[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Müllerssöhne und der Ashdacha

Es war einmal ein Müller. Im Mühlbach gab es Wasser mehr als genug. Der Müller verstand sein Handwerk, so dass er nie ohne Arbeit war. Dafür hing stets grauer Mehlstaub in seinem dichten Bart. Als der alte Müller das Zeitliche segnete, schickten sich die beiden ältesten Söhne an, das Erbe zu teilen. So eindringlich der jüngste Bruder sie auch zu überreden suchte, gemeinsam die Mühle zu betreiben, die beiden wollten nichts davon hören.

Sie teilten also das Erbe. »Weshalb soll ich ewig mit staubigem Mehlbart herumlaufen?« meinte der Älteste und legte sich ins Gras an den Mühlbach. Vater hat immer Mehlstaub im Bart gehabt, nein, ich hab keine Lust, so ein Leben zu führen, dachte der zweite und rekelte sich auf dem Mühldach. »Na schön«, sagte der dritte, »mag mein Bart auch verstaubt sein. Hauptsache, der Magen weiß, was fein gemahlenes Mehl ist.« Er nahm sich, was übrig blieb: den alten Mühlstein, der dem Müller sein Leben lang treu gedient hatte. Der älteste Bruder lag also im Gras neben dem Mühlbach, während sich der mittlere faul in der Sonne auf dem Dach wärmte. Der jüngste machte sich indessen im Schatten am Mühlstein zu schaffen. Seine Kleider waren stets weiß vom Mehlstaub, doch alle, die in die Mühle kamen, um das Korn mahlen zu lassen, gaben ihm als Lohn für seine Arbeit ein wenig Mehl, so dass er nie Hunger litt.

Der älteste Bruder merkte bald, dass er wie ein rechter Dummkopf gehandelt hatte, und beschloss, den heimatlichen Aul zu verlassen, um der Schande zu entfliehen. Er ging fort und gelangte in eine dunkle feuchte Schlucht. Tief in dieser Schlucht aber hauste an einer Quelle der Ashdacha. »Allah schenke dir immer kühlendes Wasser, Ashdacha!« Der Müllerssohn war ernstlich erschrocken. »Hättest du keinen guten Wunsch ausgesprochen, so hätte ich dich sofort mit Haut und Haaren verschlungen!« erwiderte der Ashdacha. »Hab Dank, dass du mich schonst!« erwiderte der Müllerssohn. »Höre, du mutiger Jüngling, kennst du irgendein Märchen oder wenigstens ein Lied?« fragte der Ashdacha. »Nein«, entgegnete der Bursche verwunden. »Menschen, die weder Märchen noch Lieder kennen, fallen den Raubtieren zum Opfer«, verkündete der Drache schlicht und verschlang den Müllerssohn.

Der mittlere Bruder fand es allmählich auch langweilig, dauernd auf dem Dach der Mühle zu faulenzen. Er merkte ebenfalls, wie dumm er gehandelt haue, und beschloss, wie sein Bruder den Aul zu verlassen. Genau wie er geriet er in den Schlund des Ashdacha.

Der jüngste Müllerssohn ahnte Unheil und hatte keine Ruhe mehr bei seinem Tagewerk. So hielt er die Mühle an und machte sich auf die Suche nach den Brüdern. Als er in die Schlucht geriet, erblickte er die sprudelnde Quelle, wollte darüber hinweg springen und landete auf dem Rücken des Drachen. »Beschere Allah dir kühles Wasser, Ashdacha«, rief der Müllerssohn unverzagt. »Hättest du keinen guten Wunsch ausgesprochen, so hätte ich dich mit Haut und Haaren verschlungen«, verkündete der Drache und fragte: »Kennst du wenigstens ein Märchen oder ein Lied?«

»Wie sonst«, erwiderte der verwegene Müllerssohn. »Ich kenne Lieder und Märchen und kann lügen, dass sich die Balken biegen. Was also möchtest du hören?«

»Lügen kannst du sicher nicht, du kennst nur wahre Geschichten«, meinte der Drache geringschätzig. »Wenn ich dir eine wahre Geschichte erzähle, so magst du mich verschlingen, ist's aber eine Lüge, so schweige, sonst schneide ich dir einen Streifen Haut aus deinem Rücken. Ich brauche nämlich gerade einen neuen Riemen.« Der Drache war einverstanden. »Lüge mir meinethalben die Hucke voll, ich werde schweigen!«

