Jonas und Knochenweib
Einstmals hatte ein Gutsherr sieben Söhne. Doch als eine schwere Krankheit ihn befiel, wollte er keinem von seinen Söhnen das Gut übereignen, denn er dachte: Ich kann ja wieder gesund werden, und sie könnten dann hartherzig gegen mich sein. (Wir wissen ja, wie es sonst so mit den Vätern und den Müttern ist: wem zu Lebzeiten ihr Herz mehr zugeneigt ist, dem verschreiben sie bei ihrem Tode mehr.) Aber ihn trog seine Hoffnung, denn in einem unglücklichen Augenblick drückte ihm die Krankheit das Herz zusammen, und er starb eher, als er geglaubt hatte.
Die Söhne aber wussten nach dem Begräbnis des Vaters weder, an wen der Hof nun fallen sollte, noch wie sie ihn sich teilen könnten. Der eine will ihn haben und der andere auch. Da vertranken sie schließlich das Gut, und so hatte nun ein jeder gleich viel davon. Sie kamen dann überein, sie wollten gemeinsam irgendwo in den Dienst treten.
Sie zogen aus, einen größeren Bauern zu suchen, der sie alle sieben in den Dienst nimmt. Als sie einen solchen Bauern gefunden hatten, vereinbarten sie. wie es sich gehört einen Dienst auf ein Jahr und sie blieben bei ihm.
Nun kam die Heumagd, und sie machten sich auf, das Gras zu mähen.
Als sie einen Tag gemäht hatten und schon ein gutes Stück Wiese abgemäht war, da kommen sie am nächsten Morgen wieder und sehen: irgend jemand hat alles am Tag zuvor gemähte Gras weggenommen. So geschah es an einem Tage, am zweiten und am dritten.
Da kamen sie überein, in der Nacht eine Wache aufzustellen, um zu sehen, wer da kommt und das Heu wegnimmt. So blieb der Älteste über Nacht als Wächter, und die anderen gingen nach Hause.
In der Nacht kam eine Stute mit sieben Hengstfohlen. Sie gingen die Mähbahnen entlang und fraßen alles dort liegende Heu auf. Der Bruder versuchte immer wieder, die Pferde zu fangen - doch er konnte nichts ausrichten, und das ganze Heu wurde aufgefressen.
Als die Brüder am Morgen zum Mähen kamen, fragen sie den Ältesten:
»Na, hast du gut aufgepasst?«
Er antwortet:
»Da kam eine Stute mit ihren sieben Hengstfohlen, und sie haben alles aufgefressen, immer die Mähbahnen entlang«
»Du Dummkopf, warum hast du sie denn nicht gefangen?«
Er sagt: »Ich habe sie die ganze Nacht hindurch zu fangen versucht, doch ich konnte nichts ausrichten.«
In der folgenden Nacht wacht ein anderer, in der dritten Nacht wieder ein anderer .
Keiner von ihnen hatte Erfolg.
In der siebenten Nacht war nur noch der jüngste Bruder übrig. Doch den wollten die anderen durchaus nicht als Wächter zurücklassen:
»Wenn wir schon nichts fangen konnten, dann kannst du es doch erst recht nicht!«
Mit großer Hartnäckigkeit erreichte er jedoch irgendwie, dass er bleiben durfte. So machte er sich in der Nacht einen großen Heuhaufen zurecht und lag nun darin. Da kam die Stute mit ihren Hengstfohlen zu dem Heuhaufen, um zu fressen. Sofort packte er die Stute.
