[swahili, "Geschichte, Legende"]

Märchen aus tausend und einer Nacht Geschichte des Königs Ibrahim und seines Sohnes

O König, es war einmal ein Sultan, welcher Ibrahim hieß, und dem andere Könige untertan waren. Er war aber doch betrübt, denn er hatte keinen Sohn und fürchtete, sein Reich möchte an einen Fremden übergehen. Er kaufte stets neue Sklavinnen, bis ihm endlich ein Sohn geboren wurde, worüber er sich so sehr freute, dass er einen jeden, der ihn zu beglückwünschen kam, reichlich beschenkte. Als aber die Sterndeuter ihre Berechnungen machten, um den Stern des Prinzen zu finden, fuhren sie zusammen und wurden ganz blass. Da sagte ihnen der König: »Ihr habt nichts zu fürchten, offenbart mir nur die Wahrheit, wie sie sich auch gestalten mag.« Sie erwiderten: »Wir haben gesehen, dass er im siebenten Jahre in Gefahr sein wird, von einem Löwen zerrissen zu werden; entgeht er dieser Gefahr aber, so wird noch etwas Schlimmeres eintreffend - »Was denn?« fragte der König. Sie antworteten: »Wir werden es nicht sagen, bis uns der König es befiehlt und uns nochmals verbürgt, dass wir nichts zu fürchten haben.« Als der König darauf bestand, alles wissen zu wollen, fuhren sie fort: »Wenn er dem Löwen entkommt, wird der König durch ihn ums Leben kommen.«

Der König erblasste und erschrak einen Augenblick, dann dachte er: Ich werde schon dafür sorgen, dass weder ein Löwe meinen Sohn zerreiße, noch er mich umbringe; die Sterndeuter lügen immer. Indessen konnte er sich doch die Worte der Sterndeuter nicht ganz aus dem Kopfe schlagen, und führte ein trübes Leben. Er ließ aus Vorsicht in einem Berge eine große Höhle mit vielen Gemächern graben, füllte sie mit allen nötigen Speisen und Kleidern und anderen Gegenständen, leitete Wasser vom Berge hinunter, und ließ den Prinzen mit seiner Amme dahin bringen. Jeden Monat ging der König mit einem Seile zur Höhle und zog seinen Sohn daran herauf, küsste und drückte ihn und spielte eine Weile mit ihm, dann ließ er ihn wieder hinunter und beschloss, so fortzufahren, bis die sieben Jahre vorüber sein würden, Als aber die Zeit kam, in welcher das Urteil auf der Stirne geschrieben stand - es fehlten nur noch zehn Tage zu den sieben Jahren - da führte die Bestimmung Jäger auf diesen Berg, die einen Löwen verfolgten, welcher, als er sich von allen Seiten umringt sah, in die Höhle sprang. Sobald die Amme den Löwen sah, entfloh sie in ein Nebenzimmer; der Löwe ging auf den Prinzen los und verwundete ihn an der Schulter, lief dann ins Zimmer, wo die Amme war, und zerriss sie, den Prinzen aber ließ er ohnmächtig liegen. Als die Jäger den Löwen in der Höhle wussten, stellten sie sich an die Öffnung derselben; da hörten sie das Geschrei der Amme und des Prinzen, nach einer Weile aber war alles still, so dass sie dachten: Der Löwe hat sie getötet. Sie blieben aber doch vor der Höhle stehen, und sooft der Uwe hinaufklettern wollte, warfen sie mit Steinen nach ihm, bis sie ihn zu Boden sinken sahen; dann stieg einer hinunter und tötete ihn. Da fand der Jäger den verwundeten Prinzen, und im Nebenzimmer die tote Amme, an der sich der Löwe schon satt gegessen hatte. Er sah auch die verschiedenen Vorräte, die in der Höhle waren, benachrichtigte seine Gefährten davon und reichte sie ihnen hinauf; zuletzt nahm er auch den Prinzen aus der Höhle und trug ihn in sein Haus, pflegte seine Wunde und behielt ihn bei sich, denn er wusste nicht, wem er angehörte. Auch konnte der Prinz auf seine Fragen nicht antworten, weil er noch ganz klein war, als er in die Höhle getragen wurde. Der Jäger gewann bald den Prinzen sehr lieb und nahm ihn als sein Kind an, führte ihn mit sich auf die Jagd und lehrte ihn reiten. Der Prinz war in seinem zwölften Jahre schon ein wackerer Jäger; übte aber dabei auch Straßenraub. Einst Schloss er sich einer Räuberbande an, die in der Nacht eine bewaffnete Karawane überfiel. Es wurde lange gekämpft, aber die Karawane siegte endlich und erschlug viele Räuber, und auch der Prinz fiel verwundet zu Boden. Als er des Morgens die Augen öffnete und alle seine Kameraden tot fand, wollte er sich aufmachen und entfliehen. Da begegnete ihm ein Mann, der einen Schatz suchte und frage ihn: wohin er wolle? Als ihm der Prinz erzählte, was ihm widerfahren, sagte der Mann: »Sei nur zufrieden, dein Glücksstern ist aufgegangen, Gott bringt dir Hilfe durch mich; ich habe einen reichen Schatz, komm mit und hilf mir, ich will dir so viel Geld geben, dass du dein ganzes Leben genug daran haben sollst.« Er nahm ihn dann mit in sein Haus und pflegte seine Wunde, bis er ganz hergestellt war.

