[swahili, "Geschichte, Legende"]

Märchen aus tausend und einer Nacht Geschichte der zwei neidischen Schwestern

Herr, es war einmal ein König in Persien, mit Namen Chosru Schah, der vom Anfang an seit seinem Eintritt in die Welt großes Gefallen an nächtlichen Abenteuern fand. Oft verkleidete er sich mit einem seiner vertrauten Diener, der ebenso verkleidet war, durchstrich die Straßen der Stadt, und es stießen ihm allerlei gar seltsame Abenteuer auf, von denen ich jedoch heute meinen Herrn nicht unterhalten werde; dagegen hoffe ich, dass du mit Vergnügen dasjenige anhören wirst, welches ihm gleich bei seinem ersten Ausgang einige Tage nach seiner Thronbesteigung aufstieß, als sein Vater in hohem Alter gestorben war und ihm das Königreich Persien als Erbe hinterlassen hatte.

Nach den gewöhnlichen Feierlichkeiten bei seiner Krönung und dem Leichenbegängnisse des Sultans, seines Vaters, ging der neue Sultan Chosru Schah sowohl aus Neigung, als weil er es für seine Pflicht hielt, von allem, was da vorging, mit eigenen Augen Einsicht zu nehmen, eines Abends, etwa zwei Stunden nach Sonnenuntergang, mit seinem ebenso wie er verkleideten Großvezier aus seinem Palast. Als er nun in das Stadtviertel kam, wo nur niedriges Volk wohnte, hörte er in einer Straße, die er durchstrich, ziemlich laut sprechen. Er näherte sich dem Hause, von welchem die Töne herkamen, blickte durch eine Spalte der Türe hinein und sah um ein Licht drei Schwestern, die auf einem Sofa saßen und sich nach dem Abendessen miteinander unterhielten. Aus der Rede der ältesten erkannte er bald, dass Wünsche den Gegenstand ihres Gespräches bildeten. »Da wir nun einmal am Wünschen sind«, sagte sie, »so wünschte ich mir den Bäcker des Sultans zum Manne, dann könnte ich mich doch satt essen an dem köstlichen Brote, welches man nur Sultansbrot nennt. Lasst hören, ob ihr auch einen so guten Geschmack habt, wie ich.«

»Und ich«, versetzte die zweite Schwester, »wünsche mir, die Frau des Oberkochs vom Sultan zu werden: Da würde ich gar leckere Gerichte essen, und da ich überzeugt bin, dass das Sultansbrot im ganzen Palast gegessen wird, so würde es mir auch daran nicht fehlen. Du siehst, Schwesterchen«, setzte sie gegen die ältere hinzu, »dass mein Geschmack so gut ist, als der deinige.«

Die jüngste Schwester, die ausnehmend schön war und weit mehr Anmut und Geist besaß, als die beiden älteren, sprach hierauf, als die Reihe an sie kam, also: »Was mich betrifft, Schwestern, so beschränkt sich mein Verlagen nicht auf solche Kleinigkeiten, sondern ich nehme einen höhern Flug, und da es einmal ums Wünschen handelt, so wünsche ich mir, die Gemahlin des Sultans zu werden. Ich würde ihm einen Prinzen schenken, dessen Locken auf der einen Seite von Gold und auf der anderen von Silber wären, dessen Tränen, wenn er weinte, als Perlen aus seinen Augen fielen, und dessen rote Lippen, so oft er lachte, einer sich erschließenden Rosenknospe glichen.« Die Wünsche der drei Schwestern, und besonders der jüngsten, erschienen dem Sultan Chosru Schah so merkwürdig, dass er sie zu erfüllen beschloss. Ohne dem Großvezier etwas von seinem Plane mitzuteilen, befahl er ihm, sich das Haus wohl zu merken und am folgenden Morgen alle drei Schwestern abzuholen und vor ihn zu führen.

Der Großvezier führte am anderen Morgen den Befehl des Sultans so schnell aus, dass er den drei Schwestern kaum Zeit ließ, sich schleunigst anzukleiden, um vor ihm zu erscheinen. Er sagte ihnen indes bloß, der Sultan wolle sie sehen. Als er sie nun in den Palast geführt und dem Sultan vorgestellt hatte, fragte dieser die drei Schwestern: »Saget mir, erinnert Ihr euch noch der Wünsche, die ihr gestern Abend tatet, als ihr so guter Dinge waret? Verhehlt mir nichts, ich will sie wissen.« Bei seiner unerwarteten Anrede gerieten die drei Schwestern in große Verlegenheit. Sie schlugen die Augen nieder, der jüngsten aber stieg holde Schamröte ins Gesicht, was ihr einen solchen Reiz gab, dass sie das Herz des Sultans vollends gewann. Da sie aus Scham und aus Furcht, den Sultan durch ihre Reden beleidigt zu haben, alle drei stillschwiegen, so suchte sie der Sultan, der dies bemerkte, zu beruhigen, indem er zu ihnen sagte: »Fürchtet nichts, ich habe euch nicht kommen lassen, um euch etwas zuleide zu tun; da ich sehe, dass meine Frage euch gegen meine Absicht beunruhigt, und da ich ohnehin eure Wünsche schon weiß, so verlange ich nicht, dass ihr sie mir beantwortet. Du«, fuhr er fort, »die du mich zum Gemahl wünschest, sollst heute noch befriedigt, und ihr«, sagte er zur ersten und zweiten Schwester, »sollt mit meinem Mundbäcker und meinem Oberkoch verheiratet werden.« Sobald der Sultan diesen seinen Willen erklärt hatte, warf sich die jüngste Schwester, den beiden älteren mit gutem Beispiel vorangehend, ihm zu Füßen, um ihren Dank zu bezeigen. »Herr«, sprach sie, »meinen Wunsch, der dir bekannt worden ist, habe ich nur gesprächsweise und zur Unterhaltung geäußert; ich bin der Ehre, die du mir antust, nicht würdig und bitte dich um Verzeihung für meine Kühnheit.« Die beiden älteren Schwestern wollten sich ebenfalls entschuldigen, allein der Sultan unterbrach sie mit den Worten: »Nein, nein, es bleibt dabei, der Wunsch von jeder soll erfüllt werden.«

Die drei Hochzeiten wurden, wie der Sultan Chosru Schah beschlossen hatte, noch an dem selben Tage gefeiert, aber. auf eine sehr verschiedene Weise. Die der jüngsten Schwester war mit aller Pracht und den glänzendsten Freudenfesten begleitet, wie es sich bei der Vermählung eines Sultans und einer Sultanin von Persien geziemt; die Hochzeiten der beiden anderen Schwestern dagegen wurden mit keinen größeren Feierlichkeiten begangen, als dem Range ihrer Gatten, nämlich des Mundbäckers und des Oberkochs, angemessen war.

Die beiden älteren Schwestern fühlten den unermesslichen Abstand zwischen ihrer Heirat und der ihrer jüngsten Schwester tief im Herzen. Deswegen begnügten sie sich auch nicht mit ihrem Glücke, das ihnen doch ganz nach Wunsch und ohne dass sie es hoffen konnten, gewährt worden war; sie gaben sich vielmehr dem heftigsten Neide hin, der nicht nur ihre Freude trübte, sondern auch ihrer jüngsten Schwester, der Sultanin, großes Unglück und die kränkendsten Demütigungen und Leiden bereitete. Sie hatten noch nicht Zeit gehabt, einander ihre Gedanken über diese ihrer Meinung nach ungerechte Zurücksetzung von Seite des Sultans mitzuteilen, weil sie sich sogleich auf die Hochzeitfeier vorbereiten mussten. Einige Tage nachher aber, als sie sich verabredetermaßen in einem öffentlichen Bade wieder sahen, sagte die älteste Schwester zu der zweiten: »Nun, was sagst du denn von unserer jüngsten Schwester? Nicht wahr, ein sauberes Stück von einer Sultanin.«

»Ich muss gestehen«, sagte die andere Schwester, »dass ich die ganze Sache nicht begreifen kann; ich kann mir nicht denken, welche Reize der Sultan an ihr gefunden haben mag, dass er sich dermaßen die Augen verblenden ließ. Sie ist ja ein wahres Murmeltier, und du weißt wohl, in welchem Zustande wir beide sie gesehen haben. Konnte das bisschen Jugend, das sie vor uns voraus hat, wohl ein Grund für den Sultan sein, dass er seine Augen nicht auf dich richtete? Du wärest seiner Wahl würdig gewesen; er hätte so gerecht sein sollen, dir den Vorzug zu geben.« »Liebe Schwester«, erwiderte die älteste, »sprechen wir nicht von mir: Ich hätte durchaus nichts einzuwenden, wenn der Sultan dich gewählt hätte; aber dass er ein so garstiges Ding vorgezogen hat, das kränkt mich tief. Ich will mich aber auch rächen, so gut ich kann, und dir muss die Sache ebenso angelegen sein, wie mir. Ich bitte dich daher, verbinde dich mit mir, lass uns einander in die Hände arbeiten bei einer Sache, die uns beide auf gleiche Weise betrifft, und teile mir die Mittel, sie zu kränken, mit, welche dir einfallen, so wie ich dir hiermit von allem Rechenschaft zu geben verspreche, was der heiße Wunsch, sie zu demütigen, mir eingeben mag.«

Nach diesem boshaften Bündnisse besuchten die beiden Schwestern einander oft und sprachen jedes Mal nur von den Mitteln und Wegen, wie sie das Glück ihrer jüngsten Schwester, der Sultanin, trüben oder gar vernichten könnten. Sie brachten mehrere Pläne in Vorschlag; wenn sie aber die Ausführung derselben besprachen, so fanden sie immer so große Schwierigkeiten, dass sie es nicht wagen konnten, Versuche damit zu machen. Indes besuchten sie von Zeit zu Zeit ihre Schwester, und mit verruchter Verstellung gaben sie ihr alle möglichen Beweise von Freundschaft, um sie zu überzeugen, wie sehr sie über diese hohe Erhebung einer Schwester erfreut seien. Die Sultanin ihrerseits empfing sie immer mit allen Beweisen der Achtung und Freundschaft, welche sie von einer Schwester erwarten konnten, die sich auf ihre Würde nichts einbildete und sie nach wie vor mit gleicher Herzlichkeit liebte.

Einige Monate nach ihrer Vermählung fühlte die Sultanin sich schwanger. Der Sultan äußerte große Freude darüber, die sich bald überall in dem Palast mitteilte und von da weiter durch die ganze Hauptstadt von Persien verbreitete. Die beiden Schwestern kamen, um ihr Glück zu wünschen; sie sprachen sogleich davon, dass sie nun einer Hebamme zu ihrer Entbindung bedürfe, und baten sie, keine andere dazu zu wählen, als sie beide. Die Sultanin antwortete ihnen freundlich: »Liebe Schwestern, ihr könnt euch wohl denken, dass dies für mich höchst angenehm sein müsste, wenn die Macht von mir allein abhinge. Ich bin euch für euern guten Willen unendlich verbunden, muss mich aber hierin notwendig dem Willen des Sultans unterwerfen. Sprecht indes mit eueren Männern, dass sie den Sultan durch ihre Freunde um diese Gnade bitten lassen, und wenn der Sultan mit mir darüber spricht, so seid überzeugt, dass ich ihm sagen werde, er könne mir keinen größeren Gefallen tun, als wenn er euch hierzu erwähle.«

Die beiden Ehemänner wandten sich an die Höflinge, deren Gunst sie genossen, und baten sie um Verwendung bei dem Sultan, dass ihren Frauen die Ehre, nach welcher sie strebten, zuteil werden möchte; und die Höflinge betrieben die Sache so nachdrücklich und wirksam, dass der Sultan versprach, er wolle daran denken. Er hielt auch Wort und bei einer Unterredung mit der Sultanin sagte er zu ihr, ihre beiden Schwestern scheinen ihm weit mehr geeignet, ihr bei der Niederkunft beizustehen, als jede andere fremde Hebamme; indes wolle er sie nicht dazu ernennen, außer wenn es ihr lieb und angenehm sei. Die Sultanin empfand die Achtung, wovon ihr der Sultan einen so verbindlichen Beweis gab, tief in ihrem Herzen und sagte zu ihm: »Herr, ich war gesonnen, in dieser Sache nur zu tun, was du mir befehlen würdest, da du indes die Güte hattest, deine Augen auf meine Schwestern zu werfen, so danke ich dir für die Rücksicht, die du auf mich nimmst und will es nicht verhehlen, dass sie mir weit lieber sein werden, als jede Fremde.«

Der Sultan Chosru Schah bestimmte also die beiden Schwestern der Sultanin dazu, Hebammendienst bei ihr zu verrichten, und seitdem durften diese im Palast aus- und eingehen und waren äußerst erfreut, endlich eine über alle Erwartung gute Gelegenheit gefunden zu haben, um die abscheuliche Bosheit auszuführen, die sie gegen die Sultanin, ihre Schwester, ausgesonnen hatten.

Die Zeit der Niederkunft kam heran und die Sultanin wurde glücklich von einem Prinzen entbunden, schön wie der Tag. Doch weder seine Schönheit noch sein hilfloser Zustand vermochten das Herz der erbarmungslosen Schwestern zu rühren noch zu erweichen. Sie wickelten ihn nachlässig in Windeln, legten ihn in einen kleinen Korb und überließen diesen Korb dem Strom eines Kanals, der unter den Zimmer der Sultanin vorbeifloss. Statt des Knaben aber brachten sie einen jungen toten Hund zum Vorschein und verkündigten laut, die Sultanin habe ihn geboren. Diese ärgerliche Nachricht wurde dem Sultan verkündigt, der darüber in gewaltigen Zorn ausbrach, welcher der Sultanin leicht hätte verderblich werden können; allein der Großvezier stellte ihm vor, es wäre eine Ungerechtigkeit, sie für die launenhaften Spiele der Natur verantwortlich machen zu wollen. Indes schwamm der Korb, in welchem der kleine Prinz ausgesetzt war, auf dem Kanal bis zur Ringmauer hinaus, welche den Gesichtskreis der Wohnung der Sultanin nach dieser Seite hin begrenzte, und kam gerade so durch den Garten des Palastes. Der Zufall wollte, dass der Aufseher der königlichen Gärten, einer der vornehmsten und angesehensten Beamten des Reiches, oben am Kanal hin im Garten spazieren ging. Da er den schwimmenden Korb bemerkte, rief er einem in der Nähe stehenden Gärtner und sagte zu ihm, indem er darauf hindeutete: »Gehe hin und hole mir diesen Korb da, damit ich sehe, was darin ist.« Der Gärtner ging und zog mit einer Hacke, die er in der Hand hatte, vom Ufer des Kanals aus, den Korb geschickt heran, nahm ihn heraus und überbrachte ihn. Der Aufseher der Gärten verwunderte sich über die Maßen, als er in dem Korbe ein Kind eingewickelt fand, und zwar ein Kind, welches, obgleich man ihm ansah, dass es eben erst geboren war, bereits Spuren von großer Schönheit an sich trug. Der Aufseher war schon geraume Zeit verheiratet, aber so sehnlich er auch Nachkommenschaft wünschte, so hatte der Himmel bisher immer noch nicht seine Gebete erhört. Er stellte nun seinen Spaziergang ein, befahl dem Gärtner, ihm mit dem Korb und dem Kinde zu folgen, ging in seine Wohnung, deren Eingang im Garten des Palastes war, und begab sich sogleich in die Zimmer seiner Frau. »Frau«, sagte er zu ihr, »wir haben bisher keine Kinder gehabt, hier beschert uns Gott eins. Ich empfehle es dir; sorge schleunigst für eine Amme und verpflege es, wie wenn es unser eigener Sohn wäre; denn dafür erkenne ich es von heute an.« Die Frau nahm das Kind mit Freude auf und es war ihr ein großes Vergnügen, es zu verpflegen. Der Aufseher der Gärten wollte nicht ergründen, woher das Kind komme, »Ich sehe wohl«, sprach er bei sich selbst, »dass es von den Zimmern der Sultanin herkommt, aber es steht mir nicht zu, nach dem zu fragen, was dort vorgeht, oder an einem Orte, wo der Friede so notwendig ist, Störung zu verursachen.«

Im folgenden Jahre kam die Sultanin wieder mit einem Prinzen nieder, und die unnatürlichen Schwestern hatten ebenso wenig Mitleid mit ihm, als mit seinem älteren Bruder. Sie setzten ihn auch in einem Korbe auf dem Kanal aus und behaupteten, die Sultanin habe eine Katze zur Welt gebracht. Zum Glück für das Kind war der Aufseher der Gärten wieder am Kanal; er ließ es herausholen, seiner Frau bringen und empfahl ihr, für dieses Kind ebenso große Sorgfalt zu tragen, wie für das erste. Seine Frau tat dies auch ebenso wohl aus eigener Neigung, als um die gute Absicht ihres Mannes zu befördern. Der Sultan von Persien war über diese neue Geburt noch weit zorniger, als das erste Mal, und würde seinem Grimme Luft gemacht haben, wenn nicht die Gegenvorstellungen des Großwesir eindringlich genug gewesen wären, ihn zu beruhigen.