Der Müllerssohn begann: »Gut, ich will dir zunächst erzählen, wie es mich hierher verschlagen hat. Ohne die Geschichte mit meinen Stuten wäre ich nämlich niemals zu dir gekommen. In jenem Jahr, als ich sie auf die Weide trieb, verdunstete alles Wasser unter der Sonne, und das Gras verdorrte. Ich trieb die Stuten also zum Fluss und merkte, dass er zugefroren war. So griff ich zur Axt, schlug ein Loch ins Eis und sah, dass es bis zum fließenden Wasser sehr tief hinab war, meine Stuten würden es niemals erreichen, um saufen zu können. Ich nahm also meinen Kopf vom Hals, höhlte ihn aus, schöpfte Wasser aus dem Eisloch und tränkte alle meine Stuten. Dabei dachte ich: Wenn schon die Füße im Wasser so frieren, wie muss dann erst meinem armen Kopf zumute sein. Ich ging also zur Quelle, schlug Reisig und machte ein Feuerchen. Der Fluss erwärmte sich, aber mein Feuerchen wurde zu einem regelrechten Brand. Der Fluss verbrannte, und das Feuer griff aufs andere Ufer über, so dass meine Stuten Hals über Kopf flüchteten. Ich packte die Axt, hielt aber nur den Stiel in den Händen. Der Axtrücken war nämlich auch verbrannt. Da fiel mir mein Kopf ein. Ich rannte zum Fluss zurück. In meinem Schädel aber hatten sich inzwischen zwei Bienen eingenistet.«

Hier warf der Müllerssohn einen prüfenden Blick auf den Drachen, denn er schien etwas fragen zu wollen. Der erinnerte sich jedoch im letzten Moment seines wertvollen Rückens. »Schön und gut«, fuhr er fort, »die Stuten waren zwar verloren, aber ich musste weiterleben. Ich setzte mir also wieder meinen Schädel auf den Hals, fing mit der Nase zwei Rene, verzehrte ihr Fleisch, hängte die Felle an einen Baum, fällte diesen Baum mit der Axt und baute mir eine Arba. Dann holte ich die zwei Bienen aus meinem Schädel, doch die summten wie wild und stritten miteinander, wer mehr Honig herbeischaffen könne. Zum Schluss fingen sie sogar an, miteinander zu raufen. Ich hab sie kaum trennen können. Diesen Streit, sage ich, den kann man auch ohne Schlägerei beilegen. Schafft Honig herbei! Wollen sehen, wer von euch Recht hat. Die Bienen brachten also Honig. Es war so viel, dass ich beide Rentierfelle damit füllen konnte. Die Felle lud ich auf die Arba, schirrte die Bienen an und fuhr los. Da bockte eine Biene. Der Karren wäre beinahe in den Abgrund gestürzt. Ich holte mit der Peitsche aus, um die Biene zu züchtigen, verfehlte sie jedoch und traf nur die Erde. Das Peitschenende, an dem ich mich festhielt, schnellte in die Lüfte und warf mich in den Himmel. Ich hielt mich schnell an einer Wolke fest und schwebte nun über der Erde. Die Wolke glitt dahin. Ich klammerte mich mit beiden Händen fest, als ich plötzlich ein Gewässer unter mir erblickte. Da sprang ich ab und purzelte auf deinen Rücken, aus dem ich mir nun ein prächtiges Stück Haut für einen neuen Riemen herausschneiden will.«

»Das lügst du nun wirklich!« Der Ashdacha konnte nicht länger an sich halten. »Was, ich lüge? Schnell her mit dem Riemen aus deinem Rücken.«

Der Drache merkte, dass er die Wette verloren hatte, und bot dem Müllerssohn seinen Rücken. Der schnitt vom Schwanzende her fein säuberlich einen Streifen aus dem Rücken des bösen Drachen und erblickte in dessen Magen seine Brüder. Stracks befreite sie der Müllerssohn und kehrte mit ihnen wohlbehalten in die Mühle zurück. Fortan verrichteten sie ihr Tagewerk gemeinsam. Der Ashdacha aber schämte sich seiner Niederlage und verließ die Quelle. Er wurde fürderhin nicht mehr in dieser Gegend gesehen.