[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Karawane Rahmenerzählung

Es zog einmal eine große Karawane durch die Wüste. Auf der ungeheuren Ebene, wo man nichts als Sand und Himmel sieht, hörte man schon in weiter Ferne die Glocken der Kamele und die silbernen Röllchen der Pferde, eine dichte Staubwolke, die ihr vorherging, verkündete ihre Nähe, und wenn ein Luftzug die Wolke teilte, blendeten funkelnde Waffen und hell leuchtende Gewänder das Auge. So stellte sich die Karawane einem Manne dar, welcher von der Seite her auf sie zuritt. Er ritt ein schönes arabisches Pferd, mit einer Tigerdecke behängt, an dem hochroten Riemenwerk hingen silberne Glöckchen, und auf dem Kopf des Pferdes wehte ein schöner Reiherbusch. Der Reiter sah stattlich aus, und sein Anzug entsprach der Pracht seines Rosses; ein weißer Turban, reich mit Gold bestickt, bedeckte das Haupt; der Rock und die weiten Beinkleider waren von brennendem Rot, ein gekrümmtes Schwert mit reichem Griff an seiner Seite. Er hatte den Turban tief ins Gesicht gedrückt; dies und die schwarzen Augen, die unter buschigen Brauen hervorblitzten, der lange Bart, der unter der gebogenen Nase herabhing, gaben ihm ein wildes, kühnes Aussehen.

Als der Reiter ungefähr auf fünfzig Schritt dem Vortrab der Karawane nahe war, spornte er sein Pferd an und war in wenigen Augenblicken an der Spitze des Zuges angelangt. Es war ein so ungewöhnliches Ereignis, einen einzelnen Reiter durch die Wüste ziehen zu sehen, dass die Wächter des Zuges, einen Überfall befürchtend, ihm ihre Lanzen entgegenstreckten.

»Was wollt ihr«, rief der Reiter, als er sich so kriegerisch empfangen sah, »glaubt ihr, ein einzelner Mann werde eure Karawane angreifen?«

Beschämt schwangen die Wächter ihre Lanzen wieder auf, ihr Anführer aber ritt an den Fremden heran und fragte nach seinem Begehr.

»Wer ist der Herr der Karawane?« fragte der Reiter.

»Sie gehört nicht einem Herrn«, antwortete der Gefragte, »sondern es sind mehrere Kaufleute, die von Mekka in ihre Heimat ziehen und die wir durch die Wüste geleiten, weil oft allerlei Gesindel die Reisenden beunruhigt.«

»So führt mich zu den Kaufleuten«, begehrte der Fremde.

»Das kann jetzt nicht geschehen«, antwortete der Führer, »weil wir ohne Aufenthalt weiterziehen müssen und die Kaufleute wenigstens eine Viertelstunde weiter hinten sind; wollt Ihr aber mit mir weiterreiten, bis wir lagern, um Mittagsruhe zu halten, so werde ich Eurem Wunsch willfahren.«

Der Fremde sagte hierauf nichts; er zog eine lange Pfeife, die er am Sattel festgebunden hatte, hervor und fing an in großen Zügen zu rauchen, indem er neben dem Anführer des Vortrabs weiterritt. Dieser wusste nicht, was er aus dem Fremden machen sollte; er wagte es nicht, ihn geradezu nach seinem Namen zu fragen, und so künstlich er auch ein Gespräch anzuknüpfen suchte, der Fremde hatte auf das: »Ihr raucht da einen guten Tabak«, oder: »Euer Rapp' hat einen braven Schritt«, immer nur mit einem kurzen »Ja, ja!« geantwortet.

Endlich waren sie auf dem Platz angekommen, wo man Mittagsruhe halten wollte. Der Anführer hatte seine Leute als Wachen aufgestellt; er selbst hielt mit dem Fremden, um die Karawane herankommen zu lassen. Dreißig Kamele, schwer beladen, zogen vorüber, von bewaffneten Führern geleitet. Nach diesen kamen auf schönen Pferden die fünf Kaufleute, denen die Karawane gehörte. Es waren meistens Männer von vorgerücktem Alter, ernst und gesetzt aussehend, nur einer schien viel jünger als die übrigen, wie auch froher und lebhafter. Eine große Anzahl Kamele und Packpferde schloss den Zug.

