[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Tochter des Holzfällers

In einer verräucherten Erdhütte lebte einmal ein alter Holzfäller mit seiner neunjährigen Tochter. Er war bettelarm. Eine abgeschabte Axt, eine lahme Mähre und ein alter Esel - das war sein ganzes Hab und Gut. Weise Leute aber sagen: »Der Reiche findet Glück in seinen Pferden, der Arme findet Glück in seinen Kindern.« Und wirklich, wenn der Holzfäller seine kleine Tochter betrachtete, vergaß er Not und Leid. Das Mädchen hieß Aina-kys. Es war so hübsch anzuschauen, so klug und freundlich, dass es jeder sogleich lieb gewann. Aus fernen Jurten liefen die Kinder herbei, um mit Aina-kys zu spielen, aus fernen Aulen kamen die Alten, um sich mit ihr zu unterhalten.

Eines Tages band der Holzfäller ein Bündel Holz auf seine lahme Mähre und nahm von der Tochter Abschied. »Meine liebe Aina-kys«, sagte er, »ich gehe auf den Basar und kehre am Abend heim. lass dir die Zeit nicht lang werden. Wenn ich das Holz verkaufe, bringe ich dir ein kleines Geschenk mit.«

»Mögen deine Wünsche in Erfüllung gehen, lieber Vater«, antwortete die Tochter. »Glückliche Reise, doch gib Acht auf dich. Die Leute sagen, der Basar sei ein verruchter Ort, wo sich die einen bereichern und die anderen zugrunde richten. Kehre schnell zurück, ich will mit dem Essen auf dich warten.« Der Holzfäller peitschte die lahme Mähre und machte sich auf den Weg.

Auf dem Basar angelangt, stellte er sich ein bisschen abseits und wartete auf Käufer. Die Zeit verstrich, doch keiner trat an den Alten heran. Unterdessen stolzierte ein junger reicher Bei über den Basar, brüstete sich mit seinem schwarzen Bart und seinem Seidengewand. Als er den zerlumpten Alten mit dem Holz sah, bekam er Lust, ihm einen bösen Streich zu spielen. »He, Alter, verkaufst du mir das Holz?« fragte der Bei. »Verkaufe ich«, entgegnete der Holzfäller. »Was verlangst du für das Bündel?«

»Eine Tenga.« »Verkaufst du das Holz für diesen Preis auch so, wie es ist?« Der Holzfäller wusste nicht, was die Worte des Käufers bedeuten sollten, ahnte nichts Böses und antwortete abermals: »Verkaufe ich.«

»Abgemacht, hier hast du eine Tenga«, sagte der Bei. »Treibe die Mähre hinter mir her.«

Im Hof des Beis wollte der Holzfäller das Bündel abschnüren und das Holz vor dem Haus abladen. Da aber versetzte ihm der Bei einen starken Stoß in die Brust und schrie, dass es die ganze Straße hörte: »Was fällt dir ein, dummer Alter? Du willst doch nicht etwa das Pferd wieder mitnehmen? Ich habe doch das Holz ›so, wie es ist‹ von dir gekauft, also gehört das Pferd mir. Das Geld hast du bekommen, also scher dich fort, so schnell dich deine Beine tragen!« Der Holzfäller erhob Einwände, der Bei aber wollte nichts hören. Er fuchtelte mit den Armen, schrie immer lauter, packte den Alten schließlich am Ärmel und schleppte ihn zum Richter.

Wie heißt es doch so schön: Ein böser Herr macht aus einem Reitpferd eine Schindmähre, ein böser Richter macht aus deinem Allerheiligsten fremdes Gut. Nachdem der Richter die Streitenden angehört hatte, strich er seinen Bart, beäugelte das Seidengewand des Beis und verkündete, auf seinen Vorteil bedacht, das Urteil: Der Holzfäller hat den vollen Preis erhalten, auch ist er selbst schuld an seinem Unglück, da er die Bedingungen des Käufers annahm. Nach dem Urteilsspruch des Richters hielt sich der Bei, zufrieden mit seinem Gaunerstreich, noch lange den Bauch vor Lachen, der Holzfäller aber weinte bittere Tränen und schleppte sich gebeugt in seinen Aul zurück.

Aina-kys hatte inzwischen schon mehrmals Reisig unter den Kessel gelegt. Als der Vater endlich schweren Schritts über die Schwelle trat und das Mädchen Tränen in seinen Augen sah, bebte sein Herz bange. Es warf sich dem Vater an die Brust und begann ihn auszufragen, was ihm solchen Kummer bereitete. Der Holzfäller erzählte der Tochter von seinem Missgeschick, und sie tröstete ihn mit klugen Worten und zärtlichen Küssen. Lange aber konnte sie seine Tränen nicht stillen.

