte wie wild dahin. Schawkat riss seine Kräfte zusammen, packte das Scheusal mit beiden Händen und schleuderte es vom Pferd. Es winselte und lief davon. »Dieses Ungeheuer bin ich los«, dachte er und eilte weiter. Noch war er nicht weit geritten, da hörte er Lärm hinter sich. Er wandte sein Pferd und sah eine Staubwolke, in der eine ganze Schar solcher Ungeheuer herbeihastete. »Was mache ich nur? Wenn ich davoneile, holen sie mich ein, sie laufen ja so geschwinde! Vielleicht kann ich sie doch bezwingen?« Er sprengte den Ungeheuern entgegen. Es war wohl ein ganzes Hundert. Sie umzingelten ihn und ließen ihn nicht weiter. Drei Tage und drei Nächte umstanden sie ihn. Schließlich zog Schawkat seinen Säbel, spornte sein Pferd und stürzte sich auf die Ungeheuer. Im Kampf tötete er viele von ihnen und bahnte sich einen Weg. Noch manches Mal musste Schawkat auf seiner Reise abscheuliche wilde Wesen bezwingen.

Schon einen ganzen Monat war er unterwegs. Das Wasser im Schlauch war zu Ende und die Wüste am Tage heiß wie ein Feuerkessel. Sein Pferd hielt nicht mehr durch. Es fiel tot um. Schawkat blieb nichts anderes übrig, als seinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Noch fünfzehn Tage wanderte er, bis er eines Nachts Stimmen zu hören vermeinte. Er hielt Umschau und horchte - von allen Seiten war ein Zischeln vernehmbar, das immer näher kam. Von Entsetzen gepackt, erklomm er einen Sandhügel. Da sah er viele Schlangen umher kriechen. Er wartete den Tagesanbruch ab und setzte seinen Weg fort, sobald es hell wurde. Schon viele Tage war er unterwegs, die Wüste aber schien endlos. »Was soll nur aus mir werden?« dachte er. »Werde ich aus dieser Wüste je herausfinden, oder muss ich hier umkommen?« Noch einige Tage wanderte er, da sah er in der Ferne etwas Dunkles. Beim Näher kommen erkannte er Bäume und eine Quelle. Dort begann ein großer Aryk. Die Bäume hatten mächtige Äste, die kühlen Schatten spendeten. Der Prinz eilte auf das Wasser zu, aber seine Kräfte reichten nicht aus, er stürzte zu Boden. Nach einer Weile kam er zu sich, schob sich mühsam bis an das Wasser und vergoss Freudentränen. Er trank sich satt und schlief auf der Stelle ein.

Am nächsten Morgen erhob er sich und betrachtete sein Spiegelbild im Wasser. Er war ganz abgemagert und seine Kleidung zerrissen und verstaubt. Er wusch sich und ließ seine ermatteten Beine ausruhen. Ein paar Tage erholte sich Schawkat an der Quelle. Plötzlich veränderte sich das Wetter. Am Himmel erschien eine schwarze Wolke, und die Erde verdüsterte sich. In der Ferne zeigten sich vier Windhosen, die Schawkat entgegenrasten. Sie kamen näher, fielen auseinander, und es entstiegen ihnen vier Dschinn. Sie waren so riesig, dass sie bis zu den Wolken reichten, und ihre Nasen waren so lang wie Minarette. Entsetzt kletterte Schawkat auf einen Baum, klammerte sich an einen Ast fest und verbarg sich im dichten Laub. Die Dschinn ließen sich nieder und begannen ein Gespräch. Der Älteste wandte sich an die Jüngeren: »Wir müssen uns immerhin einigen, Brüder!« Ein anderer Dschinnie widersprach ihm: »Das wird uns sehr schwer fallen.«

»Warum?«

»Wenn ich mir etwas nehmen will, dann sagst du: ›Nein, das gehört mir!‹, und die da sagen auch: ›Nein, das gehört uns!‹ So werden wir hundert Jahre streiten. Wie können wir uns da einig werden?« Da entschied der älteste Dschinnie: »Wenn wir selbst uns nicht einigen können, bitten wir einen Gerechten um Beistand. Er wird nicht anhören, was jeder von uns sagt, sondern Lose auswerfen oder entscheiden: ›Das gehört dir und das dir!‹ Und alle müssen einverstanden sein.« Dieser Vorschlag gefiel den anderen. »Aber wo finden wir so einen Gerechten?« überlegten sie. Darauf versetzte der Älteste: »Wir brauchen ihn nicht zu suchen, er sitzt hier über uns«, und rief dem Prinzen zu: »He, komm vom Baum herunter!« Als Schawkat das hörte, erschrak er, aber der Dschinnie beruhigte ihn: »Wir tun dir nichts Böses! Du sollst uns in unserer Sache helfen! Dann helfen wir dir in deiner.« Schawkat war aber vor Angst wie gelähmt und brachte kein Wort hervor. Die Dschinn warteten, er blieb jedoch auf dem Baum sitzen. Da reckte einer von ihnen, ohne aufzustehen, seinen Arm, packte den Prinzen am Genick und stellte ihn auf den Boden.