Endlich kam die Sultanin zum dritten Male nieder, nicht mit einem Prinzen, sondern mit einer Prinzessin. Die Unschuldige hatte dasselbe Schicksal, wie die Prinzen, ihre Brüder: Die beiden Schwestern, fest entschlossen, ihren fluchwürdigen Anschlägen nicht eher ein Ziel zu setzen, als bis sie ihre jüngste Schwester, die Sultanin, zum mindesten verstoßen, verjagt und gedemütigt sehen würden, setzten auch die Prinzessin auf dem Kanal aus. Aber auch sie wurde durch das Mitleid und die Menschenliebe des Aufsehers der Gärten gerettet, dem sicheren Tode entrissen und mit den beiden Prinzen, ihren Brüdern, gesäugt und erzogen. Die beiden Schwestern fügten zu ihrer Unmenschlichkeit wiederum Lüge und Verleumdung hinzu. Sie wiesen ein Stück Holz vor und behaupteten dreist, die Sultanin sei davon entbunden worden. Der Sultan Chosru Schah aber konnte, als er von dieser neuen Missgeburt vernahm, seinen Zorn nicht mehr bezähmen. »Hah!« rief er aus, »diese unwürdige Frau würde meinen Palast mit Ungeheuern anfüllen, wenn ich sie länger leben ließe. Nein, das soll nicht geschehen«, setzte er hinzu, »sie ist selbst ein Ungeheuer, von dem ich die Welt reinigen will.« So sprach er denn ihr Todesurteil aus und befahl seinem Großvezier, es vollziehen zu lassen. Der Großvezier und die Höflinge, die zugegen waren, warfen sich dem Sultan zu Füßen und flehten ihn an, den Urteilsspruch zu widerrufen. Der Großvezier nahm das Wort und sprach: »Herr, es möge deinem Knecht erlaubt sein, dir vorzustellen, dass die Gesetze, welche zum Tode verurteilen, nur zur Bestrafung von Verbrechen eingeführt sind. Die drei so unerwarteten Geburten der Sultanin aber sind keine Verbrechen. Denn wie könnte man sagen, dass sie selbst daran schuld sei? Unzähligen anderen Frauen ist dasselbe Schicksal begegnet und es kommt tagtäglich vor; sie sind zu beklagen, aber nicht strafwürdig. Mein Herr möge sie von seinem Angesichte verstoßen, aber leben lassen. Der Gram, in dem sie nach dem Verluste deiner Gunst den Rest ihrer Tage zubringen muss, wird ihr Strafe genug sein.« Der Sultan von Indien ging in sich, und da er die Ungerechtigkeit einsah, die Sultanin wegen Fehlgeburten, selbst wenn sie, wie er fälschlich glaubte, wirklich vorgekommen wären, zum Tode zu verurteilen, so sagte er: »So mag sie denn meinetwegen leben! Ich schenke ihr das Leben, jedoch nur unter einer Bedingung, die ihr täglich mehr als einmal den Tod wünschenswert machen soll. Man zimmere ihr ein Gemach an der Türe der Hauptmoschee mit einem fortwährend offenen Fenster; dort sperre man sie, in das gröbste Gewand gekleidet, ein, und jeder Muselmann, der zum Gebet in die Moschee geht, speie ihr im Vorübergehen ins Gesicht. Wer es unterlässt, soll in dieselbe Strafe verfallen, und damit mein Gebot befolgt werde, befehle ich dir, Wesir, Wächter dabei aufzustellen.« Der Ton, womit der Sultan diesen Ausspruch tat, Schloss dem Großvezier den Mund. Der Befehl wurde zum großen Vergnügen der beiden neidischen Schwestern vollzogen. Man baute ein Gemach, und sobald es vollendet und die Sultanin von ihrem Wochenbette aufgestanden war, sperrte man diese wahrhaft bedauernswürdige Frau ganz so, wie der Sultan es befohlen hatte, darin ein, so dass sie auf schmähliche Weise dem Spott und Hohn des ganzen Volkes bloßgestellt war. Sie ertrug indes diese unverdiente Misshandlung mit einer Standhaftigkeit, welche ihr die Bewunderung und zugleich das Mitleiden aller derjenigen erwarb, die ein richtigeres Urteil über diese Sache hatten, als der Pöbel.

Die beiden Prinzen und die Prinzessin wurden indes von dem Aufseher der Gärten und seiner Frau mit der Zärtlichkeit eines Vaters und einer Mutter verpflegt und aufgezogen, und diese Zärtlichkeit wuchs immer mehr, je älter die Kinder wurden; denn sowohl bei der Prinzessin als bei den Prinzen wurde eine gewisse Hoheit bemerkbar, der niemand widerstehen konnte, und namentlich entwickelte sich die ausnehmende Schönheit der Prinzessin von Tag zu Tag mehr; ferner waren alle drei sehr gelehrig und ihre Neigung nicht wie bei anderen Kindern auf Spielereien gerichtet; endlich aber hatten sie ein gewisses Etwas, das nur Prinzen und Prinzessinnen zukommen kann. Um die beiden Prinzen nach ihrem Alter zu unterscheiden, nannten sie den älteren Brahman und den jüngeren Perwis: Namen, welche alte Könige von Persien geführt hatten. Der Prinzessin gaben sie den Namen Parisade, den gleichfalls mehrere Königinnen und Prinzessinnen des Reichs gehabt hatten. Sobald die beiden Prinzen alt genug waren, gab der Aufseher der Gärten ihnen einen Lehrmeister im Lesen und Schreiben, und die Prinzessin, ihre Schwester, die bei dem Unterrichte zugegen war, äußerte, obgleich jünger als sie, so großes Verlangen, ebenfalls lesen und schreiben zu lernen, dass ihr Pflegvater voll Freude darüber ihr denselben Lehrer gab. Durch ihre Lebhaftigkeit zum Wetteifer gereizt, wurde sie vermöge ihrer ausgezeichneten Anlagen in kurzer Zeit ebenso geschickt, wie die Prinzen, ihre Brüder. Seitdem hatten die Brüder und die Schwester in allem dieselben Lehrer: In der Erdbeschreibung, der Dichtkunst, der Geschichte und in anderen, sogar in geheimen Wissenschaften, und da ihnen nichts zu schwer war, so machten sie bald so bewundernswürdige Fortschritte, dass die Lehrer darob erstaunten und unverholen bekannten, die Kinder würden es in diesen Wissenschaften, wenn sie so fortfahren, noch weiter bringen, als sie selbst. In den Erholungsstunden lernte die Prinzessin auch Musik, nämlich Singen und verschiedene Instrumente. Als die Prinzen reiten lernten, wollte sie auch hierin nicht zurückstehen und nahm Teil an ihren Übungen, so dass sie mit derselben Geschicklichkeit reiten, Bogen schießen und Speere werfen konnte. Im Wettlaufe übertraf sie ihre Brüder manchmal sogar.

Der Aufseher der Gärten konnte seine Freude kaum fassen, als er seine Pfleglinge in allen Übungen des Geistes und des Körpers so vortrefflich ausgebildet und den Aufwand für ihre Erziehung weit über seine Hoffnungen hinaus belohnt sah, und er beschloss, ihnen zulieb noch viel mehr Geld auszugeben, als bisher. Er hatte sich unterdessen mit der Wohnung im Palast des Gartens begnügt und kein eigenes Landhaus gehabt. Jetzt kaufte er eines in der Nähe der Stadt mit großem Zugehör von Feldern, Wiesen und Waldungen, und da ihm das Wohnhaus nicht schön und bequem genug schien, so ließ er es niederreißen und scheute keine Kosten, um das neue, das er baute, zum prachtvollsten in der ganzen Umgegend zu erheben. Er ging selbst täglich auf den Bauplatz, um die große Menge von Arbeitern, die hier beschäftigt waren, anzutreiben, und sobald ein passendes Zimmer im Hause für ihn fertig war, bezog er es und blieb oft mehrere Tage hintereinander dort, wenn seine Geschäfte und seine Amtspflichten es ihm erlaubten. So war das Haus bald erbaut, und während es ebenso schnell mit den reichsten Gerätschaften, wie sie zur Pracht des Gebäudes passten, versehen wurde, ließ er nach einer von ihm selbst entworfenen Zeichnung an dem Garten ' arbeiten und ihn ebenso einrichten, wie die anderen großen Herren von Persien. Er fügte auch noch einen sehr großen Park hinzu, den er mit einer guten Mauer einschließen und mit allen Arten von Wild besetzen ließ, damit die Prinzen und die Prinzessin sich darin nach Gefallen mit der Jagd belustigen könnten. Als das Landhaus ganz vollendet und im wohnlichen Stande war, ging der Aufseher der Gärten zum Sultan, warf sich ihm zu Füßen, und nachdem der ihm seine lange Dienstzeit, sowie die Gebrechlichkeit seines Alters vorgestellt hatte, bat er ihn um die Gnade, sein Amt in die Hände seines Herrn niederzulegen und sich von den Geschäften zurückziehen zu dürfen. Der Sultan bewilligte ihm sein Gesuch um so lieber, als er mit seinen langjährigen Diensten, sowohl unter der Regierung seines Vaters, wie auch seit seiner eigenen Thronbesteigung, sehr wohl zufrieden war; zugleich fragte er ihn, was er sonst noch zu seiner Belohnung tun könne. »Herr«, antwortete der Aufseher der Gärten, »du selbst und der Sultan, dein Vater, seligen Andenkens, habt mich dermaßen mit Wohltaten überhäuft, dass mir nichts mehr zu wünschen übrig bleibt, als bis ans Ende meiner Tage im Besitz deiner Gnade zu bleiben, die mich so hoch ehrt.« Er nahm hierauf Abschied vom Sultan Chosru Schah, und bezog mit den beiden Prinzen Brahman und Perwis und der Prinzessin Parisade sein neuerbautes Landhaus. Seine Frau war schon vor einigen Jahren gestorben. Er selbst wurde, nachdem er kaum fünf bis sechs Monate mit den Kindern in seinem neuen Hause gelebt hatte, so schnell vom Tode überrascht, dass ihm keine Zeit übrig blieb, ihnen über ihre wahre Herkunft ein Wort zu sagen. Er hatte es sich indes vorgenommen, dies zu tun, damit sie dadurch veranlasst werden möchten, wie bisher, so auch fortwährend, ihrem Range und Stande, sowie der Erziehung, die er ihnen gegeben hatte, gemäß zu leben, wozu indes ihre eigene Neigung sie von selbst antrieb. Die Prinzen Brahman und Perwis und die Prinzessin Parisade, die von keinem anderen Vater wussten, als dem Aufseher der Gärten, vertrauten ihn als solchen und erwiesen ihm auch im Tode alle Ehre, wozu kindliche Liebe und Dankbarkeit sie verpflichteten. Zufrieden mit den großen Gütern, die er ihnen hinterlassen hatte, lebten sie nach wie vor in derselben Eintracht beisammen, und die Prinzen ließen sich nicht vom Ehrgeize verleiten, sich am Hofe zu zeigen, um dort nach den höchsten Ämtern und Würden zu trachten, deren Erlangung ihnen etwas leichtes gewesen wäre.

Eines Tages, als die beiden Prinzen auf der Jagd, die Prinzessin Parisade aber zu Hause geblieben war, erschien eine sehr alte fromme Muselmännin vor dem Haustor und bat um Erlaubnis, ins Haus zu treten, um ihr Gebet zu verrichten, wozu die Stunde gekommen war. Man meldete ihren Wunsch der Prinzessin, und diese befahl, sie hereinzulassen und ihr das Betzimmer zu zeigen, womit der Aufseher der königlichen Gärten wohlbedächtig sein Haus versehen hatte, weil keine Moschee in der Nähe war. Zugleich befahl sie, wenn die fromme Frau ihre Andacht verrichtete haben würde, so solle man ihr das Haus und den Garten zeigen und sie darauf zu ihr zu führen. Die fromme Frau trat ein, verrichtete ihr Gebet in dem Betzimmer, wohin man sie gewiesen, und als sie damit fertig war, luden zwei Frauen der Prinzessin, die vor der Türe gewartet hatten, sie ein, das Haus und den Garten zu sehen. Da sie sich geneigt zeigte, ihnen zu folgen, so wurde sie von ihnen in allen Zimmern nacheinander herumgeführt, und sie betrachtete alle Sachen wie eine Frau, die sich auf Hausgerätschaften und schöne Anordnung der einzelnen Stücke sehr gut verstand. Auch in den Garten wurde sie geführt, dessen Anlage sie so neu und wohlersonnen fand, dass sie voll Bewunderung erklärte: Derjenige, der den Plan dazu entworfen, müsse ein vortrefflicher Meister in seiner Kunst sein. Endlich kam sie auch zur Prinzessin, welche sie in einem großen Saale erwartete, dessen Schönheit, Anmut und Reichtum alles übertraf, was sie in den anderen Zimmern bewundert hatte. Sobald die Prinzessin die fromme Frau eintreten sah, sagte sie zu ihr: »Komm' heran, gute Mutter, und setze dich zu mir. Ich bin sehr erfreut, dass der Zufall mir das Glück darbot, mich einige Augenblicke an dem guten Beispiele und der frommen Unterhaltung einer Frau, wie du bist, zu erbauen, die das bessere Teil erwählt und sich ganz Gott gewidmet hat, und in deren Fußstapfen alle Welt treten sollte, wenn sie ihren wahren Vorteil verstehen würde. Die fromme Frau wollte sich nicht auf das Sofa, sondern nur auf den Rand desselben setzen, allein die Prinzessin gab es nicht zu; sie erhob sich von ihrem Sitze, ging auf sie zu, fasste sie bei der Hand und nötigte sie, sich neben ihr auf dem Ehrenplatze niederzulassen. Die fromme Frau wusste diese Höflichkeit wohl zu schätzen und sage zu ihr: »Edles Fräulein, eine solch ehrenvolle Behandlung gebührt mir nicht, und ich gehorche dir bloß, weil du es befiehlst und Herrin in deinem Hause bist.« Als sie sich gesetzt hatte, stellt, ehe die Unterhaltung begann, eine von den Frauen der Prinzessin einen kleinen, niedrigen, mit Perlmutter und Ebenholz ausgelegten Tisch vor sie hin, und auf den Tisch eine Porzellanplatte mit Kuchen, mehrere andere Platten mit Obst, wie es gerade die Jahreszeit mit sich brachte, und verschiedene andere eingemachte Früchte. Die Prinzessin nahm einen von den Kuchen und überreichte ihn der frommen Frau mit den Worten: »Nimm und iss, gute Mutter, und wähle von diesen Früchten, was dir beliebt; du bedarfst einiger Speise nach dem langen Wege, den du hierher gemacht hast.«

»Edles Fräulein«, antwortete die fromme Frau, »ich bin nicht gewohnt, so leckere Sachen zu essen; wenn ich es aber tue, so geschieht es nur, weil ich nicht verschmähen will, was mir Gott durch eine so freigebige Hand, wie die deinige, zusendet.« Während die fromme Frau aß, richtete die Prinzessin, die ebenfalls etwas zu sich nahm, um sie durch ihr Beispiel zu ermuntern, allerlei Fragen über ihre Andachtsübungen und Lebensweise an sie, worauf die Alte mit großer Bescheidenheit antwortete. Unter anderem fragte die Prinzessin im Laufe des Gesprächs, was sie von dem Hause halte, das sie gesehen, und ob es ihr gefalle, »Edles Fräulein«, erwiderte die fromme Frau, »ich müsste einen sehr schlechten Geschmack haben, wenn ich etwas daran auszusetzen fände. Es ist schön, freundlich, prächtig ein gerichtet, jedoch ohne Überladung, trefflich eingeteilt und die Zierraten könnten nicht schicklicher angebracht sein. Dabei liegt es in einer anmutigen Landschaft, und man kann sich keinen Garten denken, der einen lieblicheren Anblick gewährt, als derjenige ist, welcher zum Hause gehört. Wenn du mir übrigens erlaubst, meine ganze Meinung auszusprechen, so will ich mir die Freiheit nehmen, dir zu sagen, dass das Haus ganz unvergleichlich sein würde, wenn noch drei Sachen dabei wären, die nach meiner Meinung fehlen.«

»Gute Mutter«, antwortete die Prinzessin Parisade, »was sind das für drei Sachen? Ich beschwöre dich im Namen Gottes, nenne mir dieselben: Ich werde alles aufbieten, sie zu erwerben, wenn es nur irgend möglich ist.«

»Edles Fräulein«, sagte hierauf die fromme Frau, »die erste von den drei Sachen ist der sprechende Vogel; dies ist ein seltsamer Vogel, Bülbülhesar genannt, welcher die Eigenschaft hat, alle Singvögel aus der ganzen Umgegend an sich zu ziehen, so dass sie herbeikommen, um mit ihm zu singen. Die zweite ist der singende Baum, dessen Blätter ebensoviel Zungen und Kehlen sind, deren mannigfaltige Stimmen unaufhörlich einen höchst anmutigen Gesang bilden. Die dritte endlich ist das goldgelbe Wasser, von dem man nur einen einzigen Tropfen in ein ausdrücklich dazu an irgend einem Orte des Gartens bereitetes Becken ausgießen darf, so schwillt er alsbald dermaßen an, dass des Becken davon voll wird und aus der Mitte eine Garbe von Wasserstrahlen hervorspringt, die unaufhörlich auf- und niedersteigt, ohne dass jedoch das Becken überläuft.«

»Ach! meine gute Mutter«, rief die Prinzessin, »wie sehr danke ich dir, dass du mir von diesen Dingen Kunde gegeben hast! Sie sind sehr wunderbar und ich habe noch nie gehört, dass es etwas so seltsames und merkwürdiges auf der Welt gebe; da ich indes überzeugt bin, dass du den Ort kennst, wo sie sich befinden, so erwarte ich von dir die Gefälligkeit, ihn mir anzuzeigen.« Darauf antwortete die fromme Frau, um den Wunsch der Prinzessin zu erfüllen: »Edles Fräulein, ich würde mich der Gastfreundschaft, die du mir soeben mit so vieler Güte erwiesen hast, unwürdig machen, wenn ich mich weigerte, deine Frage zu beantworten und deine Neugierde zu befriedigen. Ich habe also die Ehre, dir zu sagen, dass die drei Dinge, von denen ich eben sprach, sich an einem und demselben Orte, auf der Grenze dieses Königsreichs nach Indien zu, befinden. Der Weg dahin führt an deinem Hause vorbei. Derjenige, welchen du danach aussenden willst, darf ihn nur zwanzig Tagereisen verfolgen und am zwanzigsten Tage fragen, wo der sprechende Vogel, der singende Baum und das gelbe Wasser seien. Der erste, an den er sich wendet, wird es ihm sagen.« Mit diesen Worten stand sie auf, nahm Abschied und ging ihres Weges weiter.