Da begann sie zu sprechen und sagte:
»Wenn du nach Hause geritten kommst, dann nehmen sich deine Brüder mit Gewalt die guten Fohlen, und für dich wird nur das kleinste übrigbleiben. Doch gräme dich nicht, nimm das kleinste und tue immer, was es dir sagt, dann wird alles gut ausgehen.«
So kam es denn auch. Kaum war der Jüngste nach Hause geritten, da teilten die älteren Brüder auch schon die besseren Pferde unter sich auf und ließen ihm nur das schlechteste übrig. Sie waren selber sieben, und es waren ja auch sieben Hengstfohlen - es fehlte keines, und keines war zu viel. Sie sprachen untereinander:
»Wohin reiten wir jetzt ? Wollen wir doch zu Knochenweib reiten und sie besuchen. Sie hat sieben Töchter.«
Doch Knochenweib wohnte auf einer Insel. Darum überlegten sie: »Wie sollen wir auf die Insel kommen?«
Der jüngste Bruder hieß Jonas. Der sagt: »Reiten wir nur los, ich werde euch auf die Insel bringen.«
Und sie ritten los. Sie kamen an das Haff. Das kleine Pferdchen sagt zu Jonas: »Schlage mit einem Tüchlein nach der einen und nach der anderen Seite, so wird das Wasser auseinandergehen.«
Also schlug er mit einem Tuch, und das Wasser trat auseinander. Alle ritten nun zu Knochenweib zu Besuch. Sie empfing sie gastlich, gab ihnen reichlich zu essen und zu trinken. Am Abend ließ sie alle in den schönen Wohnspeicher, wo sie schlafen sollten.
Doch der Jüngste ging, ehe er sich niederlegte, nach seinem Pferdchen sehen. Das fing an zu sprechen und sagte zu ihm:
»Wenn ihr euch hingelegt habt, werden die anderen schlafen, doch du schlafe nicht. Die Jungfern decken sich mit Decken zu, doch euch geben sie keine. Aber wenn alle schlafen, hüte du dich und schlafe nicht! Ihr werdet mit euren Mänteln zugedeckt sein. Vertausche Decken und Mäntel! Nimm die Decken und bedecke dich und deine Brüder damit, die Jungfern aber decke mit euren Mänteln zu, und du wirst sehen, was daraus wird.«
So tat er denn auch. Als die anderen alle eingeschlafen waren, schlief er nicht, sondern vertauschte Decken und Mäntel. Die Mädchen deckte er mit den Mänteln zu, doch die Brüder und sich selbst mit den Decken, die er den Töchtern weggenommen hatte. Plötzlich, mir nichts dir nichts, löste sich der Säbel vom Haken und schnitt allen Jungfern die Köpfe ab.
Da lief der Jüngling eilig zu seinem Pferdchen: »Das und das ist geschehen: der Säbel hat alle Jungfern geköpft und ist dann wieder an seinen Haken zurückgekehrt!«
Es sagte: »Lauf flink, wecke deine Brüder und reitet so schnell wie möglich fort, dass Knochenweib es nicht merkt!«
Er lief und weckte seine Brüder: »Seht mal, hier ist es nicht sehr geheuer für uns, reiten wir lieber nach Hause!«
Alle sprangen hurtig auf die Pferde und ritten los. Sie kamen an das Haff. da schlug er wieder rechts und links mit dem Tuch auf das Wasser, und sofort teilte es sich auseinander. Sie reiten durch das Haff - da kommt Knochenweib angerannt. Das Wasser schlug sofort wieder zusammen, da war nichts mehr zu machen.
Sie begann zu rufen: »Ach, Jonas, Jonas, bist du schlau, dass du meine Töchter hast köpfen lassen!«
Doch die sieben Brüder ritten ans andere Ufer des Haffs und sprachen untereinander: »Wohin sollen wir jetzt reiten! Ach, reiten wir doch zum König und treten in seine Dienste.«
Als sie zu den Soldaten ritten, fanden sie auf dem Wege eine Feder. Die wollte Jonas gern haben, er stieg ab und hob sie auf. Doch das Pferdchen erlaubt es nicht und sagt:
»Du wirst dadurch in große Not kommen!«
Doch nein, er gehorchte nicht und nahm die Feder mit.
Sie ritten zum König und traten in den Kriegsdienst.
Jonas freute sich sehr über die Feder und steckte sie an seine Mütze, bald hierhin, bald dorthin. Der König bemerkte die Feder und nahm sie ihm ab, doch für die Feder gab ihm der König einen höheren Rang. Die Brüder aber packte die Wut darüber, dass er, der Jüngste, höher gestellt war als sie.
Sie fingen an, ihn beim König zu verklagen: »Gnädiger Herr König, unser Jonas schüttet sich aus vor Lachen, dass du, der König, dich über Nichtigkeiten freust. Er behauptet, er hätte auch noch den Vogel selbst.«
Der König rief ihn sofort zu sich und herrschte ihn an: »Gib mir den Vogel selbst !«
Der Jüngste aber erschrak, denn er wusste ja, dass er den Vogel nicht hatte. Was sollte er tun - er ging zu dem Pferdchen und fragte es, was er machen solle.
