[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Leiden des Flachses

Eine Magd hatte im Badehäuschen die Flachsgarben zum Trocknen und Brechen auf die Trockengestelle gepackt. Sie hat eingeheizt und unterhält nun das Feuer und wärmt sich. Es ist Nacht. Plötzlich hört sie es draußen rascheln, und jemand tritt behutsam an das Häuschen: »Mädchen, Mädchen, lass mich hinein!«

Da - husch-husch - saust der ganze Flachs los und schüttet die Tür zu. Und der da draußen ruft nur immerzu: »Mädchen, Mädchen, versprich mir deine Seele!« Doch der Flachs antwortet ihm: »Oho! So leicht willst du zu einer Seele kommen? Pass nur auf! So leicht geht das nicht. Warte mal, wir wollen dir die Leiden unseres Lebens erzählen, und erst dann wird sie dir ihre Seele übergeben.

Meinst du vielleicht, dass uns wohl dabei gewesen ist, als der Mensch uns ergriff, fort trug, uns auf den Feldern auswarf und jedes Korn einzeln zu liegen kam!

War es vielleicht angenehm, den Wind und den Regen zu erdulden?

Danach sind wir ausgekeimt, wir wuchsen empor. Und wieder peitschte uns der Wind und durchnässte uns der Regen - war es etwa eine Lust, dies alles zu erdulden?

Als wir hoch gewachsen waren, da packte uns der Mensch, riss uns heraus, band uns ganz fest in Garben zusammen. War es etwa angenehm, dies alles zu erdulden?

Dann dörrte er uns und fing an uns mit allerlei Holzstücken und Dreschflegeln zu dreschen. War es vielleicht eine Freude, dies alles zu erdulden?

Dann nahm er uns, fuhr uns hinaus auf die Felder und breitete uns da auf dem Boden aus. Und es regnete bei Tag und bei Nacht, und es fror. War es vielleicht angenehm, dies alles zu erdulden?

Dann harkte er uns zusammen, wieder band er uns und presste uns zu Garben zusammen. War es vielleicht zum Jubeln, dies alles zu erdulden?

Dann nahm er uns wieder, packte uns in das heiße Badehäuschen und trocknete uns. Im Rauch des Badehäuschens wurden wir geräuchert. War es vielleicht eine Lust, dies alles zu erdulden?

Dann legte er uns in die Flachsbreche, zerdrückte und zerbrach uns unentwegt. Unsere Knochen krachten nur immer so! War es etwa eine Freude, dies alles zu erdulden?

Dann fing er an, uns mit den Flachsschwingen zu bearbeiten und zu schlagen. War es wohl eine Annehmlichkeit, dies alles zu erdulden?

Dann begann er uns durch hölzerne und eiserne Harken zu ziehen, uns zu kämmen, zu hecheln. War es wohl leicht, dies alles zu erdulden?

Dann zerriss er uns zu Büscheln und band uns an eine Spindel, dann wieder drehte und spulte er ein Büschel nach dem anderen. War es vielleicht eine Freude, dies alles zu erdulden?

Dann nahm er uns, spannte uns, scherte uns an der Wand auf. Dann legte er uns, faltete uns zusammen. War es etwa eine Lust, dies alles zu erdulden?

Dann wickelte er uns auf eine Webwalze auf dem Webstuhl, ganz aufgewickelt hat er uns. Dann schlug er auf uns ein, er webte, mit den Einschlaghölzern hat er uns eingeschlagen. War es wohl angenehm, dies alles zu erdulden?

Dann, als er uns zu Stoff verwebt hatte, übergoss er uns mit heißer Aschenlauge und brühte uns. War es vielleicht eine Lust, dies alles zu erdulden?

Dann trug er uns in das Sumpfwasser, hat uns darin eingeweicht. Wie hat er uns dann mit den Klopfhölzern geschlagen! War es wohl lieblich, dies alles zu erdulden?

Dann breitete er uns auf einer Wiese aus, trocknete uns und legte uns wieder zusammen. War es vielleicht eine Freude, dies alles zu erdulden?

Dann nahm er uns wieder, rollte uns zu einer Rolle zusammen, und wieder die Pein: Er nähte uns mit einer Nadel fest zusammen. War es wohl angenehm, dies alles zu erdulden?

Dann nimmt er uns wieder, rollt uns auseinander, zerschneidet uns, zerstückelt uns, legt uns auf seinen Leib, zieht und zerrt uns überall auseinander. War es etwa eine Lust, dies alles zu erdulden?

Und dann wiederum trägt der Mensch uns, bis wir ganz zerreißen, fadenscheinig und durchsichtig werden - dann bleibt überhaupt nichts mehr von uns übrig. War es am Ende leicht, dies alles zu erdulden?«

Da - der Hahn: »Kikeriki!« Und der Teufel: »dass dich doch geradewegs die Erde mit deiner Seele und deinem Flachs verschlingen möchte!« - und lief davon.