Am nächsten Morgen war der Holzfäller krank vor Kummer. Aina-kys liebkoste den Vater und sprach: »Lieber Vater, du bist krank und musst das Bett hüten. Ich will mich selber auf den Basar begeben. Vielleicht habe ich mehr Glück als du und verkaufe das Holz mit gutem Erlös.« Der alte Mann wollte seine Tochter um nichts auf der Welt gehen lassen, Aina-kys aber überredete ihn und beharrte auf ihrem Willen. »Nun, es soll sein, wenn du es so sehr wünschst«, sagte der Holzfäller. »Aber wisse, dass ich keine Ruhe finde, bevor du nicht wieder bei mir bist.« Aina-kys schnürte ein Holzbündel auf den alten Esel, trieb ihn mit einer Reisigrute an und ritt in die Stadt.

Auf dem Basar bemerkte Aina-kys in der Menge bald schon den jungen Bei mit dem schwarzen Bart und dem Seidengewand. Der Bei stolzierte aufgeplustert über den Basar; als er Aina-kys mit dem Holz erblickte, kicherte er arglistig und ging schnurstracks auf sie zu. »He, Mädchen! Verkaufst du das Holz?« fragte der Bei. »Verkaufe ich«, antwortete Aina-kys. »Was verlangst du für das Bündel?«

»Zwei Tenga.«

»Verkaufst du das Holz für diesen Preis so, wie es ist?«

»Verkaufe ich, wenn du mir das Geld auch ›so gibst, wie es ist‹.« »Abgemacht«, sagte der Bei hastig und kicherte in seinen Bart. »Treibe den Esel hinter mir her.«

Am Haus des Beis fragte Aina-kys: »Onkelchen, wo soll ich ›deinen‹ Esel anbinden?« Verwundert über die Gefügigkeit des Mädchens, zeigte der Bei schweigend auf einen Pfahl in der Mitte des Hofes. Aina-kys band den Esel daran fest und verlangte das Geld. Der Bei reichte ihr grinsend zwei Tenga hin, doch Aina-kys sagte: »Onkelchen, du hast von mir das Holz so gekauft, ›wie es ist‹, und erhieltest den Esel zusammen mit dem Holz, aber auch du versprachst mir, das Geld ›so zu geben, wie es ist‹. Außer den zwei Münzen gehört mir nun noch deine Hand.«

Der Bei war wie vor den Kopf geschlagen, dann stieß er Flüche und Drohungen aus, Aina-kys blieb ihm jedoch die Antwort nicht schuldig. Daraufhin begaben sie sich zum Richter. Dieser hörte sie an, aber diesmal vermochte er, sooft er sich auch den Bart strich, sooft er auch das Seidengewand des Beis beäugelte, nichts zu ersinnen, um den Bei rein zu waschen. Sein Richtspruch lautete also so: Der Käufer muss dem Mädchen zwei Tengas und fünfzig Goldmünzen als Lösegeld für seine Hand zahlen.

Der Bei wurde fuchsteufelswild und willig, auf das Holz und auf den Esel zu verzichten, doch dazu war es schon zu spät. Aina-kys gab er das Geld mit den Worten: »Du hast mich übertölpelt, schlaues Mädchen, aber lass dir nicht einfallen, damit zu prahlen. Ein Spatz sollte es lieber nie mit einem Falken aufnehmen. Ich bin trotzdem klüger als du. Willst du den Beweis? Wollen wir wetten? Jeder soll vor dem Richter die wundersamste, unglaublichste Geschichte erzählen. Der gewinnt, dessen Geschichte der Richter als die beste anerkennt. Und noch eins: Wenn einer der Gegner die Geschichte nicht glaubt und den Erzähler Lügner zeiht, hat jener sofort verloren. Bist du bereit, dein Glück zu versuchen? Ich setze fünfhundert Goldmünzen, du kannst deine fünfzig dagegen setzen...«

»Ich bin bereit, Onkelchen, ich setze meinen Kopf«, entgegnete Aina-kys.

Der Bei zwinkerte dem Richter zu und hob an: »Einmal fand ich in meiner Tasche drei Weizenkörner und warf sie aus dem Fenster. Bald wuchs unter meinem Fenster Weizen, so dicht und hoch, dass Reiter auf Kamelen und Pferden sich darin verbiesterten, manchmal einige Tage darin umherirrten. Eines Tages geschah folgendes. Vierzig meiner besten Ziegen verliefen sich im Weizen und verschwanden. So viel ich sie auch rief, so viel ich sie auch suchte, die Ziegen waren wie vom Erdboden verschluckt. Der Herbst kam, der Weizen reifte. Meine Leute mähten ihn, fanden aber nirgends Ziegenknochen. Dann wurde der Weizen gedroschen, gemahlen, die Ziegen hatten alle schon vergessen. Einmal trug ich meiner Frau auf, einen frischen Brotfladen zu backen; ich ließ mich nieder, um im Koran zu lesen. Die Frau zog den Brotfladen aus dem Feuer und reichte ihn mir. Ich brach ein Stückchen ab und begann zu kauen. Auf einmal hörte ich Ziegengemecker in meinem Mund - ich riss ihn auf... Da sprangen die Ziegen, eine nach der anderen, alle vierzig aus meinem Mund auf den Koran. Und fett waren meine Ziegen geworden; jede wie ein vierjähriger Hammel.«

