[swahili, "Geschichte, Legende"]

Jarty-gulak in der Tschaichana

Als der Winter kam und kalte Winde durch die Wüste trieben, versammelten sich die Daichane immer öfter in der alten Tschaichana am Rand des Auls. Bis spät in den Abend erklangen Lachen und Scherze. Bis spät in den Abend saßen die Alten, ums Feuer gedrängt, und führten gemächliche Reden. Was alles erzählten diese Menschen einander, die in ihrem langen Leben viel gesehen und weit herumgekommen waren! Was für herrliche Lieder sangen die Jünglinge zum Klang des süßen Dutars! Und je schöner die Lieder, je länger die Erzählungen waren, umso länger glomm das Feuer im Herd, umso mehr Tee ließen sich die Gäste einschenken. Der fröhliche Wirt der Tschaichana konnte gar nicht so rasch die Teekännchen mit dem würzigen Getränk und die Tabletts mit den Pialen bringen. Draußen stürmte wütend der Wind, auf den Pialen aber blühten Mohn und Rosen, die kunstfertige Hände gemalt hatten. Nicht von ungefähr lautet eine alte Weisheit: Betrachte eine Blume, und sie erwärmt dein Herz! Und eine andere Weisheit lehrt: Das Feuer erwärmt die Hände, das Gespräch erwärmt die Herzen! Es gab keinen, der an der Tschaichana vorbeikam und nicht in den warmen Raum getreten wäre, um mit Freunden eine Piale grünen Tee zu leeren.

Wenn Jarty-gulaks Vater in die Tschaichana ging, nahm er häufig seinen kleinen Sohn mit. Jarty hielt sich zu gern hier auf: Er kletterte auf den hohen Telpek seines Vaters und lauschte den Liedern der Jünglinge und den Erzählungen der Alten. Doch am liebsten hatte es Jarty, wenn sich in der Tschaichana die berühmten Possenreißer einfanden. Sie kamen aus allen Aulen von weit her und wetteiferten mit Scherzen und spaßigen Geschichten. Da konnte man Sachen hören! Der Knirps kuschelte sich ins weiche Fell und lachte Tränen über die Einfälle dieser Spaßvögel. Unter ihnen waren zuweilen Meister, die einen Abend lang ausschließlich in Sprichwörtern und Rätseln zu reden vermochten. Ach, wie gern hätte Jarty-gulak seine Kräfte in diesem heiteren Wettstreit gemessen! Doch der Vater pflegte den Knaben zu ermahnen: »Bedenke stets, Jungchen, Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! Wenn du jung bist, höre zu und störe die Alten nicht bei ihrem Gespräch. Sei dankbar, wenn du weise Reden vernimmst.« So sprach der Vater, doch Jarty war nicht der Knabe, der lange seine Zunge im Zaum zu halten vermochte. Das musste er eines Tages büßen.

Einmal verschlug der Schneesturm einen reichen Kaufherrn mit seinen Dienern just in diese Tschaichana. Der wohlriechende Reiche ließ sich am Herdfeuer nieder, glättete seinen hennagefärbten roten Bart und hörte spöttisch die Reden der Daichane an. Zu seinem Erstaunen bemerkte er bald, dass sich in der Tschaichana Menschen eingefunden hatten, die einen guten Scherz zu schätzen wussten. Feinsinnige Wortspiele flogen wie kleine Vögel durch die Luft und trafen den Gegner mal in die Braue, mal ins Auge. Bald begannen sie auch den Kaufherrn mit seinem gefärbten Bart zu streifen. Der beschloss, sich von seiner besten Seite zu zeigen, auf dass man ihn im Aul noch lange in Erinnerung behielte. Er erhob sich und sprach: »He, Daichane! Ich sehe, ihr habt spitze Zungen und seid nicht auf den Mund gefallen. Ohne euch schmeicheln zu wollen, kann ich euch sagen, dass gar Aldar-Kosse, der berühmte Possenreißer und Witzbold, seine Freude an so einem geistreichen Wortwechsel hätte. Doch ich möchte schwören und wette zehn goldene gegen eine kupferne Tanga, dass es keinem von euch gelingt, meinen Diener Aman den Fröhlichen zu überbieten!«