Man hatte Zelte aufgeschlagen und die Kamele und Pferde rings umhergestellt. In der Mitte war ein großes Zelt von blauem Seidenzeug. Dorthin führte der Anführer der Wache den Fremden. Als sie durch den Vorhang des Zeltes getreten waren, sahen sie die fünf Kaufleute auf goldgewirkten Polstern sitzen; schwarze Sklaven reichten ihnen Speise und Getränke. »Wen bringt Ihr uns da?« rief der junge Kaufmann dem Führer zu.

Ehe noch der Führer antworten konnte, sprach der Fremde: »Ich heiße Selim Baruch und bin aus Bagdad; ich wurde auf einer Reise nach Mekka von einer Räuberhorde gefangen und habe mich vor drei Tagen heimlich aus der Gefangenschaft befreit. Der große Prophet ließ mich die Glocken eurer Karawane in weiter Ferne hören, und so kam ich bei euch an. Erlaubet mir, dass ich in eurer Gesellschaft reise! Ihr werdet euren Schutz keinem Unwürdigen schenken, und so ihr nach Bagdad kommet, werde ich eure Güte reichlich belohnen denn ich bin der Neffe des Großwesirs.«

Der älteste der Kaufleute nahm das Wort: »Selim Baruch«, sprach er, »sei willkommen in unserem Schatten. Es macht uns Freude, dir beizustehen; vor allem aber setze dich und iss und trinke mit uns.«

Selim Baruch setzte sich zu den Kaufleuten und aß und trank mit ihnen. Nach dem Essen räumten die Sklaven die Geschirre hinweg und brachten lange Pfeifen und türkischen Sorbet. Die Kaufleute saßen lange schweigend, indem sie die bläulichen Rauchwolken vor sich hinbliesen und zusahen, wie sie sich ringelten und verzogen und endlich in die Luft verschwebten. Der junge Kaufmann brach endlich das Stillschweigen: »So sitzen wir seit drei Tagen«, sprach er, »zu Pferd und am Tisch, ohne uns durch etwas die Zeit zu vertreiben. Ich verspüre gewaltig Langeweile, denn ich bin gewohnt, nach Tisch Tänzer zu sehen oder Gesang und Musik zu hören. Wisst ihr gar nichts, meine Freunde, das uns die Zeit vertreibt?«

Die vier älteren Kaufleute rauchten fort und schienen ernsthaft nachzusinnen, der Fremde aber sprach: »Wenn es mir erlaubt ist, will ich euch einen Vorschlag machen. Ich meine, auf jedem Lagerplatz könnte einer von uns den anderen etwas erzählen. Dies könnte uns schon die Zeit vertreiben.«

»Selim Baruch, du hast wahr gesprochen«, sagte Achmet, der älteste der Kaufleute, »lasst uns den Vorschlag annehmen.«

»Es freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt«, sprach Selim, »damit ihr aber sehet, dass ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den Anfang machen.«

Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den Fremden in ihrer Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem tüchtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart über dem Mund weg und sprach: »So hört denn die Geschichte vom Kalif Storch

Als Selim Baruch seine Geschichte beendet hatte, bezeugten sich die Kaufleute sehr zufrieden damit. »Wahrhaftig, der Nachmittag ist uns vergangen, ohne dass wir merkten wie!« sagte einer derselben, indem er die Decke des Zeltes zurückschlug. »Der Abendwind wehet kühl, und wir könnten noch eine gute Strecke Weges zurücklegen.« Seine Gefährten waren damit einverstanden, die Zelte wurden abgebrochen, und die Karawane machte sich in der nämlichen Ordnung, in welcher sie herangezogen war, auf den Weg.

