[swahili, "Geschichte, Legende"]

Märchen aus tausend und einer Nacht Geschichte des blinden Baba Abdallah

Beherrscher der Gläubigen - fuhr Abdallah fort - ich wurde zu Bagdad geboren, und mein Vater und meine Mutter, die beide hintereinander sehr schnell starben, hinterließen mir ein kleines Vermögen. Obwohl ich noch nicht viele Jahre zählte, so verschwendete ich es doch nicht, wie so häufig junge Leute tun, mit unnützem Aufwand und in Ausschweifungen, sondern gab mir im Gegenteil alle Mühe, es durch meinen Fleiß zu vermehren, und sann Tag und Nacht über die Mittel dazu nach. Auf diese Weise wurde ich endlich so reich, dass ich achtzig Kamele besaß, die ich an Karawanen-Kaufleute vermietete, und die mir bei jeder Reise, welche ich mit ihnen nach den verschiedenen Provinzen deines großen Reiches machte, große Summen eintrugen.

Eines Tages, als ich während der Blüte meines Glücks, und verzehrt von gewaltigem Verlangen, noch reicher zu werden, von Basrah leer mit meinen Kamelen zurückkehrte, die auf dem Hinwege mit Waren nach Indien bepackt gewesen waren, und sie in einer menschenleeren Gegend, wo ich gute Weide fand, grasen ließ, kam ein Derwisch, der zu Fuß nach Basrah reist, auf mich zu und setzte sich neben mich, um auszuruhen, Ich fragte ihn, woher und wohin; er richtete dieselben Fragen an mich, und nachdem wir gegenseitig unsere Neugierde befriedigt hatten, teilten wir unsern Mundvorrat miteinander und hielten ein gemeinschaftliches Mahl.

Während der Mahlzeit unterhielten wir uns im Anfang von allerhand gleichgültigen Dingen; endlich aber sagte der Derwisch, er wisse unweit von unserem Ruheplatz einen Schatz von so unermesslichen Reichtümern, dass, wenn ich auch so viel Gold und Edelsteine davon nehmen würde, als meine achtzig Kamele zu tragen vermöchten, man ihm doch beinahe keine Verminderung ansehen könnte.

Diese gute Nachricht überraschte und erfreute mich dermaßen, dass ich kaum meiner Sinne mächtig war. Da ich nicht glaubte, dass der Derwisch mich zum besten halten könne, so warf ich mich an seinen Hals und sagte zu ihm. »Guter Derwisch, ich sehe wohl, dass du dich wenig um die Güter dieser Erde bekümmerst. Wozu kann dir also die Kenntnis von einem solchen Schatze nützen? Du bist allein und kannst nur sehr wenig fortschaffen; zeige mir daher, wo er liegt, so will ich meine achtzig Kamele damit beladen und dir selbst eines davon schenken zum Dank für deine Freundschaft und das Vergnügen, das du mir bereitet hast.«

Dies war freilich ein sehr schlechtes Angebot, allein der Teufel des Geizes war in dem Augenblick, wo er mir von dem Schatze sagte, in mein Herz gefahren, so dass ich ihm viel zu versprechen glaubte, und die neunundsiebenzig Kamellasten, die mir noch übrig blieben, mir beinahe wie nichts schienen im Vergleich zu derjenigen, die ich abgeben und ihm überlassen sollte.

Der Derwisch, der meine leidenschaftliche Geldgier merkte, ärgerte sich nicht über das unanständige Anerbieten, das ich ihm gemacht hatte. »Mein Bruder«, sagte er mit großer Gemütsruhe zu mir, »du siehst selbst, dass dein Angebot zu dein Dienste, den du von mir verlangst, in keinem Verhältnis steht, Ich hätte ja auch von dem Schatze ganz schweigen und mein Geheimnis für mich behalten können. Was ich dir indes aus freien Stücken mitgeteilt habe, magst du als einen Beweis ansehen, wie geneigt ich bin, dir einen Gefallen zu erweisen und mir durch Gründung deines und meines Glücks ein ewiges Andenken bei dir zu stiften. Ich will dir nun einen anderen gerechten und billigeren Vorschlag machen; du magst sehen, ob er dir genehm ist.