Die Prinzessin Parisade war so ganz damit beschäftigt, die Nachweisung der frommen Frau über den sprechenden Vogel, den singenden Baum und das gelbe Wasser ihrem Geiste einzuprägen, dass sie ihre Entfernung erst bemerkte, als sie noch einige Fragen wegen näherer Auskunft über diese Sache tun wollte. Das, was sie aus ihrem Munde vernommen hatte, schien ihr nicht genug, um mit einiger Aussicht auf Erfolg die Reise unternehmen zu können. Gleichwohl wollte sie der frommen Frau niemand nachschicken, um sie zurückzuholen, sondern sie strengte ihr Gedächtnis an und bemühte sich, alles, was sie gehört hatte, in ihren Geist zurückzurufen. Da sie nun glaubte, dass ihr nichts entgangen sei, so dachte sie mit großem Wohlgefallen daran, wie groß ihre Freude sein würde, wenn sie zum Besitze so wunderbarer Dinge gelangen könnte. Zugleich aber geriet sie in große Unruhe wegen der Schwierigkeiten, die sie dabei erkannte, und weil sie fürchtete, es möchte ihr nicht gelingen. Sie war ganz in diese Gedanken vertieft, als die Prinzen, ihre Brüder, von der Jagd zurückkamen. Sie traten in den Saal und wunderten sich sehr, ihre Schwester nicht wie gewöhnlich mit heiterem Gesicht und in froher Laune, sondern vielmehr in sich gekehrt und beinahe betrübt anzutreffen, denn sie erhob nicht einmal den Kopf, um wenigstens zu erkennen zu geben, dass sie ihre Ankunft bemerkte. Der Prinz Brahman nahm das Wort und sagte zu ihr: »Liebe Schwester, wo ist denn der Frohsinn und die Heiterkeit, die bisher unzertrennlich von dir gewesen? Bist du unwohl? Ist dir vielleicht irgend ein Unfall zugestoßen? Hat dir jemand Anlass zum Verdruss gegeben? Sage es uns, damit wir den geziemenden Anteil daran nehmen und die nötigen Maßregeln ergreifen, um dich zufrieden zu stellen oder dich zu rächen, wenn jemand sich erfrecht haben sollte, ein Fräulein, wie dich, der alle Ehrfurcht gebührt, zu beleidigen.« Die Prinzessin Parisade blieb noch einige Augenblicke in derselben Stellung, ohne zu antworten. Endlich hob sie die Augen auf, sah die Prinzen, ihre Brüder, an, lenkte aber ihren Blick schnell wieder zur Erde, nachdem sie ihnen geantwortet hatte, die Sache habe nichts zu bedeuten. »Liebe Schwester«, fuhr der Prinz Brahman fort, »du verhehlst uns die Wahrheit und es muss sich wohl etwas Wichtiges zugetragen haben. In der kurzen Zeit, da wir abwesend waren, kann unmöglich um nichts und wieder nichts eine so große und unerwartete Veränderung mir dir vorgegangen sein. Du wirst erlauben, dass wir dich mit dieser ungenügenden Antwort nicht davon kommen lassen. Verbirg uns also nicht, was es ist, denn wir müssten sonst glauben, dass du die Freundschaft und die innige Eintracht, die von unserer zartesten Jugend an bis auf diese Stunde zwischen uns bestanden, nicht länger fortsetzen wollest.« Die Prinzessin, die ganz und gar nicht im Sinne hatte, mit ihren Brüdern zu brechen, wollte sie nicht in diesem Wahne lassen und antwortete ihnen also: »Als ich euch sagte, es sei nichts Wichtiges, was mich so beschäftigte, so meinte ich dies in Beziehung auf euch und nicht auf mich, denn ich finde, dass die Sache doch von einiger Erheblichkeit ist. Da ihr nun vermöge des Rechtes unserer Freundschaft und Eintracht, welche mir so teuer sind, in mich dringet, so will ich euch alles sagen. Ihr glaubtet bisher, und ich glaubte es ebenfalls, das Haus, welches unser seliger Vater uns erbauen ließ, sei in jeder Beziehung vollkommen und es fehle durchaus nicht das mindeste daran. Heute aber habe ich erfahren, dass ihm noch drei Sachen fehlen, welche es weit über alle Landhäuser auf der ganzen Welt erheben würde. Diese drei Sachen sind: der sprechende Vogel, der singende Baum und das goldgelbe Wasser.« Nachdem sie ihnen sofort auseinandergesetzt hatte, worin die Vortrefflichkeit derselben bestehe, fuhr sie also fort: »Eine fromme Frau hat mich darauf aufmerksam gemacht und mir zugleich den Ort, wo sie sind, sowie den Weg dazu angezeigt. Ihr werdet vielleicht finden, dass diese Sache für die Vollkommenheit unseres Hauses durchaus keine Bedeutung haben und dass es auch ohne dieselben immerhin für sehr schön gelten könne, weshalb wir ihrer durchaus nicht benötigt seien. Ihr mögt übrigens davon denken, wie ihr wollt, ich für meine Person kann nicht umhin, euch zu erklären, dass ich sie durchaus für notwendig zu unserm Hause erachte und mich nicht eher zufrieden geben werde, als bis ich mich in ihrem Besitze befinde. Ob nun die Sachen in euren Augen gleichgültig sind, oder nicht, so ersuche ich euch jedenfalls, mir mit euerm Rate beizustehen und zu sagen, wen ich wohl zur Erlangung derselben aussenden kann.«

»Liebe Schwester«, versetzte darauf der Prinz Brahman, »nichts kann dir am Herzen liegen, was uns nicht ebenso wichtig wäre. Da du nun die Erlangung der oben erwähnten Gegenstände so sehr wünschest, so halten wir es für unsere Pflicht, sie dir zu verschaffen. Übrigens fühlen wir uns auch, abgesehen von deinem Wunsch, aus freien Stücken und zu unserer eigenen Befriedigung dazu angetrieben; ich bin fest überzeugt, dass mein Bruder ebenso denkt, wie ich, und wir müssen alles daran setzen, um diese Eroberung zu machen. Die Sache ist von solchem Belang und so merkwürdig, dass ich wohl diesen Ausdruck brauchen darf. Ich übernehme die Ausführung; sage mir nur den Weg, den ich einschlagen muss, und den Ort, so will ich gleich morgen die Reise antreten.

»Geliebter Bruder«, wandte der Prinz Perwis ein, »ich halte es nicht für ratsam, wenn du, das Haupt und die Stütze des Hauses, dich solange entfernen willst; ich bitte daher unsere Schwester, dass sie sich mit mir vereinige, um dich von diesem Vorsatze abzubringen. Gestatte, dass ich die Reise mache; ich werde die Sache so gut ausführen als du, und jedenfalls wäre dies mehr in der Ordnung.«

»Bruder«, erwiderte der Prinz Brahman, »ich bin von deinem guten Willen überzeugt und zweifle keineswegs, dass du das Abenteuer so gut bestehen wirst, als ich. Im übrigen ist es eine abgemachte Sache und du musst es mir überlassen. Du bleibst bei unserer Schwester, die ich dir nicht erst zu empfehlen brauche.« Nun brachte er den übrigen Teil des Tages mit Vorbereitungen zur Reise zu und ließ sich von seiner Schwester genau die Nachweisungen der frommen Frau wiederholen, um nicht zu verirren. Am anderen Morgen in aller Frühe stieg der Prinz Brahman zu Pferd; der Prinz Perwis und die Prinzessin Parisade, die ihn abreisen sehen wollten, umarmten ihn und wünschten ihm glückliche Reise. Während des Abschieds aber fiel der Prinzessin ein Gedanke aufs Herz, der ihr bisher nicht gekommen war. »Aber, mein Bruder«, sagte sie, »ich habe gar nicht an die Unfälle gedacht, mit denen eine solche Reise verbunden ist. Wer weiß, ob ich dich jemals wieder sehe l Ich beschwöre dich, steig wieder ab und Unterlass diese Reise. Lieber will ich den Anblick und den Besitz des sprechenden Vogels, des singenden Baumes und des goldgelben Wassers entbehren, als Gefahr laufen, dich auf immer zu verlieren.« »Schwesterchen«, antwortete der Prinz Brahman, lächelnd ob der plötzlichen Ängstlichkeit der Prinzessin Parisade, »mein Entschluss steht fest, im anderen Fall würde ich ihn jetzt noch fassen, und du wirst erlauben, dass ich ihn ausführe. Solche Unfälle, von denen du sprichst, widerfahren nur den Unglücklichen. Es ist wahr, ich kann auch zu diesen gehören, aber vielleicht gehöre ich auch unter die Zahl der Glücklichen, die viel größer ist, als die der Unglücklichen. Da indes der Erfolg ungewiss und es wohl möglich ist, dass ich bei meiner Unternehmung umkomme, so kann ich weiter nichts tun, als dir dies Messer hier lassen.« Mit diesen Worten zog der Prinz Brahman ein Messer hervor, überreichte es der Prinzessin in der Scheide und sagte zu ihr: »Da nimm und mach' dir von Zeit zu Zeit die Mühe, dies Messer aus seiner Scheide zu ziehen; so lang du es blank siehst, wie es hier ist, so ist dies ein Zeichen, dass ich noch lebe; wenn du aber Blut herabträufeln siehst, so kannst du mit Gewissheit annehmen, dass ich nicht mehr bin, und dann bete für mich.« Die Prinzessin Parisade konnte den Prinzen Brahman zu keinem anderen Entschluss vermögen, Er sagte ihr und dem Prinzen Perwis zum letzten Mal Lebewohl und ritt dann auf einem stattlichen Rosse, wohlbewaffnet und ausgerüstet, dahin. Er begab sich auf den ihm bezeichneten Weg, und ohne weder rechts noch links abzuweichen, ritt er quer durch Persien hin auf demselben fort, bis er am zwanzigsten Tage seiner Reise seitwärts am Wege einen Greis von abscheulichem Ansehen erblickte, der in einiger Entfernung von einer Hütte, die ihm bei schlimmen Wetter zum Obdach diente, unter einem Baume saß. Seine Augenbrauen, die, wie auch die Haare, der Schnauzbart und der Backenbart, schneeweiß waren, reichten ihm bis auf die Nasenspitze herab; der Schnauzbart bedeckte ihm den Mund, der Backenbart und die Kopfhaare aber fielen ihm fast bis auf die Füße hernieder. An Händen und Füßen hatte er Nägel von übermäßiger Länge, und seinen Kopf bedeckte eine Art flacher, sehr breiter Hut in Form eines Sonnenschirms. Seine ganze Kleidung bestand in einer Binsenmatte, in welche er sich gewickelt hatte. Dieser gute Greis war ein Derwisch, der sich schon vor langen Jahren von der Welt zurückgezogen und seinen Körper vernachlässigt hatte, um sich einzig und allein Gott zu widmen, so dass er am Ende das Aussehen bekam, das ich geschildert habe.

Der Prinz Brahman, der schon den ganzen Morgen genau acht gegeben hatte, ob er nicht vielleicht jemand anträfe, bei dem er sich über das Ziel seiner Reise erkundigen könnte, hielt an, als er in die Nähe des Derwisches kam. Dies war nämlich der erste Mensch, der ihm begegnete, und er stieg daher ab, um allem pünktlich nachzukommen, was die fromme Frau zu der Prinzessin Parisade gesagt hatte. Indem er nun sein Ross am Zügel führte, näherte er sich dem Derwisch und begrüßte ihn mit den Worten: »Guter Vater, Gott verlängere deine Tage und gewähre dir die Erfüllung aller deiner Wünsche!« Der Derwisch erwiderte den Gruß des Prinzen, aber so undeutlich, dass dieser kein Wort davon verstand. Da nun der Prinz Brahman sah, dass der Schnauzbart, der den Mund des Derwisches bedeckte, dass Hindernis war, und da er nicht weiter reiten wollte, ohne die nötige Erkundigung eingezogen zu haben, so nahm er eine Schere, die er bei sich führte, und nachdem er sein Pferd an einen Baumaste gebunden, sagte er zu ihm: »Guter Derwisch, ich habe mit dir zu reden, aber dein Schnauzbart hindert mich, dich zu verstehen. Darum bitte ich dich, erlaube mir, ihn zu stutzen und ebenso auch deine Augenbrauen, die dich entstellen und dir mehr das Ansehen eines Bären, als eines Menschen geben.« Der Derwisch hatte hiergegen nichts einzuwenden. Er ließ den Prinzen gewähren, und da dieser nach Vollendung seiner Arbeit bemerkte, dass der Derwisch eine frische Gesichtsfarbe hatte und weit jünger aussah, als er wirklich war, so sagte er zu ihm: »Guter Derwisch, wenn ich einen Spiegel hätte, so würde ich dir zeigen, wie sehr du verjüngt bist. Jetzt bist du ein Mensch, vorher aber konnte niemand erkennen, was du warst.« Bei diesen Schmeicheleien des Prinzen Brahman lächelte der Derwisch und erwiderte höflich: »Herr, wer du auch sein magst, ich bin dir unendlich verpflichtet für diese Gefälligkeit, die du mir erwiesen hast; zugleich erkläre ich mich bereit, dir mit allem, was in meinen Kräften steht, meine Erkenntlichkeit zu beweisen. Du bist nicht abgestiegen, ohne dass irgend ein Anliegen dich dazu genötigt hätte; sage mir nun, was es ist, ich will deinen Wunsch zu befriedigen suchen, wenn es mir möglich ist.«

»Guter Derwisch«, erwiderte der Prinz Brahman, »ich komme aus weiter Ferne und suche den sprechenden Vogel, den singenden Baum und das goldgelbe Wasser. Ich weiß, dass diese drei Sachen irgendwo in dieser Gegend sich befinden, aber den Ort, wo sie sind, weiß ich nicht. Wenn er dir bekannt ist, so beschwöre ich dich, zeige mir den Weg dazu, damit ich nicht auf einen falschen gerate und die Frucht der langen Reise, die ich unternommen, verliere.« Der Prinz bemerkte, dass der Derwisch bei seiner Rede nach und nach das Gesicht verändert, die Augen niederschlug und ein äußerst ernstes Wesen annahm, ja sogar, statt zu antworten, längere Zeit auf seinem Schweigen beharrte. Dies veranlasste ihn, nochmals das Wort zu nehmen und also fortzufahren: »Guter Vater, ich glaube, dass du mich verstanden hast; sag' mir nun, ob du das weißt, was ich durch dich zu erfahren wünsche, oder ob du es nicht weißt, auf dass ich keine Zeit verliere, sondern mich anderwärts erkundige.« Der Derwisch brach endlich sein Stillschweigen und sagte zu dem Prinzen Brahman: »Herr, der Weg, nach dem du fragst, ist mir bekannt, allein ich habe dich gleich auf den ersten Anblick so lieb gewonnen, und die Gefälligkeit, die du mir erwiesen, hat diese Freundschaft so sehr gesteigert, dass ich unentschlossen bin, ob ich dir die erwünschte Auskunft erteilen soll oder nicht.«

»Was mag dich davon abhalten?« fragte der Prinz, »und welche Bedenklichkeiten kannst du haben, mir auf meine Frage zu antworten?«