Erst da kam Schawkat zu sich und wagte endlich zu fragen: »Worin besteht denn eure Sache?« Der Dschinnie erklärte ihm: »Wir sind vier Brüder. Unser Vater hat uns einige Zauberdinge hinterlassen. Nun streiten wir vier uns schon ein ganzes Jahr und können sie nicht unter uns teilen. Teile du uns unser Erbe!« Schawkat wunderte sich, dass die Dschinn so eine einfache Sache nicht selbst entscheiden konnten, während sie ihm erklärten: »Jedes Ding hat seine Besonderheit. Da ist eine Zauberkappe. Wenn du sie aufsetzt, wirst du unsichtbar. Da ist ein fliegender Teppich. Breite ihn aus und befehle: ›Steig empor!‹, dann hebt er dich zum Himmel und bringt dich durch die ganze Welt. Und wenn man Wasser in diesen Krug gießt und hineinblickend sagt, was man sich wünscht, geht alles in Erfüllung. Wenn man aus diesem Bogen einen Pfeil abschießt, trifft er unfehlbar ins Ziel und kehrt mit der Beute zu dir zurück.« Lange überlegte Schawkat, wie er das Erbe teilen solle. Schließlich entschied er: »Ich nehme jetzt vier Pfeile und bezeichne die Dinge mit vier Zahlen. Die Eins bedeutet die Tarnkappe, die Zwei den fliegenden Teppich, die Drei den Krug und die Vier den Bogen mit den Pfeilen. Ich werde die vier bezeichneten Pfeile abschießen, und ihr lauft ihnen nach. Je nach dem, wer welchen Pfeil findet, der nimmt sich das entsprechende Zauberding.« Diese Lösung gefiel den Dschinn sehr gut. Schawkat legte die vier Pfeile neben sich, machte sich bereit und sagte: »Nun, meine Pfeile, fliegt dahin, ohne einzuhalten, und Lasst euch nicht von den Dschinn erwischen!« Danach schoss er die vier Pfeile in verschiedene Richtungen ab. Sie flogen so weit, dass der Blick ihnen nicht mehr folgen konnte. Die Dschinn rannten den Pfeilen nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Alle Zauberdinge blieben beim Prinzen zurück. Schawkat zauderte nicht lange. Er nahm sie, breitete den fliegenden Teppich aus, setzte sich auf ihn und verlangte: »Bring mich in die Stadt, in der Prinzessin Mochistara lebt!« Ehe Schawkat sich's versah, saß er neben einer Stadt auf der Erde. Der Prinz faltete den Teppich zusammen, nahm ihn unter den Arm und begab sich unauffällig in die Stadt.

Der Garten der bösen Fee

In einer Karawanserei kehrte er ein, hängte Bogen und Kappe an die Wand und brachte Teppich und Krug in einer Ecke unter. Nun erst fühlte er, dass er sehr hungrig war, er hatte ja tagelang keine Speisen zu sehen bekommen. Der Hunger nagte an ihm, aber er hatte kein Geld. Da nahm er den Krug, schöpfte etwas Wasser, brachte den Krug in sein Zimmer und sagte: »He, Krug, gib mir einen Sack voll Gold!« Kaum hatte er es gesagt, sah er auf einem Wandbrett einen Sack voll Gold liegen. Er ging auf den Basar, aß sich satt, kaufte sich neue Kleidung und ließ sich bei einem Heilkünstler seine Wunden behandeln. Als Schawkat danach in seinem Zimmer schlief, wurde er von lauter Musik aufgeweckt. Man blies in lange Hörner und spielte auf Saiteninstrumenten. »Warum spielt diese Musik so spät in der Nacht?« dachte Schawkat. »Feiert da jemand Hochzeit?« Er kleidete sich an und ging hinaus. Auf dem Dach des Palastes sah er vierzig Hornbläser, vierzig Lautenspieler, vierzig Flötenspieler und vierzig Trommler. Sie musizierten, obgleich ringsum niemand zu sehen war. Hellwach wanderte Schawkat die ganze Nacht durch die Straßen, und als der Muezzin zum Morgengebet rief, ging er in die Moschee. Als er wieder auf die Straße heraustrat, wimmelte es von Menschen. Alt und jung eilte irgendwohin, als liefen sie auf den Basar. Von Vorübergehenden erfuhr er, dass die Menschen zum Palast eilten, um etwas über das Los des Dshigiten zu erfahren, der tags zuvor als Freier zu Mochistara gekommen war. Der Platz war voller Menschen. Schawkat sah einen schönen Jüngling von etwa neunzehn Jahren, der seines Loses harrte. Trommeln wirbelten, das Tor ging auf, schlanke Mädchen in weißen Seidenkleidern kamen auf den Platz, packten den Jüngling an den Armen und zogen ihn in den Palast. Das Tor schloss sich. Bald danach zeigte der Henker dem Volk den abgeschlagenen Kopf des jungen Mannes und spießte ihn auf eine Zinke über der Mauer. Jammergeschrei und Weinen wurden laut, alte Frauen warfen sich auf die Erde, stöhnten und schluchzten. Allmählich verlor sich die Menschenmenge, und Schawkat kehrte in sein Kämmerchen zurück.