»Denn so und so, der erlauchteste König fordert von mir den Vogel !«
Es antwortet: »Warum hast du nicht auf mich gehört? Habe ich dir nicht gesagt, nimm diese Feder nicht, du wirst in Not geraten? Du hast nicht hören wollen. Und nun - Knochenweib hat den Vogel, doch wie willst du ihn ihr wegnehmen? Komm, reiten wir hin, ganz gleich, wie es ausgeht!«
Sie ritten beide zu Knochenweib. Das Pferd gebot ihm, sich in einen Kater zu verwandeln, im Obstgarten herumzuspazieren und laut zu schreien.
So tat er auch, er ging hin, verwandelte sich in einen Kater, lief im Obstgarten umher und schrie laut. Knochenweib lockte ihn: miez-miez-miez !, doch er schrie nur noch lauter.
Wieder lockte sie und sagte: »Liebes Katerchen, bist du nicht vielleicht Jonaslein?«
Der schrie: »Nein, nein.«
Sie nahm ihn mit in die Gästestube und gab ihm Milch zu schlappern. Er sieht, dass der Vogel in einem Käfig sitzt. Knochenweib legt sich zum Mittagsschlaf hin, doch er packte den ganzen Käfig, lief aus dem Hause und ritt davon. Als er zum Haff geritten kam, trennte er das Wasser wieder, und als er zum anderen Ufer geritten war, schlug das Wasser des Haffs wieder zusammen.
Knochenweib kam angerannt: »Ach, Jonas, bist du schlau! Aber ich werde dich noch kriegen! Meine Töchter hast du köpfen lassen, diesen kostbaren Vogel hast du gestohlen!«
Der Jüngste ritt nach Hause, übergab dem König den Vogel und erhielt dafür einen schrecklich hohen Rang. Die Brüder packte darauf eine noch größere Wut. Sie hätten ihn am liebsten aufgefressen. Da schrieb ein anderer König an diesen, dass er in dem und dem Monat an dem und dem Tage gegen ihn einen Krieg beginnen wolle. Da war der König in großer Bedrängnis, denn er hatte nur ein kleines Land, der andere aber, der geschrieben hatte, ein großes.
Da sagten die anderen Brüder zum König, dass Jonas einen Säbel habe, der von selber ein ganzes Heer niedermachen könnte. Der König rief ihn sofort zu sich und gebot ihm, den Säbel zu zeigen.
Er antwortete aber: »Durchlauchtigster König, einen solchen Säbel habe ich nicht.«
Sollte ihm der König das glauben? Wenn seine Brüder es sagen, dann muss er solch einen Säbel haben. Er geht zu seinem kleinen Pferd:
»Was soll ich jetzt machen? Wo bekomme ich einen Säbel, der allein ein ganzes Heer niedermacht?«
Es antwortet: »Knochenweib hat ihn, doch wie willst du ihn bekommen? Reiten wir beide auf gut Glück zu ihr!« Sie ritten beide zum Haff. Er schlug mit dem Tuch das Wasser, und es teilte sich auseinander .
Da sagte das Pferdchen zu ihm: »Verwandle dich in ihren wunderschönen Vogel und fliege auf dem Hof umher.«
Als sie hingeritten waren, verwandelte er sich sofort in jenen Vogel, flatterte umher und sang. Gleich wollte Knochenweib ihn greifen:
»Mein liebes Vögelchen, du bist zu mir nach Hause zurück geflogen!«
Sie trug ihn in die Gästestube, gab ihm Zucker zu picken und sagte: »Vöglein, bist du nicht vielleicht Jonaslein?«
Doch dieser singt: »Nein, nicht Jonaslein!«
Da legte sich Knochenweib zum Mittagsschlaf hin, er jedoch packte den Säbel und lief damit aus dem Hause. Er ritt in das Haff, doch als er am anderen Ufer war, schlug das Wasser wieder zusammen. Knochenweib kam gelaufen, doch sie konnte nichts mehr ausrichten.