»Das will ich dir sagen«, antwortete der Derwisch; »die Gefahr, der du dich aussetzest, ist weit größer, als du glauben kannst. Schon viele andere Herren, die nicht weniger Kühnheit und Mut hatten, als du besitzen magst, sind hier vorbeigekommen und haben dieselbe Frage getan, wie du. Ich habe nichts unterlassen, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen, allein sie wollten mir nicht glauben, und so ließ ich mich denn, obwohl mit großem Widerwillen, durch ihre dringenden Bitten bestimmen, ihnen den Weg zu zeigen; ich kann dir übrigens versichern, dass sie alle verunglückt sind und Ich keinen einzigen habe zurückkommen sehen. Wenn dir dein Leben nur im mindesten lieb ist und du meinen Rat befolgen willst, so gehe nicht weiter, sondern kehre sogleich wieder heim.«

Der Prinz Brahman aber beharrte auf seinem Entschluss und erwiderte dem Derwisch: »Ich will gerne glauben, dass dein Rat gut gemeint ist, auch bin ich dir für diesen Beweis von Freundschaft sehr verpflichtet. Indes mag die Gefahr, von der du sprichst, so groß sein, als sie will, ich werde mich durch nichts von meinem Vorhaben abbringen lassen. Wenn ich angegriffen werde, so habe ich gute Waffen, und ich glaube nicht, dass mein Gegner tapferer oder beherzter sein wird, als ich.«

»Wenn aber«, wandte der Derwisch ein, »diejenigen, die dich angreifen (denn es sind ihrer mehrere), sich gar nicht sehen lassen, wie willst du dich dann gegen unsichtbare Feinde verteidigen?«

»Gleichviel«, erwiderte der Prinz, »du wirst mich nie überreden, gegen meine Pflicht zu handeln. Da du den Weg weißt, nach welchem ich dich frage, so beschwöre ich dich noch einmal, zeige ihn mir und schlage mir diese Gefälligkeit nicht ab.« Da der Derwisch sah, dass er den Prinzen Brahman nicht auf andere Gedanken bringen konnte, sondern dass derselbe, ungeachtet der wohlmeinenden Warnung, die er ihm gab, hartnäckig auf dem Entschluss beharrte, seine Fahrt fortzusetzen, so griff er in einen Sack, den er neben sich hatte, zog eine Kugel heraus und überreichte sie ihm mit den Worten: »Da ich es nicht über dich gewinnen kann, dass du auf meine Stimme hörst und meinen Rat befolgst, so nimm diese Kugel, und wenn du wieder zu Pferd sitzt, wirf sie vor dich hin und folge ihr bis an den Fuß eines Berges, wo sie stehen bleiben wird. Sobald sie stille steht, steig ab und wirf deinem Pferd den Zügel um den Hals; es wird auf derselben Stelle bleiben, bis du zurückkommst. Wenn du nun den Berg hinaufsteigst, wirst du rechts und links eine große Menge dicker schwarzer Steine erblicken und von allen Seiten ein verworrenes Getöse von Stimmen .hören, die dir tausend Schimpfworte zurufen werden, um dich zu entmutigen und zu verhindern, dass du die Höhe nicht erreichst. Nimm dich indes wohl in acht, darüber zu erschrecken, und vor allen Dingen drehe den Kopf nicht, um zurückzusehen; du würdest im Augenblick in einen schwarzen Stein verwandelt werden, ähnlich denen, die du dort sehen wirst. Denn auch diese sind nichts anderes, als solche Herren, wie du, welchen ihr Unternehmen misslungen ist, wie ich dir schon gesagt habe. Wenn du nun der Gefahr, die ich dir bloß andeute, damit du ihrer gedenken sollst, entrinnst und wirklich den Gipfel des Berges erreichst, so wirst du dort einen Käfig finden und in dem Käfig den Vogel, den du suchst. Da er sprechen kann, so frage ihn, wo der singende Baum und das goldgelbe Wasser ist, und er wird es dir anzeigen. Mehr habe ich dir nicht zu sagen: du weißt jetzt alles, was du zu tun und zu lassen hast; lass dich indes belehren, folge meinem Rat und setze dich nicht der Gefahr aus, dein Leben zu verlieren: Noch einmal, so lang du noch Zeit hast, zu überlegen, bedenke wohl, dass dieser unwiderbringliche Verlust an eine Bedingung geknüpft ist, die man, wie du gewiss einsehen wirst, leicht, selbst durch bloße Achtlosigkeit, übertreten kann.«

Darauf erwiderte der Prinz Brahman, nachdem er die Kugel empfangen hatte: »So sehr ich dir auch für deinen Rat verbunden bin, den du soeben wiederholt hast, so kann ich ihn doch nicht befolgen, werde mir indes Mühe geben, deine Warnung, dass ich beim Hinaufsteigen auf den Berg nicht hinter mich sehen soll, zu benützen; auch hoffe ich, dass du mich bald mit der gewünschten Beute zurückkommen sehen wirst, um dir noch umständlicher zu danken.« Auf diese Worte, nach welchen der Derwisch nichts mehr erwiderte, als dass er sich freuen würde, ihn wieder zu sehen, und wünsche, dass es so gehen möchte, stieg der Prinz wieder zu Pferd, verabschiedete sich von dem Derwisch mit einer tiefen Verneigung des Kopfes und warf die Kugel vor sich hin.

Die Kugel rollte mit derselben Schnelligkeit, die der Prinz Brahman ihr durch den Wurf gegeben hatte, fort und fort, so dass er den Lauf seines Pferds beschleunigen musste, um ihr zu folgen und sie nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Am Fuße des Berges hielt sie, wie der Derwisch gesagt hatte, still, der Prinz stieg ab, legte dem Pferd die Zügel um den Hals und es rührte sich nicht mehr vom Fleck. Nachdem er nun den Berg gehörig besehen und die schwarzen Steine darauf bemerkt hatte, fing er an, ihn zu ersteigen, aber kaum hatte er vier Schritte getan, so ließen sich schon die Stimmen vernehmen, von denen der Derwisch ihm gesagt hatte, ohne dass er jemand erblickte. Einige sprachen: »Wohin will dieser Tollkopf? was will er? Lasst ihn nicht vorbei!« Andere: »Haltet ihn an, greift, tötet ihn!« Wieder andere schrien mit einer Donnerstimme: »Ein Dieb, ein Mörder, ein Taugenichts!« Noch andere riefen in spöttischem Ton: »Nein, tut ihm nichts zuleide, Lasst das hübsche Büblein ziehen; wahrhaftig nur für ihn hat man den Käfig und den Vogel aufbewahrt« Ungeachtet dieser ärgerlichen Stimmen klomm der Prinz Brahman eine Zeitlang standhaft und fest den Berg hinan, indem er sich selbst Mut einsprach; nun aber wurden die Stimmen immer lauter, sie machten ein so schreckliches Getöse und kamen ihm sowohl von hinten, als von vorne so nahe, dass Angst und Entsetzen sich seiner bemächtigte. Seine Füße und Knie fingen an zu zittern, er wankte und bald darauf, als er spürte, dass ihm die Kräfte versagten, vergaß er die Warnung des Derwisches und drehte sich um, um schnell den Berg wieder hinabzusteigen; allein in demselben Augenblick wurde er in einen schwarzen Stein verwandelt, wie es schon vielen anderen vor ihm ergangen war, welche dieselbe Unternehmung versucht hatten. Seinem Ross widerfuhr dasselbe.

Seit der Abreise des Prinzen Brahman hatte die Prinzessin Parisade, welche das Messer mit der Scheide, das er ihr zum Kennzeichen seines Todes oder Lebens zurückgelassen, stets an ihrem Gürtel trug, es nicht versäumt, dasselbe häufig, ja sogar mehrere Male des Tages hervorzuziehen und zu befragen. Auf diese Weise hatte sie den Trost gehabt, zu wissen, dass er vollkommen gesund sei, und sich oft über ihn mit dem Prinzen Perwis unterhalten, der manchmal zuerst davon anfing und sie um Nachrichten fragte. So auch an dem unglückseligen Tage, wo der Prinz Brahman in einen Stein verwandelt wurde. Der Prinz Perwis und die Prinzessin unterhielten sich abends nach ihrer Gewohnheit von ihm, und der Prinz sagte zu seiner Schwester: »Liebe Schwester, ich bitte dich, zieh das Messer hervor, auf dass wir erfahren, wie es ihm ergeht.« Die Prinzessin zog es herauf, und als sie es betrachteten, sahen sie von der Spitze Blut herabträufeln. Von Schmerz und Entsetzen ergriffen, warf Parisade das Messer weg und rief: »Ach, mein geliebter Bruder, so habe ich dich also verloren, durch meine eigene Schuld verloren, und werde dich nie wieder sehen! Wehe mir, o ich Unglückliche! Warum musste ich dir auch von dem sprechenden Vogel, dem singenden Baum und dem goldgelben Wasser sagen, oder vielmehr, was konnte es mich kümmern, ob die alte Betschwester unser Haus schön oder hässlich, vollkommen oder unvollkommen fand. Wollte Gott, es wäre ihr nie eingefallen, hier einzusprechen! Heuchlerin, Betrügerin!« fügte sie hinzu, »musstest du den freundlichen Empfang, den ich dir werden ließ, so vergelten! Warum hast du mir von einem Vogel, einem Baum und einem Wasser erzählt, welche gewiss nur in der Einbildung der Toren vorhanden sind, wie ich an dem unglücklichen Ende meines geliebten Bruders erkenne, aber dennoch durch deine Verzauberung fortwährend mein Gemüt beunruhigen!« Der Prinz Perwis war über den Tod seines Bruders Brahman nicht minder betrübt, als die Prinzessin Parisade; da er aber aus den Wehklagen seiner Schwester erkannt hatte, dass ihr Herz noch immer mit aller Macht nach dem Besitz des sprechenden Vogels, des singenden Baumes und des goldgelben Wassers verlangte, so beschloss er die Zeit nicht mit fruchtlosen Klagen zu verlieren. »Liebe Schwester«, sagte er zu ihr, »vergeblich betrauern wir unsern Bruder Brahman: unser Klagen und unser Schmerz werden ihm das Leben nicht wiedergeben. Dies ist nun einmal Gottes Wille, wir müssen uns ihm unterwerfen und seine Ratschlüsse verehren, wenn wir sie auch nicht verstehen können. Warum willst du jetzt auf einmal die Worte der frommen Frau bezweifeln nachdem du sie mit so festem Glauben für wahr und zuverlässig gehalten hast! Meinst du, sie würde dir von diesen drei Sachen erzählt haben, wenn sie nicht wirklich vorhanden wären, und sie habe dieselben bloß erfunden, um dich zu betrügen, während du ihr doch durchaus nie und nimmer mehr Anlass dazu gegeben, sondern sie vielmehr so ehrenvoll und gütig aufgenommen und bewirtet hast? Lieber wollen wir glauben, dass der Tod unseres Bruders durch irgend ein Versehen von ihm oder durch einen Unfall herbeigeführt worden ist, den wir uns freilich nicht denken können. Darum, liebe Schwester, wollen wir uns durch seinen Tod nicht abhalten lassen, unser Ziel zu verfolgen; ich hatte mich gleich anfangs erboten, statt seiner die Reise zu machen, und bin noch jetzt dazu bereit. Sein Beispiel vermag mich nicht von meinem Vorhaben abzubringen, und ich will mich gleich morgen auf den Weg machen.« Die Prinzessin tat alles mögliche, um es dem Prinzen Perwis auszureden; sie beschwor ihn mit den rührendsten Ausdrücken, er möchte sie doch nicht der Gefahr aussetzen, statt eines Bruders beide zu verlieren, allein er blieb taub gegen alle ihre Vorstellungen. Vor seiner Abreise gab er ihr, damit sie beständig den Erfolg seiner Reise wissen möchte, wie sie von dem Schicksal des Prinzen Brahman durch das zurückgelassene Messer unterrichtet worden war, einen Rosenkranz von hundert Perlen zu demselben Behufe, und indem er ihr denselben überreichte, sprach er zu ihr: »Sprich diesen Rosenkranz für mich während meiner Abwesenheit. Wenn du ihn abbetest und die Perlen wie angeleimt feststehen, so dass du sie nicht mehr bewegen und nacheinander fallen lassen kannst, so ist das ein Zeichen, dass ich dasselbe Schicksal erlitten habe, wie unser Bruder. Hoffen wir indes, dass dies nicht geschehen wird, sondern dass ich vielmehr Glück habe, dich nach Erreichung unseres Zweckes wieder zu sehen.«

Der Prinz Perwis ritt also fort, und am zwanzigsten Tag seiner Reise traf er denselben Derwisch an derselben Stelle, wo der Prinz Brahman ihn gesehen hatte. Er ritt auf ihn zu, und nachdem er ihn begrüßt hatte, bat er ihn, wenn er es wüsste, ihm den Ort anzuzeigen, wo der sprechende Vogel, der singende Baum und das goldgelbe Wasser zu finden seien. Der Derwisch machte ihm dieselben Schwierigkeiten und Vorstellungen, wie dem Prinzen Brahman, und setzte noch hinzu, erst vor ganz kurzer Zeit habe ein junger Herr, mit dem er viele Ähnlichkeit besitze, ihn um denselben Weg gefragt; durch seine dringenden und ungestümen Bitten bewogen, habe er ihm denselben gezeigt, eine Art Wegweiser mitgegeben und genau vorgeschrieben, was er zu beobachten habe, wenn der Erfolg glücklich sein solle. Indes habe er ihn nicht zurückkommen sehen und könne daher nicht zweifeln, dass ihm dasselbe Schicksal geworden sei, wie seinen Vorgängern. »Gut Derwisch«, antwortete der Prinz Perwis, »ich weiß, wer derjenige ist, von welchem du sprichst: es war mein älterer Bruder, und ich weiß zuverlässig, dass er tot ist; auf welche Art er aber gestorben ist, kann ich mir nicht denken.«

»Das will ich dir sagen«, versetzte der Derwisch; »er ist wie alle seine Vorgänger in einen schwarzen Stein verwandelt worden, und auch du hast dieselbe Verwandlung zu erwarten, wenn du die guten Ratschläge, die ich ihm ebenfalls erteilt hatte, nicht besser befolgst, oder nicht lieber deinen Plan ganz aufgeben willst, wozu ich dich noch einmal recht dringend ermahne.«

»Derwisch«, antwortete der Prinz Perwis, »ich kann dir meinen Dank für den Anteil, den du an der Erhaltung meines Lebens nimmst, obgleich ich dir ganz fremd bin und nichts getan habe, um dein Wohlwollen zu verdienen, nicht genugsam ausdrücken. Auch das muss ich dir bemerken, dass ich die Sache reiflich überlegt habe, ehe ich meinen Entschluss fasste, und jetzt nicht mehr davon abgehen kann. Darum bitte ich dich, erweise mir dieselbe Gnade, wie meinem Bruder: vielleicht wird es mir besser als ihm gelingen, denselben Anweisungen, die ich von dir erwarte, nachzukommen.«