»Du sagst«, fuhr der Derwisch fort, »du habest achtzig Kamele. Ich bin bereit, dich zu dem Schatze zu führen und dieselben dort mit so viel Gold und Edelsteinen zu beladen, als sie nur tragen können; allein wenn wir sie gehörig bepackt haben, so musst du mir die Hälfte davon nebst ihrer Last abtreten und dich mit der anderen Hälfte begnügen; dann wollen wir uns voneinander trennen und jeder mag mit dem Seinigen ziehen, wohin er will. Du siehst, dass diese Teilung ganz der Billigkeit angemessen ist; denn wenn du mir vierzig Kamele schenkst, so verschaffe ich dir so viel Geld, dass du dir tausend andere dafür kaufen kannst.«

Ich konnte nicht leugnen, dass die Bedingung, die mir der Derwisch stellte, sehr billig war. Ohne jedoch die großen Reichtümer zu bedenken, die ich durch Annahme derselben erwerben konnte, betrachtete ich die Abtretung der Hälfte meiner Kamele als einen großen Verlust und konnte mich besonders mit dem Gedanken nicht befreunden, dass der Derwisch dann ebenso reich sein solle, wie ich. Kurz, ich belohnte schon zum voraus eine rein freiwillige Wohltat, die ich von dem Derwisch noch nicht einmal empfangen hatte, mit Undank. Allein ich hatte nicht lange Zeit, zu überlegen: Entweder musste ich die Bedingung eingehen oder mich entschließen, mein ganzes Leben lang Reue zu empfinden, dass ich eine so günstige Gelegenheit, mir ein so bedeutendes Vermögen zu erwerben, durch eigene Schuld hinausgelassen habe.

Ich trieb also augenblicklich meine Kamele zusammen, und wir zogen miteinander fort. Nach einiger Zeit gelangten wir in ein sehr geräumiges Tal, das aber einen sehr schmalen Eingang hatte. Meine Kamele konnten bloß einzeln hintereinander hindurchgehen; sobald aber die Gegend sich erweiterte, war es wieder möglich, sie in der besten Ordnung zusammen zu halten. Die beiden Berge, die das Tal bildeten und es hinten in einem Halbkreis schlossen, waren so hoch, steil und unzugänglich, dass wir nicht zu befürchten hatten, es möchte uns irgend ein Sterblicher hier sehen.

Als wir zwischen diesen Bergen angekommen waren, sagte der Derwisch zu mir: »Wir wollen jetzt nicht weiter vorwärts ziehen, halte du deine Kamele an und lasse sie auf dem Platze, den du da vor dir siehst, sich auf den Bauch niederlegen, damit wir sie ohne Mühe bepacken können; ich will dann sogleich zur Öffnung des Schatzes schreiten.«

Ich tat, was der Derwisch mir gesagt hatte, und eilte ihm dann nach. Als ich zu ihm kam, hatte er ein Feuerzeug in der Hand und trug eben einiges dürres Holz zusammen, um Feuer anzumachen. Sobald dies geschehen war, warf er etwas Räucherwerk hinein und sprach einige Worte dazu, die ich nicht verstand. Alsbald erhob sich ein dicker Rauch in der Luft. Er zerteilte diesen Rauch, und in demselben Augenblick entstand in dem Felsen, der zwischen den beiden Bergen in senkrechter Linie sehr hoch emporstieg und durchaus keine Spur von einer Öffnung zu haben schien, dennoch eine sehr große in Gestalt eines Tores mit zwei Torflügeln, das mit bewundernswürdiger Kunst in den Felsen hineingearbeitet und aus demselben Steine war.

Diese Öffnung zeigte unseren Augen in einer großen in den Felsen gehauenen Vertiefung einen prächtigen Palast, der nicht sowohl von Menschenhänden als vielmehr von Geistern erbaut zu sein schien, denn es war unmöglich, dass Menschen ein so kühnes und erstaunenswürdiges Unternehmen auch nur hätten denken sollen.

