[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Mutter

In einem Reich begannen plötzlich die schönsten Frauen und Mädchen spurlos zu verschwinden. Deshalb gebot der Padischah, sie in den Häusern einzuschließen und sie nicht mehr auf die Straßen zu lassen. Seine eigene Gemahlin, deren außergewöhnliche Schönheit weithin bekannt war, versteckte er hinter sieben Türen, die er mit sieben Schlüsseln verschloss. Dieser Padischah hatte drei Söhne. Eines Tages kam der jüngste zu seiner Großmutter und fragte sie unter Tränen, wo seine Mutter sei. Die alte Frau, die nicht wusste, wie sie ihn beruhigen sollte, gab dem Enkel folgenden Rat: »Wenn dein Vater heimkehrt, stelle dich krank. Dann lässt dich der Vater wahrscheinlich bei sich schlafen. In der Nacht, wenn alles still ist, nimm ihm heimlich die Schlüssel für das Zimmer weg, in dem deine Mutter eingeschlossen ist, öffne die sieben Türen, und so wirst du zu ihr gelangen.« Am Nachmittag, als der Padischah heimkehrte, fand er seinen Sohn tränenüberströmt. Der Vater suchte ihn zu beruhigen, und da kein Zureden helfen wollte, ließ er ihn bei sich schlafen. Nachts zog der Sohn vorsichtig die Schlüssel aus des Vaters Tasche, öffnete die sieben Schlösser und gelangte zu seiner Mutter. Als die Frau ihren Sohn erblickte, Schloss sie ihn in die Arme und weinte bitterlich.

In diesem Augenblick fegte ein schwarzer Sturmwind ins Zimmer. Eine unsichtbare Macht schleuderte den Jungen zu Boden. In Blitzesschnelle erkannte er nur den Kopf eines Diw. Als sich der Jüngling von seinem Schreck erholt hatte, war die Mutter verschwunden. Sein lautes Weinen weckte den Vater. Als jeher den Platz neben sich leer fand, ahnte er Unheil, griff in die Tasche, merkte, dass die Schlüssel fehlten, und eilte zu den Türen, hinter denen seine Frau eingesperrt war. Da gewahrte er, dass alle Türen offen standen, das Zimmer aber war leer. Zitternd erzählte ihm der Sohn, was sich zugetragen hatte.

Die älteren Söhne des Padischahs beschlossen, auf Suche nach der Mutter auszuziehen. Sie bereiteten sich reichlich Wegzehrung, zäumten feurige Rosse und machten sich auf. Der jüngste Sohn wollte sich ihnen anschließen, doch die Brüder nahmen ihn nicht mit. So flehte er den Vater an: »lass auch mich ausziehen, um die Mutter zu suchen!« Der Padischah wurde der ständigen Bitten des Sohnes müde und gestattete ihm schließlich, ein Pferd aus seinem Gestüt auszuwählen und sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Der Bursche suchte sich das beste Pferd aus, fütterte es fünfzehn Tage mit Gerste, ritt es ein und verließ schließlich den Hof des Padischahs.

Sieben Tage ritt er, da erblickte er plötzlich am achten Tag eine Festung. Ohne lange zu zaudern, trat er durchs Tor, und da er keiner Menschenseele begegnete, legte er sich zur Ruhe. Nach einiger Zeit weckte ihn lautes Getöse, die Festungsmauern erbebten, und sieben Diwe tauchten auf. Sie bemerkten den Jüngling und hielten flüsternd Rat. »Das ist ein ansehnlicher Bursche, wir könnten Schaschlik aus ihm machen.« Als es an der Zeit war, das Nachtmahl zu bereiten, traten die sieben Geister an den Herd, um den Kessel gemeinsam vom Feuer zu ziehen. Spöttisch fragte der Jüngling: »Was zieht ihr sieben Kerle einen einzigen Kessel vom Feuer?« Sprach's, schob die Diwe beiseite und nahm den Kessel vom Herd. Als die bösen Geister dies sahen, erschraken sie und beschlossen, den Jüngling nicht anzurühren.