»Da es mir also«, sagte der Derwisch, »nicht gelingen will, dich von deinem Entschluss abzubringen, so sei es denn; wenn mein hohes Alter mich nicht daran verhinderte und ich mich aufrecht auf meinen Beinen halten könnte, so würde ich aufstehen, um dir die Kugel zu geben, die ich hier habe und die dir zum Wegweiser dienen muss.« Der Prinz Perwis ließ den Derwisch nicht mehr sagen, sondern stieg sogleich vorn Pferd und trat auf den Alten zu. Der Derwisch hatte soeben die Kugel aus seinem Sack hervorgeholt, worin er noch einen großen Vorrat davon hatte; er gab sie ihm und setzte ihm auseinander, welchen Gebrauch er davon zu machen hätte. Nachdem er ihn nun, wie früher den Prinzen Brahman, aufs dringendste gewarnt hatte, vor den unsichtbaren Stimmen, so bedrohlich sie auch sein mögen, nicht zu erschrecken und nicht abzulassen, bis er den Berg erstiegen und den Käfig mit dem Vogel gefunden hätte, ließ er ihn weiter ziehen. Der Prinz Perwis dankte dem Derwisch, und als er wieder aufgestiegen war, warf er die Kugel vor sich hin, gab seinem Pferd beide Sporen und folgte ihr. Endlich gelangte er an den Fuß des Berges, und als er sah, dass die Kugel stehen blieb, so stieg er ab. Ehe er den ersten Schritt den Berg hinan tat, blieb er noch einen Augenblick stehen, um sich die Anweisungen, die der Derwisch ihm gegeben hatte, recht lebhaft ins Gedächtnis zurückzurufen. Endlich fasste er sich Mut und stieg hinan, fest entschlossen, den Gipfel des Berges zu erklimmen; kaum aber war er fünf bis sechs Schritte vorwärts gegangen, so hörte er hinter sich eine Stimme, die ihm sehr nahe zu sein schien, als wenn jemand ihn mit Schimpfworten zurückriefe und ihm zuschrie: »Halt ein, Verwegener! Ich werde dich für deine Frechheit züchtigen.« Bei dieser Beleidigung vergaß der Prinz alle Warnungen des Derwisches, legte die Hand an seinen Säbel, zückte ihn ' und drehte sich um, um Rache zu nehmen; kaum aber konnte er noch sehen, dass niemand ihm folgte, als er schon in einen schwarzen Stein verwandelt war, desgleichen auch sein Ross. Indes hatte die Prinzessin Parisade seit der Abreise ihres Bruders Perwis es keinen Tag versäumt, den im Augenblick des Abschieds von ihm empfangenen Rosenkranz an der Hand zu tragen, und wenn sie gerade nichts anderes zu tun hatte, ihn abzubeten, indem sie die Perlen, eine nach der anderen, durch die Finger laufen ließ. Sie hatte ihn diese ganze Zeit hindurch sogar nachts nicht von sich gelassen; jeden Abend, wenn sie zu Bett ging, hatte sie ihn um ihren Hals gelegt und morgens gleich beim Erwachen mit der Hand danach gegriffen, um zu untersuchen ob die Perlen noch immer sich bewegen ließen. Endlich an dem Tag und in dem Augenblick, da dem Prinzen Perwis dasselbe Schicksal wie seinem Bruder Brahman widerfuhr, in einen schwarzen Stein verwandelt zu werden, hielt sie wie gewöhnlich den Rosenkranz in der Hand und betete ihn. Da fühlte sie auf einmal, dass die Perlen sich nicht mehr bewegen ließen, wenn sie ihnen mit dem Finger einen Druck gab, und zweifelte nicht daran, dass dies ein sicheres Zeichen vom Tode ihres Bruders sei. Da sie nun für diesen Fall bereits ihren Entschluss gefasst hatte, so verlor sie keine Zeit damit, ihren Schmerz durch äußere Zeichen zu verraten. Sie tat sich Gewalt an, ihn ganz in ihr eigen Herz zurückzudrängen; am folgenden Morgen aber kleidete, bewaffnete und rüstete sie sich wie ein Mann, sagte ihren Leuten, sie werde in wenigen Tagen zurückkommen, stieg zu Ross und ritt auf derselben Straße dahin, welche die beiden Prinzen, ihre Brüder, gezogen waren. Die Prinzessin Parisade, die von ihren Jagdbelustigungen des Reitens gewohnt war, ertrug die Strapazen der Reise leichter, als andere Frauen vermocht hätten. Sie machte dieselben Tagesreisen, wie die Prinzen, ihre Brüder, und traf ebenfalls am zwanzigsten Tag den Derwisch. Als sie in seine Nähe kam, stieg sie ab, führte ihr Ross am Zügel und setzte sich neben ihm nieder. Nachdem sie ihn hierauf gegrüßt hatte, sprach sie also zu ihm: »Guter Derwisch, wirst du mir wohl erlauben, dass ich einige Augenblicke bei dir ausruhe, und hättest du wohl die Güte, mir zu sagen, ob du nie gehört hast, dass irgendwo in dieser Gegend ein Ort ist, wo man den sprechenden Vogel, den singenden Baum und das goldgelbe Wasser finden kann?« Der Derwisch antwortete: »Edles Fräulein - denn trotz deiner Verkleidung erkenne ich dein Geschlecht an deiner Stimme und muss dich also so nennen - ich danke dir für deinen Gruß und nehme die Ehre, die du mir erweist, mit großem Vergnügen an. Ich kenne allerdings den Ort, wo die genannten Dinge sich finden, aber in welcher Absicht fragst du mich darum?«

»Guter Derwisch«, erwiderte die Prinzessin Parisade, »man hat mir so viel Schönes von diesen Sachen erzählt, dass ich vor Verlangen brenne, sie zu besitzen.«

»Edles Fräulein«, versetzte der Derwisch, »man hat dir die Wahrheit gesagt; diese Dinge sind sogar noch weit erstaunlicher und wunderbarer, als man sie dir geschildert hat; aber von den Schwierigkeiten scheint man dir nichts gesagt zu haben, die du überwinden müsstest, um zu ihrem Genuss zu gelangen. Hätte man dich gebührend davon unterrichtet, so hättest du dich gewiss nicht auf eine so mühsame und gefährliche Unternehmung eingelassen. lass dir einen guten Rat geben: reite nicht weiter, sondern kehre wieder um und mute mir nicht zu, dass ich zu deinem Verderben beitragen soll.«

»Guter Vater«, sagte hierauf die Prinzessin, »ich komme aus weiter Ferne, und es wäre mir höchst unangenehm, wenn ich heimkehren müsste, ohne meinen Plan ausgeführt zu haben. Du sprichst von Schwierigkeiten und Lebensgefahr, sagst mir aber nicht, was dies für Schwierigkeiten sind und worin diese Gefahren bestehen. Ich wünschte indes sehr, es zu erfahren, damit ich mich darüber besinnen und sehen kann, ob ich auf meine Entschlossenheit, meinen Mut und meine Kräfte Vertrauen fassen darf oder nicht.« Hierauf wiederholte der Derwisch der Prinzessin Parisade dieselbe Rede, die er an die Prinzen Perwis und Brahman gehalten hatte, ja er übertrieb sogar die Schwierigkeiten, die mit der Übersteigung des Berges verbunden seien, auf welchem der Vogel sich in seinem Käfig befinde. Des Vogels, sagte er, müssen sie sich zuerst bemächtigen, dieser werde ihr dann über den Baum und das goldgelbe Wasser Auskunft geben. Sodann schilderte er ihr des Getöse und den Wirrwarr der drohenden und erschrecklichen Stimmen, die sich von allen Seiten hören lassen, ohne dass man jemand sehe, und endlich erzählte er von den vielen schwarzen Steinen, die allein schon sowohl sie, als jeden anderen abschrecken sollten, indem diese Steine tapfere Ritter seien und diese Verwandlung deswegen erlitten haben, weil sie die Hauptbedingungen zur glücklichen Ausführung des Unternehmens, nämlich sich vor Erreichung des Käfigs nicht umzudrehen und zurückzuschauen, nicht gehörig beobachtet.

Als der Derwisch seinen Vortrag geendet hatte, sagte die Prinzessin zu ihm: »Soviel ich aus deiner Rede ersehe, so bestehen die Hauptschwierigkeiten bei dieser Unternehmung darin, dass man bis zum Käfig hinanklimmen muss, ohne sich durch das Getöse der unsichtbaren Stimmen erschrecken zu lassen, und zweitens, dass man nicht rückwärts schauen darf. Was nun die letzte Bedingung betrifft, so hoffe ich, Herrschaft genug über mich zu besitzen, um sie pünktlich einzuhalten; in Beziehung auf die erste gestehe ich, dass solche Stimmen, wie du sie mir schilderst, wohl imstande sein können, auch die Beherztesten zu erschrecken. Da es indes bei keiner sehr wichtigen und gefährlichen Unternehmung verboten ist, List zu gebrauchen, so frage ich dich, ob mir bei diesem für mich so hochwichtigen Abenteuer nicht welche erlaubt ist.«

»Und welcher List würdest du dich wohl bedienen?« fragte der Derwisch. - »Mich dünkt«, antwortete die Prinzessin, »wenn ich mir die Ohren mit Baumwolle verstopfte, so würden jene Stimmen, wie stark und erschrecklich sie auch sein mögen, weit geringeren Eindruck auf mich machen und weniger auf meine Einbildungskraft wirken können; mein Geist würde also seine Freiheit behalten und nicht so sehr in Verwirrung geraten, dass er die Besinnung verlöre.«

»Edles Fräulein«, erwiderte der Derwisch, »ich weiß nicht, ob von allen denen, die sich bisher an mich gewandt und nach eben diesen Wege gefragt haben, sich irgend einer dieser List bedient hat, welche du hier erwähnst. Nur das weiß ich, dass keiner derselben gegen mich gedacht hat, und dass sie alle umgekommen sind. Wenn du indes auf deinem Beschluss beharrst, so magst du wohl eine Probe damit machen und darfst von Glück sagen, wenn es dir gelingt; übrigens rate ich dir noch einmal, setze dich dieser Gefahr nicht aus.« »Guter Vater«, versetzte die Prinzessin, »nichts kann mich abhalten, meinen Vorsatz auszuführen; mein Herz sagt mir, dass diese List gelingen wird, und ich bin entschlossen, mich ihrer zu bedienen. Ich brauche jetzt bloß noch von dir zu erfahren, welchen Weg ich nehmen muss, und ich beschwöre dich, versage mir diese Gefälligkeit nicht.« Der Derwisch ermahnte sie zum letzten Mal, die Sache wohl zu überlegen; da er aber sah, dass sie unerschütterlich war, so zog er eine Kugel aus seinem Sack heraus und überreichte sie ihr mit den Worten: »Nimm diese Kugel, steige wieder zu Pferd, und wenn du sie vor dich hingeworfen hast, so folge ihr auf allen Umwegen, in denen sie rollen wird, bis an den Berg, auf welchem dasjenige ist, was du suchst. Am Fuße desselben wird sie stehen bleiben, dann halte du ebenfalls an, steige ab und erklimme den Berg. Das übrige weißt du; vergiß ja nicht, es zu beobachten und zieh hin.« Die Prinzessin Parisade dankte dem Derwisch, verabschiedete sich von ihm und stieg wieder zu Pferd; sie warf die Kugel vor sich hin und ritt ihr auf dem Wege, welchen sie rollte, nach, bis sie endlich am Fuße des Berges stille stand.

Hier stieg die Prinzessin ab, verstopfte sich die Ohren mit Baumwolle, und nachdem sie den Weg nach dem Gipfel des Berges genau ins Auge gefasst, fing sie an, festen Schrittes und unerschrockenen Mutes hinanzusteigen. Sie hörte wohl die Stimmen, merkte aber sogleich, dass die Baumwolle ihr von großem Nutzen war. Je weiter sie hinaufkam, um so stärker und vielfacher wurden die Stimmen, doch nicht so, dass sie darüber in Verwirrung geraten wäre. Sie hörte zwar allerlei Schmähworte und beißende Spottreden in Beziehung auf ihr Geschlecht, allein sie verachtete dieselben und lachte ihrer. »Ich ärgere mich nicht über eure Beleidigungen und Spöttereien«, sprach sie bei sich selbst, »ihr dürft noch Schlimmeres sagen, ich spotte eurer, und ihr sollt mich nicht hindern, meinen Weg fortzusetzen.« Endlich kam sie so weit hinauf, dass sie den Käfig und den Vogel zu bemerken anfing, welcher letztere im Bunde mit den unsichtbaren Stimmen sich ebenfalls bemühte, sie einzuschüchtern, indem er ihr, so klein er auch war, mit donnernder Stimme zurief: »Zurück, tritt nicht näher!« Die Prinzessin aber, durch diesen Anblick ermutigt, verdoppelte ihre Schritte, als sie sich dem Ziel ihrer Laufbahn so nahe sah. Sie erreichte auch glücklich den Gipfel des Berges, wo der Boden eben war, lief gerade auf den Käfig zu, ergriff ihn mit der Hand und sagte zu dem Vogel: »Vogel, du bist jetzt trotz deines Sträubens in meiner Gewalt und sollst mir nicht entschlüpfen.«

Indem nun Parisade die Baumwolle wieder aus ihren Ohren zog, sagte der Vogel zu ihr: »Tapferes Fräulein, grolle mir nicht, dass ich mich mit denjenigen vereinigt habe, die sich für die Behauptung meiner Freiheit bemühten. Obgleich in einen Käfig gesperrt, war ich dennoch mit meinem Schicksal zufrieden: da ich nun aber einmal zu Sklaverei bestimmt bin, so will ich lieber dich zur Herrin haben, die du mich auf eine so mutvolle und würdige Art erworben hast als irgend einen anderen Menschen auf der Welt; auch schwöre ich dir von diesem Augenblick an unverbrüchliche Treue und gänzliche Unterwerfung unter alle deine Befehle. Ich weiß, wer du bist, und will dir auch sagen, dass du dich selbst nicht als das erkennst, was du bist; aber es wird ein Tag kommen, da ich dir einen Dienst zu erweisen hoffe, den du mir gewiss sehr danken wirst. Um dir sogleich Beweise meiner Aufrichtigkeit zu geben, so sage mir jetzt, was du wünschst; ich bin bereit, zu gehorchen.«

Die Freude der Prinzessin war unbeschreiblich, um so mehr, da die Eroberung, welche sie soeben gemacht hatte, mit dem Tod zweier aufs zärtlichste geliebten Brüder erkauft und für sie selbst mit so vielen Anstrengungen und Gefahren verbunden war; denn jetzt, nachdem sie die Gefahren überstanden, erkannte sie die Größe derselben viel besser, als damals, da sie sich trotz der Abmahnungen des Derwisches hineinbegab. Sie antwortete nun dem Vogel also: »Vogel, es war meine Absicht, dir zu sagen, dass ich mehrere Dinge wünsche, die für mich von äußerster Wichtigkeit sind; es freut mich nun ungemein, dass du mir zuvorgekommen bist und deine Willfährigkeit zugesagt hast. Fürs erste habe ich gehört, es gebe hier ein goldgelbes Wasser, das ganz wunderbare Eigenschaften habe; ich bitte dich nun, mir vor allen Dingen den Ort zu sagen, wo es zu finden ist.« Der Vogel sagte ihr den Ort, der nicht weit entfernt war, sie ging hin und füllte ein silbernes Fläschchen, das sie mitgebracht hatte, mit dem Wasser an; dann kam sie zum Vogel zurück und sagte zu ihm: »Vogel, ich bin noch nicht zufrieden, ich suche auch den singenden Baum; sage mir, wo er ist.« Der Vogel antwortete: »Drehe dich um und du wirst hinter dir einen Wald erblicken, worin dieser Baum sich befindet.« Der Wald war ganz in der Nähe; die Prinzessin ging hin und erkannte an dem wohllautenden Zusammenklang von Stimmen unter mehreren anderen Bäumen bald denjenigen, den sie suchte. Da er aber sehr dick und sehr hoch war, so ging sie zum Vogel zurück und sagte zum ihm: »Vogel, ich habe den singenden Baum zwar gefunden, kann ihn aber weder aus der Erde heben, noch mitnehmen.«

»Dies ist auch nicht nötig«, antwortete der Vogel, »du brauchst bloß den kleinsten Zweig abzubrechen, mit nach Hause zu nehmen und in deinen Garten zu pflanzen; er wird alsbald Wurzeln schlagen und in kurzer Zeit wirst du ihn zu einem ebenso schönen Baum erwachsen sehen, wie dieser ist.« Als nun die Prinzessin Parisade sich im Besitz der drei Dinge sah, nach welchen die fromme Frau ein so heißes Verlangen in ihr erregt hatte, sprach sie also weiter zu dem Vogel. »Vogel, soviel du auch schon für mich getan hast, so ist es immer noch nicht genug. Du bist schuld an dem Tod meiner beiden Brüder, die unter den schweren Steinen sein müssen, welche ich beim Heraufsteigen gesehen habe; ich möchte sie gerne nach Hause nehmen.«

Es schien, als ob der Vogel dieses Gebotes gern enthoben gewesen wäre, denn er machte Schwierigkeiten. Die Prinzessin bestand indes darauf und fuhr fort: »Erinnere dich, Vogel, dass du eben gesagt hast, du seist mein Sklave; du bist es wirklich und dein Leben steht in meiner Gewalt.«

»Ich kann«, antwortete der Vogel, »diese Wahrheit allerdings nicht bestreiten, und obgleich deine jetzige Forderung mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist, als die andern, so will ich sie dennoch ebenfalls erfüllen, Sieh dich überall hier um, ob du nicht einen Krug erblickst.«

»Allerdings«, sagte die Prinzessin, »da steht einer.«

»So nimm ihn«, fuhr der Vogel fort, »und beim Hinabsteigen vom Berg gieße auf jeden der schwarzen Steine ein wenig von dem Wasser, womit er angefüllt ist: auf diese Art wirst du deine Brüder wieder finden.« Die Prinzessin Parisade ergriff den Krug, nahm ihn samt dem Vogel im Käfig, dem Fläschchen und dem Zweig mit sich, und beim Hinabsteigen sprengte sie auf die schwarzen Steine alle nacheinander Wasser aus dem Krug, und siehe da, jeder verwandelte sich in einen Mann. Da sie keinen einzigen überging, so kamen auch sämtliche Pferde, sowohl die der Prinzen, ihrer Brüder, als auch der übrigen Herren, wieder zum Vorschein. Auf diese Art erkannte sie den Prinzen Brahman und Perwis wieder, und diese erkannten sie ebenfalls und umarmten sie. Sie erwiderte ihre Umarmung mit großer Herzlichkeit, und noch voll Erstaunen fragte sie: »Liebe Brüder, was macht ihr denn hier?« Als sie nun beide geantwortet hatten, sie haben soeben geschlafen, so fahren sie fort: Aa wohl, aber ohne mich würde euer Schlaf noch fortdauern und hätte vielleicht bis zum Tage des Gerichts gewährt. Erinnert ihr euch nicht, dass ihr ausgezogen seid, den sprechenden Vogel, den singenden Baum und das goldgelbe Wasser zu suchen, und dass ihr hier auf dem Wege die schwarzen Steine erblickt habt, womit dieser Ort besät war? Schaut euch um und seht, ob noch ein einziger davon übrig ist. Diese Herren hier und ihr ward selbst diese Steine, desgleichen auch eure Pferde, die, wie ihr sehen könnet, euch erwarten. Wenn ihr nun«, fahr sie fort, indem sie auf den Krug zeigte, dessen sie jetzt nicht mehr bedurfte, und den sie bereits am Fuße des Berges hingestellt hatte, »wenn ihr nun zu erfahren wünscht, wie dies Wunder geschehen ist, so wisset, es geschah durch die Kraft des Wassers, womit dieser Krug angefüllt war und womit ich die Steine alle besprengt habe. Als ich den sprechenden Vogel, den ihr hier im Käfig seht, zu meinem Sklaven gemacht und durch seine Hilfe den singenden Baum, wovon hier ein Zweig, sowie das goldgelbe Wasser, womit das Fläschchen hier angefüllt ist, gefunden hatte, so wollte ich nicht nach Hause kehren, ohne euch mitzunehmen; ich habe daher den Vogel durch die Macht, die ich über ihn erworben, gezwungen, mir das Mittel dazu anzugeben, und er hat mir diesen Krug, sowie den Gebrauch desselben, angezeigt.«

