[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Kaufmannstochter aus Tiflis

Es war einmal ein Kaufmann in Tiflis, der eine wunderschöne und kluge Tochter hatte. Das Mädchen hieß Mariat.

Als sie ins heiratsfähige Alter kam, ließ der Vater wissen, er gäbe sie nur dem Manne zur Frau, der ein ganz besonderes Kunststück würde vorführen können. Diese Kunde verbreitete sich weit in alle Länder.

Das hörte ein Türke in Erzurum, der alles sah, was auf der ganzen Welt vor sich ging. Er brauchte sich nur auf die Erde zu legen und die Hand an die Augen halten, dann blieb ihm nichts verborgen. Der Türke brach sofort nach Tiflis auf. Die Kunde von dem schönen Mädchen und der eigenartigen Bedingung war aber auch zu einem Tataren nach Buchara gedrungen. Der Mann besaß ein Gewehr, das nie sein Ziel verfehlte. Der Tatare machte sich auf nach Tiflis. Wer weiß wie - die Nachricht von dem Kaufmann und seiner Tochter war auch einem Sattelmacher in Afghanistan zu Ohren gekommen. Der Mann konnte aus Holz Reitsitze machen, die erstaunlich waren. Setzte man sich nämlich darauf, so konnte man den Weg, für den man sonst einen ganzen Monat brauchte, in einer knappen Stunde zurücklegen. Der Afghane zögerte nicht, sondern brach augenblicklich auf nach Tiflis.

Fast zur gleichen Zeit trafen sie bei dem Kaufmann in der großen Stadt ein. Alle drei hielten sie um die Hand des schönen Mädchens an. Der Kaufmann musterte die drei recht misstrauisch und sagte: »So einfach geht das nicht! Ich muss erst einmal sehen, was ihr könnt und welche Kunststücke ihr mir vorführen wollt!«

Da sagte der Türke aus Erzurum: »Ich kann alles sehen, was auf der Welt vor sich geht!« Schnell antwortete darauf der Tatare aus Buchara: »Ich habe eine Flinte, die ihr Ziel nie verfehlt.« Da lächelte der Afghane mitleidig und sagte: »Und ich mache einen Reitsattel aus Holz, der seinen Reiter in einer Stunde einen Weg zurücklegen lässt, für den man sonst einen vollen Monat braucht!« Der Kaufmann nickte mit dem Kopf und sagte: »Eure Bewerbung ist hiermit angenommen! Nur wem von euch dreien ich meine Tochter geben soll, das weiß ich nicht. Darüber muss ich nachdenken!« »Gut«, sagten die drei, »wir haben keine Eile, wir erwarten deine Entscheidung!« Der Kaufmann ließ die drei Bewerber großzügig bewirten und verschaffte ihnen in Tiflis eine gute Herberge. Bereits am nächsten Morgen aber stand der Kaufmann in aller Frühe vor den drei Bewerbern und sagte ihnen aufgeregt, seine Tochter sei über Nacht spurlos verschwunden.

»Nun ist die Gelegenheit«, sagte er besorgt, »eure Künste zu zeigen! Sucht meine Tochter und bringt sie mir schnell zurück!«

Die drei schauten sich verdutzt an. Dann aber fassten sich der Tatare und der Afghane und sagten zu dem Türken: »Du, schau einmal nach, wo das Mädchen geblieben ist!« Der Mann aus Erzurum legte sich auf die Erde, beschattete mit der Hand seine Augen und rief gleich im nächsten Augenblick: »Ich sehe sie! Auf einer Insel im Schwarzen Meer ist ein Dämonenschloss. In diesem Schloss sitzt das Mädchen gefangen!«

»Da werde ich gleich dort sein!« meinte der Afghane und ging sogleich daran, einen Sattel zu machen.

»Ich gehe mit«, sagte der Mann aus Buchara, »und bringe das Mädchen zurück und wenn es mein Leben kostet!«

Als der Sattel fertig war, setzte sich der Afghane darauf und nahm auch den Tataren aus Buchera mit. Sie trafen in kurzer Zeit schon auf der Insel der Dämonen ein. Der Tatare tötete alle Dämonen mit seinem Gewehr, aus dem nie ein Schuss danebenging. Die beiden befreiten das Mädchen und brachten es wohlbehalten zu ihrem Vater zurück.

Nun aber brach Streit zwischen den dreien aus. Jeder wollte das Mädchen zur Frau, denn jeder glaubte, ein Recht darauf zu haben. Der Türke aus Erzurum sagte: »Wenn ich sie nicht gesehen hätte, wüsstet ihr heute noch nicht, wo sie sein könnte!« Der Afghane gab zu bedenken, dass sie ohne sein Reitzeug nichts hätten ausrichten können. Und der Tatare aus Buchara fügte hinzu: »Wenn ich die Dämonen nicht getötet hätte, säße das Mädchen noch heute in dem Schloss.«

Sie konnten sich einfach nicht einigen und streiten sich immer noch.