Sobald der Prinz genesen war, ließ der Mann zwei Kamele mit allerlei Proviant beladen, und machte sich mit dem Prinzen auf den Weg, bis sie an einen hohen Berg kamen. Da zog der Mann ein Buch hervor und las darin; grub dann ungefähr fünf Schuh tief in den Berg, bis er auf einen großen Stein stieß; diesen hob er weg, und es zeigte sich die Öffnung einer Höhle. Er wartete ein wenig, bis der Dunst herausgestiegen war, dann band er dem Prinzen einen Strick um die Hüften und ließ ihn hinunter mit einer brennenden Kerze in der Hand. Als der Prinz in der Höhle war, ließ der Mann einen Korb mit einem Strick hinunter, der Prinz füllte ihn mit Gold, und der Alte zog ihn hinauf, leerte ihn, reichte ihn dann dem Prinzen wieder, bis er genug hatte und die Lasttiere beladen waren. Als aber dann der Prinz wieder einen Strick erwartete, um daran heraufgezogen zu werden, legte der Mann einen großen Stein vor die Öffnung der Höhle und ging fort. Der Prinz wusste nicht, was er anfangen sollte, und dachte: Was ist das für ein bitterer Tod; ich bin der ersten Grube und den Dieben entronnen, nun muss ich hier den Hungertod erwarten.

Während er so verzweifelt dastand, hörte er das Rauschen eines Wassers; er ging dem Geräusche nach, und je näher er der einen Ecke der Höhle kam, um so stärker wurde das Rauschen des Wassers; da dachte er: Hier fließt ein mächtiger Strom, sterben muss ich doch hier, ob morgen oder heute, ich will mich lieber in dies Wasser stürzen, als in der Höhle vor Hunger umkommen. Er warf sich hierauf ins Wasser und es trug ihn unter der Erde fort in ein tiefes Tal, wo es als ein großer Strom aus der Erde entspringt, und der Prinz befand sich wieder auf der Oberfläche der Erde.

Der Prinz schwamm ans Ufer, dankte Gott für seine Rettung und ging in diesem Tale vor sich hin, bis er in ein Städtchen kam, das unter seines Vaters Botmäßigkeit stand. Mit Erstaunen hörten die Bewohner dieses Städtchens, auf welchem wunderbaren Wege ein Fremder bei ihnen angelangt. Ein jeder begab sich zu ihm und ließ sich von ihm erzählen und bot ihm sein Haus an, so dass der Prinz gern in diesem Städtchen wohnen blieb.