Die Prinzen Brahman und Perwis erkannten aus dieser Rede, wie sehr sie der Prinzessin, ihrer Schwester, verpflichtet waren, und die fremden Herren, die sich alle um sie versammelt und diese Rede ebenfalls gehört hatten, taten desgleichen. Sie erklärten ihr, dass sie weit entfernt seien, ihr diese Eroberung, nach welcher sie ebenfalls gestrebt hatten, zu missgönnen, sondern dass sie vielmehr ihren Dank für das Leben, das sie ihnen wieder geschenkt, nicht besser an den Tag legen zu können glauben, als indem sie sich für ihre Sklaven erklären, bereit, alles zu tun, was sie ihnen gebiete. »Edle Herren«, antwortete die Prinzessin, »wenn ihr auf meine Rede acht gegeben habt, so kann es euch nicht entgangen sein, dass ich bei dem, was ich tat, keine andere Absicht hatte, als meine Brüder wieder zu finden; wenn es nun auch euch zugute gekommen ist, so seid ihr mir dafür keinen Dank schuldig. Ich sehe euer Anerbieten nur als einen Beweis von Höflichkeit gegen mich an, und danke auch dafür, wie sich's gebührt. Im übrigen betrachte ich euch, einen wie den andern, als ebenso freie Leute, wie ihr vor euerm Unglück wart, und freue, mich mit euch über das Glück, das euch durch meine Vermittlung geworden ist. Lasst uns indes nicht länger an einem Ort bleiben, wo uns weiter nichts mehr aufhalten kann. steigen wir jetzt zu Pferd und kehren nach den Ländern zurück, woher wir gekommen sind.«

Die Prinzessin Parisade ging mit ihrem Beispiel voran, indem sie ihr Pferd holte, welches sie auf derselben Stelle wieder fand, wo sie es gelassen hatte. Bevor sie aufstieg, bat sie der Prinz Brahman, sie möchte ihn zu ihrer Erleichterung den Käfig tragen lassen. »Lieber Bruder«, antwortete die Prinzessin, »der Vogel ist mein Sklave und ich will ihn selbst tragen; wenn du indes den Zweig des singenden Baumes übernehmen willst, so ist es mir lieb. Halte auch den Käfig, bis ich aufgestiegen bin, und gib ihn mir dann zurück.« Als sie nun wieder zu Pferd saß und der Prinz Brahman ihr den Käfig mit dem Vogel zurückgegeben hatte, wandte sie sich zu ihrem zweiten Bruder Perwis und sagte zu ihm: »Und du, Bruder Perwis, nimm die Flasche mit dem goldgelben Wasser in Verwahrung, wenn es dir nicht beschwerlich ist.« Der Prinz Perwis tat es mit großem Vergnügen. Als nun die Prinzen Brahman und Perwis, sowie die anderen Herrn alle, zu Pferd saßen, wartete die Prinzessin Parisade, bis einer von ihnen sich an die Spitze stellen und den Zug beginnen würde. Die beiden Prinzen wollten aus Höflichkeit den fremden Herren den Vorzug lassen, und diese wiederum der Prinzessin. Da nun die Prinzessin sah, dass keiner von den Herren sich die Ehre zueignen, sondern alle dieselbe ihr überlassen wollten, so sagte sie zu ihnen: »Ihr Herren, ich warte darauf, dass ihr euch in Bewegung setzt.«

»Edles Fräulein«, antwortete einer der Nächststehenden im Namen aller, »wenn wir auch nicht wüssten, welche Ehre deinem Geschlecht gebührt, so gibt es doch nach dem, was du für uns getan hast, keine Ehre, die wir nicht dir zu erweisen bereit wären, obschon deine Bescheidenheit sich dawider setzt, Wir bitten dich nun, dass du uns nicht länger des Glücks berauben mögest, dir zu folgen.«

»Ihr Herren«, sagte darauf die Prinzessin, »ich verdiene die Ehre, die ihr mir erweiset, nicht, und nehme sie nur an, weil ihr es so wünscht.« Mit diesen Worten stellte sie sich an die Spitze des Zugs und die beiden Prinzen folgten ihr, unter die übrigen Herren gemischt, ohne Rangordnung. Diese Gesellschaft wollte im Vorbeireiten den Derwisch begrüßen und ihm für einen guten Empfang und seine wohlmeinenden Ratschläge, deren Wahrheit sie empfunden hatten, danken; allein er war gestorben, und man hatte nicht ermitteln können, ob aus Altersschwäche, oder weil man seiner nicht mehr bedurfte, um den Weg nach den drei Wunderdingen zu zeigen, welche die Prinzessin Parisade jetzt erobert hatte. So ritt denn die Gesellschaft ihres Weges fort, verminderte sich aber mit jedem Tag. Die Herren, die wie schon oben erzählt, aus verschiedenen Ländern gekommen waren, verabschiedeten sich, nachdem sie der Prinzessin ihren tiefgefühlten Dank wiederholt hatten, einer nach dem anderen von ihr und den Prinzen, ihren Brüdern, sowie jeder auf die Straße kam, die er hergeritten war. Die Prinzessin und die Prinzen Brahman und Perwis aber ritten auf demselben Weg weiter, bis sie nach Hause kamen.

Hier stellte die Prinzessin vor allem den Käfig in den mehrfach erwähnten Garten, an welchen der Saal stieß, und sobald der Vogel seine Stimme hören ließ, flogen die Nachtigallen, die Finken, die Lerchen, die Grasmücken, die Stieglitze und eine zahllose Menge anderer Vögel des Landes herbei, um in seinen Gesang mit einzustimmen. Den Zweig ließ sie in ihrer Gegenwart auf einem Rasenplatz in der Nähe des Hauses einsenken. Er fasste Wurzel und wurde in kurzer Zeit zum starken Baum, dessen Blätter bald dieselbe liebliche Musik und denselben vielstimmigen Gesang hören ließen, wie der Baum, von dem sie ihn abgebrochen hatte. Was endlich das Fläschchen mit dem goldgelben Wasser betrifft, so ließ sie mitten im Garten ein großes schönes Marmorbecken machen und goss das gelbe Wasser, das sie in dem Fläschchen hatte, bis auf den letzten Tropfen hinein. Sogleich fing es an aufzuschwellen, und als es beinahe den Rand des Beckens erreicht hatte, sprang es aus der Mitte in einer dicken Strahlengarbe fünfzig Schuh hoch empor, fiel dann nieder und fuhr so fort, ohne dass das Becken überlief.

Die Nachricht von diesen Wunderdingen verbreitete sich in der Nachbarschaft, und da weder die Türe des Gartens noch des Hauses jemandem verschlossen war, so strömte bald aus der Umgegend eine große Volksmasse herbei, um sie zu bewundern.

Die Prinzen Brahman und Perwis fingen einige Tage nach ihrer Heimkehr, als sie sich von den Beschwerden ihrer Reise völlig erholt hatten, ihre alte Lebensweise wieder an, und da die Jagd ihre gewöhnliche Belustigung war, so stiegen sie zu Pferd und ritten zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr nicht in den eigenen Park, sondern zwei bis drei Meilen weit von ihrem Hause weg. Während sie hier jagten, kam der Sultan von Persien, ebenfalls auf der Jagd begriffen, an denselben Ort. Sobald sie an der Menge von Reitern, die von allen Seiten zum Vorschein kamen, seine nahe Ankunft erkannten, wollten sie aufhören und sich zurückziehen, um seine Begegnung zu vermeiden; allein gerade auf dem Weg, den sie zu diesem Behufe einschlugen, begegneten sie ihm an einer so engen Stelle, dass sie weder ausweichen, noch umkehren konnten, ohne gesehen zu werden. In ihrer Überraschung hatten sie nur noch Zeit, abzusteigen und sich vor dem Sultan niederzuwerfen. So blieben sie mit der Stirn am Boden liegen, ohne ihn anzublicken; der Sultan aber, der sie so wohlberitten und anständig gekleidet sah, wie wenn sie zu seinem Hofstaat gehörten, war neugierig, ihr Gesicht zu sehen; er hielt an und befahl ihnen, aufzustehen. Die Prinzen richteten sich auf und standen mit edlem Anstand und in bescheidener, ehrfurchtsvoller Stellung vor ihrem Sultan. Der Sultan betrachtete sie einige Zeit von Kopf bis zu Fuß, ohne ein Wort zu sprechen, und nachdem er ihr gutes Aussehen und ihre edle Bildung bewundert hatte, fragte er sie, wer sie seien und wo sie wohnen. Der Prinz Brahman nahm das Wort und sprach: »Herr, wir sind Söhne des verstorbenen Aufsehers deiner Gärten und wohnen in einem Haus, das er kurz vor seinem Tode bauen ließ, damit wir darin bleiben sollen, bis wir das Alter erreicht hätten, unserm Herrn zu dienen, wenn sich Gelegenheit dazu finden würde.«

»Wie ich sehe«, fragte der Sultan weiter, »hebt ihr die Jagd?«

»Herr«, erwiderte der Prinz Brahman, » dies ist unsere gewöhnliche Übung, und keiner von den Untertanen meines Herrn, der sich dazu bestimmt, dereinst die Waffen in seinen Heeren zu führen, vernachlässigt sie.« Der Sultan war hoch erfreut über diese kluge Antwort und sagte zu ihnen: » Da dem so ist, so möchte ich euch wohl jagen sehen. Kommt und wählt euch eine Jagd, wie sie euch beliebt.« Die Prinzen stiegen wieder zu Pferd, folgten dem Sultan und waren noch nicht weit geritten, als sie mehrere Tiere zugleich hervorkommen sahen. Der Prinz Brahman erwählte sich einen Löwen und der Prinz Perwis einen Bären. Sie ritten beide zu gleicher Zeit mit einer Unerschrockenheit auf dieselben los, welche den Sultan überraschte; auch erreichten sie ihre Tiere fast zu gleicher Zeit und warfen ihre Speere mit solcher Geschicklichkeit, dass der Prinz Brahman den Löwen und der Prinz Perwis den Bären durchbohrte, und der Sultan beide Tiere bald nacheinander fallen sah. Ohne sich länger aufzuhalten, verfolgte der Prinz Brahman einen anderen Bären und Prinz Perwis einen anderen Löwen, und in wenigen Augenblicken durchbohrten sie auch diese, so dass sie tot niederstürzten. Sie wollten noch weiter jagen, aber der Sultan gab es nicht zu; er ließ sie zurückrufen, und als sie wieder in seine Nähe gekommen waren, sagte er zu ihnen: »Wenn ich euch schalten und walten ließe, so würdet ihr bald meine ganze Jagd verwüstet haben. Indes will ich nicht sowohl meine Jagd schonen, als euch selbst, denn euer Leben soll mir fortan sehr teuer sein, da ich die Überzeugung hege, dass eure Tapferkeit mir dereinst noch nützlicher sein wird, als sie mir soeben ergötzlich war.« Kurz, der Sultan Chosra Schah fühlte für die beiden Prinzen eine so starke Zuneigung, dass er sie einlud, sogleich bei ihm zu bleiben und ihm zu folgen. »Herr«, erwiderte der Prinz Brahman, »du erweist uns eine Ehre, die wir nicht verdienen, und wir bitten unsern Herrn, dass er uns dies erlassen wolle.«

Der Sultan, der nicht begriff, welche Gründe die Prinzen wohl haben konnten, diesen Beweis seiner Achtung abzulehnen, fragte sie darum und verlangte dringend, es zu erfahren. »Herr«, sagte der Prinz Brahman, »wir haben eine Schwester, die jünger ist als wir beide, und mit der wir in so inniger Eintracht leben, dass wir niemals etwas unternehmen oder tun, ohne ihren Rat eingeholt zu haben, so wie auch sie ihrerseits nichts tut, ohne uns zu befragen.«

»Diese eure geschwisterliche Eintracht gefällt mir sehr wohl«, versetzte der Sultan; »so befragt denn eure Schwester und kommt dann morgen wieder zu mir auf die Jagd, dann will ich ihren Bescheid hören.« Die Prinzen ritten nach Hause, dachten aber beide nicht mehr daran, dass der Sultan ihnen begegnet war, und dass sie die Ehre gehabt hatten, mit ihm zu jagen, und somit erzählten sie der Prinzessin auch nichts davon, dass er ihnen die Ehre erwiesen hatte, sie mit sich nehmen zu wollen. Als sie sich nun am anderen Morgen wieder beim Sultan zur Jagd eingestellt hatten, fragte sie dieser: »Nun, habt ihr mit eurer Schwester gesprochen? Will sie mir das Vergnügen gönnen, das ich erwarte, euch näher um mich zu sehen?« Die Prinzen blickten einander an, und die Röte stieg ihnen ins Gesicht. »Herr«, antwortete der Prinz Brahman, »wir bitten demütiglich um Entschuldigung; weder mein Bruder noch ich haben daran gedacht.«

»So denkt heute daran«, fuhr der Sultan fort, »und vergesst nicht, mir morgen Bescheid zu bringen.« Die Prinzen vergaßen die Sache abermals, und der Sultan ärgerte sich nicht über ihre Gleichgültigkeit, sondern zog vielmehr drei kleine goldene Kugeln aus seiner Börse, steckte sie dem Prinzen Brahman in den Busen und sprach dabei lächelnd: »Diese Kugeln werden verhindern, dass ihr heute zum dritten Mal das vergesset, was ihr mir zuliebe tun sollt; sie werden heute Abend, wenn du deinen Gürtel ablegst, ein solches Geräusch machen, dass du dich der Sache erinnern wirst, im Fall du nicht schon vorher daran gedacht hast.« Es erging, wie der Sultan vorausgesehen hatte. Ohne die drei goldenen Kugeln hätten die Prinzen abermals vergessen, mit der Prinzessin Parisade, ihrer Schwester, zu sprechen. Sie entfielen dem Busen des Prinzen Brahman, als er seinen Gürtel abgenommen hatte und sich anschickte, zu Bett zu gehen. Er eilte nun sogleich zu dem Prinzen Perwis, und beide gingen zusammen durch die Zimmer der Prinzessin, die sich noch nicht niedergelegt hatte. Sie baten um Verzeihung, dass sie so zur ungebührlichen Stunde stören und setzten ihr dann die Sache samt allen Umständen ihres Zusammentreffens mit dem Sultan auseinander. Die Prinzessin Parisade war durch diese Nachricht beunruhigt und sagte: »Euer Zusammentreffen mit dem Sultan ist glücklich und ehrenvoll für euch und kann es in der Folge noch mehr werden; für mich aber ist es verdrießlich und sehr traurig. Ich sehe wohl, dass ihr aus Rücksicht auf mich den Wunsch des Sultans abgelehnt habt und bin euch unendlich dafür verbunden; denn ich erkenne daraus, dass eure Freundschaft für mich vollkommen der meinigen zu euch entspricht. Ihr habt sozusagen lieber eine Unhöflichkeit gegen den Sultan begehen wollen, indem ihr seinen Wunsch eurer Meinung nach auf eine anständige Art ablehntet, als der geschwisterlichen Vereinigung, die wir uns geschworen haben, Eintrag zu tun; und ihr habt wohl bedacht, dass ihr, sobald ihr ihn einmal besucht habt, allmählich genötigt sein werdet, mich zu verlassen, um euch ihm ganz zu widmen. Haltet ihr es indes für so leicht, dem Sultan eine Sache gänzlich abzuschlagen, die er so angelegentlich zu wünschen scheint? Der Wunsch der Sultane ist ein Wille, dem zu widerstehen Gefahr bringt. Wenn ich euch also auch meiner Neigung zufolge abreden wollte, ihm die Gefälligkeit zu erzeigen, die er von euch fordert, so würde ich euch nur seinem Zorn aussetzen und mit mir unglücklich machen. Dies ist meine Ansicht hierüber; ehe wir jedoch einen Entschluss fassen, Lasst uns den sprechenden Vogel befragen und hören, was er uns rät. Er ist verständig und voraussehend, und er hat uns für schwierige Fälle seine Hilfe versprochen.« Die Prinzessin Parisade ließ den Käfig bringen, und nachdem sie dem Vogel in Gegenwart der beiden Prinzen diese verwickelte Sache vorgetragen hatte, fragte sie ihn, wozu er ihnen unter solchen Umständen rate. Der Vogel antwortete: »Die Prinzen, deine Brüder, müssen dem Willen des Sultans entsprechen und sogar ihrerseits ihn einladen, euch hier zu besuchen.«

»Aber Vogel«, wandte die Prinzessin ein, »meine Brüder und ich, wir lieben uns ohnegleichen, und wird dieser Liebe durch einen solchen Schritt kein Eintrag geschehen?« »Nichts weniger«, antwortete der Vogel, »sie wird dadurch nur um so stärker werden.«

»Auf diese Art«, versetzte die Prinzessin, »wird der Sultan auch mich sehen.« Der Vogel antwortete ihr, es sei notwendig, dass er sie sehe, und alles werde dann um so besser gehen.