Beim Nachtmahl fragte er sie, wer sie seien. »Wir sind die Diener jener Ashdachen, die im zweiten Schloss wohnen.« Die Diwe wiesen auf eine Mauer, die hinter ihrer Festung aufragte. Sie war so hoch, dass einem, wollte man zu ihr hinaufsehen, die Papacha vom Hinterkopf fiel. Die Diwe fuhren fort: »Hinter dieser Steilwand breiten sich grüne Wiesen und Fluren, Gärten und alle irdischen Reichtümer aus, die man sich nur erträumen kann. Inmitten dieser Schönheit steht ein Schloss, das vier Ashdachen bewohnen: ein dreiköpfiger, ein vierköpfiger, ein fünfköpfiger und ein siebenköpfiger. Einen Monat lang schlafen die Drachen, den zweiten Monat aber gehen sie auf Jagd. Augenblicklich sind sie jagen und kommen erst in fünfzehn Tagen wieder zurück.«

Zwei Tage später gelangten auch die zwei älteren Brüder zu der Festung. Nachdem sie einander freudig begrüßt hatten, schlug der Jüngste vor: »Ich verlasse euch jetzt und komme frühestens in zwanzig Tagen zurück. Wartet hier auf mich! Sollte ich allerdings ausbleiben, so tut, was ihr für nötig haltet.« Damit ritt er fort. Die Brüder gaben ihm das Geleit. Insgeheim spotteten sie über ihn. Die Diwe, die den Jüngling auf die Probe gestellt hatten, glaubten, dessen Brüder seien noch stärker als er, und ließen sie in Frieden.

Der jüngste Bruder ritt unermüdlich und kam schließlich zu einer Stadt. Dort machte er einen geschickten Schmied ausfindig und bat ihn: »Baue mir eine eiserne Riesenleiter und einen Kasten dazu, in dem ich sie verstecken kann.« Der Schmied versprach, den Auftrag innerhalb von fünfzehn Tagen auszuführen. Wie vereinbart, kam der Jüngling, um die eiserne Leiter abzuholen. Der Meister schleppte den Kasten hinaus, in dem die Leiter steckte, stellte ihn vor den Jüngling und drückte auf eine Feder. Sofort sprang die Leiter aus dem Kasten und schnellte in die Höhe. Dann drückte der Meister auf eine zweite Feder, und die Leiter klappte zurück in den Kasten. Der Sohn des Padischahs war zufrieden mit dem Werk, zahlte dem Schmied den Lohn, den jener forderte, nahm den Kasten, schwang sich aufs Pferd und ritt zu der Festung, wo er seine Brüder zurückgelassen hatte.

Zum vereinbarten Zeitpunkt erreichte der Jüngling die Festung. Nachdem er die Diwe begrüßt hatte, befahl er ihnen, den Kasten zur Mauer zu schleppen, hinter welcher die Drachen lebten, doch sie vermochten ihn nicht von der Stelle zu rücken. Das verblüffte die älteren Brüder, und sie versuchten nun ihrerseits, den Kasten anzuheben. Aber auch sie hatten keinen Erfolg. So machten sich alle an dem Kasten zu schaffen wie Ameisen, die sich an einem Erdklumpen abmühen. Ungeduldig schob der Jüngling alle beiseite, hob den Kasten an, stellte ihn vor die Mauer, drückte auf die erste Feder, die Leiter schnellte heraus, und er befestigte sie am Mauerwerk. »Klettert die Leiter hoch!« befahl er den Diwen. Doch wie sich die Diwe auch mühten, keiner erreichte die oberste Sprosse, denn allen wurde schwindlig. Drauf sprach der Jüngling zu seinen Brüdern: »Ich werde allein zu den Ashdachen steigen. Wartet hier einen Monat auf mich! Falls die Ungeheuer erwachen und ich euch nicht wieder sehen sollte, so grüßt Vater von mir, aber trauert nicht unnötig.« Die Diwe suchten ihn von seinem Vorhaben abzubringen. »Viele Mutige fanden bereits den Tod im Kampf gegen die grausamen Drachen. Schone dein junges Leben! Sie werden auch mit dir kein Erbarmen haben.« Doch der Jüngling achtete ihrer Worte nicht und kletterte die Leiter hinauf. Als er endlich auf der Mauer stand, erblickte er weite Fluren und Wiesen vor sich, auf denen saftiges Gras und Wildblumen sprossen, als sei ein dichter bunt gewebter Teppich über die Erde gebreitet. Auf den Wiesen tummelten sich feurige Rosse und muntere Fohlen. Kein Hirte weit und breit beaufsichtigte die weidenden Schafherden. Vogelschwärme schwebten durch die Lüfte, und im Schlagen der Nachtigallen wiegten sich sanft Gräser und Blumen. Inmitten der Wiese ragte ein Schloss auf, das weit ausladende Obstbäume umgaben.