Das ist's, was den Prinzen angeht; was aber seinen Vater betrifft, so war dieser, wie gewöhnlich, nach einem Monate wieder zur Höhle gereist; als er aber die Amme rief und keine Antwort erhielt, ließ er einen Mann hinunter, und dieser berichtete dem König, wie es in der Höhle aussah. Der König schlug sich ins Gesicht, weinte heftig und ging selbst in die Höhle, um alles zu sehen; und als er die Amme zerrissen neben einem toten Löwen fand, seinen Sohn aber nirgends sah, ging er wieder nach Hause und sagte den Sterndeutern, sie haben ihm die Wahrheit prophezeit: »Und nun ist dein Leben außer Gefahr; denn wäre er dem Löwen entronnen, so müsstest du, bei Gott, durch ihn umkommen.« Der König tröstete sich hierdurch, und dachte bald nicht mehr an seinen Sohn. Als aber Gott seinen unwiderruflichen Befehl vollzogen haben wollte, ging der Prinz, der in jenem Städtchen geblieben war, auf Straßenraub aus, und machte mit seiner Bande die Straßen so unsicher, dass man den Schutz des Königs gegen ihn anrief. Der König zog mit seinen Truppen aus und umzingelte die Räuber. Aber diese verteidigten sich, und der Prinz schoss einen Pfeil auf den König ab, der ihn tödlich verwundete. Indessen wurde doch der Prinz mit seiner ganzen Bande gefangen und vor den König geführt. Als man diesen fragte, wie man mit den Räubern verfahren solle, antwortete er: »Ich bin jetzt zu leidend, um ein Urteil zu fällen, ruft mir die Sterndeuter!« Als sie erschienen, sagte ihnen der König: »Ihr habt mir prophezeit, ich werde durch meinen Sohn umkommen; wie kommt's, dass ich nun auf diese Weise sterbe?« Sie antworteten: »Unsere von Gott uns eingegebene Wissenschaft trügt nicht; wer weiß, ob nicht dein eigener Sohn dich verwundet hat?« Als der König dies hörte, ließ er die Räuber vor sich kommen und sagte ihnen: »Gestehet mir die Wahrheit; wer von euch hat den Pfeil abgeschossen, der mich getroffen hat?« Sie antworteten: »Dieser Junge da«, und deuteten auf den Prinzen, Der König sagte diesem: »Erzähle mir, wer du bist und wer dein Vater war, ich begnadige dann dich und alle deine Kameraden.« Der Prinz antwortete: »Mein Herr, ich kenne meinen Vater nicht, ich weiß nur, dass er mich in eine Höhle mit einer Amme gesperrt hat; eines Tages fiel ein Löwe über uns her, verwundete mich an der Schulter und zerriss die Amme. Gott schickte mir aber jemanden, der mich aus der Höhle befreite und als Jäger und Räuber erzog.« Um den König von der Wahrheit seiner Aussage zu überzeugen. entblößte der Prinz seine Schulter, an der noch der biss des Löwen zu sehen war.

Der König ließ seine Freunde, die Sterndeuter und alle seine Offiziere zusammenkommen und sagte ihnen: »Wisset, dass, was Gott einem auf die Stirn geschrieben, es sei ein Glück oder Unglück, das von niemandem geändert werden kann; alle mein Vorsicht war vergebens, dieser Jüngling hier ist mein Sohn; er musste erleiden, was für ihn bestimmt, und auch mich traf, was über mich verhängt war. Ich danke Gott, dass ich durch meinen Sohn und nicht durch einen Fremden falle, und dass mein Reich in die Hand meines Sohnes übergeht.« Er drückte dann seinen Sohn an sich, umarmte und küsste ihn und sagte: »Mein Sohn, ich habe dich aus Vorsicht gegen die Bestimmung in jene Höhle gebracht, aber meine Vorsicht war vergebens.« Er nahm dann seine Krone und setzte sie ihm auf den Kopf, und alle Anwesenden huldigten dem Prinzen. Dann empfahl ihm der König, gerecht gegen seine Untertanen zu sein, und starb noch in derselben Nacht.