Aber, Beherrscher der Gläubigen, diese Bemerkung mache ich erst jetzt, da ich vor dir stehe; damals fiel sie mir nicht ein. Ja, ich bewunderte nicht einmal die unermesslichen Reichtümer, die ich auf allen Seiten erblickte, und ohne die kluge und zweckmäßige Anordnung aller dieser Schätze lange zu betrachten, stürzte ich mich, wie der Adler auf seine Beute herabschießt, auf den ersten besten Haufen von Goldstücken, den ich zunächst vor mir sah, und fing an, so viel ich fortschaffen zu können glaubte, in einen Sack zu werfen, deren die Menge dalagen. Die Säcke waren groß und ich hätte sie gern bis oben gefüllt, allein ich musste sie doch mit den Kräften meiner Kamele in einiges Verhältnis bringen.

Der Derwisch machte es ebenso, wie ich, doch bemerkte ich, dass er sich mehr an die Edelsteine hielt; als er mir nun den Grund auseinandersetzte, folgte ich seinem Beispiel, und wir nahmen weit mehr Edelsteine von verschiedenen Arten mit, als gemünztes Gold. Kurz und gut, wir füllten endlich alle unsere Säcke und luden sie den Kamelen auf. Es blieb uns jetzt nichts weiter übrig, als den Schatz wieder zu verschließen und uns wieder auf den Rückweg zu begeben.

Ehe wir uns aufmachten, ging der Derwisch noch einmal in das Schatzgewölbe hinein, allwo sich eine Menge kunstreich gearbeiteter Vasen aus Gold und anderen kostbaren Stoffen befanden, und ich bemerkte, dass er aus einer dieser Vasen eine kleine Büchse von einem mir unbekannten Holze herauszog und in seinen Busen steckte; doch hatte er mir zuvor gezeigt, dass weiter nichts darin war, als eine Art Haarsalbe.

Der Derwisch verrichtete hierauf dieselbe Zeremonie, um den Schatz zu verschließen, wie bei der Öffnung desselben, und nachdem er gewisse Worte gesprochen, Schloss sich das Schatzgewölbe und der Fels erschien uns wieder ganz wie zuvor.

Wir ließen nun die Kamele mit ihren Lasten aufstehen und teilten sie unter uns. Ich stellte noch an die Spitze der vierzig, die ich mir vorbehalten, und der Derwisch an die Spitze der übrigen, die ich ihm abgetreten hatte.

So zogen wir wieder durch den engen Weg hindurch, auf dem wir Ins Tal hereingekommen waren, und dann weiter miteinander bis auf die große Heerstraße, wo wir uns trennen wollten; der Derwisch, um seine Reise nach Basrah fortzusetzen, ich, um nach Bagdad zurückzukehren. Ich dankte ihm mit den stärksten Ausdrücken für seine Wohltat, dass er gerade mich gewählt habe, um an diesen ungeheuren Reichtümern teilzunehmen; hierauf umarmten wir uns recht herzlich, sagten einander Lebewohl und zogen, jeder seine Straße, weiter. Kaum aber hatte ich einige Schritte getan, um meine Kamele, die indes auf dem ihnen angewiesenen Wege vorausgegangen waren, wieder einzuholen, als sich der Teufel des Neides und des Undanks meines Herzens bemächtigte; ich konnte den Verlust meiner vierzig Kamele und noch mehr die Reichtümer, womit sie beladen waren, nicht verschmerzen. »Der Derwisch«, sagte ich bei mir selbst, »braucht diese Reichtümer alle nicht; er kann ja über den Schatz verfügen und sich holen, so viel er will.« So hörte ich denn auf die Einflüsterungen des schwärzesten Undankes und entschloss mich, ihm seine Kamele mit ihrer Ladung wieder zu nehmen.

Um meinen Plan ausführen zu können, ließ ich vor allem meine Kamele anhalten und lief dann hinter dem Derwisch her, rief seinen Namen, so laut ich konnte, wie wenn ich ihm noch etwas zu sagen hätte, und gab ihm ein Zeichen, dass er seine Kamele auch anhalten und mich erwarten solle. Er hörte mein Geschrei und blieb stehen.