Alle verstummten, denn der Name Aman der Fröhliche war weit und breit in Turkmenistan bekannt, von den Merwa-Gärten bis zum blauen Aralsee. Es war ein Witzbold, den in der Tat keiner zu überbieten vermochte! Deshalb fürchteten alle, den Mund aufzutun und durch ein unvorsichtiges Wort die Ehre des heimatlichen Auls zu beflecken. Als der rotbärtige Kaufherr sah, dass alle schwiegen, begann er sich über die Daichane zu mokieren: »Was versteckt ihr euch wie die Küken vor dem Geier? Oder haben euch meine Worte die Zunge verbrannt?« Keiner beantwortete diesen frechen Scherz.

Jarty aber konnte nicht länger an sich halten und beschloss, den Seinen aus der Verlegenheit zu helfen. Er dachte bei sich: Wenn ich diese Gelegenheit nicht nutze, werde ich lange auf eine andere warten müssen. Heute kann ich mir weit und breit Ruhm erwerben. Er richtete sich zu voller Größe auf des Vaters Fellmütze auf und rief, so laut er konnte: »Wenn Aman der Fröhliche unter euch ist, so gibt es auch in unserem Aul wackre Gesellen, die nicht langweiliger sind als euer Aman! Wenn in eurem Garten eine Rose blüht, blühen in unserem Garten Nelken.« Da trat der schwarzbärtige Aman vor, stemmte die Hände in die Hüften und sagte spöttisch zu dem Knaben: »Disteln klammern sich auch an Gartenblumen fest!« Alle lachten über den Scherz. »Wenn die Sonne wärmt, blühen auch die Disteln!« krähte Jarty. Er hatte den Kampf aufgenommen. Aman schnitt ihm jedoch das Wort ab: »Die Ameise hat einen weiten Weg bis zur Sonne!« Das war eine deutliche Anspielung auf des Gegners kleinen Wuchs. Jarty blieb die Antwort nicht schuldig. »Den Langen erreicht der Verstand später!« piepste der Knirps, und alle Versammelten brachen in einträchtiges Gelächter aus und klatschten so laut in die Hände, dass Aman errötete.

Doch der gab nicht auf. »He, du Knirps! Wisse mehr und schwatze weniger!« rief er dem Knaben zornig zu. Statt einer Antwort überschüttete Jarty den Gegner förmlich mit Sprichwörtern: »Das Wort ist kein Stein, doch es vermag einen Kopf zu zertrümmern! Das Schilfrohr ist zwar dünn, doch es sticht schmerzhaft.« Aman wusste nicht, wie ihm geschah. Er musste sich jetzt allen Ernstes des kleinen scharfzüngigen Wichtes erwehren: »Die Ziege meckert zwar, doch bedenke, das Wasser fließt!« Jarty wollte den Gegner um alles auf der Welt mundtot machen. Drum rief er überlaut durch die Tschaichana: »Haha! Die Schlange liebt keine Minze, dabei wächst das Kraut vor ihrem Haus!«

Aman hatte sich schon wieder gefangen und schleuderte dem Knaben lachend seine Antwort entgegen: »Der Dummkopf versteht keine fremde Weisheit zu schätzen!« Das war nun wirklich zuviel! Jarty hatte nicht die Absicht, den Dummköpfen zugerechnet zu werden. Er wollte das letzte Wort behalten. Der Zwiebelverkäufer kennt den Preis des Knoblauchs, wollte er gerade sagen, doch statt des lauten Rufs kam ihm nur ein klägliches Piepsen über die Lippen, das dem Tschilpen der Küken glich: Seine Stimme war versiegt wie das Wasser im Brunnen. Er öffnete den Mund, konnte aber kein Wort mehr hervorbringen. Da merkte Jarty, dass er viel zuviel geredet hatte und nun heiser war. Aman lachte: »Es steht schlecht um dich! Meine Scherze sind dir scheint's im Halse stecken geblieben!« Auch der rotbärtige Kaufherr lachte, und seine Diener stimmten lauthals ein. Der arme Jarty griff sich vor Scham und Schmerz an seine schwarzen Zöpfchen und begann bitterlich zu weinen. Er war besiegt.

