Jonas Didleibis
Weißt du, da wohnte einmal der Jonas Didleibis in Raseiniai, als es noch keine Stadt war. Er hatte einen Sohn, der hieß auch Jonas, und eine Tochter mit Namen Eise. Und einmal geschah mit ihnen folgendes: Der Vater ging mit seinem Sohn - also mit Jonas - fort, Heu zu mähen, und die Mutter mit der Tochter ließ er zu Hause, sie sollten schon das Frühstück bereiten. Und als der Vater mit der Sense schon zur Wiese losging, band er seiner Frau noch auf die Seele, sie solle sich mit dem Frühstück ja nicht verspäten, sie wollten es rechtzeitig, wenn sie nach Hause kämen, fertig vorfinden. Da setzte die Mutter den großen Kessel auf das Feuer, um das Frühstück zu kochen, und schickte ihre Tochter schnell, für das Frühstück Wasser zu holen. Doch als die Tochter eben mit ihren Eimern zum Brunnen gekommen war und Wasser schöpfen wollte, kam von irgendwoher auf einem silberweißen Pferd ein junger Bursche an dem Brunnen vorbei geritten, und er rief mit lauter Stimme: »Warte! Warte!« Und als er das gerufen hatte, ritt er seines Weges weiter. Aber das Mägdlein bleibt stehen und schöpft kein Wasser - sie wartet eine Stunde, eine zweite. Als sie mit dem Wasser nicht nach Hause kommt, denkt die Mutter, ihre Tochter wäre vielleicht ertrunken. Sie lief hin, um sie zu schelten, weil sie sich mit dem Wasser nicht beeilte. Und als sie sie immer noch am Brunnen stehend fand, schrie sie ihre Tochter an und sagte: »Was ist mir dir? Warum kommst du nicht mit dem Wasser?« Und sie antwortete ihrer Mutter: »Jemand kam auf einem silbergrauen Pferd vorüber geritten und rief mir zu: ›Warte! Warte!‹«, sagt sie, »na, und da muss ich warten und sehen, was hier nun wird.«
Da trat nun die Mutter näher zu ihrer Tochter, und so warten sie jetzt beide, bis die Frühstückszeit schon lange gekommen war.
Es war also Zeit zum Frühstücken, und der Vater kehrt als erster heim von der Wiese und will essen. Doch er findet die Mutter mit der Tochter, wie sie am Brunnen stehen. Da fragt er die beiden: »Nanu, was steht ihr beide denn hier?« Da sagt die Mutter zum Vater: »Was sollen wir denn anderes tun als stehen, wenn uns jemand zu warten befahl, der noch dazu auf einem weißen Ross vorüber geritten kam!« Also kam nun auch der Vater an den Brunnen, auch er stellte sich hin und wartete.
Doch der Junge hatte den Vater gebeten: »Wenn du nach Hause kommst, bringe mir doch das Frühstück mit auf die Wiese! Wozu sollen wir beide nach Hause trotten und die schöne Zeit verlieren - heute ist nun gerade mal schönes Wetter.« So wartet der Junge nun, ohne Frühstück zu bekommen, bis zum Mittag; er schaut und schaut und wundert sich, dass der Vater ihm nichts zu essen bringt. Als er immer noch nicht kommt, macht der Sohn sich auch auf den Weg nach Hause. Doch als er dort ankam, fand er alle: den Vater, die Mutter und das Mägdlein, wie sie am Brunnen stehen, und das Feuer ist noch nicht angezündet, das Frühstück noch nicht gekocht. Da rief der Junge erstaunt aus: »Was ist denn hier los? Was macht ihr hier, warum ist das Essen nicht gekocht?« Da sagen der Vater und die Mutter: »Ach, du unser liebes Kindlein, wann hätten wir denn kochen sollen, da er doch befohlen hat, noch zu warten! Na, da müssen wir doch warten. Ob nun etwas kommt oder nicht - wir müssen aber doch sehen, wie die Sache am Ende ausgehen wird.«
Da wurde der Junge so böse, dass er seine Sense auf die Erde warf und sagte: »Na, da könnt ihr ein ganzes Jahr vergeblich warten, und immer noch wird nichts geschehen! Da hat euch wohl irgend so ein Schlaukopf betrogen, und ihr seid darauf hereingefallen! Na, wenn ihr so schrecklich dumm seid, dann kann ich nicht länger bei euch bleiben. Dann muss ich meiner Wege gehen - in die weite Welt, zu anderen Leuten, und muss sehen, was in der Welt geschieht.«
Nach diesen Worten ging er los, ohne seinen Eltern Lebewohl gesagt zu haben. Und als er so gen Westen zog, kehrte er zur Nacht bei einem Bauern ein. Und es traf sich so, dass die Hausfrau an dem Abend Brei gekocht hatte. Und als sie mit dem Gesinde Abendbrot aßen, schüttete sie die Schüsseln auf dem Tisch ganz voll mit Brei, doch die Löffel, die beim Essen mit dem Brei in die Milch getaucht werden sollten, nahm sie und ging damit in den Vorratsspeicher, um sie dort in die Milch zu tauchen. Und mit jedem Löffel ging sie auf den Hof, um ihn in die Milch zu tauchen.
