Lipnikèlis
Es waren einmal ein Vater, eine Mutter und ein Sohn namens Lipnikèlis. Die Eltern ließen ihn gewöhnlich auf den See hinausfahren, wo er Fische fing. Die Mutter brachte ihm dann das Essen und rief:
»Hierher, zu mir, hierher, zu mir!
Holla, Lipnikèlis, hier bring' ich. hier bring' ich
Den Topf voll Butterbrei für dich,
Ganz in Butter, ganz in Süßmilch.«
Da kam dann Lipnikèlis angerudert, aß und aß, deckte den Topf wieder zu und ruderte wieder hinaus. Das hörte eine Laume, wie ihn seine Mutter so rief. Und da rief sie ihn auch mit tiefer Stimme:
»Hierher, zu mir, hierher, zu mir!
Holla, Lipnikèlis, hier bring' ich, hier bring' ich
Den Topf voll Butterbrei für dich,
Ganz in Butter, ganz in Süßmilch.«
Er kam nicht angerudert. Doch wenn seine Mutter ihn rief, dann kam er. Die Laume aber hörte aufmerksam zu, wie sie rief. Dann ging sie nach Hause, hämmerte sich in der Schmiede die Zunge dünn und ging wieder hin. Jetzt hatte sie eine hohe Stimme:
»Hierher, zu mir, hierher, zu mir!
Holla, Lipnikèlis, hier bring' ich, hier bring' ich
Den Topf voll Butterbrei für dich,
Ganz in Butter, ganz in Süßmilch.«
Da kam Lipnikèlis angerudert. Die Laume - schwapp - und trug ihn zu sich nach Hause und brachte ihn in den Speicher, in das Fach, wo die Haselnußkerne waren. Sie wollte ihn mästen und dann schlachten. Die Laume wird kommen und ihm mit einem scharfen Eisen in das Fingerlein schneiden. Wenn sie Fett findet, wird sie ihn schlachten.
Und am dritten Tage kam sie wieder. Schon am dritten Tage fand sie Fett. Da trug ihn die Laume in die Hütte, jetzt wollte sie ihn schlachten. Den Ofen hatte sie ordentlich heiß gemacht. Sie ging fort, um Gäste einzuladen, doch ihre Tochter sollte Lipnikèlis schlachten. Der Ofen war schon glutrot. Das Laumenmädchen machte Lipnikèlis fertig, und schon sollte er sich auf den Brotschieber legen. Doch er sagte: »Ich weiß doch nicht, wie ich mich hinlegen soll. Mach du es mir vor!« Als sie es ihm aber vormachte, da schob er - schwupp! - die Tochter der Laume in den Ofen. Er schnitt ihr noch den Zopf ab und hängte ihn an den Holzhaken.
Da kam die Laume wieder mit ihren Gästen, mit anderen Laumen. Sie zogen Lipnikèlis aus dem Ofen und aßen gierig und schmatzten laut. Doch ihre Tochter ist nicht da - die Laume denkt, sie wird fort gegangen sein, noch mehr Laumengäste einzuladen. Doch die anderen platzten schon beinahe und gingen an den See, um zu trinken. Aber Lipnikèlis saß dort auf einer Eiche.
Die Laumen tranken:
»Gut, o so gut schmeckt's zarte Fleisch!
Spül's hinunter, spül's hinunter, lieb' Wässerlein,
Gut schmeckt das Fleisch, so gut schmeckt Lipnikèlis' Fleisch.«
Doch er sitzt auf dem Eichbaum und ruft:
»Spül's nicht hinunter, spül's nicht hinunter, lieb' Wässerlein,
Spül's nicht hinunter, spül's nicht hinunter, du kühles Nass!
Gut, o gut schmeckt das Fleisch des Laumenmädchens!«
Und da wurden sie inne, dass sie die Tochter der Laume gegessen hatten. Sie sehen - am Haken hängt ihr Zopf. Da stürzen sie zur Eiche, sie durchzuhacken mit den Zähnen, durchzubeißen, dass er herunterfällt. Und Lipnikèlis saß da, o lieber Gott, und zitterte schon. Da flog eine Schar Gänse vorüber. Er begann zu singen:
»Ga-ga-ga, ihr Gänslein lieb,
Ga-ga-ga, ihr Grauen schön,
Ga-ga-ga, so nehmt mich doch,
Ga-ga-ga, und tragt mich hin,
Ga-ga-ga, zu Vaters Hof -
Ga-ga-ga, dort gibt es Tränke,
Ga-ga-ga, dort gibt es Körner,
Ga-ga-ga, dort gibt es Weizen,
Ga-ga-ga, dort gibt es Honig!«
Doch diese Gänse erfüllten seine Bitte nicht, sie trugen ihn nicht dorthin. Eine andere Schar kam geflogen - herrlich bunte, wunderschöne! Wieder singt er:
»Ga-ga-ga, ihr Gänslein lieb,
Ga-ga-ga, ihr Bunten schön,
Ga-ga-ga, so nehmt mich doch,
a-ga-ga, und tragt mich hin,
Ga-ga-ga, zu Vaters Hof -
Ga-ga-ga, dort gibt es Tränke,
Ga-ga-ga, dort gibt es Körner,
Ga-ga-ga, dort gibt es Weizen,
Ga-ga-ga, dort gibt es Honig!«
Aber die Laumen nagen mit den Zähnen, dass es nur so kracht - die Eiche ist schon halb durchgebissen! Er singt wieder, o mein Gott:
»Ga-ga-ga, ihr Gänslein lieb,
Ga-ga-ga, ihr Bunten schön,
Ga-ga-ga, so nehmt mich doch,
Ga-ga-ga, und tragt mich hin,
Ga-ga-ga, zu Vaters Hof -
Ga-ga-ga, dort gibt es Tränke,
Ga-ga-ga, dort gibt es Körner,
Ga-ga-ga, dort gibt es Weizen,
Ga-ga-ga, dort gibt es Honig!«
Auch sie nahmen ihn nicht mit. Und die Eiche ist schon kurz vor dem Umstürzen! Eine dritte Schar fliegt heran - es sind weiße Gänse. Er singt wieder:
»Ga-ga-ga, ihr Gänslein lieb,
Ga-ga-ga, Schwanengleiche,
Ga-ga-ga, so nehmt mich doch,
Ga-ga-ga, und tragt mich hin,
Ga-ga-ga, zu Vaters Hof...«
Und diese - schwupp! - packten Lipnikèlis und trugen ihn zu seines Vaters Hof. Und die Eiche - krach! - donnerte zur Erde. Alle Laumen - fletsch, fletsch, fletsch - mit den Zähnen in die Baumkrone - doch Lipnikèlis ist nicht da. Die lieben Schwanengänse aber trugen Lipnikèlis zu seines Vaters Hof. Und auf dem Hof gab man ihnen dafür zu picken und zu trinken.