Doch da ertönte aus einem fernen Winkel der Tschaichana die Stimme eines Greises: »Wer seinen Sieg zu früh feiert, verliert die Schlacht!« Sogleich kam ihm ein Zweiter zu Hilfe: »Lobe dich nie selbst, lass das lieber die anderen besorgen!« Und der Dritte fügte hinzu: »Streife nie die Stiefel ab, bevor du Wasser siehst!« Auch Jarty-gulaks Vater schwieg nicht: »Lache nie über deinen Nachbarn in der Not, auch dich erwartet der Tod!« Der dicke Wirt der Tschaichana drohte vor Lachen zu ersticken, als er den Streit mit folgendem Ausruf beendete: »Zähle lieber die Löcher in deinen eigenen Kleidern als die Flöhe auf einem fremden Hund!« Die Daichane waren so in Feuer geraten, dass der berühmte Spaßmacher überhaupt nicht mehr zu Worte kam. Aman schwieg. Den Kaufherrn packte die Wut, und er begann seinen Diener, der ihm vor allem Volk Schande bereitet hatte, unflätig zu beschimpfen.

Doch was geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen: Der Witzbold, der zur Zielscheibe des Spottes geworden war, verbarg sein Gesicht in der Fellmütze und floh aus der Tschaichana. Der Kaufherr wollte ihm nacheilen, doch die Daichane packten ihn am Saum seines samtenen Chalats: »Halt, Reicher!« riefen sie. »Einem Betrüger brennt der Bart ab! So lautet doch wohl das Sprichwort? Gib uns erst die versprochenen zehn Goldmünzen, alsdann kannst du in den Nachtfrost fliehen, wenn es dir an unserem Herd zu heiß geworden ist.« Der Kaufherr warf seine Geldbörse auf den Lehmboden der Tschaichana und folgte seinem Diener. Die Daichane zählten das Geld und beschlossen, für die zehn Goldtangas, die sie vom Kaufherrn erhalten hatten, einen neuen Aryk im Aul anzulegen, damit jeder Daichan zwei oder drei Bäume an seinem Duwal pflanzen könnte. Alle waren sehr zufrieden mit dieser Entscheidung und machten sich auf den Heimweg.

Auch Jarty-gulak und sein alter Vater begaben sich heim. Am kalten Himmel leuchtete der Vollmond, und von seinem bläulichen Glanz wurde es Jarty-gulak noch kälter ums Herz. Der Vater schwieg, und Jarty schwieg. Er wusste, dass sein Vater verärgert war. So schwiegen sie beide, bis sie zu Hause ankamen. Als der Alte in die Kibitka eingetreten war, nahm er seinen Sohn aus der zottigen Fellmütze, setzte ihn sich auf den Handteller, schüttelte betrübt den Kopf und sagte tadelnd: »Ach, Jarty, Jarty! Hast dich heute an viele Sprichwörter und Volksweisheiten erinnert, doch das wichtigste hast du vergessen: Den Greis ziert Weisheit, den Jüngling Bescheidenheit. Morgen gehst du und dankst unsren guten Nachbarn, weil sie dir in der Not beigestanden und nicht zugelassen haben, dass vor den Augen des hoffärtigen Kaufherrn die Ehre unsres Auls beleidigt wird.« Also sprach der Vater, Jarty aber schwieg. Er konnte nichts mehr sagen.