Und der Junge, der zur Nacht als Gast gekommen war - er hieß wie sein Vater Jonas Didleibis -, dieser Jonas also sagt zu der Hausfrau: »Ich kann euch einen bequemeren Weg zeigen als den, dass ihr euch abmüht, bis ihr einen Löffel Milch aus dem Topf schöpft, ihn ins Haus tragt, damit Brei nehmt und dann aufs neue nach Milch geht. So kann man doch nie satt werden! Man muss immer den Topf mit Milch aus dem Speicher holen, wenn es Brei gibt, und dann richtig essen.« Da zuckte die Hausfrau mit den Schultern und sagte: »Ach du lieber Gott, wie leicht wird dann die Arbeit!« Und sie dankte Jonas für den guten Rat.
Am nächsten Morgen ging er weiter. Als er vielleicht schon eine Meile gegangen war, fand er im Walde ein sehr schönes Haus, das ein reicher Bauer gebaut hatte, aber ohne Fenster, nur eine Tür vor dem Hausflur. Und die Hausfrau hatte ein Sieb in die Hand genommen, kam nach draußen gestürzt und fing an. die Sonnenstrahlen damit zu haschen, und als sie genug davon erwischt hatte, trug sie das Sieb ins Haus, damit es im Hause hell würde. Als Jonas vorüberging, gab er der Hausfrau einen Rat und sagte: »So kann man das nicht machen - die Sonnenstrahlen fangen und ins Haus tragen, damit es drinnen hell wird. Es müssen Fenster ausgehauen werden, an der einen Seite etwa zwei und an der anderen Seite auch zwei. Und dann wirst du sehen, wie hell es im Hause ist, und die Sonne wird ihre Strahlen in dein Haus senden, auch ohne dass du ihr Licht fängst.« Da dankte ihm der Hausherr vielmals für einen so guten Rat und bewirtete ihn ein paar Tage lang. Und als er ihn beim Abschied hinausgeleitete, gab er ihm noch ein großes Bündel mit allerlei Speisen, gekochten und gebratenen. Und so zog Jonas seines Weges weiter.
Und als er drei Meilen von diesem Ort gegangen war, fand er wieder eine große, reiche Siedlung, jedoch mit sehr alten Gebäuden, so dass oben auf den Dächern schon so hohes Gras wuchs, dass man es mit der Sense abmähen konnte. Und die Bewohner dieser Häuser stellten Leitern ans Dach, banden einem Pferd einen Strick um den Bauch und versuchten, es mit Hilfe der Leitern auf das Hausdach zu ziehen.
Als Jonas vorüberging und das sah, fragte er die Hausbewohner: »Was macht ihr denn hier?« Da antworteten sie: »Siehst du denn nicht selbst, was für hohes Gras auf unseren Dächern wächst? Das muss das Vieh abweiden.« Darauf Jonas wiederum: »Um Himmels willen - warum müsst ihr euch mit einer so schweren Arbeit quälen?! Es gibt doch eine einfachere Möglichkeit, dass euer Vieh an das Gras kommt!« Na, da waren diese Leute tief betroffen, sofort hielten alle inne und fragten ihn: »Was denn für eine leichtere Möglichkeit?« Da sagt Jonas: »Das ist so: Man kann eine Sense nehmen, aufs Dach steigen und das Gras abmähen. Und wenn das Gras geschnitten ist, dann kann man es vom Dach hinunterwerfen auf die Erde. Und das Vieh kommt dann ohne Mühe an das Gras heran und kann es gemütlich auffressen.« Da schauten die Leute einander verblüfft an und sagten: »Dank sei dir für einen solchen guten Rat! Das ist ja wirklich ganz einfach so.«
Da lud nun der Herr der Siedlung Jonas zu Gast und bewirtete ihn drei Tage lang. Er gab ihm für den guten Rat zu trinken und zu essen, und nach drei Tagen geleitete er ihn wieder auf den Weg. Und als er auf den Weg gekommen und etwa eine Meile gegangen war, da setzte er sich unter einen Baum und begann darüber nachzudenken, was er nun weiterhin mit seinem Leben anfangen sollte.
Und er sagte zu sich selber: Ach Gott, ich bin aus meiner Eltern Haus gegangen und glaubte, ich würde in der Welt unter den Menschen etwas Gescheiteres, etwas Klügeres finden, doch wohin ich auch gekommen bin - ich habe immer nur dumme Menschen gefunden. Das muss wohl bedeuten, dass alle Menschen auf der Welt so dumm sind. Da brauche ich mich also nicht über meine Eltern zu wundern, wenn sie auch so närrisch sind! Und als er so ging und alles bedachte, kam er zu dem Schluss, dass es keinen Zweck hat, in der Welt herumzuirren. Das Beste ist, nach Hause zu gehen.
Und so tat er denn auch. Und als er zu seinen Eltern heimgekommen war, da gehorchte er ihnen und war gut zu ihnen. So sagt man denn auch: »In der Fremde lebt sich's gut, aber zu Hause am besten!«