Als der Bei verstummte, wackelte sogar der Richter missbilligend mit dem Kopf, Aina-kys zuckte nicht einmal mit den Augenbrauen. »Onkelchen«, sagte das Mädchen, »ich sehe, deine Geschichte ist die reinste Wahrheit. Mit solchen klugen Leuten wie dir geschehen noch ganz andere Dinge. Höre nun meine Geschichte.«

Und Aina-kys hob an: »Eines Tages setzte ich in der Mitte meines Auls einen Baumwollsamen in die Erde und was geschah? Am nächsten Tag reckte sich der Baumwollstrauch bis zu den Wolken, warf einen Schatten so weit wie ein Dreitageweg. Als die Baumwolle reifte, pflückte, säuberte und verkaufte ich sie. Für das Geld kaufte ich vierzig Nare, packte kostbare Stoffe darauf, und mein ältester Bruder führte die Karawane nach Buchara. Drei Jahre erhielten wir keine Nachricht von ihm, vor einiger Zeit jedoch erreichte mich die Kunde, dass er unterwegs ausgeplündert und von einem schwarzbärtigen Mann ermordet worden sei. Ich hatte keine Hoffnung, den Mörder zu finden, doch ein Zufall half mir: Ich habe jetzt den Mörder erkannt - du bist es, denn du trägst das Seidengewand meines unglücklichen Bruders.« Bei den letzten Worten sprang der Richter von seinem Platz auf, und der Bei setzte sich auf den Fußboden. Was tun? Wenn sie sagten, das Mädchen lügt, mussten sie, wie abgemacht, fünfhundert Goldmünzen zahlen; wenn sie sagten, sie spricht die Wahrheit, war es noch schlimmer, dann würde das Mädchen das Lösegeld für den ermordeten Bruder fordern und außerdem noch fünfzig mit kostbarem Stoff beladene Nare.

Der Bei, der die Fassung verlor, brüllte los: »dass dir die Zunge am Stein festklebt! Du lügst, nichtsnutziges Mädchen! Nimm die fünfhundert Goldmünzen, nimm mein Gewand, nur scher dich schleunigst fort von hier, sonst drehe ist dir den Hals um!« Aina-kys nahm das Gold, wickelte es in das Gewand und lief zum Vater, so schnell sie die Beine trugen. Der Holzfäller, besorgt, weil die Tochter so lange ausblieb, kam ihr entgegen. Bald schon sah er die herbeieilende Aina-kys. Näher gekommen, drückte er sie an sich und fragte bekümmert: »Aina-kys, mein Mardermützchen! Wo warst du so lange, und wo ist unser alter Esel?« Aina-kys antwortete: »Vater, möge stets der blaue Himmel über dir scheinen! Ich kehre wohlbehalten aus der Stadt heim, den Esel verkaufte ich dem schwarzbärtigen Mann zusammen mit dem Holz ›so, wie es ist‹.« »Mein armes Kind«, sprach der Holzfäller traurig, »auch dich hat der hartherzige Bei betrogen. Nun sind wir verloren, und ich bin an allem schuld.«

»Lieber Vater, verzweifle nicht. Ich habe für das Holz einen guten Erlös erhalten«, sagte Aina-kys. Damit reichte sie dem Vater das zusammengerollte Seidengewand. »Das ist ein wunderschöner teurer Chalat«, sagte der Holzfäller immer noch traurig, »aber was nutzt er mir bei meiner schweren Arbeit? Ohne Pferd und ohne den alten Esel müssen wir wohl von Almosen leben.« Da rollte Aina-kys wortlos das Gewand vor dem Vater aus, und blanke Goldmünzen purzelten heraus. Verwundert schaute der Holzfäller die Tochter und den Schatz an, er traute seinen Augen nicht. Die Tochter fiel ihm um den Hals und erzählte, was ihr in der Stadt widerfahren war.

Der Holzfäller weinte und lachte, lauschte den Worten seiner Tochter, und Aina-kys endete ihre Geschichte so: »O mein Vater! Wo bei dem Reichen die Arglist sitzt, sitzt bei dem Armen der Verstand. Der schwarzbärtige Bei erhielt seine gerechte Strafe, mit seinen Goldmünzen wird aber fortan unser ganzer Aul glücklich und in Freuden leben.«