Als ich ihn eingeholt hatte, sagte ich zu ihm: »Mein Bruder, kaum hatte ich dich verlassen, so fiel mir etwas ein, an was ich zuvor nicht gedacht hatte, und du vielleicht ebenso wenig. Du bist ein frommer Derwisch und an ein ruhiges Leben gewöhnt, frei von allen Sorgen der Welt und ohne ein anderes Geschäft, als Gott zu dienen. Du weißt wohl nicht, welche Last du dir aufgebürdet hast, indem du eine so große Anzahl Kamele mit dir nahmst. Folge mir und begnüge dich mit dreißig; auch diese werden dir noch Mühe genug machen. Du kannst dich hierin ganz auf mich verlassen, denn ich habe Erfahrung!«

»Ich glaube, dass du recht hast«, antwortete der Derwisch. der sich nicht imstande sah, mit mir zu streiten, »und ich gestehe«, fuhr er fort, »dass ich nicht daran gedacht hatte. Auch fing ich bereits an, darüber unruhig zu werden; wähle dir also nach deinem Belieben zehn davon aus und führe sie in Gottes Namen fort.«

Ich wählte mir nun zehn aus, ließ sie umkehren und meinen übrigen Kamelen nachziehen. Ich hatte in der Tat nicht geglaubt, dass der Derwisch so leicht sich würde überreden lassen. Seine Nachgiebigkeit steigerte meine Gier noch mehr und ich schmeichelte mir, ich würde vielleicht ebenso leicht noch zehn andere von ihm bekommen können.

Statt ihm also für ein reiches Geschenk zu danken, fuhr ich fort: »Mein Bruder, ich bin zu sehr für deine Ruhe besorgt, als dass ich von dir scheiden könnte, ohne dir ans Herz zu legen, wie schwer dreißig beladene Kamele zu leiten sind, besonders für einen Mann wie du, der an dergleichen Geschäfte nicht gewöhnt ist. Du würdest dich weit besser befinden, wenn du mir noch ein solches Geschenk machen wolltest, wie du mir soeben gemacht hast. Du siehst, dass ich dir dies nicht aus Eigennutz sage, sondern vielmehr, um dir einen großen Gefallen zu erweisen. Erleichtere dir also deine Last noch um zehn andere Kamele und übergib sie mir, denn mir macht es nicht mehr Mühe, für hundert Kamele zu sorgen, als für ein einziges.«

Meine Rede machte den gewünschten Eindruck, und der Derwisch trat mir ohne Weigern die zehn Kamele ab, die ich verlangte, so dass er bloß noch zwanzig, ich aber sechzig hatte, deren Ladung die Reichtümer mancher Fürsten an Wert überstieg. Man sollte glauben, dass ich jetzt hätte zufrieden sein können.

Aber, o Beherrscher der Gläubigen, ich glich einem Wassersüchtigen, der, je mehr er trinkt, desto mehr Durst bekommt, und immer heftiger brannte in mir die Begierde, auch die zwanzig anderen Kamele, die der Derwisch hatte, noch zu bekommen.

Ich fing also aufs neue an, ihn inständig und mit der größten Zudringlichkeit zu bitten, er möchte mir noch zehn von seinen zwanzig bewilligen, und er ließ es sich wirklich gefallen. Um nun aber auch noch seine zehn letzten zu bekommen, umarmte ich ihn, bedeckte ihn mit Küssen und Liebkosungen und beschwor ihn solange, mir meine Bitte ja nicht abzuschlagen, um dadurch der ewigen Verpflichtung, die ich gegen ihn haben werde, die Krone aufzusetzten, bis er endlich durch die Erklärung, er schenke mir alles, meine Freude vollkommen machte. »Mache aber einen guten Gebrauch davon, mein Bruder«, setzte er hinzu, »und ich erinnere dich, dass Gott uns den Reichtum ebenso leicht wieder nehmen kann, als er ihn gibt, wenn wir ihn nicht zur Unterstützung der Armen anwenden, die er bloß deswegen in Dürftigkeit lässt, um den Reichen Gelegenheit zu geben, sich durch Almosen einen reichen Lohn in jener Welt zu verdienen.«

