[swahili, "Geschichte, Legende"]

Recht und Unrecht

Ein Mann zog auf den Markt. So wie die Leute zum Markte ziehen, mit zwei Ochsen, die er verkaufen wollte. So ging er hinter den beiden Ochsen, dem Grauen und dem Falben einher, einen Stock in der Hand und den Zwerchsack auf dem Rücken. Seine Gedanken aber waren bei dem Geld, das er für die Ochsen einlösen wollte. Da holte ihn ein anderer Mann ein, der kein Vieh vor sich hertrieb, aber einen noch größeren Stock trug als unser Mann mit den Ochsen. »Guten Morgen, Gevatter!«

»Helf Gott!«

»Schon lange gebe ich mir Mühe, dich einzuholen. Denn, um die Wahrheit zu sagen, es gefällt mir nicht, so allein, ohne jedes gute Wort, wie ein Stummer die Straße zu ziehen. Die Marktleute aber scheinen noch in den Federn zu liegen, denn ich habe außer dir noch keine Menschenseele auf dem Wege erblickt.«

»Wie kann man das wissen? Es kann ja sein, dass einige schon in der Nacht hier vorübergegangen sind. Wir sind hier abseits von der großen Landstraße, da hören und sehen wir nicht alles.«

So begannen sie zu sprechen. Der eine erzählte dieses, der andere jenes bis plötzlich der Mann mit dem großen Stock sagte: »He, Gevatter, dich wird der Zwerchsack mit dem Essen und mit dem Futter für die Ochsen auf den Rücken drücken? Gib mir etwas zu tragen, denn ich habe ohnehin keine Last.«

»Oh, du sollst dich meinethalben nicht bemühen. Es ist wahr, dass dieser Sack ziemlich schwer ist, aber er wird schon leichter werden, denn weiter drüben werden wir rasten und etwas frühstücken. Dann sollen auch die Ochsen Futter bekommen.«

So gab ein Wort das andere. Der eine wollte, helfen, der andere wollte den ersten nicht bemühen. Schließlich sagte der Mann mit den Ochsen und dem Zwerchsack: »Also dann sei es. Trage auch du den Sack ein wenig, und wenn wir rasten, isst du mit mir; denn ich sehe ja, dass du keinen Brotbeutel bei dir hast.«

Als sie auf einer freundlichen Lichtung Halt gemacht hatten, setzten sie sich zum Frühstück in das Gras. Da sagte der Mann mit den Ochsen zu dem Mann mit dem großen Stock, der jetzt den Zwerchsack bei sich hatte: »Öffne den Zwerchsack, Bruder, damit wir sehen, was mir die Bäuerin zum Essen mitgegeben hat.« Der andere aber schwieg. Da sagte er noch einmal lauter: »Gib den Zwerchsack her, damit wir frühstücken können!«

Der andere aber sagte: »Ich nehme das Essen gern aus dem Zwerchsack, dir aber gebe ich nichts davon, wenn du mir nicht erlaubst, dir ein Auge auszustechen.«

»Gott verzeih' mir die Sünde, denn jetzt hätte ich fast gesagt: geh zum Teufel. Schämst du dich nicht, solchen Unfug zu reden? Gib den Zwerchsack her!«

»Also ich sehe schon, dass du nichts essen willst. Vielleicht hast du gar keinen Hunger.«

»Weißt du was du versündigst dich mit solchen Scherzen. Bring den Zwerchsack her und nimm das Essen heraus, damit ich dir etwas davon gebe. Halte mich nicht so lange auf, wir wollen jetzt essen und uns dann wieder auf den Weg machen.«

»Ich werde essen, du hast ganz recht, aber dir werde ich nichts davon geben, selbst wenn ich sehe, dass du umfällst, wenn du es nicht zulässt, dass ich dir ein Auge aussteche.« Und der Teufelskerl nahm aus dem Brotbeutel ein Bündel heraus, das in ein schneeweißes Mundtuch mit roten und blauen Baumwollstreifen am Rand eingewickelt war. »Du fürchtest dich nicht vor Gott, solche Dinge auch nur zu reden? Hat meine Mutter dir dieses Essen eingepackt? Oder hast du es von zu Hause mitgebracht? Aber selbst, wenn es dem wäre, könntest du einen hungrig sehen, ohne ihm auch nur ein Stück Brot zu geben, bis du ihm nicht ein Auge ausgestochen hast?«

Aber der Schurke, der schon das Essen des andern verschlang, zuckte mit den Schultern und sagte lachend: »Wenn du willst - gut, wenn du nicht willst - hungere!«

Es ist bekannt, dass der Hunger ein großer Herr ist, du kannst ihn weder mit Lügen vertreiben, noch mit der Hoffnung, später zu essen, auch nicht mit der Erinnerung daran, dass du früher einmal gegessen hast; wenn du ihn vertreiben willst, musst du ihn gleich stillen. Wenn du dann aber auch noch einen andern essen siehst, wirst du noch hungriger, als du vorher warst.