Lange schaute sich der Sohn des Padischahs um, und dann ging er auf das Schloss zu. Doch wo war der Eingang? Mehrmals lief er um den Palast, bis er schließlich eine Stelle fand, wo er die Spuren eines Geheimganges entdeckte. Mit dem Fuß stieß er gegen die Tür - sie sprang auf. Der Sohn des Padischahs flehte Allah um Beistand an, zog das Schwert aus der Scheide und betrat das Schloss. Da erblickte er eine holde Jungfrau, deren Antlitz wie ein silberner Mond strahlte. In ihrem Schoße aber ruhten drei Köpfe eines schlafenden Ashdachen. Verwundert schaute die Jungfrau auf und sprach: »Noch nie hat sich ein Erdensohn erkühnt, diese Räume zu betreten. Fliehe von hier, denn dir droht Gefahr.« Doch wie das schöne Mädchen ihn auch immer umzustimmen suchte, er schlug alle Warnungen in den Wind. »Ich muss meine Mutter aus der Gefangenschaft befreien, oder ich will selbst den Tod finden.« Bei diesen Worten hob er sein Schwert. »Halt ein!« Das Mädchen war aufs höchste erschrocken. »Mit diesem Schwert kannst du den Drachen nicht töten. Du musst den Dolch hervorziehen, auf dem er liegt. Erwacht der Ashdacha jedoch, so sind wir beide des Todes!« Der Jüngling befolgte den Rat der Jungfrau und riss unter dem garstigen Leib des Drachen den Dolch hervor. Da erwachte der Ashdacha und rief mit grimmiger Stimme: »Ich rieche Menschenfleisch!«

»Hier riecht es wirklich nach Menschenfleisch«, entgegnete der Sohn des Padischahs kühn und ließ das Schwert mit solcher Kraft auf den Drachen niedersausen, dass er mit einem Schlage alle drei Köpfe vom Leib trennte.

Das holde Mägdelein umarmte den Jüngling und küsste ihn vor Freude. »Komm schnell fort von hier, sonst töten uns die anderen Drachen«, flehte es, doch der Sohn des Padischahs riss bereits die nächste Tür auf. Im zweiten Raum erblickte er einen vierköpfigen schlafenden Drachen, dessen Häupter im Schoß einer so herrlichen Jungfrau ruhten, dass dem Jüngling bei ihrem Anblick fast die Sinne schwanden. Als das Mädchen den Jüngling erblickte, rief es entsetzt: »Wirf deine Waffe weg und mache dich davon, bevor der Ruchlose dich umbringt!« Doch der Jüngling hörte nicht auf das Mädchen und schlug dem Drachen wie dem ersten mit einem Hieb alle Köpfe ab. Dann ruhte er drei Tage. Wieder zu Kräften gekommen, verließ er die weinenden Jungfrauen und betrat das nächste Verlies. Don erblickte er den fünfköpfigen Drachen. Der Sohn des Padischahs trennte ihm alle fünf Köpfe vom Rumpf und rettete die dritte Jungfrau. Das erlöste Mädchen erzählte ihm: »Im vierten Gemach schläft der siebenköpfige Drache. Er ist stärker als die anderen. Seine Köpfe ruhen im Schoß deiner Mutter.« Der Sohn des Padischahs sammelte fünf Tage Kraft, dann machte er sich bereit zum Kampf. Entschlossen stieß er die Tür auf und erblickte seine Mutter. Beide brachen in Tränen aus, und die Mutter flehte ihn an: »Kehre um, ich bitte dich. Dieser Ashdacha wird kein Erbarmen mit dir haben. Vielleicht stirbt der Verfluchte noch vor mir«, fügte sie schluchzend hinzu, »dann bin ich gerettet und werde euch wieder sehen.«