Ich war zu sehr mit Blindheit geschlagen, um diesen heilsamen Rat benützen zu können. Nicht zufrieden mit dem Besitze meiner achtzig Kamele und der Gewissheit, dass sie mit unermesslichen Schätzen beladen waren, die mich zum wohlhabendsten aller Menschen machen mussten, kam ich nun auch auf den Gedanken, das kleine Büchschen mit der Salbe, das der Derwisch genommen und mir gezeigt hatte, sei vielleicht noch etwas weit Kostbareres, als diese Reichtümer, die ich ihm verdankte. »Der Ort, wo der Derwisch es nahm«, sagte ich bei mir selbst, »und die Sorgfalt, womit er es zu sich gesteckt hat, ist ein deutlicher Beweis, dass es etwas Geheimnisvolles in sich schließt.« Ich suchte es nun auf folgende Art in meine Gewalt zu bekommen. Nachdem ich ihn umarmt und mich von ihm verabschiedet hatte, drehte ich mich noch einmal gegen ihn um und sagte: »Noch eins, was willst du denn mit dem kleinen Salbenbüchschen machen? Es scheint mir so wertlos, dass es sich nicht der Mühe lohnt, es mitzunehmen; überhaupt brauchen Derwische, wie du, die den Eitelkeiten der Welt entsagt haben, keine Haarsalbe.«

Wollte Gott, er hätte mir diese Büchse verweigert! Aber wenn er es hätte tun wollen, ich hätte mich vor Wut nicht mehr gekannt; ich war stärker als er und fest entschlossen, es ihm mit Gewalt zu nehmen, nur um die Befriedigung zu haben, dass niemand sagen könnte, jener habe auch nur das Geringste von dem Schatze mitgenommen, und doch hatte ich so große Verpflichtungen gegen ihn.

Der Derwisch schlug es mir also nicht ab, sondern zog es sogleich aus seinem Busen, überreichte es mir auf die verbindlichste Art von der Welt und sagte: »Hier mein Bruder, hast du auch dieses Büchschen, damit nichts zu deiner Zufriedenheit fehle. Wenn ich sonst noch etwas für dich tun kann, so darfst du nur befehlen; ich bin bereit, dir zu willfahren.«

Als ich die Büchse in meinen Händen hatte, öffnete ich sie, betrachtete die Salbe und sagte zu ihm: »Da du so freundschaftlich bist und mir alle Gefälligkeiten erweisest, so ersuche ich dich, mir auch noch zu sagen, welchen besonderen Gebrauch man von dieser Salbe machen kann.«

»Einen höchst merkwürdigen und wunderbaren«, antwortete der Derwisch. »Wenn du nämlich etwas Weniges von dieser Salbe um das linke Auge und das Augenlid streichst, so werden vor deinen Augen alle Schätze erscheinen, die im Schoße der Erde verborgen sind; streichst du aber etwas davon auf das rechte Auge, so macht es dich blind.

Ich wünschte diese wunderbare Wirkung an mir selbst zu erfahren, und sagte zu dem Derwisch, indem ich ihm die Büchse reichte: »Hier, nimm und streich mir etwas von der Salbe ums linke Auge, du verstehst es besser, als ich. Ich kann kaum erwarten, bis ich mich von dieser Sache, die mir unglaublich scheint, selbst überzeuge.«

Der Derwisch hatte die Gefälligkeit, sich dieser Mühe zu unterziehen; er hieß mich das linke Auge schließen und umstrich es mit der Salbe. Als dies geschehen war, öffnete ich das Auge und sah, dass er mir die Wahrheit gesagt hatte. Ich erblickte wirklich eine ungeheure Menge von Schatzgewölben mit so erstaunlichen und mannigfachen Reichtümern angefüllt, dass es mir unmöglich wäre, alle einzeln anzugeben. Da ich jedoch während dessen das rechte Auge mit der Hand fest zuhalten musste und mir dieses langweilig wurde, so bat ich den Derwisch, er möchte mir auch um dieses Auge etwas von der Salbe streichen.

