[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die zwei Schwestern und die Taube

Eine Gruppe von Mädchen ging eines Morgens los, um Früchte zu sammeln. Die kleine Schwester von einem der Mädchen folgte ihnen und ließ sich nicht wegschicken. Unterwegs stieß das kleine Mädchen an einen Stein. Die anderen schalten sie und sagten: »Weshalb bist du hinter uns hergelaufen? Die Steine hier dürfen nicht angestoßen werden.« Kurz darauf wurde jener Stein riesengroß und versperrte den Weg. Die Mädchen waren weitergegangen und sammelten Früchte. Nach einiger Zeit hörten sie den Gesang einer Taube: »Kukuku, Mädchen, lasst uns nach Hause gehen.« Die Mädchen lauschten und riefen: »Singt die Taube nicht schön? Wir wollen ihr folgen.« Sie verließen die Stelle, wo sie Früchte gesammelt hatten, und gingen heimwärts. Als sie zu dem Stein kamen, den die Kleine angestoßen hatte, sahen sie, dass er den Weg immer noch versperrte. Sie versuchten, um ihn herumzugehen, doch sie fanden keinen Weg. Da sang eines der Mädchen: »Stein, Stein, spalte dich!«, und der Stein spaltete sich tatsächlich, ließ das Mädchen hindurch und schloss sich wieder. Die anderen Mädchen gelangten auf die gleiche Weise durch den Stein, bis die Reihe an die Kleinste kam. Als sie sang: »Stein, Stein, spalte dich!«, tat sich nichts und sie konnte nicht hindurch. Die ältere Schwester, die auf der anderen Seite auf sie gewartet hatte, kam durch den Stein zurück und schalt: »Warum bist du mir gefolgt? Du machst mir nur Schwierigkeiten. Halte dich an meinen Kleidern fest!« Dann sang sie den Vers, und der Stein spaltete sich. Aber als beide Mädchen hindurchgehen wollten, trennte der Stein die Schwestern und ließ nur die ältere durch. Ebenso erging es ihnen, als die Kleine sich auf den Rücken der Schwester setzte - sie konnten nichts ausrichten. Da wurde die ältere Schwester zornig und rief: »Was soll nun werden? Sieh, die Sonne ist untergegangen, und die anderen haben uns verlassen.« Die Kleine sagte: »Ich sehe in der Ferne ein Feuer. lass uns dort hingehen und über Nacht bleiben.« Bald darauf gelangten sie zu einer kleinen Hütte. Der Besitzer der Hütte, es war Dzima-muhulu, lud sie ein. Er sagte: »Kommt nur, ihr könnt hier schlafen.« Als die Mädchen die Hütte betraten, sahen sie noch mehrere Menschen, die aber jeder nur einen Arm und ein Bein hatten. Matten wurden ausgebreitet, und die Mädchen legten sich schlafen. Dzima-muhulu aber stach die Mädchen, während sie schliefen, mit einer heißen Nadel in die Füße. Wenn sie aufwachten und weinten, sagte er jedes Mal: »Es ist nur Ungeziefer, das euch beißt.« Als es zu tagen begann, rief Dzima-muhulu die Einbeinigen zusammen und schickte sie zum Hacken auf die Felder. Den Mädchen gab er einen Korb voll Rizinuskerne und befahl: »Ihr werdet hier bleiben und die Kerne rösten.«

Die beiden Schwestern, sie hießen Mukhari und Siwayi, blieben in der Hütte und rösteten Kerne. Plötzlich flog eine Taube herein und sprach: »Gebt mir ein paar Kerne.« Die Kleine antwortete: »Das wagen wir nicht, Dzima-muhulu wird mit uns schimpfen.«

»Aber wollt ihr denn nicht nach Hause?« fragte da die Taube, und als die Mädchen freudig zustimmten, wiederholte sie: »Gebt mir Kerne, damit ich mich stärken kann.« Nachdem die Taube gegessen hatte, schnitt sie den Mädchen die Haare, gab ihnen allen Schmuck von Dzima-muhulu und nahm sich dessen Flöte. Die Haare von Siwayi verstreute sie in der Hütte, die von Mukhari auf dem Weg. Dann versteckte sie die Mädchen in ihrem Gefieder, flog auf den Weg und blies auf der Flöte.

Dzima-muhulu hörte, dass seine Flöte ertönte, und sagte zu den anderen Einbeinigen: »Ich muss nachsehen, wer auf meiner Flöte bläst.« Als er an seiner Hütte ankam, war niemand zu sehen. Er rief: »Mukhari, Mukhari!« Da antworteten die Haare auf dem Weg, doch kein Mädchen war zu sehen. Er rief: »Siwayi, Siwayi!« Da antworteten die Haare in der Hütte. Er eilte in die Hütte, fand dort aber ebenfalls niemanden. Und während er noch rief und hin und her rannte, kamen die Einbeinigen und fragten einander: »Wo ist das Fleisch, das er für uns kochen wollte, zum Dank für unsere Arbeit?« Dzima-muhulu entgegnete ihnen, dass er auch nicht wisse, wohin die Mädchen verschwunden wären. Die Taube war jetzt bei dem großen Stein angelangt, der sich inzwischen aber in einen riesigen See verwandelt hatte. Da rief sie den Frosch um Hilfe, und das Wasser verschwand. Nach einer Weile traf sie auf Viehhirten, die wollten sie fangen. Da begann die Taube zu singen: »Habt ihr nicht den Vater von Mukhari und Siwayi gesehen? Ich will ihm seine Töchter zurückbringen. Sie waren bei Dzima-muhulu.« Die Hirten ließen von ihr ab und folgten ihr nur noch, um ihrem Gesang zu lauschen. Immer wenn die Taube Menschen sah, fragte sie nach dem Vater der beiden Mädchen. Endlich traf sie einen Mann, der sagte: »Mukhari und Siwayi sind meine Töchter. Vor langer Zeit schon sind sie versehwunden.« Die Taube bat ihn, viele Felle auf der Erde auszubreiten. Dann flog sie hoch in die Luft und ließ die Mädchen auf die Felle herabfallen. Da rief der Vater: »Zum Dank werde ich dir alles geben, was du dir wünschst«, und er brachte wertvolle Sachen herbei. Die Taube sah sich alles an und sagte dann: »Nein, was mein Herz sich wünscht, ist nicht dabei.« Da brachte der Vater andere Dinge, darunter auch Waffen. Wieder sah die Taube sich alles an, und als sie eine Axt entdeckte, sprach sie: »Die ist es, alles andere könnt ihr behalten. Die Axt nehme ich!«