»Nein!« rief der Jüngling. »Ich muss dich retten, sonst will ich lieber sterben!«

Er wollte den Dolch unter dem mächtigen Leib des Drachen hervorziehen, doch es gelang ihm nicht. Als er ein zweites Mal zupackte, erwachte der Drache und bäumte sich auf. In diesem Augenblick entriss ihm der Jüngling den Dolch. Wütend brüllte der Drache: »Ich rieche Menschenfleisch!« Bei diesen Worten stieß er dem Jüngling seinen glühendheißen Brodem ins Angesicht, doch der Sohn des Padischahs bückte sich, und die züngelnde Flamme glitt über ihn hinweg. Dann hieb er kraftvoll zu und schlug dem Drachen drei Köpfe ab. Mit einem zweiten Schlag trennte er noch drei Köpfe vom Rumpf des Untiers. Da sprach der Ashdacha mit schwacher Stimme: »Jüngling, wenn du deine Heldentat vollendet hast, so vergiß nicht, einen Gegenstand aus meinem Schloss mit dir zu nehmen.« Der Jüngling sammelte seine letzte Kraft für den entscheidenden Schlag, hieb dem Drachen den letzten Kopf ab und fiel bewusstlos zu Boden. Die drei befreiten Jungfrauen eilten ins Zimmer, und zusammen mit der Mutter trugen sie den Jüngling hinaus. Als sie sein Antlitz mit erfrischendem Wasser besprengten, kam der Jüngling wieder zu sich.

Drei Tage ruhten sie alle nach den überstandenen Gefahren, und am vierten Tag beschlossen sie, gemeinsam den Palast zu verlassen. Als die Mädchen vor der Mauer standen, baten sie den Sohn des Padischahs, als erster die Leiter hinabzuklettern. Sie wollten ihm sodann folgen. »Nein«, entgegnete der Jüngling entschieden, »als erste steigt Mutter die Leiter hinab, und dann folgt ihr.« Drauf schenkte ihm jede der drei Jungfrauen einen goldenen Apfel zum Lohn und stieg nach der Mutter des Jünglings die Leiter hinab. Als sie wohlbehalten unten angekommen waren, eilten ihnen die Brüder des Jünglings freudig entgegen. Sobald sie vernahmen, dass außer dem jüngsten Bruder keine Menschenseele mehr jenseits der Mauer war, drückten sie auf die Feder, und die Leiter klappte in den Kasten zurück. Der Mutter und den Jungfrauen aber erklärten die garstigen Brüder: »Da seht ihr, die Leiter ist in den Kasten zurückgefallen. Daran lässt sich nun nichts mehr ändern. Unser jüngster Bruder ist somit für ewige Zeiten im Schloss eingesperrt. Erzählt also dem Padischah, dass wir es waren, die euch gerettet haben, sonst schlagen wir euch den Kopf ab.« Die Mutter und die holden Jungfrauen betrauerten den zurückgelassenen Jüngling, doch es blieb ihnen nichts übrig, sie mussten sich den bösen Brüdern fügen. So kehrten die Brüder heim. Der Padischah empfing sie mit hohen Ehren und beschenkte sie reich.

Der jüngste Sohn des Padischahs aber verfluchte seine Brüder, die ihn so schmählich verraten hatten, und wusste sich keinen Rat. Er kehrte in den Palast zurück. Es vergingen drei Tage. Der Ärmste konnte weder etwas zu sich nehmen noch schlafen. Da fiel dem Jüngling ein, dass der letzte Drache kurz vor seinem Tode von einem Gegenstand gesprochen hatte, den der Jüngling nicht vergessen sollte. Er begann durch das ganze Schloss zu irren, bis er schließlich einen kleinen Ring entdeckte, der am Fußboden befestigt war. Er zog daran, und es öffnete sich eine Tür, unter der in einer Vertiefung eine Schatulle lag. Der Sohn des Padischahs nahm sie und versuchte sie zu öffnen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Ärgerlich warf er sie zu Boden. Da sprang ein Gnom aus der Schatulle und fragte: »Was befiehlst du, mein Fürst?« Der Jüngling wusste sich vor Freude kaum zu lassen und forderte: »Bring mir was zu essen.«