»Ich will es gern tun«, antwortete er, »aber du musst bedenken, was ich dir bereits gesagt habe; so wie du etwas auf das rechte Auge bringst, so wirst du augenblicklich blind. Die Salbe hat nun einmal diese Kraft und du musst dich danach richten.«

Ich glaubte, es müsse noch ein anderes Geheimnis darunter stecken, das der Derwisch mir verbergen wolle, und sagte daher lächelnd zu ihm: »Lieber Bruder, ich sehe wohl, dass du mich zum besten haben willst; wie wäre es denn möglich, dass diese Salbe zwei so ganz entgegengesetzte Wirkungen haben sollte?«

»Und doch ist es so«, versetzte der Derwisch und rief Gott zum Zeugen an; »du kannst es mir auf mein Wort glauben, denn ich verschweige nie die Wahrheit.«

Ich wollte den Worten des Derwisches, der es ehrlich mit mir meinte, nicht trauen, und da ich der Lust nicht widerstehen konnte, nach meinem Belieben alle Schätze der Erde betrachten und dieselben vielleicht, wenn es mir einfiele, genießen zu dürfen, so hörte ich nicht auf seine Vorstellungen und glaubte eine Sache nicht, die, wie ich bald nachher zu meinem großen Unglück erfuhr, nur zu gewiss war.

In meinem tollen Irrwahn bildete ich mir ein. Wenn diese Salbe auf das linke Auge gestrichen die Kraft habe, mich alle Schätze der Erde sehen zu lassen, so habe sie vielleicht, wenn man sie auf das rechte streiche, die Kraft, mich zum Besitzer derselben zu machen. In dieser Meinung drang ich hartnäckig in den Derwisch, er möchte mir ein wenig Salbe um das rechte Auge streichen, aber er weigerte sich standhaft, dies zu tun. »Nachdem ich dir so viel Gutes erzeigt habe, mein Bruder«, sagte er zu mir, »kann ich mich nicht entschließen, dich in ein solches Unglück zu stürzen. Bedenke es selbst, wie traurig es ist, des Augenlichts beraubt zu sein, und versetze mich nicht in die höchst verdrießliche Notwendigkeit, dir in einer Sache zu willfahren, die du dein Leben lang bereuen müsstest.«

Ich trieb meine Hartnäckigkeit bis aufs äußerste. »Mein Bruder«, sagte ich in festem Tone zu ihm, »ich bitte dich, schweig mir von all diesen Schwierigkeiten. Du hast mir höchst großmütig alles gewährt, um was ich dich bisher bat; verlangst du denn, dass ich wegen einer solchen Kleinigkeit im Unfrieden von dir scheiden soll? Im Namen Gottes bewillige mir auch diese letzte Gunst. Mag daraus entstehen, was da will, ich werde dir nie deswegen böse werden und die Schuld ganz allein mir zuschreiben.«

Der Derwisch bot alle seine Überredungskünste auf, um mich davon abzubringen; endlich aber, da er sah, dass ich imstande war, ihn zu zwingen, sagte er: »Da du es durchaus verlangst, so will ich deinen Willen tun.« Und so nahm er ein wenig von der unglückseligen Salbe und strich es mir auf das rechte Auge, das ich fest zuhielt; aber ach! als ich es wieder öffnete, sah ich nichts als dichte Finsternis vor meinen beiden Augen, und blieb. von Stund an blind, wie du mich siehst.

»Gottverfluchter Derwisch!« schrie ich jetzt, »was du mir sagtest, ist nur zu wahr; unselige Neugierde, unersättliches Verlangen nach Reichtümern, in welchen Abgrund von Elend habt ihr mich gestürzt! Ich sehe wohl ein, dass ich es mir selbst zugezogen habe, allein, mein lieber Bruder«, setzte ich, gegen den Derwisch gewendet, hinzu, »du warst so freundschaftlich und wohltätig gegen mich; solltest du unter so vielen wunderbaren Geheimnissen, die dir bekannt sind, nicht auch eines wissen, das mir mein Augenlicht wiedergeben könnte?«

»Unglücklicher«, antwortete hierauf der Derwisch, »ich bin gewiss nicht schuld, dass du in dieses Elend gefallen bist; übrigens hast du nur, was du verdienst, und die Verblendung deines Herzens hat dir die Blindheit deiner Augen zugezogen. Es ist wahr, ich besitze Geheimnisse, wie du dich in der kurzen Zeit unseres Beisammenseins hast überzeugen können; doch habe ich keines, dir dein Gesicht wiederherzustellen. Wenn du glaubst, es gebe ein solches, so wende dich an Gott, er allein kann dich wieder heilen. Er hatte dir Reichtümer verliehen, deren du unwürdig warst; jetzt hat er sie wieder genommen, und wird sie durch meine Hände an Menschen gelangen lassen, die nicht so undankbar sind wie du.«

Der Derwisch sprach kein Wort mehr, und ich wusste ihm auch nichts zu erwidern. Er ließ mich voll Bestürzung und in unsäglichem Schmerz versenkt stehen, trieb meine achtzig Kamele zusammen und zog mit ihnen seine Straße fort nach Basrah.