So ging es auch unserm Mann: hungrig zu sein, ist schlecht, aber ein Auge entbehren zu müssen, ist auch nicht gut. Wenn er mir nichts zu essen gibt, wer weiß, ob uns jemand einholt, der mir zu meinem Recht verhilft; ich aber kann sehr leicht vor Hunger so schwach werden, dass ich niederfalle, und dieser Räuber lässt mich auf dem Wege liegen und geht mit dem Essen und den Ochsen davon. Soll ich es nicht noch einmal versuchen, so teuflisch wird er doch nicht sein.

So sagte er zu dem Schuft: »Und du treibst wirklich nicht nur einen Scherz mit mir?«

»Die Schande treibt Scherz! Du siehst doch, wie ich esse. Wenn du auch essen willst, bedenke dich nicht so lange, komm, Lass dir ein Auge ausstechen, und du bekommst zu essen.«

»Also dann nur zu! Ich habe schon Menschen mit nur einem Auge gesehen, und sie lebten wie andere Leute mit zweien. Ich will doch sehen, was du für ein Mensch bist!«

Der Schuft aber stach ihm schön ein Auge aus. Dann gab er ihm zu essen und sogar von den Leckerbissen.

Der Markt war sehr weit, der Weg dahin dauerte zweieinhalb Tage. Unsere Leute gingen noch eine Zeit bis gegen Mittag, da ließen sie die Ochsen wieder an einem Abhang weiden und setzten sich in den Schatten eines Baumes, denn es war eine große Hitze und drückend schwül. Der Mann mit dem einen Auge forderte den Räuber mit dem Zwerchsack auf, das Essen daraus hervorzuholen. Dieser nahm tatsächlich das Essen auch heraus, gab aber dem andern nicht einmal eine Brotkrume. »Gib doch auch mir davon, warum verzehrst du alles allein, Sack und Speisen gehören doch mir!« sagte der Einäugige. Der Schurke aber verspottete ihn und sagte: »Gerne! Warte nur, bis ich gegessen habe. Dann kostet dich das ganze Essen nur ein Auge. Billiger kann ich es dir nicht verkaufen, und du hast auch nur noch dieses eine Auge.«

»Geh zum Teufel! Hast du denn gar keine Gottesfurcht? Schämst du dich nicht vor den Menschen? Was für ein Mensch bist du denn?«

»So wie du mich hier siehst. Jetzt weiß ich, dass du nichts mehr essen wirst, denn es tut dir um dein Auge leid. Es wird aber noch die Zeit kommen, dass du mich bitten wirst, dir dein Auge herauszuschneiden, damit ich dir nur eine Brotrinde gebe.«

Das war ihr ganzes Gespräch. Der arme Mann bereute es, dass er den Zwerchsack von seiner Schulter gegeben hatte, er bereute es, dass er sich überhaupt mit diesem Schurken in ein Gespräch eingelassen hatte. Er verwünschte in seinen Gedanken sogar die Stunde, in der er von zu Hause aufgebrochen war, aber alles war nun zu spät. Es schien wie verhext zu sein, dass auch auf der Straße, nicht, wie ein anderes Mal, Menschen kamen, es war ja freilich auch die Zeit der Heuernte, und so musste der gute Mann, ob er wollte oder nicht, in Gemeinschaft mit diesem Schurken wandern, der übrigens gar nicht daran dachte, ihn zu verlassen, nachdem er sich einmal wie eine Klette an ihn angeschlossen hatte. So geht es den Menschen in dieser Welt, wenn ihnen Gott Werkzeuge des Teufels in den Weg schickt! »dass Gott dich schlagen möge, ekliger Kerl, für mein Essen willst du mich jetzt ganz blind machen? Ist es nicht genug, dass du mir heute Morgen ein Auge ausgestochen hast, willst du mir auch dieses nehmen, das mir armem Mann noch geblieben ist? Fürchtest du dich denn gar nicht, dass Gott dich einmal verderben wird?«