Kaum hatte er den Wunsch ausgesprochen, standen die köstlichsten Speisen vor ihm. Der Sohn des Padischahs aß, ruhte sich aus, ergriff dann wieder die Schatulle und warf sie zu Boden. »Bring mir einen gesattelten Rappen, dazu ein Schwert, und hilf uns über die Mauer!« Kaum hatte der Gnom den Befehl vernommen, war der Sohn des Padischahs in Freiheit. Er verbarg die Schatulle in seinem Gewande und begab sich zu den Diwen. Nachdem er ihnen all seine Abenteuer erzählt hatte, setzte er seinen Weg fort und gelangte gegen Abend mit Hilfe des Gnomen zu der Stadt, in der sein Vater herrschte. Am Stadtrand übergab er dem Gnom sein Ross, ließ sich von ihm alte Kleidung geben, zog sich um und ging in die Stadt. Er klopfte an jeder Werkstatt an und fragte: »Wird hier vielleicht ein Geselle gebraucht?«

Endlich erkundigte sich ein Goldschmied: »Was kannst du denn?«

»Ich bin bereit, jede Arbeit auszuführen, die du mir überträgst.« Der Meister freute sich über die Antwort und trug dem Jüngling auf, einen goldenen Armreif anzufertigen. »Wenn er dir wohl gelingt, will ich dich behalten und dich für deine Arbeit gut entlohnen«, versprach der Meister. Der Sohn des Padischahs erklärte sich bereit, den gewünschten Armreif bis zum nächsten Morgen anzufertigen. Als der Meister fort war, befahl der Jüngling dem Gnom, einen goldenen Armreif zu bringen, der dem Goldschmied gefallen würde, und legte sich zur Ruhe. Früh am Morgen erhob er sich von seinem Lager, schwärzte sich zum Schein die Hände, entfachte das Feuer unter dem Blasebalg und erwartete den Goldschmied. Als jener kam, zeigte ihm der Jüngling sein Werk. Der Goldschmied wusste sich vor Freude kaum zu lassen. »Das ist mir ein rechter Armreif! Für so eine Arbeit bin ich bereit, dir jeden Lohn zu zahlen.«

Drei Tage vergingen, da erhob sich am vierten in der Stadt ein ungewöhnlicher Lärm. Der Jüngling trat auf die Straße, um zu erfahren, was sich da zutrug. Wie sich herausstellte, bereitete sich die ganze Stadt auf den Empfang der geretteten Gebieterin und ihrer Söhne vor. In der Menge erzählte man, die ältesten Söhne des Padischahs hätten ihre Mutter aus der Gewalt eines gefährlichen Drachen befreit und kehrten nun heim, während der jüngste Sohn verschollen sei. Schon erschienen, von Surnabläsern und Trommlern begleitet, die Brüder des Jünglings mit der Mutter und den befreiten holden Jungfrauen in ihrer Mitte. Ihnen folgten alle Einwohner der Stadt zum Schloss des Padischahs.

Einige Tage darauf ließ der Padischah zur Hochzeit rüsten. Er wollte seine beiden Söhne mit zwei der erretteten Jungfrauen vermählen. Doch die Mädchen hofften noch immer, dass ihr wirklicher Retter erscheinen würde, und beschlossen, den Padischah um Aufschub zu bitten. Der Padischah willigte ein. Schließlich verloren die Mädchen die letzte Hoffnung, den Jüngling jemals wieder zu sehen. Zur Erinnerung an ihn beschlossen sie, sich solche goldenen Äpfel anfertigen zu lassen, wie sie sie dem Jüngling geschenkt hatten. Die älteste der Jungfrauen lief von Werkstatt zu Werkstatt, um einen kunstfertigen Meister ausfindig zu machen. Endlich stieß sie auf den Jüngling und fragte, ob er goldene Äpfel anfertigen könne. »Bis morgen in der Frühe kann ich einen solchen Apfel anfertigen, wie Ihr ihn wünscht«, versprach der Jüngling. »Bringt mir nur Gold für die Arbeit, Nüsse und Korinthen.« Die liebliche Jungfrau befahl ihren Dienern, alles Gewünschte herbeizuschaffen. Drauf trat der Jüngling vor seinen Meister und sagte: »Ich habe den Auftrag, bis morgen früh einen goldenen Apfel anzufertigen. Gebt mir eure älteste Tochter zur Hilfe, damit sie mir den Blasebalg tritt.« Der Meister willigte ein. Der Jüngling führte das Mädchen in die Werkstatt, hieß sie Platz nehmen, stellte Nüsse und Korinthen in einer Schale vor sie hin und sprach: »Heute besteht unsere Arbeit darin, diese Nüsse hier und die Korinthen zu verspeisen.« Die ganze Nacht über unterhielten sie sich und labten sich an den Leckereien. Im Morgengrauen schickte der Jüngling das Mädchen heim, nachdem er sie gebeten hatte, über alles tiefstes Stillschweigen zu bewahren, und schwärzte sich zum Anschein Gesicht und Hände. Dann entfachte er das Feuer unter dem Blasebalg und erwartete die holde Jungfrau.