Sie ritten beinahe die ganze Nacht hindurch, denn es war schwül am Tage, die Nacht aber war erquicklich und sternhell. Sie kamen endlich an einem bequemen Lagerplatz an, schlugen die Zelte auf und legten sich zur Ruhe. Für den Fremden aber sorgten die Kaufleute, wie wenn er ihr wertester Gastfreund wäre. Der eine gab ihm Polster, der andere Decken, ein dritter gab ihm Sklaven, kurz, er wurde so gut bedient, als ob er zu Hause wäre. Die heißeren Stunden des Tages waren schon heraufgekommen, als sie sich wieder erhoben, und sie beschlossen einmütig, hier den Abend abzuwarten. Nachdem sie miteinander gespeist hatten, rückten sie wieder näher zusammen, und der junge Kaufmann wandte sich an den ältesten und sprach: »Selim Baruch hat uns gestern einen vergnügten Nachmittag bereitet, wie wäre es, Achmet, wenn Ihr uns auch etwas erzähltet, sei es nun aus Eurem langen Leben, das wohl viele Abenteuer aufzuweisen hat, oder sei es auch ein hübsches Märchen.« Achmet schwieg auf diese Anrede eine Zeitlang, wie wenn er bei sich im Zweifel wäre, ob er dies oder jenes sagen sollte oder nicht; endlich fing er an zu sprechen:

»Liebe Freunde! Ihr habt euch auf dieser unserer Reise als treue Gesellen erprobt, und auch Selim verdient mein Vertrauen; daher will ich euch etwas aus meinem Leben mitteilen, das ich sonst ungern und nicht jedem erzähle: dieGeschichte von dem Gespensterschiff

Die Reise der Karawane war den anderen Tag ohne Hindernis fürder gegangen, und als man im Lagerplatz sich erholt hatte, begann Selim, der Fremde, zu Muley, dem jüngsten der Kaufleute, also zu sprechen:

»Ihr seid zwar der Jüngste von uns, doch seid Ihr immer fröhlich und wisst für uns gewiss irgendeinen guten Schwank. Tischt ihn auf, dass er uns erquicke nach der Hitze des Tages!«

»Wohl möchte ich euch etwas erzählen«, antwortete Muley, »das euch Spaß machen könnte, doch der Jugend ziemt Bescheidenheit in allen Dingen; darum müssen meine älteren Reisegefährten den Vorrang haben. Zaleukos ist immer so ernst und verschlossen, sollte er uns nicht erzählen, was sein Leben so ernst machte? Vielleicht, dass wir seinen Kummer, wenn er solchen hat, lindern können; denn gerne dienen wir dem Bruder, wenn er auch anderen Glaubens ist.«

Der Aufgerufene war ein griechischer Kaufmann, ein Mann in mittleren Jahren, schön und kräftig, aber sehr ernst. Ob er gleich ein Ungläubiger (nicht Muselmann) war, so liebten ihn doch seine Reisegefährten, denn er hatte durch sein ganzes Wesen Achtung und Zutrauen eingeflößt. Er hatte übrigens nur eine Hand, und einige seiner Gefährten vermuteten, dass vielleicht dieser Verlust ihn so ernst stimme.

Zaleukos antwortete auf die zutrauliche Frage Muleys: »Ich bin sehr geehrt durch euer Zutrauen; Kummer habe ich keinen, wenigstens keinen, von welchem ihr auch mit dem besten Willen mir helfen könntet. Doch weil Muley mir meinen Ernst vorzuwerfen scheint, so will ich euch einiges erzählen, was mich rechtfertigen soll, wenn ich ernster bin als andere Leute. Ihr sehet, dass ich meine linke Hand verloren habe. Sie fehlt mir nicht von Geburt an, sondern ich habe sie in den schrecklichsten Tagen meines Lebens eingebüßt. Ob ich die Schuld davon trage, ob ich unrecht habe, seit jenen Tagen ernster, als es meine Lage mit sich bringt, zu sein, möget ihr beurteilen, wenn ihr vernommen habt die Geschichte von der abgehauenen Hand

Zaleukos, der griechische Kaufmann, hatte seine Geschichte geendigt. Mit großer Teilnahme hatten ihm die übrigen zugehört, besonders der Fremde schien sehr davon ergriffen zu sein; er hatte einige Mal tief geseufzt, und Muley schien es sogar, als habe er einmal Tränen in den Augen gehabt. Sie besprachen sich noch lange Zeit über diese Geschichte.