Ich bat ihn, er möchte mich doch in diesem elenden Zustande nicht verlassen und wenigstens bis zur nächsten Karawane begleiten; allein er blieb taub gegen meine Bitten und Wehklagen. Auf diese Weise meines Augenlichts und alles dessen, was ich in der Welt besaß, beraubt, hätte ich vor Gram und Hunger sterben müssen, wenn mich nicht am anderen Tage eine Karawane, die von Basrah zurückkam, mitleidig aufgenommen und nach Bagdad zurückgeführt hätte.

Vor wenigen Augenblicken noch in einer Lage, wo ich mich, wenn auch nicht an Macht und Gewalt, doch in Beziehung auf Pracht und Reichtum Fürsten gleichstellen konnte, sah ich mich nun auf einmal hilflos am Bettelstabe. Ich musste mich entschließen, um Almosen zu betteln, und das habe ich auch bis jetzt getan. Um aber meine Missetat gegen Gott abzubüßen, legte ich mir zugleich die Strafe auf, von jeder mildtätigen Person, die sich meines Elends erbarmen würde, eine Ohrfeige zu empfangen.

Siehst du, o Beherrscher der Gläubigen, das ist der Grund zu dem Benehmen, welches dir gestern so seltsam vorkam und mir vielleicht deinen Unwillen zugezogen hat. Ich bitte dich noch einmal, als dein niedrigster Sklave, um Verzeihung und unterwerfe mich gern der Strafe, die ich verdient habe. Willst du indes über die Buße, die ich mir auferlegt habe, dein Urteil sagen, so bin ich überzeugt, dass du sie viel zu leicht für einen solchen Frevel finden wirst.

Als der Blinde seine Geschichte vollendet hatte, sprach der Kalif zu ihm: »Baba Abdallah, deine Sünde ist groß, aber Gott sei gelobt, dass du es selbst eingesehen und dir bis jetzt die öffentliche Buße deshalb aufgelegt hast. Nun aber ist es genug damit, du muss jetzt deine Bußübungen im stillen fortsetzen und Gott in jedem Gebet, das du den Pflichten der Religion gemäß den Tag über zu ihm schicken musst, um Verzeihung bitten. Damit du aber durch die Sorge um deinen Lebensunterhalt nicht davon abgehalten wirst, setze ich dir für dein ganzes Leben ein Almosen aus, nämlich vier Silberdrachmen für den Tag, die mein Großvezier dir ausbezahlen wird, Bleibe also hier und warte, bis er meinen Befehl vollzogen hat.«

Bei diesen Worten warf sich Baba Abdallah vor dem Throne des Kalifen nieder, und als er wieder aufgestanden war, dankte er demütig und wünschte ihm Glück, Heil und Gottes Segen.

Der Kalif Harun Arraschid, dem die Geschichte Baba Abdallahs und des Derwisches wohlgefallen hatte, wendete sich sofort an den jungen Mann, der seine Stute zu misshandeln pflegte, und fragte ihn nach seinem Namen. wie er auch den Blinden gefragt hatte. Der junge Mann antwortete, er heiße Sidi Numan.