Kaum war die Sonne aufgegangen, da klopfte das Mädchen an die Tür. Der Sohn des Padischahs reichte ihr den goldenen Apfel, nahm jedoch kein Geld für seine Arbeit. Es war ebenjener goldene Apfel, den ihm das Mädchen in der Drachenburg geschenkt hatte. Die Jungfrau freute sich von Herzen, bedankte sich bei dem Gesellen, eilte zu ihren Freundinnen und zeigte ihnen den Apfel. Da erkannten die Mädchen, dass dieser Apfel genauso aussah wie jene, die sie dem Sohn des Padischahs geschenkt hatten. Daraufhin bestellten sich auch die beiden anderen Jungfrauen goldene Äpfel bei dem jungen Goldschmied - und erhielten von dem Jüngling ihre Präsente zurück. Jetzt wussten die Mädchen, dass der Goldschmiedgeselle jener Jüngling war, der ihnen das Leben gerettet hatte. Die Jungfrauen begaben sich zum Padischah und baten: »Großer Herrscher, erfülle uns eine Bitte: Mögen alle Einwohner der Stadt ins Schloss kommen, und ein jeder soll von seinen Abenteuern berichten.« Der Padischah erfüllte ihnen ihren Wunsch. Gegen Abend fanden sich alle im Schloss ein. »Ist irgend jemand in der Stadt zurückgeblieben?« fragte der Padischah. Da stand der Goldschmied auf und sagte: »Mein Geselle wollte nicht mitkommen, wie sehr ich ihn auch zu überreden suchte.« Der Padischah befahl, den Jüngling umgehend aufs Schloss zu bringen, und die Nuker eilten davon, seinen Willen zu erfüllen. Alle ließen sich nieder, und jeder erzählte von seinen Abenteuern. So kam auch die Reihe an unseren Gesellen.

Der Jüngling begann also: »Ich will berichten, was mir widerfahren ist, wenn der Padischah allen, die hier sitzen, befiehlt, bis zum Ende meiner Erzählung auszuharren, und Wachen aufstellen lässt. Außerdem möchte ich in diesem Kreis die Herrscherin sehen, ihre Söhne und die Jungfrauen, denen sie das Leben gerettet haben. Mögen alle meinen Bericht anhören.« Der Padischah befahl, die Bitte des Jünglings zu erfüllen. Also tat der Sohn des Padischahs vor allem Volke kund, wie er seine Mutter gefunden und errettet hatte. Voller Erstaunen lauschten ihm alle. Keiner rührte sich. Dafür zitterten die Söhne des Padischahs vor Angst. Als der Jüngling seine Erzählung beendet hatte, wies er auf seine Brüder. »Dort sitzen sie, die Helden! Weil sie sich vor der Schmach der Niederlage fürchteten, beschlossen sie, mich zu beseitigen.« Der Padischah trat zu seinem jüngsten Sohn, schloss ihn in die Arme und küsste ihn. Nach ein paar Tagen richtete der Padischah ein prächtiges Hochzeitsfest und vermählte seinen jüngsten Sohn mit der Jungfrau, die ihm von den dreien am besten gefiel. Die zwei anderen aber gab er den Söhnen des Wesirs und des Nasirs zum Weibe.