[swahili, "Geschichte, Legende"]

Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang

Ein alter Mann hatte drei Söhne - der Älteste und der Mittlere wuchsen heran, groß und stark, der Jüngste aber blieb winzig klein. War einen Spann hoch und besaß einen Bart, zwei Spannen lang. Deshalb nannten ihn alle Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang. Eines Tages sprach der Vater zu seinen Söhnen: »Meine lieben Söhne, der Unhold Dew, der jenseits der Berge wohnt, ist mir zwei Groschen schuldig. Dafür könnte ich Nägel kaufen, um unseren Esel zu beschlagen. Wer von euch hat den Mut, zum Dew zu gehen und die Schuld zurückzufordern?«

»Ich will es tun«, erwiderte der älteste Sohn. Der Vater ließ ihn ziehen.

Der älteste Sohn kam zum Dew und sprach: »He, ehrwürdiger Dew, weshalb gibst du meinem Vater die zwei Groschen nicht zurück, die du ihm schuldig bist?«

»Mag dein Vater sich noch ein wenig gedulden«, gab der Unhold zur Antwort. »Ich habe die zwei Groschen in meinem Garten ausgesät, doch die Saat ist noch nicht aufgegangen.«

»Du gemeiner Betrüger«, erwiderte der älteste Sohn, »gib mir sofort die zwei Groschen zurück: Vater will Nägel kaufen, um unseren Esel neu zu beschlagen.« Den Dew erzürnten die kränkenden Worte, er packte den ältesten Sohn beim Bart, warf ihn in den Brunnen und verschloss ihn mit einem schweren Mühlstein.

Davon erfuhr der mittlere Bruder und sprach zu seinem Vater: »Vater, lass mich zu diesem Unhold ausziehen. Ich will meinen ältesten Bruder befreien und auch deine zwei Groschen eintreiben.« Der Vater entließ den Jüngling und sprach zum Abschied: »Mein lieber Sohn, kehre rasch zurück. Ich muss den Esel neu beschlagen, doch ich habe keine Nägel.« Kam der mittlere Sohn zum Dew und sprach: »He, verfluchter Unhold, wo ist mein ältester Bruder? Gib mir zudem die zwei Groschen heraus, die du meinem Vater schuldest!«

»Dein ältester Bruder sitzt im Brunnen«, entgegnete der Dew. »Er sitzt dort, zählt die zwei Groschen nach und wird nicht fertig damit. Geh ihm helfen! Zu zweit schafft ihr es rascher.« Mit diesen Worten packte der Unhold den mittleren Bruder beim Bart und warf ihn in denselben Brunnen, in dem schon der Bruder saß.

Diese Kunde drang zum jüngsten Bruder. Er trat vor seinen Vater und bat: »Vater, lass mich zum Unhold ziehen. Will meine Brüder befreien, dem Dew deine zwei Groschen abnehmen und ihm die Seele aus dem Leib prügeln.«

»Wohin denkst du, mein Sohn!« Der Vater erschrak zutiefst. »Deine zwei Brüder sind verwegene Recken, doch selbst sie vermochten es nicht, den Dew zu bezwingen, wie willst dann du, Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang, mit ihm fertig werden?« Doch der jüngste Sohn schlug alle Warnungen des Vaters in den Wind, pfiff nach seinem Hund, der einen halben Spann groß war, und zog zum Unhold Dew.

Unterwegs begegnete ihm ein Schakal. Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang befahl seinem Hund Halber-Spann-groß, ihn zu verschlingen. Der Hund verschlang den Schakal, und sie zogen weiter. Alsdann begegnete ihnen ein Wolf. Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang befahl seinem Hund: »He, Halber-Spann-groß, fass den Wolf!« Da hatte der Hund den Wolf schon verschlungen. Schließlich gelangten sie an einen ungestümen Bach. Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang vermochte ihn weder zu durchwaten noch zu durchschwimmen. Er überlegte hin und her, doch es wollte ihm nichts einfallen. Da befahl er dem Hund: »He, Halber-Spann-groß, trinke den Bach aus!« Der Hund trank so lange, bis der Bach verschwunden war. Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang durchschritt das ausgetrocknete Bett des Bachs.

Endlich erreichten sie die Wohnstatt des Unholds Dew. Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang klopfte ans Tor und rief: »He, verfluchter Dew, öffne das Tor, eh' ich's einschlage!« Der Dew schaute durch einen Türspalt und erblickte Kleinen-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang. Da wurde er böse, riss das Tor auf und brüllte wütend: »Schau an, wer da gekommen ist, um mich zu erschrecken! Und ich hab' gedacht, da tschilpt ein Spatzenkind vor meinem Hause! Was willst du?«

»Gib meine Brüder frei, solange du noch am Leben bist!« rief Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang. »Und bring die zwei Groschen her! Aber schnell!«

»Dein Bart ist so lang, dass ich ihn grad' mit zwei Fingern fassen kann«, erwiderte der Dew. »In meinem Hühnerstall halte ich einen Hahn und zwei Hühner: Die haben schon lange kein Menschenfleisch mehr verspeist.«

Bei diesen Worten packte der Unhold mit zwei Fingern den jüngsten Bruder am Bart und schleuderte ihn in den Hühnerstall. Doch der Hund Halber-Spann-groß lief hinter seinem Herrn her und zwängte sich durch einen Spalt im Hühnerstall. Als der Hahn den Menschen so groß wie ein Topf erblickte, schlug er mit den Schwingen und rief ein Huhn herbei, um es mit dem Leckerbissen zu erfreuen. Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang rief dem Hund zu: »He, Halber-Spann-groß, lass den Schakal frei, den du verschlungen hast!« Der Hund spie den Schakal aus und verschlang ihn wieder, nachdem der Hahn und Henne gewürgt hatte.