»Wenn du willst, ist es gut, wenn du nicht willst - ich zwinge dich nicht.«

Aber der Hunger ist eine böse Sache. Der arme Mann konnte nicht mehr vor Hunger weiter. Die Eingeweide krampften sich ihm zusammen. Du hättest denken können, dass er seit Wochen nichts gegessen hatte. Daher sprach er zu dem Verbrecher: »Es ist mir gleich! Stich mir nun auch das andere Auge aus, gib mir nur ordentlich zu essen. Dann kann ich ja auf dem Wege sterben.« Und der Schüler des Teufels scherzte nicht. Sofort stach er ihm auch das andere Auge aus, gab ihm dann ein wenig zu essen, führte ihn unter ein großes Wegkreuz und ließ ihn an der Straße liegen.

Der Räuber ging mit den beiden Ochsen und mit dem Zwerchsack des Mannes dahin, wohin seine niederträchtige Natur ihn zog.

Der arme Mann aber saß unter dem Kreuz und dachte so bei sich: Gott, mein Gott, was muss der arme Mensch alles erleben, der in dieser bösen Welt lebt! Was für Menschen muss er auf seinem Lebensweg begegnen! Was muss er alles leiden! Heute Morgen war ich noch gesund und frisch wie ein Apfel. Ich brach auf aus meinem Hause, verließ meine Mutter und meine Brüder. Ich war vermögend und dachte nicht einmal viel an dich und auch das Wenige nur so aus Gewohnheit Ich schlug zwar das heilige Kreuz und hatte Acht auf meine Sünden. Da hast du nun diesen Mann auf meinen Weg geschickt, der mir die Augen genommen hat und mit meinen beiden schönen Ochsen davongezogen ist. Gott, hilf mir nun!

Da glaubte er ein Geflatter in den Lüften zu hören, und es schien ihm, als ob sich große Vögel auf das Kreuz niederließen. Es war tiefe Nacht, wenigstens ihm schien es so, da er ohne Augen gar nichts sah. Auch die Sonne brannte nicht mehr, ein Zeichen dafür, dass sie schon lange untergegangen war. Er fühlte eine angenehme Kühle um sich, aber den sternenbesäten Himmel sah er nicht. Auf einmal hörte er eine helle Stimme von dem. Kreuz über sich sprechen. Sie sagte: »Wo wart ihr, ihr Brüder, seitdem wir uns nicht mehr gesehen haben, und was habt ihr Neues, in der großen Welt in Erfahrung gebracht?« Da antwortete eine andere Stimme: »Ich flog gegen Sonnenuntergang, Brüder. Da hörte ich einen Weisen aus einem Buche lesen: Wenn die Blinden wüssten, was sie nicht wissen, würden sie sich sofort ihre Augenhöhlen mit dem ersten Tau, der vom Himmel fällt, waschen, denn so können sie ihr Augenlicht wieder erlangen. Aber wo wart ihr, und was habt ihr gehört?«

Da antwortete eine andere helle Stimme: »Ich bin gegen Mittag geflogen. Da sang eine Meernixe, es sei da in einem Dorfe ein Pfarrer und dieser Pfarrer habe eine so schöne Tochter, dass es keine zweite ihresgleichen auf der Welt gäbe. Sie sei aber seit langem so krank, dass sie sich nicht von der einen Seite auf die andere legen könne, wenn sie die Ihren nicht im Leintuch wenden würden. Von diesem Leiden kann sie nur sehr schwer geheilt werden; denn zu den heiligen Ostern entfiel ihr ein Krümel von dem Weihbrot. Dieses aber verschlang eine Kröte, die sich jetzt unter dem Altar der Kirche verborgen hält. Man könnte das Mädchen trotzdem heilen, wenn ein Mann die Kröte unter dem Altar hervor holte, sie erschlagen würde, das Krümel vom Weihbrot nähme und ihn dem Mädchen zu essen gäbe. Dann würde das Mädchen wieder ganz gesund. Aber du, Bruder, wo warst du, und was hast du gehört?«