Ein paar Tage saß er dort. Dann entschloss er sich dennoch, zu Mochistara zu gehen. Er hängte sich seinen Zauberbogen über die Schulter, wickelte Krug und Tarnkappe in den fliegenden Teppich, nahm ihn unter den Arm und begab sich zum Palast. Eine Weile stand er am Tor, sah dort aber keine Menschenseele, nur eine große Trommel. Er näherte sich ihr und schlug sie. Mittlerweile feierte und tanzte Mochistara mit ihren vierzig Dienerinnen im Palast. Ihr Vater, Schah Salam, saß nachdenklich in seinem Gemach. Plötzlich ertönte Schawkats Trommelschlag. Da sagte Mochistara: »Wieder ist jemand seines Lebens überdrüssig!« Ihr Vater seufzte und dachte: »Noch ein unglückseliger Sohn eines unglücklichen Vaters ist gekommen!« Stolz erhob sich Mochistara, während ihre Dienerinnen und die Palastwache umherliefen. Endlich öffnete ein Diener das Tor, trat auf den Platz und ging auf Schawkat zu. Er betrachtete ihn von Kopf bis Fuß und fragte geringschätzig: »He, Bruder, was lärmst du da mit der Trommel?« Schawkat antwortete: »Ich habe mich in die Prinzessin Mochistara verliebt und bin gekommen, um ihr meine Liebe zu gestehen.« Der Diener ging in den Palast und meldete: »O Prinzessin! Auf dem Platz steht ein Verrückter. An seiner Schulter hängt ein Bogen, und unter dem Arm trägt er einen alten Teppich. Er behauptet, er habe sich in die Prinzessin verliebt und wolle ihr seine Liebe gestehen.« Kokett wandte sich Mochistara um und erwiderte: »Wohlan! Es sei dem so! Die Köpfe dieser Wahnwitzigen gehören nirgendwo anders hin als auf die Mauer!«

Schawkat, der unter der Trommel stand, wurde des Wartens überdrüssig und schlug wieder an die Trommel. Mochistara antwortete nicht darauf. Da befahl Schah Salam einem seiner Höflinge, hinauszugehen und ihm diesen Trommler vorzuführen. Der Mann forderte Schawkat zum Eintreten auf. Der Prinz schritt durch das Tor und sah einen schönen marmorgepflasterten Hof, umgeben von prächtigen Bauten. Ganz am Ende stand ein einzelnes Haus, dessen Eingang von Kriegern bewacht wurde. In dieses Haus rührte der Höfling den Prinzen. Sie betraten ein großes Gemach. An den Wänden hingen purpurne Teppiche, auf denen man wilde Tiere und Fabelwesen sah: Elefanten, Löwen, Tiger und Drachen. Auf einem goldenen Thron saß ein Mann mit einem langen grauen Bart. Er wandte sich an den Prinzen: »Sei mir willkommen, wackerer Jüngling!« Mit einer Geste lud er ihn zum Sitzen ein. Der Prinz erriet, dass dieser Mann Mochistaras Vater, Schah Salam, war. Er blieb stehen und verneigte sich. Dann trat er zwei Schritte vor und verneigte sich von neuem. Bis er den Thron erreichte, verneigte er sich siebenmal. Vor dem Thron küsste er dem Schah die Hand und zog sich, rückwärts gehend, zurück. Erst nachdem ihm der Schah zum zweiten Mal einen Platz angeboten hatte, ließ er sich nieder. Dem Schah gefiel die Bescheidenheit und Höflichkeit seines Gastes. Er setzte sich neben den Prinzen, ließ einen Dastarchan ausbreiten, und die Diener brachten vielerlei Süßigkeiten. Schah Salam bewirtete seinen Gast. Dann wurde der Tisch weggeräumt, und der Schah befragte Schawkat, weshalb er gekommen sei. Da sagte der Prinz: »O mein Gebieter! Wenn Ihr mein Leben schont, dann sage ich es.«

Der Schah erlaubte ihm zu sprechen, und Schawkat begann: »Von der Liebe zu sprechen ist keine Schande. Ich habe Eure Tochter Mochistara lieb gewonnen. Ihren Namen kennt die ganze Welt. Vielen hat die Liebe zu Eurer Tochter die Ruhe ihres Herzens geraubt. Ebendarum habe ich mich entschlossen, Mochistaras Bedingung zu erfüllen und mich mit Euch zu verschwägern.«

»Ach, mein Sohn! Gott hat mir keine Tochter geschenkt, sondern nur Unglück. Und du, wackerer schöner Jüngling, willst dich selbst in dieses Unheil stürzen. Sie ist doch kein Mädchen, sondern fürwahr eine Henkerin. Kann man Henker denn lieben? Wenn du heiraten willst, dann suche ich dir eine andere Braut als Mochistara. Es lohnt sich nicht einmal, sie anzusehen!« Der Prinz aber entgegnete: »Mochistara ist nicht wegen ihres bösen Gemüts, sondern wegen ihrer Schönheit berühmt. Man sage, was man will, aber nur Mochistara kann meinem Herzen Ruhe geben.«

»Ja«, seufzte Schah Salam. »Gott hat ihr außergewöhnliche Schönheit gegeben. Viele Schahs, Königssöhne, Fürsten und Fürstensöhne haben von ihr gehört, vor Liebe den Kopf verloren und sind hierher gekommen. Ich habe sie alle beschworen, heimzukehren, sie aber wollten nicht auf mich hören. Keiner konnte Mochistaras Bedingung erfüllen, und alle sind umgekommen. Zweitausend Köpfe haben die Henker über den Mauern des Palastes aufgespießt. Dies alles bereitet mir schwere Sorgen. Sieh meine Tochter nicht an, sie ist fürwahr eine Henkerin! Fliehe vor ihr!« Lange beschwor Schah Salam Schawkat, wegzureisen. Doch der Prinz beharrte auf seinem Willen. »Wenn ein Mensch liebt, fürchtet er nicht für seinen Kopf«, beteuerte er. »Selbst wenn ich Mochistaras Bedingung nicht erfülle, sehe ich sie wenigstens - mehr brauche ich nicht.« Da verstand Schah Salam, dass er den Prinzen nicht umstimmen konnte, rief die Mädchen herbei und befahl ihnen, den Jüngling zu Mochistara zu führen.

