[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Lebensfrist des Menschens

Du sollst niemals zu Gott beten: »Herr, Lass mich sterben«, denn du stirbst nicht. Allen ist Gott an Macht überlegen, nur dem Tode nicht. Ich will nicht geradezu sagen, dass sie Genossen sind in der Herrschaft über die Welt. Auch Brüder sind sie nicht, und ich glaube, sie hätten auch keine guten Tage miteinander. Es ist wohl ein Geheimnis, diese Stellung Gottes zum Tode.

Ein Schafhirte hatte seine Herden hoch oben in den Bergen, dort, wohin weder die Steuereinnehmer gelangen, noch der Pfarrer mit seinen Totenfeiern, wo das Geld nicht davon rollt, und wo die Welt einen nicht aussaugt. Es ging dem Hirten mit seinen Schafen nicht gut: heute verschwand ihm ein Lamm ohne jede Spur eines Diebes, morgen verschwand ihm ein Schaf ohne jede Spur eines Wolfes, übermorgen erkrankten ihm zehn und starben bis zum Abend, und es war nicht möglich, die Ursache zu finden.

Eines Tages stand er müde und in trüben Gedanken neben der Herde, da hörte er es husch - husch, husch - husch in den Blättern des Waldes. Ein Wild war es nicht, denn die wilden Tiere sind nicht von so großer Kühnheit. Es war aber auch nicht der Schritt eines Menschen, denn der Pfad führte nicht dorthin. Endlich, siehe, da biegen sich die Äste der Tannen zur Seite, und das hässliche Antlitz des Todes kommt zum Vorschein.

Ich habe den Tod nicht gesehen, und so kann ich ihn nicht mit Worten malen, aber ich stelle mir vor, dass er nichts als Gebein ist, mit der Sense auf dem Rücken und nichts anderem.

Und der schweigende Tod springt schnell über den Hürdenzaun zu den Schafen, packt ein Lamm und verschwindet mit ihm im Walde.

Der Hirt steht zuerst wie versteinert da, wie wohl jeder andere Mensch in seiner Lage. Dann aber bedachte er sich, dass es für ihn in seiner bitteren Armut ganz gleich sei, nahm sich ein Herz und folgt dem Tod Schritt für Schritt. Ging der Tod, so ging auch er ihm leise nach; wollte der Tod Reißaus nehmen, floh auch der Hirte hinter ihm her. Und so kamen sie gegen Mitternacht an den Rand einer Schlucht.

Der Tod bleibt einen Augenblick am Ufer stehen, blickt zurück, gibt sich einen Schwung und springt hinunter in den Abgrund. Der Hirt bleibt auch einen Augenblick stehen, sieht hinunter, gibt sich einen Schwung, und dann springt auch er in den Abgrund. Und so gelangten sie beide bis zum Grund. Der Tod war unversehrt, denn er hat ja keinen Tod. Der Hirt war lebendig und hatte keinen Schaden genommen, denn es war ihm nicht bestimmt, in einer Schlucht zu sterben.

Und nun beginnt von neuem das Umherjagen auf dem abschüssigen Grunde des Dunkels, bis der Tod mit seinen Knochen zornig auf eine Steinplatte schlägt und verschwindet. Der Hirte stemmt sich mit der Schulter dagegen, dehnt die Brust, stemmt die Füße auf, da kippt der Felsblock um, und der Unglückselige sieht sich im Hause des Todes.

Ich habe das Haus des Todes nie gesehen und kann es euch daher auch nicht mit Worten malen, aber, so viel ich gehört habe, ist die Wohnung des Teufels auch auf dem Grunde der Erde dunkel und kalt, und nur die Wand gegen Sonnenuntergang ist voll der mannigfaltigsten Kerzenlichter und Lämpchen. Das sind die Lebenslichter der irdischen Menschen. Die von Gold und Silber gehören den Glücklichen, die von Tannenrinde gehören den Armen, die unreinen gehören den Unreinen, die vollen gehören denen, die ein langes Leben haben, die leeren aber verkünden ihren Besitzern, dass ihnen das Lebensende bestimmt ist.

Der Hirte nähert sich und lässt seine Augen über die Reihen wandern. Dann zählt er sie nach den Ländern und Dörfern und ganz zuletzt findet er auch sein Lämpchen, ganz verborgen in einer Ecke. Er schaut hin und sieht, dass es voll ist. Er kehrt sich um und ruft nach dem Tode, und der Tod kommt auch sogleich. Der Hirte befiehlt ihm, das Lämpchen zu reinigen, und der Tod gehorcht seinem Befehl. Der Hirte kehrt sich gegen den Tod und zeigt ihm die Faust, und der Tod beginnt zu zittern. Und nachdem ihn der Hirte an der Brust gepackt und ihn zweimal zu Boden geworfen hat, bleibt der Tod auf den Knien und bittet den Hirten um Verzeihung.

Er gab ihm das Lamm zurück, er gab ihm Goldstücke, damit er sich damit die vielen Jahre des Mangels zurückkaufe. Er küsste den Schoß seines Hirtenmantels und die Spitze seiner Bundschuhe. Und der Hirte verließ die Wohnung des Todes und floh hinaus aus der Schlucht und von dort auf den Berg, zu seinen Schäflein.

Seither traf ihn kein Kummer mehr, er erlitt keinen Schaden und alles geriet ihm zum Guten.

Und wollt ihr nun eine Lehre hören, meine Lieben? Ihr habt sie schon gehört: Nur wer dem Bösen bis zu seiner Quelle nachgeht, findet sein Heil. Aber wartet nicht bis zum letzten Tage eurer Leiden, wenn euch die Bitternis alle Kräfte aus Leib und Seele gesaugt hat.