[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die schöne Meküküi

Einst lebte Nsambe zusammen mit seiner Frau in einem großen Dorf. Die Frau hatte ihm schon einige Kinder geboren. Nsambe aber hatte die Kinder jedes Mal bald nach der Geburt aufgefressen. Als das schon fünf- oder sechsmal so gegangen war, sagte sich die Frau: »Wie kann dieser Mann nur seine eigenen Kinder fressen! Das nächste Mal werde ich weit weg gehen. wenn die Geburt naht, und ihm das Kind gar nicht zeigen.« Als es nun Zeit wurde, lief sie in den Wald, um einen geeigneten Platz zu suchen. Da fand sie eine Felshöhle, in der genügend Raum war. Hier gebar sie eine Tochter und nannte sie Obelle. Sie richtete die Höhle wohnlich her und brachte dem Kind auch immer sein Essen. Als Nsambe sie fragte, wo denn das Kind geblieben sei, sagte sie, es wäre tot geboren, und so hätte sie es im Wald gelassen. Weil ihr die List gelungen war, beschloss sie, es nun immer so zu machen. Als sie das nächste Mal schwanger wurde, begab sie sich wieder in die Felshöhle und gebar eine Tochter, die sie Mbui-Ekon nannte. Die dritte Tochter, Schi-Ekon, kam auch hier zur Welt. Die letzte Tochter aber nannte sie wegen ihrer schönen hellen Hautfarbe Meküküi, das heißt Mondlicht. Die Frau brachte ihren vier Töchtern stets heimlich etwas zu essen und zog sie groß.

Den Mann aber täuschte sie und beschwichtigte ihn, wenn er ungehalten war, weil er das neugeborene Kind wieder nicht hatte essen können. Nun lebte in einem anderen Dorf ein junger Mann, der in jenem Wald oft auf die Jagd ging. Dabei gelangte er eines Tages zu der Felshöhle und sah die jüngste Tochter, Meküküi, vor der Tür sitzen. Wie gebannt von ihrer Schönheit dachte er: "So ein wunderschönes Mädchen habe ich noch nie gesehen. Ich will versuchen, sie zu meiner Frau zu machen." Als Meküküi den jungen Mann erblickte, schlüpfte sie sogleich in die Felsgrotte zu ihren Schwestern, obwohl ihr der Mann zurief: »Hab keine Angst! Bleib doch hier, ich habe dich ja schon lange gesehen!«

Gleich am nächsten Tag begab sich der junge Mann zu Nsambe und sprach: »Ich bin gekommen, um bei dir um deine Tochter anzuhalten, denn ich liebe sie sehr.« Da erwiderte Nsambe: »Was für eine Tochter? Ich habe gar keine Tochter, mein Freund.« Nun erzählte der junge Mann von seinem Erlebnis bei dem Felsen im Wald. Als Nsambe ihn angehört hatte, entschied er: »Gut, ruf morgen alle deine Verwandten her, und auch ich werde die meinen holen lassen, damit wir die Angelegenheit klären können. Wenn es sich so verhält, wie du sagst, soll sie deine Frau werden. Hast du aber gelogen, so wird es dir schlecht ergehen.« Damit war der junge Mann zufrieden.

Am anderen Tag erschien er mit seinen Verwandten. Nun ließ Nsambe seine Frau rufen, befragte sie wegen der Tochter und befahl ihr dann, sie sogleich herbeizuschaffen. Da ging die Frau fort und kam mit der ältesten Tochter, Obelle, wieder. Der junge Mann aber schüttelte den Kopf und sprach: »Nein, die ist es nicht, hol die andere.« Da rief sie die zweite Tochter, aber wieder sagte der Mann: »Nein, die meine ich auch nicht.« Da ließ die Frau die dritte Tochter holen, doch der Mann wollte auch die dritte nicht und sprach: »Nein. das ist nicht jene, die ich im Wald gesehen habe. Du hast noch eine Tochter.« Da ging die Frau, um die jüngste, Meküküi, zu holen. Aber Meküküi wollte nicht mitkommen und sagte: »Ich gehe nicht, ich sehe keinen Grund, warum ich gehen sollte.« Nun erzählte ihr die Mutter, dass ein junger Mann erschienen sei, der sie heiraten wolle. Da sprach Meküküi: »Gut, wenn er mich liebt, soll er eine Korbschale mit Perlen und Armreifen aus Messingdraht füllen, aber eine ganz neue, frisch geflochtene Schale, und soll sie vor meine Tür stellen. Wenn ich damit zufrieden bin, werde ich kommen.« Als der junge Mann das hörte, ging er sofort los, kaufte Armreifen aus Messingdraht und Perlen und häufte sie auf eine schöne neue Schale. Die stellte er vor Meküküis Tür und bat sie, nun mit ihm zu kommen. Da trat sie heraus, strahlend schön wie das Mondlicht, und ging mit ihm zum Dorf ihres Vaters. Auf einmal standen sie vor einem Baumstamm, der quer über dem Weg lag. Da sprach das Mädchen: »Bis hierher bin ich mitgekommen, aber über den Baumstamm werde ich nicht steigen - es sei denn, du füllst noch eine Schale mit Armreifen und Perlen für mich.«