Da sprach eine dritte Stimme: »Ich flog auf gegen Sonnenaufgang. Da hörte ich eine alte Waldhexe einer anderen Hexe erzählen, dass in dem gleichen Dorfe vor sieben Jahren nur ein Brunnen gewesen wäre. Aber es war so viel Wasser in diesem Brunnen, dass das ganze Dorf Wasser in Fülle hatte für Mensch und Schelm und Vieh. Und immer noch floss das Wasser aus dem Brunnen wie ein kleiner Bach. Vor sieben Jahren warf die Stute des Pfarrers ein Füllen. Dieses Füllen ist verhext. Seitdem es das Licht der Welt erblickt hat, sind in dem Dorfe, in dem es lebt, alle Quellen eingetrocknet. Vergebens versuchen die armen Leute dieses Dorfes nach Brunnen zu graben. Fast in jedem Hof steht ein Brunnen. Das Wasser aber reicht nur, solange es regnet. Sobald Dürre eintritt, trocknen alle Brunnen aus. Die armen Menschen stehen aus Mangel an Wasser vor dem Zusammenbruch. Wenn sich aber jemand finden würde, der das verhexte Pferd bestiege und mit ihm, solange der Pfarrer am Sonntag in der Kirche Gottesdienst hält, ohne Aufenthalt im schnellsten Galopp um das Dorf herumritte, so könnte die Gemeinde gerettet werden. Wenn dann die Kirchenglocken am Ende des Gottesdienstes läuten würden, wäre das Pferd voll von Schaum und würde wie tot zur Erde fallen. Es würde aber nicht sterben, sondern nur daliegen, bis seine Zauberkraft aus ihm entschwände. Die Wasser aber würden sogleich in den Brunnen steigen.«

Als dies Gespräch beendet war, hörte der Blinde wieder Flügelrauschen in der Luft und: brr! flogen die drei Zaubervögel, die sich auf dem Kreuze beraten hatten, nach drei verschiedenen Himmelsrichtungen auseinander.

Der arme Blinde schreckte unter dem Kreuze auf, so, wie jemand aufschreckt aus dem Schlaf, wenn er süß geträumt hat. Langsam kam er wieder zur Besinnung, und ein Wort der Zaubervögel nach dem anderen fiel ihm wieder ein. Da wühlte er seine Hände in das Gras, um sie mit dem frischen Morgentau zu befeuchten. Dann führte er sie zu seinen armen Augen. Als er den Tau zum ersten Male an seine Augenhöhlen brachte, begann er wie durch ein dichtes Sieb zu sehen. Als er sie zum zweiten Male wusch, sah er schon besser. Bei der dritten Waschung aber sah er noch vollkommener als zuvor. Da fiel der arme Mann mit dem Antlitz auf die Erde und wusste nicht, wie er das Wunder fassen sollte, dass er, der blind gewesen war, nun die schöne Gotteswelt wieder aus gesunden Augen sehen durfte. Oder träumte er nur? Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass es nicht nur ein Traum war, begann er vor Freude zu weinen und dankte Gott: »Ich danke dir, Gott, für deine Hilfe. Mein Gott, jetzt sehe ich, wie gewaltig du bist!«

Dann brach er in der Richtung auf, in der nach den Schilderungen der Zaubervögel das verhexte Dorf lag. Das Dorf mit der schönen kranken Pfarrerstochter und den trockenen Brunnen. Er kam hier gerade an, als die Leute zur Kirche gingen. Er trat in das Haus des Pfarrers, fragte die Knechte nach dem wertvollen. Pferde ihres Herrn und zog dieses aus dem Stalle. Dann schwang er sich - hast du nicht gesehen - auf seinen Rücken und flog davon. Solange der Pfarrer in der Kirche seinen Gottesdienst abhielt, umritt er das Dorf ununterbrochen im schärfsten Galopp. Als die Glocken der Kirche am Ende des Gottesdienstes läuteten, war das Pferd weiß vor Schaum. Du hättest denken können, man hätte es eingeseift, so schäumte es. Dann fiel es wie tot hin, auf das grüne Gras, starb aber nicht. Es verlor nur seine Zauberkraft, und die Quellen begannen sogleich zu fließen. Das klare Wasser stieg in den Brunnen.