»Und hasst Ihr den Unbekannten nicht, der Euch so schnöd' um ein so edles Glied Eures Körpers, der selbst Euer Leben in Gefahr brachte?« fragte der Fremde.

»Wohl gab es in früherer Zeit Stunden«, antwortete der Grieche, »in denen mein Herz ihn vor Gott angeklagt, dass er diesen Kummer über mich gebracht und mein Leben vergiftet habe; aber ich fand Trost in dem Glauben meiner Väter, und dieser befiehlt mir, meine Feinde zu lieben; auch ist er wohl noch unglücklicher als ich.«

»Ihr seid ein edler Mann!« rief der Fremde und drückte gerührt dem Griechen die Hand.

Der Anführer der Wache unterbrach sie aber in ihrem Gespräch. Er trat mit besorgter Miene in das Zelt und berichtete, dass man sich nicht der Ruhe überlassen dürfe; denn hier sei die Stelle, wo gewöhnlich die Karawanen angegriffen würden, auch glaubten seine Wachen, in der Entfernung mehrere Reiter zu sehen.

Die Kaufleute waren sehr bestürzt über diese Nachricht; Selim, der Fremde, aber wunderte sich über ihre Bestürzung und meinte, dass sie so gut geschätzt wären, dass sie einen Trupp räuberischer Araber nicht zu fürchten brauchten.

»Ja, Herr!« entgegnete ihm der Anführer der Wache. »Wenn es nur solches Gesindel wäre, könnte man sich ohne Sorge zur Ruhe legen; aber seit einiger Zeit zeigt sich der furchtbare Orbasan wieder, und da gilt es, auf seiner Hut zu sein.«

Der Fremde fragte, wer denn dieser Orbasan sei, und Achmet, der alte Kaufmann, antwortete ihm: »Es gehen allerlei Sagen unter dem Volke über diesen wunderbaren Mann. Die einen halten ihn für ein übermenschliches Wesen, weil er oft mit fünf bis sechs Männern zumal einen Kampf besteht, andere halten ihn für einen tapferen Franken, den das Unglück in diese Gegend verschlagen habe; von allem aber ist nur so viel gewiss, dass er ein verruchter Mörder und Dieb ist.«

»Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten«, entgegnete ihm Lezah, einer der Kaufleute. »Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und so lange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet weiter; denn Orbasan ist der Herr der Wüste.«

Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, um zu verkünden, dass sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei älteren Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos verlangten das erstere und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser zog ruhig ein kleines, blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze und befahl einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im Lager waren, zu den Waffen gegriffen und sahen in gespannter Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu haben, sie wichen plötzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin.

Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden und sahen bald auf die Reiter, bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, wie wenn nichts vorgefallen wäre, vor dem Zelte und blickte über die Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen. »Wer bist du, mächtiger Fremdling«, rief er aus, »der du die wilden Horden der Wüste durch einen Wink bezähmst?«

»Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist«, antwortete Selim Baruch. »Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht; nur so viel weiß ich, dass, wer mit diesem Zeichen reiset, unter mächtigem Schutze steht.«

Die Kaufleute dankten dem Fremden und nannten ihn ihren Erretter. Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, dass wohl die Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können.

Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, brachen sie auf und zogen weiter.

Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem großen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort:

»Ich habe euch gestern gesagt, dass der gefürchtete Orbasan ein edler Mann sei, erlaubt mir, dass ich es euch heute durch die Erzählung der Schicksale meines Bruders beweise. Mein Vater war Kadi in Akara. Er hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine Schwester waren bei weitem jünger als ich. Als ich zwanzig Jahre alt war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, dass ich bis zu seinem Tode bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so dass ich erst vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte und nichts davon wusste, welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen und wie gütig Allah es gewendet hatte.« [Die Errettung Fatmes]

Die Karawane hatte das Ende der Wüste erreicht, und fröhlich begrüßten die Reisenden die grünen Matten und die dichtbelaubten Bäume, deren lieblichen Anblick sie viele Tage entbehrt hatten. In einem schönen Tale lag eine Karawanserei, die sie sich zum Nachtlager wählten, und obgleich sie wenig Bequemlichkeit und Erfrischung darbot, so war doch die ganze Gesellschaft heiterer und zutraulicher als je; denn der Gedanke, den Gefahren und Beschwerlichkeiten, die eine Reise durch die Wüste mit sich bringt, entronnen zu sein, hatte alle Herzen geöffnet und die Gemüter zu Scherz und Kurzweil gestimmt. Muley, der junge lustige Kaufmann, tanzte einen komischen Tanz und sang Lieder dazu, die selbst dem ernsten Griechen Zaleukos ein Lächeln entlockten. Aber nicht genug, dass er seine Gefährten durch Tanz und Spiel erheitert hatte, er gab ihnen auch noch die Geschichte zum besten, die er ihnen versprochen hatte, und hub, als er von seinen Luftsprüngen sich erholt hatte, also zu erzählen an: Die Geschichte von dem kleinen Muck.

»So erzählte mir mein Vater; ich bezeugte ihm meine Reue über mein rohes Betragen gegen den guten kleinen Mann, und mein Vater schenkte mir die andere Hälfte der Strafe, die er mir zugedacht hatte. Ich erzählte meinen Kameraden die wunderbaren Schicksale des Kleinen, und wir gewannen ihn so lieb, dass ihn keiner mehr schimpfte. Im Gegenteil, wir ehrten ihn, solange er lebte, und haben uns vor ihm immer so tief wie vor Kadi und Mufti gebückt.«

Die Reisenden beschlossen, einen Rasttag in dieser Karawanserei zu machen, um sich und die Tiere zur weiteren Reise zu stärken. Die gestrige Fröhlichkeit ging auch auf diesen Tag über, und sie ergötzten sich in allerlei Spielen. Nach dem Essen aber riefen sie dem fünften Kaufmann, Ali Sizah, zu, auch seine Schuldigkeit gleich den übrigen zu tun und eine Geschichte zu erzählen. Er antwortete, sein Leben sei zu arm an auffallenden Begebenheiten, als dass er ihnen etwas davon mitteilen möchte, daher wolle er ihnen etwas anderes erzählen, nämlich: Das Märchen vom falschen Prinzen.

Mit Sonnenaufgang brach die Karawane auf und gelangte bald nach Birket el Had oder dem Pilgrimsbrunnen, von wo es nur noch drei Stunden Weges nach Kairo waren - Man hatte um diese Zeit die Karawane erwartet, und bald hatten die Kaufleute die Freude, ihre Freunde aus Kairo ihnen entgegenkommen zu sehen. Sie zogen in die Stadt durch das Tor Bebel Falch; denn es wird für eine glückliche Vorbedeutung gehalten, wenn man von Mekka kommt, durch dieses Tor einzuziehen, weil der Prophet hindurchgezogen ist.

Auf dem Markt verabschiedeten sich die vier türkischen Kaufleute von dem Fremden und dem griechischen Kaufmann Zaleukos und gingen mit ihren Freunden nach Haus. Zaleukos aber zeigte dem Fremden eine gute Karawanserei und lud ihn ein, mit ihm das Mittagsmahl zu nehmen. Der Fremde sagte zu und versprach, wenn er nur vorher sich umgekleidet habe, zu erscheinen.

Der Grieche hatte alle Anstalten getroffen, den Fremden, welchen er auf der Reise liebgewonnen hatte, gut zu bewirten, und als die Speisen und Getränke in gehöriger Ordnung aufgestellt waren, setzte er sich, seinen Gast zu erwarten.