Am folgenden Morgen stellten die Prinzen Brahman und Perwis sich wieder zur Jagd ein, und der Sultan fragte sie schon aus der Ferne, so weit er nur gehört werden konnte, ob sie diesmal daran gedacht haben, mit ihrer Schwester zu sprechen. Der Prinz Brahman nahte sich ihm und sprach: »Herr, gebiete über uns nach deinem Wohlgefallen, wir sind bereit, dir zu gehorchen; wir haben nicht nur keine Mühe gehabt, die Einwilligung unserer Schwester zu erlangen, sondern sie hat es sogar missbilligt, dass wir in einer Sache, welche unsere Pflicht gegen unsern Herrn mit sich bringe, diese Rücksicht auf sie genommen haben. Aber, Herr, sie hat sich derselben auch so würdig gemacht, dass wir hoffen, du werdest uns verzeihen, wenn wir gefehlt haben.«

»Lasst euch das nicht bekümmern«, erwiderte der Sultan, »ich nehme das, was ihr getan habt, nicht nur nicht übel, sondern billige es sogar so sehr, dass ich hoffe, ihr werdet auch mich mit derselben Ergebenheit und Anhänglichkeit an meine Person erfreuen, sofern ich nur ein wenig Anteil an eurer Freundschaft habe.« Die Prinzen gerieten bei dieser überschwänglichen Güte des Sultans in Verwirrung und antworteten nur durch eine tiefe Verbeugung, um die hohe Ehrfurcht zu bezeugen, womit sie dieselbe empfingen.

Der Sultan jagte wider seine Gewohnheit an diesem Tage nicht lange. Da er erkannte, dass die Prinzen ebenso viel Geist besaßen als Tapferkeit und Kühnheit, so beschleunigte er seine Rückkehr, um sich recht bald und bequem mit ihnen unterhalten zu können. Sie mussten unterwegs an seiner Seite sein, eine Ehre, die, um von den vornehmen Hofleuten seines Gefolges zu schweigen, selbst die Eifersucht des Großwesir erregte, den es tief kränkte, sie vor sich reiten zu sehen.

Als der Sultan in seine Hauptstadt einritt, heftete das Volk, das die beiden Seiten der Straßen besetzt hielt, seine Augen nur auf die beiden Prinzen Brahman und Perwis und forschte, wer sie wohl sein möchten, Fremdlinge oder Eingeborne. »Wer sie auch seien«, sagten die meisten, »wollte Gott, dass der Sultan uns zwei so wohlgebildete und stattliche Prinzen geschenkt hätte! Er könnte sie fast von demselben Alter haben, wenn die Geburten der Sultanin, die schon so lange dafür leidet, glücklicher gewesen wären.«

Das erste, was der Sultan nach der Rückkehr in seinen Palast tat, war, dass er die Prinzen in den vorzüglichsten Zimmern umherführte, deren Schönheit, Reichtümer, Gerätschaften, Zierraten und Einteilung sie ohne Übertreibung lobten, wie Leute, die sich darauf verstanden. Man trug endlich ein herrliches Mahl auf, und der Sultan hieß sie neben sich zu Tisch sitzen. Sie wollten es anfangs ablehnen, gehorchten aber, als der Sultan sagte, dass dies sein Wille sei.

Der Sultan, der ungemein viel Verstand besaß und große Fortschritte in den Wissenschaften, namentlich in der Geschichte, gemacht, hatte wohl vorausgesehen, dass die Prinzen aus Bescheidenheit und Ehrfurcht es nicht wagen würden, die Unterhaltung anzufangen. Um ihnen nun Anlass zum Sprechen zu geben, brachte er selbst etwas auf die Bahn und tat dies während der ganzen Mahlzeit; aber auf was er auch zu sprechen kommen mochte; sie zeigten vor allem so viele Kenntnisse, Verstand, Scharfsinn und Urteil, dass er darüber in Verwunderung geriet. »Wenn es meine eigenen Kinder wären«, sprach er bei sich selbst, »und wenn ich sie ihren Geistesgaben gemäß hätte erziehen lassen, so könnten sie nicht besser unterrichtet, gewandter und gebildeter sein.« Kurz, er fand so großes Wohlgefallen an ihrer Unterhaltung, dass er, nachdem er länger als gewöhnlich bei Tisch geblieben war, aus dem Speisesaal mit ihnen in sein Zimmer ging und sich dort noch sehr lange mit ihnen besprach. Endlich sagte der Sultan zu ihnen: »Ich hätte nie geglaubt, dass es auf dem Lande unter meinen Untertanen so wohlerzogene, so verständige und so gewandte junge Herren gäbe; in meinem Leben habe ich keine Unterhaltung gehabt, die mir mehr Vergnügen gemacht hätte als die eurige. Für heute ist es indes genug und Zeit, dass ihr euch durch irgend eine Ergötzlichkeit an meinem Hofe unterhaltet, und da nichts die Wolken besser zerstreuen kann als Musik, so sollt ihr ein Konzert von Gesang und Saitenspiel hören, das euch nicht unangenehm sein wird.

Als der Sultan so gesprochen hatte, traten die dazu bestellten Spielleute und Sänger herein und entsprachen ganz der Erwartung, die man von ihrer Geschicklichkeit gehabt hatte. Vortreffliche Spaßmacher ließen sich danach hören, und Tänzer und Tänzerinnen beschlossen die Ergötzlichkeit.

Als die beiden Prinzen das Ende des Tages herannahen sahen, warfen sie sich dem Sultan zu Füßen, und nachdem sie ihm für die Ehre und Güte, womit er sie überhäuft, gedankt hatten, baten sie ihn um die Erlaubnis, heimzukehren, worauf der Sultan sie mit den Worten verabschiedete: »Ich entlasse euch jetzt; aber bedenkt wohl, dass ich euch nur den Weg nach meinem Palast zeigen wollte, damit ihr künftig von selbst kommen sollt; ihr werdet willkommen sein, und je öfter ihr mich besucht, um so größere Freude werdet ihr mir machen.«

Ehe sie sich aus dem Angesicht des Sultans entfernten, sagte der Prinz Brahman zu ihm: »Herr, dürften wir uns wohl die Freiheit nehmen, dich zu bitten, dass du uns und unserer Schwester die Gnade erweisen mögest, das nächste Mal, wenn die Jagdlust dich in unsere Gegend führt, auch unsrem Hause zu nahen und einige Augenblicke darin auszuruhen; es ist zwar deiner Gegenwart nicht würdig, allein die Könige verschmähen es zuweilen nicht, in niedriger Hütte einzukehren.« Darauf antwortete der Sultan: »Das Haus von Herren, wie ihr, kann nicht anders als schön und euer würdig sein. Ich werde es mit großem Vergnügen besuchen und noch mit größerem eurer und eurer Schwester Gast sein, die mir, ohne dass ich sie gesehen habe, schon durch die bloße Erzählung von ihren schönen Eigenschaften teuer geworden ist; auch will ich mir dies Vergnügen nicht länger vorenthalten als bis übermorgen. Ich werde mich in aller Frühe an demselben Ort einfinden, wo ich mich wohl erinnere, euch das erste Mal getroffen zu haben: kommt auch dahin, auf dass ihr mir zu Führern dient.«

Die Prinzen Brahman und Perwis ritten noch am selbigen Tag nach Hause und erzählten der Prinzessin Parisade sogleich, wie ehrenvoll der Sultan sie aufgenommen habe. Zugleich sagten sie ihr, sie haben nicht vergessen, ihn einzuladen, dass er im Vorbeireiten ihr Haus mit einem Besuch beehren möchte, und er habe es auch auf übermorgen zugesagt.

»Wenn dem so ist«, sagte die Prinzessin, »so müssen wir von Stund an darauf denken, dem Sultan ein würdiges Mahl zu bereiten, und es wird gut sein, wenn wir zu diesem Behuf den sprechenden Vogel befragen: dieser sagt uns vielleicht ein Gericht, das mehr nach dem Geschmack des Sultans ist als andere.« Da die Prinzen ihrer Schwester alles überließen, was sie für gut hielt, so befragte sie, als jene sich entfernt hatten, allein den Vogel. »Vogel«, sagte sie zu ihm, »der Sultan wird uns die Ehre erzeigen, in unser Haus zu kommen, und wir müssen ihn bewirten; sage uns, wie wir es am besten anstellen können, dass er zufrieden ist.« »Meine liebe Herrin«, antwortete der Vogel, »du hast vortreffliche Köche, lass diese ihr bestes tun; hauptsächlich aber sollen sie eine Schüssel Gurken mit einer Fülle von Perlen zurichten, und diese lass vor dem Sultan gleich beim ersten Gang vor allen anderen Gerichten aufstellen.«

»Gurken mit einer Fülle von Perlen!« rief die Prinzessin Parisade verwundert. »Du bist nicht bei Sinnen, Vogel, das ist ein unerhörtes Gericht. Der Sultan könnte es zwar als eine große Pracht bewundern, aber er ist doch bei Tische, um zu essen, und nicht, um Perlen zu bewundern. Überdies würden alle Perlen, die ich besitze, nicht zu dieser Fülle ausreichen.«

»Herrin«, versetzte der Vogel, »tue, was ich sage, und kümmere dich nicht um das, was daraus entsteht, denn dies kann nur etwas Gutes sein. Was indes die Perlen betrifft, so gehe morgen in aller Frühe an den ersten Baum rechts in deinem Garten und lass dort nachgraben: du wirst mehr Perlen finden, als du nötig hast.«

Die Prinzessin Parisade ließ noch am selbigen Abend einem Gärtner andeuten, dass er sich zu einer bestimmten Stunde bereit halten solle; am anderen Morgen in aller Frühe ging sie mit ihm zu dem Baum, welchen der Vogel ihr bezeichnet hatte und befahl ihm, am Fuße desselben zu graben. Als der Gärtner bis auf eine gewisse Tiefe gegraben hatte, fühlte er Widerstand, und bald entdeckte er ein goldenes Kästchen, ungefähr einen Schuh groß ins Geviert, und zeigte es der Prinzessin. »Eben darum habe ich dich hier hergeführt, sagte sie zu ihm, »fahre fort und gib wohl acht, dass du es mit dem Spaten nicht verletzt.«

Der Gärtner zog das Kästchen endlich hervor und übergab es der Prinzessin. Da es nur durch kleine, sehr zierliche Häkchen geschlossen war, so öffnete es die Prinzessin auf der Stelle und sah, dass es voll Perlen war, zwar von mittelmäßiger Größe, aber alle gleich und zu dem beabsichtigten Gebrauch passend. Sehr vergnügt über den Fund dieses kleinen Schatzes verschloss sie das Kästchen wieder, nahm es unter den Arm und ging nach dem Haus zurück, indes der Gärtner die Erde am Fuße des Baumes wieder zusammenscharrte und alles in den vorigen Stand setzte.

Die Prinzen Brahman und Perwis, die, während sie sich ankleideten, von ihren Zimmern aus die Prinzessin, ihre Schwester, früher als gewöhnlich im Garten gesehen hatten, gingen ihr, sobald sie fertig waren, entgegen, und trafen sie mitten im Garten; da sie nun schon von ferne bemerkt hatten, dass sie etwas unter dem Arm trug, und jetzt in der Nähe sahen, dass es ein goldenes Kästchen war, so verwunderten sie sich sehr darüber. »Liebe Schwester«, sagte der Prinz Brahman zu ihr, indem er auf sie zutrat, »als wir dich mit dem Gärtner hier hergehen sahen, trugst du nichts und jetzt kommst du mit einem goldenen Kästchen zurück. Ist dies vielleicht ein Schatz, den der Gärtner gefunden und dir angekündigt hat?«

»Meine Brüder«, antwortete die Prinzessin, »die Sache verhält sich gerade umgekehrt; ich habe den Gärtner an den Ort geführt, wo das Kästchen verborgen war und es ausgraben lassen. Ihr werdet über meinen Fund noch mehr erstaunen, wenn ihr seht, was es enthält.«

Die Prinzessin öffnete das Kästchen, und die Prinzen erstaunten höchlich, als sie es mit Perlen angefüllt sahen, die zwar, jede einzeln betrachtet, sich nicht durch Größe auszeichneten, aber durch ihre Vollkommenheit und Menge sehr bedeutenden Wert hatten. Sie fragten die Prinzessin, durch welchen Zufall sie von diesem Schatz Kunde erhalten habe. »Liebe Brüder«, antwortete sie, »wenn euch nicht ein dringenderes Geschäft anderswohin ruft, so kommt mit mir, ich will es euch sagen.« Der Prinz Perwis versetzte darauf: »Wie könnten wir ein dringenderes Geschäft haben, als Kunde von dieser Sache zu erhalten, die für uns so hochwichtig ist? Ohnehin wollten wir weiter nichts, als dir entgegengehen.«

Hierauf ging die Prinzessin Parisade mitten unter den beiden Prinzen nach dem Haus zurück und erzählte ihnen unterwegs, wie sie, der Übereinkunft mit ihnen gemäß, den Vogel befragt, was er ihr geantwortet, was sie ihm in Beziehung auf das Gericht Gurken mit Perlen gefüllt entgegengehalten, und wie er ihr den Ort, wo sie soeben das Kästchen gefunden, angezeigt habe, um daselbst die nötige Anzahl Perlen zu holen. Die Prinzen und die Prinzessin gerieten auf allerlei Vermutungen, in welcher Absicht der Vogel wohl ein solches Gericht für den Sultan bereitet wissen wolle und sogar die Mittel angezeigt habe. Endlich aber, nachdem sie lange hin und wieder über diese Sache gesprochen hatten, mussten sie sich gestehen, dass sie den Zweck nicht einsehen, den Rat des Vogels jedoch Punkt für Punkt unfehlbar befolgen müssen. Als sie wieder ins Haus kamen, ließ die Prinzessin den Küchenmeister zu sich auf ihr Zimmer rufen und gab ihm ihre Anweisungen, wie er das Mahl für den Sultan zu bereiten habe. Dann fügte sie hinzu: »Außer dem, was ich dir soeben gesagt habe, musst du noch ein besonderes Gericht für den Sultan machen, und zwar darf niemand außer dir Hand dabei anlegen. Dieses Gericht ist eine Schüssel mit gefüllten Gurken, und die Fülle hast du aus diesen Perlen hier zu machen.« Mit diesen Worten öffnete sie das Kästchen und zeigte ihm die Perlen. Der Küchenmeister, der nie von einer ähnlichen Fülle gehört hatte, trat zwei Schritte zurück, und auf seinem Gesicht stand deutlich geschrieben, was er von der Sache denke. Die Prinzessin erriet seine Gedanken und sagte: »Ich sehe wohl, du hältst mich für aberwitzig, dass ich von dir ein Gericht verlange, wovon du niemals sprechen gehört hast und von dem man mit Gewissheit behaupten kann, dass es noch nie bereitet worden ist. Es ist wahr und ich weiß es so gut als du; aber ich bin nicht aberwitzig, sondern befehle dir mit vollem Verstand, es zu bereiten. Gehe, sinne darauf und tue dein bestes; nimm das Kästchen mit und bringe es mir dann mit den übrigen Perlen zurück, wenn du nämlich nicht alle brauchst.« Der Küchenmeister wusste hierauf nichts zu erwidern, er empfing das Kästchen und nahm es mit. An demselben Tag erteilte die Prinzessin Parisade noch ihre Befehle, dass alles sowohl im Haus als auch im Garten recht hübsch in Ordnung gestellt wurde, um den Sultan würdig zu empfangen. Am anderen Morgen waren die beiden Prinzen bereits an dem verabredeten Ort, als der Sultan von Persien ankam. Der Sultan begann die Jagd und setzte sie fort, bis die brennende Hitze der Sonne, welche sich der Mittagshöhe nahte, ihn nötigte, aufzuhören. Während nun der Prinz Brahman beim Sultan blieb, um ihn zu begleiten, stellte sich der Prinz Perwis als Wegweiser an die Spitze des Zuges, und als er in der Nähe des Hauses war, gab er seinem Ross die Sporen, um der Prinzessin Parisade die Ankunft des Sultans zu verkündigen; indes war die Prinzessin schon von ihren eigenen Leuten, welche sie nach verschiedenen Seiten ausgeschickt hatte, davon benachrichtigt, und fand der Prinz sie zu seinem Empfang bereit.