Dann betrat der Mann die Kirche, aus der soeben die gläubige Menge strömte. Er trat vor den Pfarrer, der bei dem Altar stand, und sagte: »Euere Heiligkeit, verzeiht mir, dass ich es wage, euch gerade in dem Augenblick, in dem ihr die Kirche verlassen wollt, aufzuhalten. Ich habe aber gehört, dass ihr eine kranke Tochter habt, und bin daher gekommen, um ihr ein Heilmittel zu bringen. Gerade hier unter dem Altar liegt die Todsünde, um deretwillen das arme Mädchen so viel leidet.« Natürlich willigte der Pfarrer freudig ein. Unser Mann aber zog unter dem Altar eine große, freche Kröte hervor. Die zerschnitt er in zwei Teile und fand in ihr ein Krümel von dem Weihbrot. Das nahm er und trug es zu dem Mädchen. Wenn man ihr die Schmerzen mit der Hand weggenommen hätte, hätte sie nicht rascher gesund werden können. Aber ein noch größeres Wunder war ja inzwischen geschehen! Als die Leute von Hause in die Kirche gegangen waren, da war noch in dem ganzen Dorfe großer Wassermangel gewesen. In keinem Brunnen hatte man frisches Wasser finden können, nur schlammiges, verdorbenes Grundwasser war noch vorhanden. Während sie in der Kirche gewesen waren, hatte es nicht geregnet, und nun, als die Menschen die Kirche verließen, waren die Brunnen voll von herrlichem Wasser. War dies nicht ein großes Wunder?

Da traten die Leute zusammen, um sich zu beraten. Ein weiser Alter aber sprach: »Liebe Freunde und Nachbarn, ich glaube, der Fremde, der die Tochter unseres Pfarrer geheilt hat, hat auch ein Heilmittel für unsere Brunnen gefunden. Wenn ihr es anerkennen wollt, was für eine große Wohltat er an uns getan hat, kommt, Lasst uns ihm jeder ein Joch Ackergrund oder einen kleinen Weingarten geben. Wir wollen ihn reich machen, damit er in unserer Mitte bleibt; denn er hat unser Dorf vom Untergang errettet.« Alle Leute willigten freudig ein.

So gingen denn einige von ihnen in das Pfarrhaus, wo unser Mann mit der ganzen Familie des Pfarrers zu Tische saß. Sie feierten die Genesung der geliebten Tochter. Die Leute fragten den Fremden: »Wart ihr es, der diese Wohltat an unserer Gemeinde getan hat?« Er aber antwortete, wie anständige Menschen antworten: »Meine Lieben, nicht ich, sondern Gott hat sich euer erbarmt. Er hat mich zu euch geschickt, den bösen Zauber von euren Brunnen zu bannen. Gebt Gott die Ehre, der auch an euch gedacht hat.« Die Leute aber merkten gleich, dass er ihnen mit Gottes Hilfe, wie auch sie sagten, diese Wohltat gebracht hatte. Sie beschlossen daher sogleich, dem Rat des. Alten Folge zu leisten. Jeder gab, was er leichtesten entbehren konnte: Der eine ein Schnitt reifes Kornfeld und Saatgut zu säen, andere Weidefelder und Weingärten, andere wieder vom Vieh, was eben jeder entbehren konnte, eine Kuh, einen jungen Ochsen, eine Stute oder zwei, drei Ziegen.

So war unser guter Mann in wenigen Stunden der reichste Wirt des ganzen Dorfes geworden. Der Pfarrer aber gab ihm seine schöne Tochter zur Frau. So wurde er ein wohlhabender und glücklicher Mann und dankte Gott für alles Gute, das er ihm hatte zuteil werden lassen. Dann schickte er in sein Heimatdorf und lud seine Matter und seine jüngeren Brüder ein, zu ihm zu kommen. Sie sollten mit ihm zusammen in Reichtum leben, und er wurde wieder ihre Stütze und Hilfe, wie er sie auch in seinem Heimatdorfe schon gewesen war Als er nun auch die Mutter und seine Brüder, die jeder noch etwas von daheim mitbrachten, bei sich sah, glaubte er der glücklichste Mann im Dorf zu sein. Er dankte Gott Tag und Nacht. So vergingen die Tage in großer Freude.

Eines Tages aber glaubte unser Mann, dass ihm das Blut in den Adern erstarren müsse, denn ein Fremder betrat sein Haus. Es war der Mann, der ihm die Augen ausgestochen hatte, sein Essen gestohlen und seine Ochsen geraubt hatte. Der elende Bettler kam zu ihm, und wisst ihr, was er sagte? Hört her! Als er das Haus betreten hätte, sagte er: »Gevatter, jetzt seid ihr reich und glücklich. Ich allein habe euch dazu verholfen. Ich fordere nun, dass ihr Gleiches mit Gleichem vergeltet.« Ein anderer Mann hätte diesen Räuber, sobald er seiner ansichtig geworden wäre, sofort dem Gericht zur gerechten Strafe übergeben. Unser Freund tat es nicht. Er hieß ihn sich niedersetzen und bewirtete ihn mit Speise und Trank. Erst nachdem er ihn bewirtet hatte, wie es sich gehört, sprach er zu dem Gauner: »Gott verzeihe dir die Sünde, was redest du? Weißt du denn nicht, dass ich auch, bevor ich dich kennen lernte, hatte, was ich brauchte? Weißt du nicht, dass ich genug zu essen hatte und auch Vieh, um es auf den Markt zu treiben? Erinnerst du dich nicht, wie du mich betrogst, als ich dir meinen Zwerchsack mit dem Essen gab, nur weil du angabst, mir helfen zu wollen, und weil ich sah, dass du keinen Brocken zu beißen hattest? Hast du vergessen, wie du mir meine Augen um meine Wegzehrung ausstachst und mich schließlich auf dem Wege liegen ließest, um mich elend zugrunde gehen zu lassen, nachdem du mir auch noch meine Ochsen geraubt hattest? Wie wagst du es noch, zu mir zu kommen? Geh mir nun aus den Augen!«