»Sidi Numan«, sagte hierauf der Kalif zu ihm, »ich habe in meinem Leben schon viele Pferde zureiten gesehen und bin selbst viel geritten, aber eine solche Unmenschlichkeit, wie du gestern auf öffentlichem Platze deine Stute plagtest, ist mir noch nie vorgekommen; auch hat es zum großen Ärgernis der Zuschauer gereicht, die laut darüber murrten. Ich selbst ärgerte mich ebenfalls darüber und wenig fehlte, so hätte ich mich gegen meine sonstige Absicht zu erkennen gegeben, um diesem Unwesen zu steuern. Gleichwohl kündigen deine Gesichtszüge keinen rohen und grausamen Menschen an; ja ich will glauben, dass du begründete Ursache hast, so zu handeln. Da ich weiß, dass es nicht das erste Mal ist, und du schon seit geraumer Zeit deine Stute so plagst, so verlange ich den Grund zu wissen, und habe dich kommen lassen, damit du mir ihn mitteilst. Sage mir daher die Sache ganz wie sie ist, und halte mir nichts verborgen.«

Sidi Numan begriff leicht, dass er nicht ausweichen konnte. Es kam ihm sehr hart an, den verlangten Bericht zu geben, mehrere Male wechselte er die Farbe und verriet unwillkürlich, wie groß seine Verlegenheit war. Gleichwohl musste er sich entschließen, die Gründe seines Benehmens auseinanderzusetzen. Er warf sich daher, bevor er zu sprechen anfing, vor dem Throne des Kalifen nieder, und als er wieder aufgestanden war, wollte er beginnen, um die Neugierde des Kalifen zu befriedigen, blieb aber ganz verdutzt und sprachlos stehen, weniger durch die Majestät des Kalifen, vor welchem er sich befand, als durch den Inhalt der Erzählung, die er preisgeben sollte, entmutigt.

So ungeduldig nun auch der Kalif immer augenblicklichen Gehorsam verlangte, so ließ er dennoch keinen Unwillen über Sidi Numans Schweigsamkeit blicken; denn er sah, dass es ihm nur an Kühnheit vor ihm fehle, oder dass er durch den Ton, worin er ihn angeredet, eingeschüchtert worden sei, oder endlich, dass seine Erzählung Sachen enthalten könnte, die er lieber verschweigen möchte.

»Sidi Numan«, sagte daher der Kalif in beruhigendem Tone zu ihm: »Fasse dich und stelle dir vor, du habest nicht mir, sondern irgend einem Freunde, der dich darum bittet, irgend etwas zu erzählen. Wenn in deiner Erzählung Sachen vorkommen, die dich in Verlegenheit setzen und von denen du glaubst, dass ich mich dadurch beleidigt fühlen könnte, so verzeihe ich es dir im voraus. Banne also deine Besorgnisse, sprich offen mit mir und verhehle mir nichts, gleich als ob du deinen besten Freund vor dir hättest.«

Sidi Numan, den die letzten Worte des Kalifen beruhigt hatten, nahm endlich das Wort und sprach: »Beherrscher der Gläubigen! So bestürzt und befangen auch jeder Sterbliche sein muss, der der Majestät und dem Glanze deines Thrones naht, so fühle ich mich doch stark genug, um zu glauben, dass dieses ehrfurchtsvolle Zagen mir nicht den Mund verschließen wird, wenn ich vor dir sprechen soll; denn ich weiß, welchen Gehorsam ich dir schulde und dass es meine Pflicht ist, dir nicht nur über das, was du jetzt verlangst, sondern auch über alles andere Auskunft zu erteilen. So wenig ich es wagen kann, mich für den vollkommensten Menschen zu erklären, so bin ich doch nicht schlecht genug, um etwas gegen die Gesetze zu begehen oder nur begehen zu wollen, das mich nötigen würde, ihre Strenge zu fürchten. Aber bei der besten Absicht sehe ich wohl ein, dass ich von den Fehlern, die man aus Unwissenheit macht, nicht frei bin. In diesem Falle nun befinde ich mich, und ich will mich nicht auf die Verzeihung berufen, die du in deiner Gnade mir zugesagt hast, ohne mich anzuhören, sondern unterwerfe mich im Gegenteil deiner Gerechtigkeit und jedweder Strafe, die ich verdient habe. Ich gestehe, dass die Art und Weise, wie ich seit einiger Zeit meine Stute behandle und wie du selbst mit angesehen hast, sonderbar, grausam und ein sehr schlechtes Beispiel ist; ich hoffe aber, dass du meine Gründe zureichend und mich selbst mehr des Mitleids, als der Strafe würdig finden wirst. Doch ich darf deine Erwartung nicht länger durch eine langweilige Rede spannen. Höre also, wie es mir ergangen ist.«

Geschichte des Sidi Numan