Sie brachten ihn in Mochistaras Gemächer. Inmitten eines prachtvollen Raumes waren Decken aus schneeweißer Seide ausgebreitet. Hinter einem Vorhang drang das Licht eines Leuchters hervor. Der Prinz vernahm eine Stimme: »Tritt näher, wackerer Dshigit, setz dich nieder und sei unser Gast!« Schawkat ließ sich auf den seidenen Decken nieder, die Mädchen breiteten vor ihm einen Dastarchan aus und brachten herrliche Speisen. Nach der Bewirtung wurde hinter dem Vorhang wiederum eine Stimme vernehmbar. Nun war Prinzessin Mochistara selbst gekommen. Als sie eintrat, erhellte ihre Schönheit das ganze Zimmer. Kein menschliches Auge hätte solch ein strahlendes Licht ertragen können, deshalb hingen in ihrem Zimmer sieben Vorhänge. Mochistara fragte: »Was führt dich hierher, mein Gast?«

»Mein Herz sehnt sich nach dem deinen, und deine Stimme, Mochistara, bezaubert mich. Meine Liebe zu dir lässt mir keine Ruhe. Erfülle meinen Wunsch oder nimm dir mein Leben!« Mochistara erwiderte: »Du scheinst mir ja ein tapferer Dshigit zu sein, mein Gast. Schlag dir diesen Gedanken aus dem Kopf! Jeder, der in Liebe zu mir entbrannt ist, dem stelle ich eine Bedingung. Erfüllst du sie, werde ich die deine, erfüllst du sie nicht, verlierst du deinen Kopf.« Da sagte der Prinz: »O Mochistara! Ich habe nur den einen Kopf, aber hätte ich ihrer tausend, würde ich sie dennoch nicht schonen!«

»Wenn du unbedingt heiraten willst, dann finde ich für dich ein anderes schönes Mädchen«, schlug Mochistara vor. Schawkat aber gab zur Antwort: »Das Herz eines Liebenden ist kein Zugvogel, der sich heute auf einem Ast niederlässt und morgen zu einem anderen fliegt.«

»Dann schreibe mir folgendes nieder!« befahl Mochistara. »Ich liebe Mochistara und bin gekommen, um ihre Hand zu erbitten. Wenn ich ihre Bedingung nicht erfülle, muss ich sterben, und niemand wird sich für meinen Tod verantworten müssen. Setze dein Siegel darunter! Nun höre meine Bedingung. Heute bleibst du im Palast und sollst die ganze Nacht mit mir sprechen. Wenn du es fertig bringst, dass ich mich die ganze Nacht mit dir unterhalte und nicht einschlafe, werde ich deine Frau.« Der Prinz willigte ein und blieb im Palast. »Nun erlaube ich dir, meine Bedingung zu erfüllen.«

Schawkat begann Mochistara alle möglichen Fragen zu stellen, um sie zum Sprechen zu bringen. Sie antwortete jedoch nicht. Er begann ihr alle möglichen Geschichten zu erzählen - aber was kann man machen, wenn ein Mensch nicht sprechen will! Er erzählte, bis er schließlich müde wurde. »Vielleicht bringe ich sie wenigstens zum Lachen«, dachte er und wartete mit allen möglichen komischen Geschichten auf, aber es fruchtete nichts. »Na, dann will ich ein wenig ausruhen«, dachte er, legte sich nieder und sank in Schlummer. Sachte hob Mochistara den Vorhang und sah den Prinzen schlafend daliegen. »Na, Freundchen, nun wird auch dein Kopf morgen auf der Mauer stecken!« höhnte sie. Schawkat blinzelte ein wenig und sah Mochistara in all ihrer Schönheit vor sich stehen. Er zerschmolz schier vor Glück. Mochistara aber ließ den Vorhang fallen, öffnete ein Seitenpförtchen und verschwand. Sofort war es im Raum stockfinster. Verwundert erhob sich Schawkat, setzte seine Tarnkappe auf, nahm die übrigen Dinge unter den Arm und folgte Mochistara. Kaum durchschritt sie ein Zimmer, erhellte ihre Schönheit diesen Raum wie der Vollmond. An einer Wand des letzten Zimmers hingen eine Rüstung und Waffen. Mochistara streifte ihr Gewand ab, legte die Rüstung an und glich nun einem jungen Dshigiten. An derselben Wand hing noch ein Riemen mit drei Haken. Mochistara nahm ihn und ging in den Garten. Der Prinz ließ sie nicht aus den Augen. Sie ging zu einer Mauer warf den Riemen auf dieselbe und zog sich hinauf, danach ließ sie sich an dem Riemen auf der anderen Seite hinab. Schawkat breitete seinen fliegenden Teppich aus und flog mit ihm über die Mauer. Er sah Mochistara davoneilen, als trüge sie Siebenmeilenstiefel.