»Nur zu gern tue ich das für dich«, gab der junge Mann zurück, ging und kaufte noch einmal Perlen und Messingdraht für Armreifen. Er brachte ihr die gefüllte Schale, und da stieg das Mädchen auch über den Baumstamm und ging mit bis ins Dorf. Doch kaum waren sie vor Nsambes Haus angelangt, forderte sie: »Wenn du willst, dass ich mit hineingehen und deine Frau werden soll, musst du mir noch eine Schale voller Armreifen und Perlen bringen.« Aber der Mann meinte: »Das macht mir nichts aus. Ich tue es gern.« Er füllte noch eine Korbschale mit Perlen und Messingarmreifen und gab sie dem Mädchen. Da trat sie ins Haus.

Nsambe aber sprach zu dem jungen Mann: »Sei mir als Schwiegersohn willkommen, denn wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich nie erfahren, dass ich Töchter habe. Nimm Meküküi nun mit in dein Dorf. Lass sie aber im Haus bleiben. Sie soll nur Essen kochen, weiter nichts! Achte auch darauf, dass niemand mit ihr spielt oder sie etwa eine schöne Frau nennt, sonst wird Schlimmes geschehen.« Das sagte der junge Mann auch zu und kehrte dann mit seiner Frau in sein Dorf zurück. Meküküi bekam eine neue, schöne Hütte und durfte den ganzen Tag zu Hause bleiben. So ging einige Zeit alles gut, bis der Mann eines Tages wieder auf die Jagd musste, um Fleisch für sich und seine Frau heranzuschaffen. Er rief seine Schwester und befahl ihr: »Bleib bei meiner Frau und achte darauf, dass niemand ihr nahe kommt und sie berührt!« Die Schwester versprach auch, gut Acht zu geben. Kaum war der Mann fort, setzte sie sich in die Hütte zu der jungen Frau. Als sie Meküküi aber eine Weile angeschaut hatte, war sie von ihrer Schönheit so benommen, dass sie nicht anders konnte, als die junge Frau zu berühren und bewundernd auszurufen: »Was bist du doch für eine schöne Frau!« Kaum aber hatte die Schwester das ausgesprochen, verwandelte sich Meküküi in eine rotschwänzige Meerkatze. Zuerst kletterte sie auf die Planten, von da auf die höheren Bäume und verschwand dann im tiefen Wald.

Bald darauf kehrte der Mann zurück. Er rief seine Schwester und fragte sie: »Wo ist meine Frau?« Da antwortete sie: »Ach, lieber Bruder, ich habe schlimme Dinge zu berichten. Deine Frau ist nicht mehr hier!« Der Bruder erschrak sehr. Sie erzählte ihm nun, was geschehen war, und schalt: »Sie war gar kein richtiger Mensch, sondern eine abscheuliche Meerkatze. Wie kannst du ihr nur nachtrauern.«

Am folgenden Tag begab sich der Mann betrübt zu seinem Schwiegervater und erzählte ihm das Unglück. Da gab ihm Nsambe als Ersatz seine Tochter Obelle zur Frau, und der junge Mann kehrte mit ihr zurück in sein Dorf.