Langsam und schweren Schrittes hörte er ihn den Gang, der zu seinem Gemach führte, heraufkommen. Er erhob sich, um ihm freundlich entgegenzusehen und ihn an der Schwelle zu bewillkommnen; aber voll Entsetzen fuhr er zurück, als er die Türe öffnete; denn jener schreckliche Rotmantel trat ihm entgegen; er warf noch einen Blick auf ihn, es war keine Täuschung; dieselbe hohe, gebietende Gestalt, die Larve, aus welcher ihn die dunklen Augen anblitzten, der rote Mantel mit der goldenen Stickerei waren ihm nur allzu wohlbekannt aus den schrecklichsten Stunden seines Lebens.

Widerstreitende Gefühle wogten in Zaleukos Brust; er hatte sich mit diesem Bild seiner Erinnerung längst ausgesöhnt und ihm vergeben, und doch riss sein Anblick alle seine Wunden wieder auf; alle jene qualvollen Stunden der Todesangst, jener Gram, der die Blüte seines Lebens vergiftete, zogen im Flug eines Augenblicks an seiner Seele vorüber.

»Was willst du, Schrecklicher?« rief der Grieche aus, als die Erscheinung noch immer regungslos auf der Schwelle stand. »Weiche schnell von hinnen, dass ich dir nicht fluche!«

»Zaleukos!« sprach eine bekannte Stimme unter der Larve hervor. »Zaleukos! So empfängst du deinen Gastfreund?« Der Sprechende nahm die Larve ab, schlug den Mantel zurück; es war Selim Baruch, der Fremde.

Aber Zaleukos schien noch nicht beruhigt, ihm graute vor dem Fremden; denn nur zu deutlich hatte er in ihm den Unbekannten von der Ponte vecchio erkannt; aber die alte Gewohnheit der Gastfreundschaft siegte; er winkte schweigend dem Fremden, sich zu ihm ans Mahl zu setzen.

»Ich errate deine Gedanken«, nahm dieser das Wort, als sie sich gesetzt hatten. »Deine Augen sehen fragend auf mich - ich hätte schweigen und mich deinen Blicken nie mehr zeigen können, aber ich bin dir Rechenschaft schuldig, und darum wagte ich es auch, auf die Gefahr hin, dass du mir fluchtest, vor dir in meiner alten Gestalt zu erscheinen. Du sagtest einst zu mir: Der Glaube meiner Väter befiehlt mir, ihn zu lieben, auch ist er wohl unglücklicher als ich; glaube dieses, mein Freund, und höre meine Rechtfertigung!

Ich muss weit ausholen, um mich dir ganz verständlich zu machen. Ich bin in Alessandria von christlichen Eltern geboren. Mein Vater, der jüngere Sohn eines alten, berühmten französischen Hauses, war Konsul seines Landes in Alessandria. Ich wurde von meinem zehnten Jahre an in Frankreich bei einem Bruder meiner Mutter erzogen und verließ erst einige Jahre nach dem Ausbruch der Revolution mein Vaterland, um mit meinem Oheim, der in dem Lande seiner Ahnen nicht mehr sicher war, über dem Meer bei meinen Eltern eine Zuflucht zu suchen. Voll Hoffnung, die Ruhe und den Frieden, den uns das empörte Volk der Franzosen entrissen, im elterlichen Hause wiederzufinden, landeten wir. Aber ach! Ich fand nicht alles in meines Vaters Hause, wie es sein sollte; die äußeren Stürme der bewegten Zeit waren zwar noch nicht bis hierher gelangt, desto unerwarteter hatte das Unglück mein Haus im innersten Herzen heimgesucht. Mein Bruder, ein junger, hoffnungsvoller Mann, erster Sekretär meines Vaters, hatte sich erst seit kurzem mit einem jungen Mädchen, der Tochter eines florentinischen Edelmanns, der in unserer Nachbarschaft wohnte, verheiratet; zwei Tage vor unserer Ankunft war diese auf einmal verschwunden, ohne dass weder unsere Familie noch ihr Vater die geringste Spur von ihr auffinden konnten. Man glaubte endlich, sie habe sich auf einem Spaziergang zu weit gewagt und sei in Räuberhände gefallen. Beinahe tröstlicher wäre dieser Gedanke für meinen armen Bruder gewesen als die Wahrheit, die uns nur bald kund wurde. Die Treulose hatte sich mit einem jungen Neapolitaner, den sie im Hause ihres Vaters kennen gelernt hatte, eingeschifft. Mein Bruder, aufs äußerste empört über diesen Schritt, bot alles auf, die Schuldige zur Strafe zu ziehen; doch vergebens; seine Versuche, die in Neapel und Florenz Aufsehen erregt hatten, dienten nur dazu, sein und unser aller Unglück zu vollenden. Der florentinische Edelmann reiste in sein Vaterland zurück, zwar mit dem Vorgeben, meinem Bruder Recht zu verschaffen, der Tat nach aber, um uns zu verderben. Er schlug in Florenz alle jene Untersuchungen, welche mein Bruder angeknüpft hatte, nieder und wusste seinen Einfluss, den er auf alle Art sich verschafft hatte, so gut zu benützen, dass mein Vater und mein Bruder ihrer Regierung verdächtig gemacht und durch die schändlichsten Mittel gefangen, nach Frankreich geführt und dort vom Beil des Henkers getötet wurden. Meine arme Mutter verfiel in Wahnsinn, und erst nach zehn langen Monaten erlöste sie der Tod von ihrem schrecklichen Zustand, der aber in den letzten Tagen zu vollem, klarem Bewusstsein geworden war. So stand ich jetzt ganz allein in der Welt, aber nur ein Gedanke beschäftigte meine Seele, nur ein Gedanke ließ mich meine Trauer vergessen, es war jene mächtige Flamme, die meine Mutter in ihrer letzten Stunde in mir angefacht hatte.