Auf diese Weise langte sie nach einer Stunde bei einem Anwesen an. Der Prinz folgte ihr auf dem Teppich, legte ihn zusammen und ging ihr nach. In einem Zimmer brannte ein Lichtlein. Mochistara öffnete eine Tür und betrat das Haus. Eine Alte kam ihr entgegen und empfing sie mit den Worten: »Bist du endlich da, meine Tochter? Deine Freundinnen erwarten dich schon lange.« Mochistara legte die Rüstung ab, zog ein kostbares Kleid an und trat in das Zimmer. Dort hatten sich schöne Mädchen eingefunden. Sie begrüßten Mochistara und fragten: »Warum kommst du heute so spät, liebe Mochistara?«

»Ach, meine Lieben! Wieder ist ein Tollkopf zu mir in den Palast gekommen. Er beteuert: »Ich liebe dich und bin bereit, für dich meinen Kopf herzugeben.« Ich habe ihn eingeschläfert, nun wird ihm am Morgen der Kopf abgeschlagen. Kommt und seht es euch an!«

»Da hat er Pech gehabt, der arme Tropf!« meinten die Mädchen und lachten. Die Alte blickte ins Zimmer und fragte: »Der Pilaw ist fertig. Soll ich ihn bringen?«

»Bringt ihn her! Wir wollen essen!« riefen die Mädchen. Die Alte brachte ihnen Wasser zum Händewaschen und holte den Pilaw. Zusammen mit den Mädchen ließ sie sich nieder. Der Prinz unter der Tarnkappe setzte sich ebenfalls zu ihnen, nur sahen sie ihn nicht. So saß Schawkat neben seiner Angebeteten wie ein Mann neben seiner Frau und aß mit vom Pilaw. Als alle gegessen hatten, sagte eines der Mädchen zu der Alten: »Mütterchen, heute gab es recht wenig Pilaw, wir sind nicht satt geworden!«

»Das verstehe ich nicht«, versetzte die Alte. »Ich habe ebensoviel Reis in den Kessel getan wie jeden Tag. Ich selbst bin auch nicht satt geworden. Aber ihr esst ja so gern, dass ihr bereit wäret, den Reisverkäufer im Basar zu verspeisen.« Die Mädchen brachen in Gelächter aus. Die Alte brachte Tee. Alle tranken der Reihe nach aus einer Schale, Mochistara aber drängte sie: »Sputet euch, Mädchen! Wir dürfen doch unser Mütterchen nicht so lange warten lassen.«

Die Mädchen standen auf und gingen in den Garten. Dort setzten sie sich auf eine goldene Bank. Plötzlich stieg die Bank von selbst zum Himmel empor. Schawkat flog den Mädchen auf seinem Teppich nach. Lange schwebten die Mädchen auf ihrer goldenen Bank, dann sanken sie allmählich herab. Der Prinz folgte ihnen. Auf der Erde sah er ein Feuerchen, neben dem die Mädchen landeten. Dort war ein großer Garten. Die Mädchen stiegen von der Bank und liefen hinein. Schawkat faltete seinen Teppich zusammen und eilte den Schönen nach. Im Garten waren die Mauern aus Marmor und die Pforten aus Gold. Nach allen Seiten durchzogen ihn Wege und Wassergräben. Das Wasser war hell wie Milch. In einem Aryk floss es nach der einen Seite, im anderen zurück. Die Wege waren mit Edelsteinen geschmückt, die durch den ganzen Garten strahlten. Am Rande der Wassergräben blühten vielerlei Blumen, und im Laub der Bäume sangen Nachtigallen. Inmitten des Gartens stand ein von goldenen Stühlen umgebener Thron. Auf diesem kleinen Platz drängten sich schöne Mädchen, und auf dem Thron saß die Herrin all dieser Pracht. Als die Mädchen die nahenden Gäste sahen, riefen sie im Chor: »Aha! Da kommt Mochistara mit den Ihren!« Die Gäste verneigten sich vor der Herrin, die sie fragte: »Warum kommt ihr so spät, meine Schwester Mochistara? Ich habe mir schon die Augen nach euch ausgeguckt, so sehr habe ich euch erwartet. Was hat euch aufgehalten?«

»Nehmt es mir nicht übel, Schwester«, antwortete Mochistara. »Wir haben uns heute verspätet, es hat aber seinen Grund. Wieder ist ein Wahnwitziger zu mir gekommen und hat erklärt: »Ich liebe dich und will dich heiraten oder sterben!« Diesen Tollkopf habe ich eingeschläfert und bin dann zu Euch geflogen. Kommt morgen, um seine Hinrichtung anzusehen!« Danach ließ sich Prinzessin Mochistara mit ihren Mädchen neben den anderen nieder. Man schwatzte, veranstaltete Spiele und begann zu tanzen.