Wenn nun Obelle auf dem Feld war, um die Erdnusspflanzen zu jäten, weinte sie immer laut und klagte um ihre Schwester. Auch vermochte sie kaum, ein paar Unkräuter herauszuziehen, so sehr musste sie weinen. Da rauschte es eines Tages hinter ihr und ihre Schwester kam in Affengestalt aus den Büschen. Sie warf ihre Haut ab, verwandelte sich wieder in einen Menschen und war so schön, wie sie vorher gewesen war. Sie sprach zu Obelle: »Warum weinst du denn um mich, ich bin ja nicht gestorben.« Die Schwester aber antwortete: »Wie sollte ich nicht weinen. Früher haben wir so glücklich miteinander gelebt, und nun bist du ein hässlicher Affe. Das ist gerade so, als wärst du gestorben.« Meküküi aber wiederholte: »Du siehst mich ja, ich bin nicht tot. Also Lass das Weinen.« Dann half sie beim Unkrautjäten und war dabei so schnell, dass bald alles gejätet war und Obelle heimgehen konnte. Aber kaum machte sie sich auf, ergriff Meküküi ihre Affenhaut, verwandelte sich in eine Meerkatze und verschwand eins, zwei, drei, in den Bäumen. Da lief Obelle weinend nach Hause. So ging es nun jeden Tag: Meküküi kam, verwandelte sich, half beim Jäten. Aber sowie Obelle nach Hause gehen wollte, verschwand Meküküi trotz aller Bitten wieder als Meerkatze im Wald. Schließlich fiel es dem Mann auf, dass seine Frau sehr zeitig, aber immer wehklagend vom Feld zurückkam. Er fragte sie nach dem Grund, und sie erzählte ihm alles. »Warte«, sagte der Mann, »morgen verstecke ich mich in der Nähe des Feldes und packe sie, wenn sie wieder Mensch geworden ist.« Obelle war damit einverstanden. Am nächsten Tag begaben sie sich zusammen zum Feld und der Mann versteckte sich nahe der Stelle, wo Meküküi sich immer verwandelt hatte. Obelle aber ging wie gewohnt an ihre Arbeit.

Es dauerte nicht lange, da kam Meküküi. Aber statt sich zu verwandeln, lief sie unruhig hin und her, so dass Obelle sie fragte: »Was hast du denn heute? Sonst verwandelst du dich doch immer hier?« Meküküi antwortete: »Ich rieche etwas. Es scheint noch ein anderer Mensch in der Nähe zu sein.« Aber Obelle beruhigte sie: »Ach was, ich bin ganz allein.«

»Gut«, sagte da Meküküi, »doch wenn du gelogen hast, werden wir nie mehr miteinander sprechen.« Darauf warf sie ihre Affenhaut ab und wurde wieder ein Mensch.

Kaum hatte der Mann das gesehen, als er aus seinem Versteck hervorstürzte, die Affenhaut ergriff und sie in das Feuer warf, das die Frauen der Sandfliegen wegen stets brennen haben. Nun fesselte er Meküküi, weil er fürchtete, sie würde weglaufen, und brachte sie ins Dorf. Meküküi aber war stumm geworden. Sie konnte sich zwar durch Zeichen verständigen, doch kein einziges Wort kam mehr über ihre Lippen. Ihr Mann war darüber sehr traurig. Er suchte alle Medizinmänner des Landes auf, um ihren Rat einzuholen. Aber keiner wusste ein Mittel, bis ihm schließlich ein Mann riet: »Du musst als Essen für deine Frau Planten zerreiben und über dem Topf einen großen Tausendfüßer aufhängen. Wenn deine Frau den sieht, wird sie einen Schreck bekommen und fragen: ›Wer hat das gemacht?‹ Dann musst du schnell mit all deinen Leuten rufen: ›Da redet sie schon, sie redet ja schon!‹, und der Bann ist gebrochen.« So tat es der Mann auch. Er zerrieb die Planten zum Mittagessen und band über dem Topf einen Tausendfüßer fest. Dann rief er alle seine Leute zusammen und sprach zu seiner Frau: »Geh ins Haus, ich habe Essen für dich gekocht.«

Da ging sie hinein, sah den Tausendfüßer, erschrak und schrie: »Wer hat denn das gemacht?« Sofort riefen alle: »Nun spricht sie ja! Nun spricht sie ja!« und der Zauber war besiegt, sie konnte wieder reden.

Obelle kehrte in das Dorf ihres Vaters zurück. Die beiden Eheleute aber wurden nie mehr durch Zauberei gestört und lebten glücklich und zufrieden miteinander.