[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die viereckige Hütte

In einem Hungerjahr streiften einmal ein Mann und eine Frau auf der Suche nach etwas Essbarem durch den Wald und stießen plötzlich auf eine große viereckige Hütte. Nachdem sie die Hütte ein Weilchen gemustert hatte, fragte die Frau: »Was machen wir, Mann?« Der Mann antwortete: »Ich denke, wir sollten sie untersuchen und nachsehen, was darin ist.«

»Und wenn wir die Tür nicht öffnen können?« fragte die Frau. »Dann werden unsere Ahnengeister uns sicher helfen«, beruhigte der Mann sie. Da sang die Frau zu ihren Ahnengeistern: »Als wir durch den Wald streiften, kamen wir zu dieser viereckigen Hütte. Bitte öffnet die Tür!« Zu ihrem Erstaunen öffnete sich die Tür, und gemeinsam traten die beiden ein. In der Hütte lag eine Menge Fleisch und Essen jeglicher Art, auch viel Bier gab es, so dass sie vor Freude nicht aus noch ein wussten. Und binnen kurzer Zeit hatten sie ihren großen Hunger und ihren Durst gestillt. Danach ruhten sie aus. Als es Zeit war, heimzukehren, füllten die beiden Leutchen ihre Beutel und Körbe mit dem guten Essen, damit auch ihre Kinder einmal wieder richtig satt zu essen hätten. Sie wandten sich der Tür zu, die sich, kaum dass sie in die Hütte eingetreten waren, wieder geschlossen hatte, und die Frau richtete ihren Gesang an die Ahnengeister: »Als wir durch den Wald streiften, kamen wir zu dieser viereckigen Hütte. Bitte öffnet die Tür!« Da öffnete sich die Tür, und Mann und Frau verließen die Hütte und traten den Heimweg an.

Bei ihrer Ankunft rief der Mann seinen Bruder und erzählte ihm sogleich von der wunderbaren Hütte und lud ihn und dessen Frau ein, am nächsten Morgen dorthin mitzukommen. Am nächsten Morgen zogen die vier los, bevor noch irgendeiner im Dorf aufgestanden war. Kaum hatten sie die viereckige Hütte erreicht, rief die Frau wieder die Ahnengeister an, und die Tür öffnete sich. Zu viert traten sie ein, und sofort schlug die Tür hinter ihnen zu. Aber das beunruhigte sie nicht, weil sie darauf vertrauten, dass ihre Ahnen ihnen schon helfen würden, hinauszugelangen. So aßen sie und tranken und freuten sich ihres Glücks. Als sie sich satt gegessen hatten, füllten die Männer ihre Beutel und die Frauen die Körbe mit den guten Sachen. Dann wandten sie sich zur Tür, und die Frau sang ihr Lied. Aber die Tür blieb geschlossen. Die vier erschraken. Der Mann schob seine Frau beiseite und wandte sich selbst mit lautem Gesang an die Ahnen: »Als wir den Wald durchstreiften, kamen wir zu dieser viereckigen Hütte. Bitte öffnet die Tür!« Der Gesang war verklungen, aber es geschah nichts, die Tür blieb fest verschlossen. Plötzlich hörten sie draußen die Laute einer Hyäne, dann das Aufklatschen von Fleisch. Es waren die Tiere des Waldes, die ihre Beute vor die Tür warfen. Vor Schreck wussten die vier Leute nicht, was tun. Der eine Mann sprang vor Schreck auf einen der überstehenden Dachsparren, sein Bruder und die zwei Frauen versteckten sich in den großen Biergefäßen.

Inzwischen hatten sich die Tiere um ihren Häuptling, den Elefanten, gelagert und wollten nach der Anstrengung des Tages Bier trinken. »Öffne die Tür«, sagte der Elefant zu einem seiner Gefolgsleute, und als das geschehen war, rief er nach dem Duiker. »Geh«, befahl er, »hol' uns Bier, damit wir unseren Durst stillen können.« Der Duiker betrat die Hütte, kam aber bald wieder heraus: »Häuptling, das Gefäß ist zu schwer, ich kann es nicht heben.« Der Elefant rief Sankhambi zu: »Versuch du es, Sankhambi, sieh zu, dass du uns Bier herausbringen kannst.« Sankhambi betrat die Hütte, steckte die Hand in eins der Biergefäße und merkte sofort, dass es außer Bier noch etwas anderes enthielt. Er ließ sich aber nichts anmerken und brachte das Gefäß dem Häuptling. »Schenk uns ein, Sankhambi«, forderte der Elefant. Und Sankhambi reichte jedem ein kleines Töpfchen Bier. Dann schob er das Gefäß ein Stückchen weiter weg, und während alle tranken, aß er, ohne dass jemand etwas merkte, den Mann auf, der in diesem Gefäß Zuflucht gesucht hatte. »Was isst du denn da?« wollten einige Tiere wissen, die ihn kauen sahen. Aber als er versicherte, es sei nichts, fragten sie auch nicht weiter. Von dem kleinen Töpfchen Bier war der Durst der Tiere aber noch nicht gelöscht, und der Elefant forderte: »Bring uns noch einmal Bier!« Sankhambi holte ein zweites Gefäß, schenkte Bier für alle aus, ging dann wieder etwas abseits und angelte sich eine der beiden Frauen, um sie ebenfalls zu verspeisen.

Mit dem zweiten Trunk war der Durst der Tiere gestillt, und der Elefant schlug nun vor, schlafen zu gehen. Die meisten legten sich gleich draußen nieder, nur ein paar von den angeseheneren Tieren begleiteten den Elefanten und Sankhambi zu der Hütte, in der die beiden immer schliefen. Kaum hatten sich der Elefant und Sankhambi niedergelegt, tropfte etwas von der Decke herab. »Was ist das?« fragte der Elefant. Sankhambi steckte seine Hand zwischen die Fleischstücke, die von der Decke hingen, verriet aber nicht, was er da fühlte. »Es ist nur das Fleisch«, sagte er, und sie legten sich wieder hin. Wieder tropfte es. Diesmal wurde der Elefant böse. »Was ist das nur?« fragte er scharf. »Ich weiß es nicht«, erwiderte Sankhambi. Da stand der Elefant auf, streckte seinen Rüssel nach oben und bekam den unglücklichen alten Mann zu fassen, der sich dort versteckt hatte. Und während der Elefant den Mann unter die Tiere warf, rief er ihnen zu: »Da, meine Freunde, da habt ihr ein wenig Fleisch. Das hat den Gestank in unserer Hütte verursacht, den wir uns nicht erklären konnten.« Die Tiere zögerten nicht lange und fraßen den Mann auf. Danach legten sie sich wieder schlafen.

Bevor die Tiere schon zeitig am nächsten Morgen in den Wald aufbrachen, befahl der Elefant Sankhambi, das dritte Biergefäß herbeizubringen, damit sie noch etwas trinken konnten. Sankhambi schenkte allen ein, aber als er bemerkt hatte, dass auch in diesem Gefäß mehr war als Bier allein, trug er es wieder in die Hütte, wo er unbeobachtet war, und verspeiste dort die zweite Frau. Der Elefant mahnte Sankhambi nach einer Weile, doch nun endlich zu kommen, weil er alle aufhalte. Aber Sankhambi hielt die Tiere hin, bis er auch den letzten Bissen verschlungen hatte.