Mägdlein Uogele
Es waren einmal eine Alte und ein Alter. Sie hatten keine Kinder. Die Alte sagt zu ihm: »Höre, Alter, wenn du mir doch mit dem Beil aus einem Baum eine kleine Puppe hauen könntest!« Gut. Der Alte aß noch etwas und ging fort in den Wald. Er kam zu einem Baum - der war krumm, zu einem anderen - der war zu dünn, der dritte war gerade richtig, den schlug er um. Er hieb die Zweige ab und schleppte den Baum davon. Er schleppt und schleppt - und ihn kommt eine Notdurft an. Da wirft er die Birke hin und hängt seine Mütze an eine andere Birke. Er erledigt das Nötige, steht auf und geht, doch die Mütze vergisst er. Er schleppte den Baum nach Hause, ging in die Hütte und aß sich satt. Nun wollte er schon gehen und die kleine Puppe heraushauen.
Er sucht und sucht seine Mütze, nirgends findet er sie. Da schimpft er auf die Alte: »Du, Alte, hast meine Mütze versteckt!« Die alte Frau dagegen: »Geh, du Verrückter! Vielleicht hast du irgendwo gehockt, und da wirst du sie auch gelassen haben!« Da erinnert sich der Alte. Er geht hin - und genau da findet er seine Mütze.
Nun schlug er die kleine Puppe aus dem Baum heraus. Er machte sie mit Händen, Füßen, Zähnen und mit Augen - richtig wie einen Menschen. Es war ein Junge. Der Alte trug ihn zum Bett und legte ihn hin. Sie nannten ihn Rekeciukas. Die Alte stieg auf den Ofen, setzte sich und sagte: »Rekeciukas, Rekeciukas, reiche mir das Kesselchen!« Rekeciukas liegt da und rührt sich nicht. »Rekeciukas, Rekeciukas, reiche mir das Schüsselchen!« Doch Rekeciukas liegt immer noch unbeweglich. »Rekeciukas, Rekeciukas, reiche mir das Löffelchen!« Rekeciukas liegt still. »Rekeciukas, Rekeciukas, reiche mir ein Spänchen!«
Da springt Rekeciukas auf und reicht der Alten ein Spänchen. Das gab eine unerhörte Freude, dass sie jetzt ein kleines Kindlein hatten! Das war ihr etwas Liebes, der alten Frau. Sie nähte ihm ein kleines Wämslein, der Alte schmiedete ihm ein Beilchen - Rekeciukas wird morgen das Vieh hüten gehen. Und die Alte sagt: »Wenn du hüten gehst, wirst du eine Beere finden; pflücke sie, wirf sie über die eine Schulter, dann wirf sie über die andere Schulter, dann wende dich um und schau hin.«
Gut. Er treibt am anderen Morgen die Kühe aus. Er weidet sie am Walde und findet eine Beere. Er nimmt sie, wirft sie über die eine Schulter, wirft sie über die andere Schulter. Er wendet sich um, er sieht: Ein Mädchen steht da mit einem Kleidchen - so rot, so rot wie glühende Kohlen.
Und sie hüten beide das Vieh. Er nannte sie Mägdlein Uogele. Sie weideten das Vieh gewöhnlich am Waldrande. Rekeciukas baute ein kleines Hüttlein, darin wohnte denn auch Mägdlein Uogele. Er brachte ihr auch immer zu essen mit, wenn er nach Hause ging. Stets sagte er ihr: »Du, Mägdlein Uogele, schiebe immer den Riegel vor, schließ immer die Tür zu, und wenn ich komme, werde ich mit hoher Stimme rufen, dann mach auf. Doch wenn eine tiefe Stimme ruft, dann mach nicht auf, dann ist es der Wolf.«
Rekeciukas geht fort zum Essen, er kommt zurück zum kleinen Hüttchen und ruft:
»Du Mägdlein Uogele,
Mach auf für mich das Türlein,
Es kommt ja Rekeciukas
Und bringt ein Stücklein Butter dir!«
Das Mädchen machte auf, er gab ihr das Essen, sie aß es auf. Sie küssten sich beide. Er ging wieder auf die Weide. Da kommt der Wolf und ruft »Mägdlein Uogele!« mit tiefer Stimme. Das Mädchen machte nicht auf, sie merkte, dass das der Wolf war. Rekeciukas kommt und ruft wieder:
»Du Mägdlein Uogele,
Mach auf für mich das Türlein,
Ich bring' ein Stückchen Käse dir!«