Der Garten befand sich im Lande der Feen. Da Mochistaras Mutter eine Fee war, kam Mochistara allnächtlich her geflogen, um mit anderen Feen zu tanzen und sich zu vergnügen. In diesem Garten lebte Mochistaras ältere Schwester, die schöne Badia. Eben sie saß auf dem goldenen Thron. Nach der Musik und dem Tanz spazierten die Mädchen durch den Garten. Da sagte Mochistara: »Ach, liebe Freundinnen, mir ist ganz schläfrig zumute. Ich werde mich ein wenig hinlegen.« Sie legte sich auf eine Bank und schlummerte ein. Da nahm der Prinz seinen Zauberkrug, goss Wasser hinein und sagte: »He, Krug, mach, dass meine Seele zeitweilig in Mochistaras Körper übergeht und ihre Seele in den meinen!« Kaum hatte er das gesagt, verließ Mochistaras Seele ihren Körper und ging in den Körper des Prinzen über. Der Prinz begab sich in den Garten. Wieder scharten sich die Mädchen zusammen und begannen von neuem zu singen und zu tanzen. Plötzlich schlug eines der Mädchen vor: »Und jetzt soll uns Mochistara etwas vortanzen!« Alle klatschten in die Hände, und der Prinz in der Gestalt Mochistaras begann zu tanzen. Er tanzte so schön, dass ihm alle zujubelten. Dann sagten sie: »Und jetzt soll uns Mochistara ein Lied vorsingen!« Mochistara mit der Seele des Prinzen stellte sich mitten unter die Mädchen und begann so zu singen, dass alle vor Vergnügen wie Quecksilber zerflossen. Die Mädchen überboten einander im Händeklatschen und beantworteten Mochistaras Lied mit anderen Liedern. Badia freute sich, dass sich alle so schön vergnügten, rief Mochistara zu sich und sagte: »Liebste Mochistara! Du kannst also vortrefflich singen und tanzen! Warum hast du das so lange vor uns verborgen? Ich würde dich für diese Tänze und Lieder mit Gold überhäufen, aber meine Schatzkammer ist weit. Komm näher zu mir, meine Liebe! Heute hat man mir ein neues Kleid gebracht, das will ich dir schenken!« Badia zog ihr kostbares Seidenkleid aus, legte es Mochistara an und küsste sie auf die Stirn. Vor Freude klatschten alle in die Hände und verkündeten eine Pause. Mochistara mit der Seele des Prinzen eilte zu der Bank. Schawkat blickte in den Zauberkrug und sagte: »Jetzt mache, dass meine Seele in meinen Körper und Mochistaras Seele in den ihrigen zurückkehrt!«

Kaum hatte er das gesagt, wurde alles so, wie er wollte.

Mochistara erwachte und fuhr empor, »Oh, beinahe hätte ich alles verschlafen!« dachte sie und eilte in den Garten. Wieder erklang Musik, und die Mädchen sagten: »Soll Mochistara wieder tanzen!« Dabei klatschten sie in die Hände. Mochistara aber wehrte ab: »Wo denkt ihr hin! Ich kann doch gar nicht tanzen!« Da bat Königin Badia: »Tanz doch noch, liebe Schwester! Wie willst du sagen, du könntest nicht tanzen, da du eben erst so schön getanzt hast?« Mochistara verstand die Worte ihrer Schwester nicht, musste aber tanzen. Doch sie vermochte es nicht so schön wie vordem, als die Seele des Prinzen in ihrem Körper steckte. Nun sagten die Mädchen: »Soll sie uns noch einmal etwas vorsingen!« Mochistara begann zu singen, aber ihre Stimme gefiel nun niemandem, und Badia wunderte sich: »Schwesterlein Mochistara! Du hast doch so schön getanzt und gesungen. Dann aber muss mit dir etwas geschehen sein! Nun gelingt dir dein Tanz nicht, und deine Stimme klingt heiser. Was ist dir widerfahren?«

»Ich weiß es nicht, liebe Schwester.« Die Mädchen tanzten noch ein wenig, doch der Tag brach an, und die ersten Vögel begannen zu singen. Für die Mädchen war es Zeit heimzukehren. Mochistara und ihre Gefährtinnen setzten sich auf die goldene Bank und flogen davon, Schawkat ihnen nach. Beim Hause der Alten ließen sich die Mädchen herab und stellten die Bank an ihren Platz. Mochistara kleidete sich um und begab sich in den Palast. Doch der Prinz war ihr auf seinem fliegenden Teppich zuvorgekommen, legte sich auf seinen Platz und stellte sich schlafend. Wieder im Palast, legte Mochistara die Rüstung ab, streifte ihr Kleid über, ging in ihr Zimmer und horchte: Der Prinz schlief, er schnarchte sogar. Mochistara betrachtete ihn, legte sich auf ihr Ruhebett und dachte: »Pech hast du gehabt, armer Wicht! Morgen früh musst du sterben. Und wer hat dich gezwungen, mich zu lieben?«

Kurze Zeit später gähnte Schawkat zweimal laut, als sei er eben erst erwacht, sprang auf und begann zu sprechen, um Mochistaras Bedingung zu erfüllen. Mochistara lag da und lachte über ihn. Dann aber wollte sie ihn ansehen. Der Prinz sagte zu ihr: »Ach, mein Leben, meine geliebte herrliche Mochistara! Einen wunderlichen Traum hatte ich eben. Höre nur, welch einen wunderlichen Traum!« Mochistara dachte: »Was für einen Traum kann dieser Verrückte schon gehabt haben!« und lachte höhnisch. Schawkat aber beschrieb ihr, was in der Nacht geschehen war.