Am nächsten Morgen schaute der böse Dew in den Hühnerstall und sah, dass der kleine Mensch heil und unversehrt schlief. Er rief Hahn und Henne, doch die waren verschwunden. »He, du bärtige Eidechse«, rief der Unhold. »Wohin sind Hahn und Henne verschwunden?!« Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang erwachte, rieb sich die Augen und erwiderte: »Woher soll ich's wissen? Wahrscheinlich haben sie Angst vor mir bekommen und sind vom Hof geflohen!«

»Schau einer an!« Der Dew raste vor Wut. »Aber mein Hammel, der bekommt keine Angst vor dir! Der frisst dich gleich zusammen mit dem Stroh!« Er packte den Verwegenen am Bart zwei Spannen lang, warf ihn in den Schafstall und verriegelte die Tür. Der Hund Halber-Spann-groß lief hinter seinem Herrn her und schlüpfte unversehens in den Stall.

Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang erblickte im Schafstall unmittelbar über seinem Kopf das Maul eines Hammels und einer Ziege. Der Hammel sperrte schon seinen Rachen auf, doch der kleine tapfere Mensch rief seinen Hund: »He, Halber-Spann-groß, lass den Wolf frei, den du verschlungen hast!« Der Hund spie den Wolf aus, der würgte Hammel und Ziege. Dann befahl Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang seinem Hund, den Wolf abermals zu verschlingen. Halber-Spann-groß gehorchte aufs Wort.

Morgens blickte der Dew in den Schafstall. Und was glaubt ihr wohl? Der kleine verwegene Mensch schlief im Stroh. »He, du Schuft!« rief der Unhold. »Wohin sind mein Hammel und meine Ziege verschwunden?«

»Woher soll ich's wissen?« erwiderte Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang. »Wahrscheinlich haben sie Angst vor mir bekommen und sind geflohen.«

»Schau einer an!« schrie der Unhold noch erboster als tags zuvor. »Dann will ich dich selber auffressen!« und er streckte die Tatze aus, um ihn am Bart zu packen.

Doch Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang sprang flugs aus dem Futtertrog und verbarg sich im Sack mit dem Stroh. »He, Zauberer«, rief er von dort. »Ich weiß, wo sich Hammel und Ziege versteckt halten!«

»Wo, sprich!«

»Sie sind in den Brunnen gesprungen, in dem du wohnst«, erwiderte Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang. »Steig rasch hinab und schau nach.« Der Zauberer kletterte in den Brunnen, und Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang lief zum Brunnen und befahl: »He, Halber-Spann-groß, gib den Bach frei, den du leer getrunken hast, und überflute den Brunnen.« Der Hund überflutete den Brunnen, der Dew ertrank und blieb auf dem Grund des Brunnens liegen.

Alsdann ging Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang zu dem anderen Brunnen, in dem seine Brüder schmachteten. Er schob den Mühlstein zur Seite, öffnete den Brunnen und ließ seine Brüder frei. »Wir haben uns vom Unhold Dew befreit«, sagte Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang. »Nun wollen wir suchen, wo der Unhold die zwei Groschen versteckt hat, die er unserem Vater schuldet.«

»Ich weiß, wo die zwei Groschen liegen«, entgegnete der älteste Bruder. »Der Dew hat sie in seinem Garten vergraben.« Die Brüder nahmen Spaten und begannen den Garten umzugraben. Dabei fanden sie sieben riesige Krüge mit Gold bis zum Rande gefüllt und sieben Krüge mit Silber. »Wie wollen wir diese Krüge nach Hause schleppen?« fragte der mittlere Bruder. »Wir können sie ja nicht einmal anheben!« Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang befahl seinem Hund: »He, Halber-Spann-groß, verschlinge die Krüge mitsamt dem Gold und dem Silber!« Im selben Augenblick hatte der Hund alles verschlungen und lief munter den drei Brüdern voran.

Als der Vater seine drei Söhne wieder sah, freute er sich von Herzen. Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang aber rief seinen Hund und befahl ihm, alle Krüge auszuspeien. Als der Vater das Gold und Silber sah, fragte er: »Wo habt ihr diesen Schatz gefunden?« Antwortete der älteste Sohn: »Dieses Gold und Silber ist aus deinen zwei Groschen gewachsen, die der Unhold Dew bei dir geborgt und in seinem Garten vergraben hat.« Kleiner-Tropf-groß-wie-ein-Topf-mit-einem-Bart-zwei-Spannen-lang fügte hinzu: »Nun kannst du Nägel kaufen gehen und unseren einzigen Esel beschlagen, Vater.«