»Es fällt mir gar nicht ein«, sagte der Gauner, »komm mit mir zu dem Wegkreuz am Gipfel des Hügels, auf dem ich dich verlassen habe, und stich du mir meine Augen aus. Dann sind wir quitt.« Aber unser Freund sagte: »Gevatter, ich werde dir nie die Augen ausstechen, lieber würde ich dir noch die Hälfte meines Vermögens geben. Weiß ich doch, wie schrecklich es ist, blind zu sein. Nein, ich würde mich niemals unterstehen, einen Menschen so zu verstümmeln.«

Der Böse aber gab sich damit nicht zufrieden. Er ging zum Gericht, bestach den Richter mit dem Gelde, das er von den gestohlenen Ochsen eingelöst hatte und zwang unseren Freund so vor den Richterstuhl. Der Richter hörte zu. Der Bösewicht bestand darauf, dass der Mann ihm, auf dem Hügel mit dem Kreuz die Augen aussteche. Unser Freund willigte nicht ein. Schließlich befahl der Richter, um Frieden zu stiften, einem elenden Zigeuner, er solle mit dem Schurken zum Kreuz auf den Hügel gehen und, wenn dieser auch dann noch darauf bestehe, ihm die Augen auszustechen, ihn dort beim Kreuze allein lassen. Und so geschah es. Um die Nachtmahlzeit stach der Schelm von einem Zigeuner dem Schurken auf seinen Wunsch die Augen aus. Dann ließ er ihn allein unter dem Kreuze. wisst ihr, der glaubte nämlich, dass er über Nacht nicht nur sein Augenlicht wieder erlangen würde, sondern auch zu wunderbaren Geschenken und großem Vermögen gelangen könnte.

Was geschah aber? Um Mitternacht hörte auch er Flügelschlagen im Wind und merkte, wie sich große Vögel auf das Kreuz setzten. Ein Vogel kam nach dem anderen. Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis sich alle versammelt und auf dem Kreuze niedergelassen hatten, so dass es leise schwankte. Es waren Zauberadler, fast tot vor Hunger. Der Blinde sah sie nicht, hörte aber gut, wie sie sich auf das Kreuz niederließen. Dann begannen sie mit menschlicher Stimme zu sprechen. Einer sagte: »Brüder, wo wart ihr, seitdem wir uns getrennt haben? Was habt ihr gesehen und gehört? Erzählt, jeder der Reihe nach, eure Abenteuer, dann will ich euch auch sagen, was ich gehört habe.« Dann hörte man eine andere Stimme, die antwortete: »Gerne, Bruder, aber mir scheint, es befindet sich hier ein sündiger und böser Mensch in der Nähe, der uns aushorchen will. Kommt, wir wollen uns von ihm befreien, dann können wir uns beraten!« Auf diese Worte hin schossen die Vögel, schneller als eine Kugel aus dem Gewehr, auf den Bösewicht los und zerhackten ihn, so schnell man in die Hände klatschen kann, und fraßen ihn in einer Minute auf, so dass keine Spur von ihm übrig blieb. So büßten zu der Zeit alle, die Unrecht taten. Gute Menschen aber werden belohnt, wie wir es ja gesehen haben.

Was die Adler danach noch berieten, kann niemand sagen; denn es lebt niemand mehr aus dieser Zeit. Unser Freund aber, der den rechten Weg gegangen ist, wurde, wie wir es gesehen haben, reich. Ihm und seiner schönen Frau schenkte Gott viele Knaben und Mädchen, und er lebt, wenn er nicht gestorben ist, auch heute noch zufrieden und dankbar.