Sie machte auf, er gab ihr den Käse. Sie aß ihn auf. Rekeciukas ging fort, zur Weide. Doch der Wolf geht zum Schmied und sagt: »Schmied, Schmied, mach mir meine Zunge dünn, damit ich hoch sprechen kann!« Der Schmied machte das Hämmerchen glühend, ganz schrecklich rot, und er befahl dem Wolf, die Zunge auf den Amboss zu legen. Der Schmied - pauksch! - mit dem Hammer, der Wolf zuckt heftig zusammen. Na, aber nun spricht der Wolf auch hoch. Er kommt zum Hüttlein, tritt ans Fenster und ruft mit hoher Stimme:
»Du Mägdlein Uogele,
Mach auf für mich das Türlein,
Ich bring' ein Stückchen Käse dir!«
Das Mädchen merkte nichts und öffnete die kleine Tür, der Wolf - schnapp! - und verschlang sie lebendig. Rekeciukas kommt und ruft:
»Du Mägdlein Uogele
Mach auf für mich das Türlein,
Ich bring' ein Stückchen Brot zu dir!«
Er tritt an das eine Fenster, an das andere - und immer noch macht sie nicht auf, immer noch kommt das Mädchen nicht. Er löste ein Fenster heraus, stieg in das Hüttlein, suchte überall - auch hinter dem Ofen, auf dem Ofen, überall - das Mädchen ist nicht da. Er begann zu weinen und ging fort; er ging in den Haselwald und erhängte sich an seiner seidenen Juosta. Da jagte eine Kuh nach Hause zum Vater und sagte:
»Muh-muh, Rekeciukas,
Muh-muh, hat sich erhängt,
Muh-muh, im Haselwald,
Muh-muh, an der seidnen Juosta!«
Die Mutter wollte sie zurücktreiben: »Schuch, zur Weide! Kommst du Pest hier angestürzt und brüllst!« Sie trieb die Kuh zurück. Da kam ein Schaf angelaufen, und auch das Schaf:
»Bäh-bäh, Rekeciukas,
Bäh-bäh, hat sich erhängt,
Bäh-bäh, im Haselwald,
Bäh-bäh, an der seidnen Juosta!«
Auch das Schaf trieb sie hinaus. Da kam das Schwein angelaufen:
»Grunz-grunz, Rekeciukas,
Grunz-grunz, hat sich erhängt,
Grunz-grunz, im Haselwald,
Grunz-grunz, an der seidnen Juosta!«
Es läuft um die Hütte und grunzt in einem fort. Die Alte trieb auch das Schwein zurück. Da kam das Hündchen angelaufen, läuft hin und her und bellt:
»Wau-wau, Rekeciukas,
Wau-wau, hat sich erhängt,
Wau-wau, im Haselwald,
Wau-wau, an der seidnen Juosta!«
Da sagte der Vater zur Mutter: »Wir wollen hingehen. Alte, und nachsehen. Hier ist doch der Böse im Spiel: Alle Tiere kamen nach Hause gejagt!« Sie gehen zum Walde und sehen - im Haselwald hängt Rekeciukas, erhängt an seiner seidenen Juosta. Die Alte und der Alte weinen. Sie nahmen ihn, trugen ihn nach Hause, wuschen ihn, zogen ihn an und betteten ihn mitten in der Hütte. Und schon ist die Beerdigung - die Sänger singen, die Sargmacher zimmern auf der Tenne einen Sarg. Als er fertig ist, tragen sie ihn in die Hütte. Als sie ihn so tragen, kommt gerade jener Wolf an. Als er den Sarg erblickte, erschrak er heftig.
Da sprang das Mädchen heraus und wurde zu einem Kuckuck. Der Kuckuck fliegt in die Hütte, setzt sich nieder zu seinen Füßen und ruft:
»Kuck-kuck, Rekeciukas,
Kuck-kuck, hier bin ich, dein Mägdlein,
Kuck-kuck, hier bin ich, deine Uogele,
Kuck-kuck, Rekeciukas lieb!«
Rekeciukas liegt und hört nichts. Der kleine Kuckuck fliegt näher, setzt sich an seiner Hand nieder und ruft wieder:
»Kuck-kuck, Rekeciukas lieb,
Kuck-kuck, hier bin ich, dein Mägdlein,
Kuck-kuck, hier bin ich, deine Uogele,
Kuck-kuck, Rekeciukas lieb!«
Rekeciukas rührte schon ein wenig die Hand. Da flog sie noch näher, setzt sich an seinem Haupte nieder und ruft wieder:
»Kuck-kuck, Rekeciukas lieb,
Kuck-kuck, hier bin ich, dein Mägdlein,
Kuck-kuck, hier bin ich, deine Uogele,
Kuck-kuck, Rekeciukas lieb!«
Da sprang Rekeciukas auf von den Toten! Da umarmten sich beide, waren voller Freude und küssten einander. Auch ich war dort, Bier und Honigseim habe ich getrunken, im Munde ist nichts gewesen, über den Bart ist es geflossen.