»Ich sah dich im Traume, sah, wie du aufstandest, das Zimmer verließest, durch den ganzen Palast gingst, im letzten Raum Männerkleidung anlegtest und den Hof betratest. Ich folgte dir. Du bist durch den ganzen Garten gegangen, über die Mauer geklettert und irgendwohin gewandert. Ich bin dir wieder gefolgt. Dann kamst du in ein Anwesen und gingst in das Haus. Dort wartete auf dich eine Alte und du trafst deine Freundinnen. Die Alte brachte Pilaw, und ihr setztet euch zum Abendessen. Auch ich aß mit euch Pilaw, darum bekamt ihr so wenig und wurdet nicht satt. Nach dem Abendessen habt ihr euch auf eine goldene Bank gesetzt und seid in einen Garten geflogen. Dort erwarteten dich schöne Feen und ihre Königin Badia, deine Schwester. Du hast zur Königin gesagt: ›Ich habe mich heute verspätet, weil da irgendein Tollkopf kam, der in mich verliebt ist. Ich musste ihn einschläfern. Kommt morgen und seht euch seine Hinrichtung an!‹ Dann wurde getanzt und gesungen, aber du wurdest schläfrig und hast dich auf eine Bank gelegt. Da habe ich dir meine Seele gegeben und mir die deine genommen und in deiner Gestalt mit den Mädchen getanzt und gesungen. Wie ich tanzte und sang, hat allen sehr gefallen, die Feenkönigin Badia küsste mich auf die Stirn und zog mir ihr Kleid an. Wenn du mir nicht glaubst, dann sieh her: da ist das Kleid!« schloß er seine Erzählung.

Mochistara erkannte das Kleid. Vor Verwunderung brachte sie kein Wort hervor. Schawkat aber erzählte flott weiter, was er an jenem Abend gesehen und zu ihr gesagt hatte. Mochistara hörte seine Worte wie eine liebliche Musik an. Sie verstand, dass er die Wahrheit sagte, ihr Herz begann stürmisch zu schlagen, und ohne es zu wollen, hob sie den Vorhang. Sie sah Schawkat an und sagte: »Mit Vergnügen höre ich deine überzeugten Worte, wackerer Dshigit. Wegen meiner Schönheit nennen mich die Menschen Schönheitskönigin. Ich hatte viele Freier, weil sie aber meine Schönheit besitzen wollten, habe ich sie wie Räuber dem Verderben ausgeliefert. Keiner von denen, die es wagten, die Schwelle meines Gemachs zu überschreiten, ist lebend aus dem Palast gegangen. Auch du hast dich in mich verliebt. Wenn man mich die Schönheitskönigin nennt, dann nenne ich dich König der Liebe. Im Kampf dieser beiden Könige hat die Liebe meine Schönheit besiegt!« Mit diesen Worten schmiegte sich Mochistara an die Brust des Prinzen. Ihre zarten weißen Arme umschlangen seinen Hals, wie eine Ranke sich um einen Baumstamm windet, und erstarrten in zärtlicher Qual. Ihre Lippen vereinigten sich mit den Lippen des Jünglings zum Kusse.

Schawkat hatte die Bedingung der Prinzessin Mochistara erfüllt. Auf den Stängeln der Hoffnung entfalteten sich die Stängel der Liebe zur Blüte, und Nachtigallen priesen dieses Erblühen. Sooft Freier der Prinzessin Mochistara gekommen waren, um ihre Bedingung zu erfüllen, hatten die Bewohner der Stadt und alle Menschen im Palast ihre Sorgen und ihren Gram vergessen und nur noch angstvoll an das Geschick dieser Jünglinge gedacht. Als Schawkat nach dieser schlaflosen Nacht lange in Mochistaras Zimmer blieb, empfanden alle besonderes Mitleid.

Der Morgen brach an. Der Henker kam, zog sein Schwert, wetzte es an einem Stein und verbarg es wieder. Lange wartete er, dass der neue Freier der Prinzessin aus dem Palast kommen und er ihm den Kopf abschlagen würde wie eine Blüte vom Stängel. Mittlerweile scharte sich das Volk vor dem Palast. Die Stunde war gekommen, da Mochistaras Freier erscheinen musste. Man hörte Stimmen: »Wenn der Dshigit die Bedingung erfüllt hat, muss er jetzt herauskommen! Kommt er aber nicht, hat er die Prüfung nicht bestanden.«

»Noch keiner hat sie bestanden«, widersprachen andere. »Nur ihre Köpfe haben sie unnütz verloren. So wird auch dieser heute ums Leben kommen.« Die Mädchen im Palast warteten mit Ungeduld auf den Unglücklichen und weinten sogar. Er aber wollte nicht erscheinen. Man teilte es dem Vater der Prinzessin mit. Erstaunt dachte Schah Salam: »Wie sonderbar! Schon zehn Minuten sind vergangen, und der Königssohn lässt sich nicht sehen.« Auch im Palast wusste man nichts von Mochistaras Entschluss. Der Prinz war von seinem Lager verschwunden. Da hoben die Dienerinnen den Vorhang und sahen Schawkat auf dem Ruhebett neben Mochistara, beide schliefen eng umschlungen. Die Mädchen eilten zum Schah Salam, um ihm zu melden. »Der Freier hat Mochistaras Bedingung erfüllt!« Vor Freude geriet der Schah außer sich. Er war all dieser Hinrichtungen so müde, dass er einmal sogar gesagt hatte: »Wenn doch die Prinzessin endlich heiraten oder wenigstens sterben würde!« Schah Salam ließ seinen Schatzmeister kommen und das Mädchen, das ihm die Nachricht überbracht hatte, mit Gold überhäufen. Dann hieß er Hornbläser und Saitenspieler aufmarschieren, um dem Volk die gute Botschaft mitzuteilen. Im Palast und in der Stadt wurde sie mit Freuden aufgenommen. Eiligst beglückwünschte der Schah den Prinzen und seine Tochter. Darauf ließ er Schawkat in kostbare Gewänder hüllen. Er veranstaltete ein Gastmahl für das ganze Volk und ließ aus seiner Schatzkammer Gold und Silber austeilen.