»So weiß auch ich«, sagte der Jüngling zum König, »dass, was Gott auf meine Stirne geschrieben hat, eintreffen muss, und alle meine Worte vermögen nichts dagegen; will aber Gott mich retten, so verschafft er mir den Sieg gegen die Wesire, wenn sie sich noch so viele Mühe geben, mich zu verderbend Als der König dies hörte. blieb er wieder unentschlossen und ließ den Jüngling abermals ins Gefängnis zurückbringen.

Am zehnten Tage, welcher der Festtag war, an dem alle Leute dem König ihre Glückwünsche darbrachten, gingen die Wesire zu einigen Häuptern der Stadt und sagten ihnen: »Wenn ihr heute dem König eure Aufwartung machet, so sagt ihm: O König, du hast einen lobenswerten Lebenswandel und bist gerecht gegen alle deine Untertanen, aber warum lässt du den verworfenen Jüngling leben, der nach so vielen empfangenen Wohltaten doch so hässlich und seinem Ursprung gemäß gehandelt hat? Wie lange willst du noch wegen seiner listigen Reden ihn in deinem Palast eingesperrt lassen? Du weißt nicht, was die Leute sagen; wir bitten dich, bringe ihn um und schaffe dir Ruhe vor ihm.« Die Häupter der Stadt versprachen den Wesiren ihren Beistand und gingen mit den übrigen Leuten zum König, verbeugten sich vor ihm und gratulierten ihm. Während aber alle Leute gleich nach dem Gruße weggingen, blieben diese sitzen. Als der König merkte, dass sie ihm etwas mitzuteilen hatten, sagte er ihnen in Gegenwart der Wesire: »Tragt mir eure Angelegenheit vor.« Da sprachen sie, wie es die Wesire gewünscht hatten, und die Wesire unterstützten noch ihre Worte: Aber der König antwortete: »Ich zweifle nicht, dass ihr mir diesen Rat aus Liebe zu mir erteilet, doch Wisst ihr, dass, wenn ich wollte, ich mächtig genug wäre, um die Hälfte meines Volks hinrichten zu lassen, um wie viel mehr einen jungen Mann, der in einem Gefängnis schmachtet und ein Verbrechen begangen hat, das den Tod verdient. Ich verschiebe nur seinen Tod, weil ich stärkere Beweise seiner Schuld haben möchte, um mein Gewissen zu beruhigen und das Vertrauen meiner Untertanen zu erhalten; wenn ich ihn auch heute verschone, so entgeht mir sein Tod doch morgen nicht.« Er ließ den Jüngling wieder rufen und sagte ihm: »Wehe dir! Wie lange werden mich die Leute noch um deinetwillen tadeln? Sogar die Häupter der Stadt machen mir Vorwürfe, dass ich dich so lange leben lasse, drum will ich heute dein Blut vergießen, um dem Gerede ein Ende zu machen.« Der Jüngling sagte: »O König, bei Gott! Wenn die Leute in der Stadt von mir sprechen, so sind nur die bösen Wesire daran schuld, welche ihnen abscheuliche Dinge aus dem königlichen Palast erzählen; Gott wird ihre List gegen sie selbst wenden. Was aber deine Drohung, mich zu töten, angeht, so stehe ich ja in deiner Macht, du brauchst meinen Tod gar nicht so zu Herzen zu nehmen; ich bin ja wie der Spatz in der Hand eines Jägers, den er nach Willen schlachten oder freilassen kann; das Verschieben meines Todes geschieht aber nicht durch dich, sondern durch den, der über mein Leben gebietet; wollte Gott meinen Tod, es stünde nicht in deiner Macht, ihn nur um eine Stunde zu verspäten. Der Mensch kann kein Unheil, das ihm bestimmt ist, von sich abwenden; so nützten auch dem Sohne des Königs Suleiman Schah alle seine Anschläge nichts gegen das Kind, das Gott erhalten wollte, bis es seine bestimmte Lebenszeit erreicht hatte.« Der König sagte: »Wehe dir, wie mächtig ist deine List! Erzähle mir diese Geschichte noch!« Da sprach der Jüngling: Geschichte des Schah Suleiman, seiner Söhne und Nichte und ihrer Kinder