Als endlich der Sultan ankam und an der Vorhalle abgestiegen war, trat die Prinzessin Parisade hervor und warf sich zu seinen Füßen; die Prinzen Brahman und Perwis aber, die zugegen waren, sagten dem Sultan, dies sei ihre Schwester und baten ihn, die Beweise ihrer Ehrfurcht gegen ihn zu genehmigen. Der Sultan bückte sich, um der Prinzessin aufstehen zu helfen, und nachdem er sie betrachtet und einige Zeit den blendenden Glanz ihrer Schönheit, ihre Holdseligkeit, ihren edlen Anstand und ein gewisses Etwas, das nicht zu ihrem ländlichen Wohnort stimmte, bewundert hatte, so sagte er; »Die Brüder sind der Schwester würdig und die Schwester der Brüder; vom Äußeren auf das Innere zu schließen, wundere ich mich nicht mehr, dass die Brüder nichts ohne Einwilligung der Schwester tun wollen; aber ich hoffe sie von dieser Seite noch besser kennen zu lernen, als es auf den ersten Anblick möglich ist, wenn ich zuvor das Haus gesehen habe.« Hierauf nahm die Prinzessin das Wort und sprach: »Herr, es ist nur ein Landhaus, wie es Leuten unserer Art, die von der großen Welt zurückgezogen leben, zukommt, und darf durchaus nicht mit den Häusern der großen Städte, noch weniger mit den prachtvollen Palästen verglichen werden, welche nur Sultanen angehören.«

»Ich kann mich hierin nicht ganz auf dein Urteil verlassen«, sagte der Sultan sehr höflich; »das, was ich jetzt sehe, macht mir deine Worte etwas verdächtig. Ich behalte mir übrigens mein Urteil vor, bis du mich das Haus hast sehen lassen; geh also voraus und zeige mir den Weg.« Die Prinzessin führte nun den Sultan mit Ausnahme des Saales in alle Zimmer, und nachdem er jedes einzelne aufmerksam betrachtet und die Mannigfaltigkeit derselben bewundert hatte, sprach er zu der Prinzessin Parisade: »Wie, mein schönes Kind, das nennst du ein Landhaus? Die schönsten und größten Städte würden bald verlassen sein, wenn alle Landhäuser dem deinigen glichen. Jetzt wundere ich mich nicht mehr, dass du dir so gut darin gefällst und die Stadt verschmähst. lass mich auch den Garten sehen, gewiss entspricht er dem Haus.« Die Prinzessin öffnete eine Türe, die nach dem Garten führte, und das erste, was dem Sultan in die Augen fiel, war der Strahl des goldgelben Wassers. Überrascht durch dieses für ihn so neue Schauspiel, stand er lange still bewundernd da und sagte dann: »Woher kommt dieses wunderbare Wasser, das einen so lieblichen Anblick gewährt? Wo ist seine Quelle, und durch welche Kunst hat man einen so außerordentlichen Springbrunnen gemacht, desgleichen es, glaube ich, keinen mehr auf der Welt gibt? Ich will dieses Wunder noch genauer beschauen.« Mit diesen Worten ging er darauf zu, und die Prinzessin führte ihn über den Ort, wo der singende Baum stand.

Als der Sultan sich ihm nahte, hörte er ein Konzert, wie er noch nie eines gehört hatte. Er blieb stehen und sah sich überall um, wo die Musikanten wohl sein möchten; da er aber niemand weder in der Nähe noch in der Ferne erblickte, die Musik jedoch ganz deutlich hörte, so dass er davon bezaubert war, so wandte er sich an die Prinzessin Parisade und sagte zu ihr. »Aber meine Holde, wo sind denn die Musikanten, die ich höre? Sind sie unter der Erde, oder sind sie unsichtbar in der Luft? Mit so vortrefflichen und bezaubernden Stimmen dürfen sie sich guten Mutes sehen lassen, denn sie könnten überall nur Vergnügen bereiten.«

»Herr«, antwortete die Prinzessin lächelnd, »das Konzert, das du hörst, wird nicht von Musikanten gemacht, sondern von dem Baum, den mein Herr hier vor sich sieht; wenn du dir die Mühe nehmen willst, noch vier Schritte näher herzu zu kommen, so wirst du nicht mehr daran zweifeln können und die Stimmen noch deutlicher hören.«

Der Sultan trat näher und war von dem süßen Wohlklang des Konzerts so bezaubert, dass er nicht müde werden konnte, es zu hören. Endlich erinnerte er sich, dass er auch noch das goldgelbe Wasser in der Nähe zu besehen hatte; er brach daher sein Stillschweigen und sagte zur Prinzessin: »Ich bitte dich, meine Schöne, sage mir, befindet sich dieser wunderbare Baum zufällig in deinem Garten? Hat man ihn dir zum Geschenk gemacht, oder hast du ihn aus fernem Land kommen lassen? Er muss wohl sehr weit herkommen, denn sonst hätte ich, als großer Freund von Seltenheiten der Natur, gewiss schon davon reden gehört. Welchen Namen gibst du ihm?«

»Herr«, antwortete die Prinzessin, »dieser Baum hat keinen anderen Namen als: der singende Baum, und er wächst nicht hierzulande; es wäre indessen zu lang, wenn ich dir erzählen wollte, durch welchen Zufall er sich hier befindet. Diese Geschichte hängt mit dem goldgelben Wasser und dem sprechenden Vogel zusammen, welchen wir zugleich bekommen haben, und den du auch sehen kannst, wenn du das goldgelbe Wasser nach Gefallen in der Nähe beschaut hast. Ist es meinem Herrn genehm, so werde ich die Ehre haben, dir alles zu erzählen, sobald du ausgeruht und dich von den Anstrengungen der Jagd erholt hast, die du durch diesen mühsamen Gang in der Sonnenhitze noch vermehrst.«

»Mein schönes Kind«, antwortete der Sultan, »ich weiß durchaus nichts von dieser Mühe, sie wird mir ja so schön durch die wunderbaren Dinge belohnt, die du mich sehen lässt; sage vielmehr, dass ich nicht an die Mühe denke, die ich dir verursache. Deshalb lass uns eilen und das goldgelbe Wasser betrachten; ich brenne schon vor Verlangen, hernach den sprechenden Vogel zu sehen und zu bewundern.« Als nun der Sultan an den Springbrunnen des goldgelben Wassers gekommen war, so blieben seine Augen lange auf die Wassergarbe geheftet, die unaufhörlich in die Luft emporstieg und dann wieder in das Becken sank, was eine wunderbare Wirkung hervorbrachte. »Nach deiner Rede, mein schönes Kind«, sagte er hierauf zur Prinzessin, »hat dieses Wasser keine Quelle und kommt auch nicht durch unterirdische Röhren aus irgend einem Ort der Umgegend; ich begreife also nur so viel, dass es ebenso, wie der singende Baum, von fremden Landen herstammt.«

»Herr«, erwiderte die Prinzessin, »die Sache verhält sich ganz wie du gesagt hast, und zum Beweis, dass das Wasser nicht anders woher, weder von der Seite, noch von unten kommen kann, versichere ich dir, dass das Marmorbecken aus einem einzigen Stück besteht. Was dieses Wasser aber in deinen Augen noch wunderbarer erscheinen lassen muss, ist der Umstand, dass ich nur ein einziges Fläschchen davon in das Becken gegossen habe, und es dann durch seine ihm innewohnende besondere Eigenschaft so angeschwollen ist.« Der Sultan verließ endlich das Becken mit den Worten. »Es ist jetzt genug für das erste Mal, denn ich denke noch öfter wiederzukommen; führe mich nun zu dem sprechenden Vögel.« Indem er sich nun dem Saal näherte, bemerkte der Sultan auf den Bäumen umher eine erstaunliche Menge Vögel, die mit ihrem Gesang und Gezwitscher die Luft erfüllten, Er fragte, warum dieselben gerade hier und nicht auf den anderen Bäumen des Gartens versammelt seien, wo er keinen gesehen oder singen gehört habe. »Herr«, antwortete die Prinzessin, »dies kommt daher, weil alle Vögel aus der Gegend zusammen fliegen, um den Gesang des sprechenden Vogels zu begleiten, Mein Herr kann denselben in dem Käfig sehen, der in einem der Fenster des Saales steht, welchen du jetzt betreten wirst; wenn du darauf acht gibst, wirst du bemerken, dass sein Gesang den aller übrigen Vögel bei weitem übertrifft, sogar den Gesang der Nachtigall, die ihn kaum von ferne erreicht.« Der Sultan trat in den Saal, und da der Vogel fortfuhr zu singen, sprach die Prinzessin mit erhabener Stimme zu ihm: »Höre, Sklave, hier ist der Sultan, bezeige ihm deine Ehrfurcht.« Der Vogel hörte im Augenblick auf zu singen, und ebenso auch alle anderen Vögel mit ihm. Dann sagte er: »Sehr willkommen sei der Sultan, der Himmel überhäufe ihn mit Segen und verlängere die Zahl seiner Tage!« Da das Gastmahl vor dem Sofa in der Nähe des Fensters, wo der Käfig stand, bereitet war, so sprach der Sultan, indem er sich zu Tisch begab: »Vogel, ich danke dir für deinen Gruß und bin sehr erfreut, in dir den Sultan und König der Vögel zu erblicken.« Als der Sultan die Schüssel mit Gurken bemerkte, die er auf gewöhnliche Art gefüllt glaubte, so griff er darnach und war außerordentlich erstaunt, sie mit Perlen gefüllt zu finden. »Welche Sonderbarkeit!« sagte er, »was soll eine Fülle von Perlen? Man kann doch die Perlen nicht essen.« Dabei blickte er die beiden Prinzen und die Prinzessin mit fragenden Augen an, was dies zu bedeuten habe; aber der Vogel nahm nun das Wort und sagte: »Herr, wie magst du dich über eine Fülle von Perlen, die du mit eigenen Augen siehst, so sehr verwundern, da du doch so leicht glauben konntest, dass die Sultanin, deine Gemahlin, einen Hund, eine Katze und ein Stück Holz zur Welt gebracht habe?«

»Ich habe es geglaubt«, versetzte der Sultan, »weil die Hebammen so versicherten.«

»Diese Hebammen, Herr«, erwiderte der Vogel, »waren die Schwestern der Sultanin, aber neidisch und eifersüchtig auf das Glück, womit du sie vor ihnen beehrt hattest, und um ihre Wut zu befriedigen, haben sie die Leichtgläubigkeit meines Herrn missbraucht; sie werden ihr Verbrechen gestehen, sobald du sie verhören lässt. Die beiden Brüder und ihre Schwester, die du hier siehst, sind deine eigenen Kinder, die von diesen Hebammen ausgesetzt wurden; der Aufseher deiner Gärten hat sie aufgenommen, gepflegt und großgezogen.«

Die Rede des Vogels klärte dem Sultan in einem Augenblick alles auf. »Vogel!« rief er aus, »es wird mir nicht schwer, dem Glauben beizumessen, was du mir entdeckst und verkündigst. Die Neigung, die mich zu ihnen hinzog und die Zärtlichkeit, die ich von Anfang an gleich für sie fühlte, sagten mir nur zu deutlich, dass ich ihr Vater sei. So kommt denn, meine Kinder, komm, liebe Tochter, Lasst euch umarmen und empfangt von mir die ersten Beweise meiner väterlichen Liebe und Zärtlichkeit.« Dabei stand er auf, und nachdem er die beiden Prinzen und die Prinzessin nacheinander umarmt und seine Tränen mit den ihrigen vermischt hatte, sagte er: »Das ist noch nicht genug, liebe Kinder, ihr müsst euch jetzt ebenfalls umarmen, nicht als die Kinder des Aufsehers meiner Gärten, dem ich zu ewigem Dank verpflichtet sein werde, dass er euch das Leben gerettet hat, sondern als meine Kinder, als Sprösslinge der Könige von Persien, deren Ruhm ihr, wie ich überzeugt bin, glänzend aufrecht erhalten werdet.«

Nachdem sich nun die beiden Prinzen und die Prinzessin mit freudigen Gefühlen ganz neuer Art, wie der Sultan es wünschte, gegenseitig umarmt hatten, so setzte sich dieser wiederum mit ihnen zu Tisch; er aß eilig, und als er fertig war, sagte er: »Liebe Kinder, ihr erkennt nun in mir euern Vater, morgen werde ich auch eure Mutter, die Sultanin, zu euch führen; bereitet euch vor, sie zu empfangen.«

Der Sultan stieg zu Pferd und ritt in aller Eile zu seiner Hauptstadt zurück. Sobald er abgestiegen und in seinen Palast gekommen war, befahl er vor allem seinem Großvezier, den beiden Schwestern der Sultanin aufs schleunigste den Prozess machen zu lassen. Die beiden Schwestern wurden aus ihren Wohnungen geholt, einzeln gefragt, einander gegenüber gestellt, durch die Folter zum Geständnis gebracht, zur Strafe des Vierteilens verurteilt und hingerichtet; und dies alles geschah in weniger als einer Stunde.

Indes ging der Sultan Chosruh Schah, begleitet von allen Herren an seinem Hof, die gerade zugegen waren, zu Fuß bis an die Tür der großen Moschee, und nachdem er selbst die Sultanin aus dem engen Gefängnis geführt hatte, in welchem sie seit so vielen Jahren schmachtete und litt, sprach er zu ihr, indem er sie mit Tränen in den Augen in ihrem jammervollen Zustande umarmte. »Teure Frau, ich komme, um dich wegen der Ungerechtigkeit, die ich dir angetan habe, um Verzeihung zu bitten und dir die schuldige Genugtuung zu geben. Ich habe dieselbe bereits mit der Bestrafung derjenigen begonnen, die mich durch einen fluchwürdigen Betrug verleitet haben; und ich hoffe, dass du diese Genugtuung für vollständig halten wirst, da ich dir zwei ausgezeichnete Prinzen und eine liebenswürdige, von Schönheit strahlende Prinzessin schenke, die deine und meine Kinder sind. Komm und nimm deinen Rang wieder ein samt allen Ehren, welche dir gebühren.«

Diese Genugtuung geschah im Angesicht einer großen Volksmenge, die von allen Seiten herbeigeströmt war, denn die Nachricht von dieser frohen Begebenheit hatte sich in wenigen Augenblicken in der ganzen Stadt verbreitet.

Am anderen Morgen in aller Frühe begaben sich der Sultan und die Sultanin, die nun ihr bisheriges Kleid der Erniedrigung und Trauer wieder mit einem prachtvollen königlichen Gewande vertauscht hatte, nebst dem ganzen dazu entbotenen Hofstaat nach dem Landhause der beiden Prinzen und der Prinzessin. Als sie dort angekommen und abgestiegen waren, stellte der Sultan die Prinzen Brahman und Perwis und die Prinzessin Parisade der Sultanin vor mit den Worten: »Teures Weib, hier sind die beiden Prinzen, deine Söhne, und hier ist die Prinzessin, deine Tochter; umarme sie mit derselben Zärtlichkeit, wie ich sie bereits umarmt habe: sie sind mein und dein würdig.« Da flossen nun eine unzählige Menge Tränen bei diesen rührenden Umarmungen, besonders von Seiten der Sultanin, die jetzt den Trost und die Freude erlebte, zwei Prinzen als ihre Söhne und eine Prinzessin als ihre Tochter zu umarmen, nachdem sie ihretwegen so schwer und solange gelitten hatte.

Die beiden Prinzen und die Prinzessin hatten für den Sultan, die Sultanin und den ganzen Hofstaat ein prächtiges Mahl bereiten lassen, Man setzte sich zu Tisch, und nach der Mahlzeit führte der Sultan die Sultanin in den Garten, wo er ihr den singenden Baum und das schöne Spiel des goldgelben Wassers zeigte. Den Vogel hatte sie schon in seinem Käfig gesehen, und der Sultan hatte ihn während der Mahlzeit gerühmt.

Als nun der Sultan keinen Grund mehr hatte, länger hier zu bleiben, stieg er wieder zu Pferd, und der Prinz Brahman ritt zu seiner Rechten, der Prinz Perwis zu seiner Linken, ihnen folgte die Sultanin mit der Prinzessin zu ihrer Linken. Voraus und hinter ihnen ritten die Hofbeamten je nach ihrem Rang, und in diesem Aufzug kehrten sie nach der Hauptstadt zurück. Als sie sich nahten, strömte ihnen das Volk haufenweise bis weit vor die Tore heraus entgegen, und alle hefteten ihre Blicke nicht weniger auf die Sultanin, mit herzlicher Teilnahme an ihrer Freude nach so langer Betrübnis, als auf die beiden Prinzen und die Prinzessin, die sie mit lautem Freudengeschrei empfingen. Auch der Vogel in seinem Käfig, den die Prinzessin Parisade vor sich her trug, zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, und sie bewunderten seinen Gesang, der alle anderen Vögel so anlockte, dass sie ihm auf dem Felde von Baum zu Baum, und in den Straßen der Stadt von Dach zu Dach nachfolgten.

In diesem feierlichen Aufzug wurden die Prinzen Brahman und Perwis und die Prinzessin Parisade in den Palast geführt, und am Abend folgte große Beleuchtung und allgemeine Freudenfeste im Palast und in der Stadt, und die Lustbarkeiten dauerten mehrere Tage hintereinander fort.

Mit diesen Worten schloss Schehersad diese Geschichte; in der nächsten Nacht begann sie folgende: Wunderbare Geschichte Omar Alnumans und seiner beiden Söhne Scharkan und Dhul Makan