Plötzlich sah man vier Tauben herbei fliegen. Sie ließen sich auf die Erde nieder, verwandelten sich im Nu in schöne Feen und überreichten Mochistara einen Brief von Badia, ihrer Königin. Badia schrieb, dass sie sich nach Mochistara sehne, weil sie sie schon eine ganze Woche lang nicht gesehen hätte. Mochistara nahm Feder und Papier und berichtete, wie es um sie stand. Den Brief gab sie den Feen, die sich wiederum in Tauben verwandelten und mit der Nachricht davon flogen. Als Badia den Brief gelesen hatte, erbleichte sie, erzitterte am ganzen Leibe und schlug sich an die Stirn. »Alles ist verloren!« stieß sie hervor und warf sich stöhnend auf eine Decke. Aufgeregt fragten die Feen: »Was ist geschehen, o Herrin? Worüber seid Ihr so bestürzt?« Badia gab ihnen keine Antwort, nahm Feder und Papier und schrieb an Mochistara: »Meine Schwester Mochistara! Du weißt bereits, dass ich mir eine ganze Woche lang schwere Sorgen um Dich mache. Nun, da ich Deinen Brief erhalten habe, weiß ich, was mit Dir geschehen ist. Du schreibst, Du würdest den Sohn eines Menschen heiraten. Weißt Du denn nicht, dass das für uns Feen den Untergang bedeutet? Komm sofort zu mir!«

Beim Lesen dieses Briefes veränderte sich Mochistaras Miene. Sie verwandelte sich und Schawkat in Tauben, und sie flogen zusammen mit den Botinnen zum Garten der Fee Badia. Mochistara verneigte sich vor der Feenkönigin, zeigte ihr Schawkat, doch ihre Gedanken ließen ihr keine Ruhe. Badia entging das nicht, und um sie zu beruhigen, rief sie alle Mädchen zu sich und richtete für das Brautpaar ein großes Festmahl. Sie winkte Mochistara zu sich ins Haus und sagte: »Meine liebe Mochistara! Wie konnte es denn geschehen, dass du damals den jungen Mann mitgebracht hast? Ich dachte, dass du so schön singen und tanzen kannst, und habe ihn auf die Stirn geküsst. Du weißt doch, dass Feen keine Menschen berühren dürfen, weil dies unserem ganzen Volke Unglück bringen kann. Nicht einmal drei Tage werden vergehen, und du hörst auf, eine Fee zu sein und wirst zu einer gebrechlichen Greisin!«

In der Tat begann Mochistara vor aller Augen zu altern, und ihre Schönheit welkte dahin. Schawkat geriet in Entsetzen. Da verwandelte sich Mochistara in einen Vogel und flog, gefolgt von Badia und allen Feen, mit trübseligem Gekreische davon. Schawkat blickte sich nach allen Seiten um- der Garten, Mochistara und die Mädchen waren verschwunden! Bekümmert setzte er sich auf seinen fliegenden Teppich und machte sich auf die Suche nach Mochistara. Lange irrte er umher, bis er endlich den Garten erreichte, in dem Sajora lebte. Als Sajora, ihre Mutter Sanobar, ihr Vater und alle Mädchen den Gast zurückkehren sahen, liefen sie ihm freudig entgegen und begrüßten ihn. Nachdem Schawkat davon geritten war, hatte Sajora lange bitterlich geweint, Tag und Nacht an ihn gedacht und auf seine Rückkehr gewartet. Auch ihre Eltern, die ihre Tochter leiden sahen, empfanden viel Bitternis. Nun, da Sajora Schawkat erblickte, seufzte sie tief auf und sank ihm in die Arme. Der Gast wurde auf den Ehrenplatz gesetzt, Gastgeber und Gast befragten einander und erzählten sich viel. An diesem Abend wurde ein frohes Mahl veranstaltet. Sajora wurde wieder lustig, blühte auf wie eine Hyazinthe, sang wie eine Nachtigall und eilte, in ein Reh verwandelt, durch den Wald.

Bei Sajoras Anblick fiel es Schawkat wie Schuppen von den Augen. Er bereute seine Torheit. Er hatte erkannt, dass Mochistara eine grausame, böse Fee war, die ihn durch ihre Schönheit verblendet hatte, in der aber Seele und Herz eines Dämons wohnten. Er dachte nicht mehr an sie, sondern bat Sadyk und Sanobar um die Hand ihrer Tochter. Vierzig Tage und vierzig Nächte feierten sie Schawkats und Sajoras Hochzeit. Danach begaben sich beide zu Schawkats Vater, wo abermals ein frohes Fest veranstaltet wurde. Seither besuchten sie einander immer wieder. Prinz Schawkat lebte in Frieden und Glück, denn er hatte die Erfüllung seiner Wünsche erreicht.