Sie ruft: »Wenn du auch noch so schlau bist, Jonas, denke daran, dass du mich nicht noch einmal betrügen wirst!«
Er brachte den Säbel dem König und zeigte ihn ihm, doch er sagte: »Durchlauchtigster König, sei nicht böse auf mich! Ich zeige dir den Säbel nur - im Kriege werde ich ihn selber tragen, aber nach dem Kriege werde ich ihn dir übergeben.«
»Gut«, sagte der König, »ich habe keinen Grund, auf dich böse zu sein, denn ich werde ja nicht selber im Kriege kämpfen, das brauche ich nicht. Wir wollen ihn nur als Hilfe für unser Heer haben.«
Da kam der Tag des angegebenen Monats, und sie treten beide zum Kriege an.
Als aber der Jüngste seinen Säbel losließ da machte er das ganze Heer nieder. Der König bekam nun auch noch das andere Königreich. Da machte dieser König Jonas zum Höchsten nach ihm selbst.
Die anderen Brüder platzten vor Neid - sie wussten nicht mehr, wie sie ihn fressen sollten, und suchten nach einer Möglichkeit, ihm zu schaden.
Nach dem Kriege herrschte drei Tage und drei Nächte lang eine solche Finsternis, dass weder Sonne noch Mond zu sehen waren. Da meldeten seine Brüder dem König sofort, Jonas hätte gesagt, er wisse, warum drei Tage und drei Nächte diese Finsternis gekommen ist. Die Jungfrau des Haffs hätte auf dem Wasser ein Festgelage veranstaltet, so dass von den verschiedenen Freudenschüssen und Rauchschwaden die Sonne am Tage und der Mond bei Nacht nicht zu sehen gewesen waren.
Der König schickt Jonas sofort hin, die Wasserjungfrau zu fangen und vor ihn zu bringen. Er erwiderte darauf dem König keine Silbe. Doch er lief zu seinem Pferdchen: »Was soll ich tun? Kann ich irgendwie die Wasserjungfrau fangen?«
Es antwortet: »Wir fangen sie, aber nimm einen kleinen Tisch mit und zwölf Flaschen, voll mit einem starken, wohlschmeckenden Trunk.«
Er lief, besorgte sich alles, und beide ritten los. Sie kamen zum Haff, stellten das Tischlein am Ufer auf, stellten alle Flaschen darauf und zogen sich zurück. Die Wasserjungfrau tauchte im Haff ein Stückchen vom Ufer entfernt auf, tauchte wieder unter, dann tauchte sie wieder ganz nahe am Ufer auf, stieg das steile Ufer hinauf, kam zu dem Tischchen, nahm eine Flasche, trank sie aus, dann die zweite und die dritte und fiel schließlich um und unter den Tisch.
Das Pferdchen sagt: »Lege sie jetzt auf meinen Rücken, steige selber auf und reite nach Hause, doch wecke sie nicht!« Sie wachte nicht auf, als sie beide nach Hause ritten. Der König war aber ein Witwer, und er wollte die Wasserjungfrau sofort heiraten.
»Nein«, sagt sie, »ich werde dich nicht heiraten, solange du nicht so schön geworden bist wie ich.«
Der König sagt: »Wie kann ich so schön werden wie du?«
Sie antwortet: »Lasse einen Kessel voll süßer Milch aufkochen, springe in die kochende Milch, und du wirst so schön.«
Er befahl sofort. einen Kessel mit Milch kochen zu lassen.
Seine Köche brachten in derselben Minute die Milch zum Kochen, doch der König konnte und konnte sich kein Herz fassen hinein zu springen. Er gebot Jonas hinein zu springen. Jonas antwortet:
»Erlauchtester König, geruht zuerst zu springen.«
Doch dann lief er, um sich Rat zu holen: »Pferdchen, könnte ich hineinspringen, wenn er mich sehr drängen sollte?«
Es antwortet: »Wenn er dich nötigen wird, so springe nur, aber gib dir die größte Mühe gleich wieder herauszuspringen!«
Er lief zurück - der König geht immer noch unschlüssig um den Kessel herum: »Nun, Jonas, wirst du zuerst hineinspringen?«
Der sofort - hops - und hinein. Und als er sofort wieder herausgesprungen kam, war er ebenso schön wie die Jungfrau. Nun will auch der König springen, doch er zerging sofort in der Milch. Da heiratete der Jüngste die Jungfrau und wurde ein sehr tapferer König.
So beschämte er alle Neider: Je mehr die Neider einem Menschen übelwollen, desto besser gelingt ihm alles.