In den letzten Stunden war, wie ich dir sagte, ihr Bewusstsein zurückgekehrt; sie ließ mich rufen und sprach mit Ruhe von unserem Schicksal und ihrem Ende. Dann aber ließ sie alle aus dem Zimmer gehen, richtete sich mit feierlicher Miene von ihrem ärmlichen Lager auf und sagte, ich könne mir ihren Segen erwerben, wenn ich ihr schwöre, etwas auszuführen, das sie mir auftragen würde - Ergriffen von den Worten der sterbenden Mutter, gelobte ich mit einem Eide zu tun, wie sie mir sagen werde. Sie brach nun in Verwünschungen gegen den Florentiner und seine Tochter aus und legte mir mit den fürchterlichsten Drohungen ihres Fluches auf, mein unglückliches Haus an ihm zu rächen. Sie starb in meinen Armen. Jener Gedanke der Rache hatte schon lange in meiner Seele geschlummert; jetzt erwachte er mit aller Macht. Ich sammelte den Rest meines väterlichen Vermögens und schwor mir, alles an meine Rache zu setzen oder selbst mit unterzugehen.

Bald war ich in Florenz, wo ich mich so geheim als möglich aufhielt; mein Plan war um vieles erschwert worden durch die Lage, in welcher sich meine Feinde befanden. Der alte Florentiner war Gouverneur geworden und hatte so alle Mittel in der Hand, sobald er das geringste ahnte, mich zu verderben. Ein Zufall kam mir zu Hilfe. Eines Abends sah ich einen Menschen in bekannter Livree durch die Straßen gehen; sein unsicherer Gang, sein finsterer Blick und das halblaut herausgestoßene ›Santo sacramento‹, ›Maledetto diavolo‹ ließen mich den alten Pietro, einen Diener des Florentiners, den ich schon in Alessandria gekannt hatte, erkennen. Ich war nicht in Zweifel, dass er über seinen Herrn in Zorn geraten sei, und beschloss, seine Stimmung zu benützen. Er schien sehr überrascht, mich hier zu sehen, klagte mir sein Leiden, dass er seinem Herrn, seit er Gouverneur geworden, nichts mehr recht machen könne, und mein Gold, unterstützt von seinem Zorn, brachte ihn bald auf meine Seite. Das Schwierigste war jetzt beseitigt; ich hatte einen Mann in meinem Solde, der mir zu jeder Stunde die Türe meines Feindes öffnete, und nun reifte mein Racheplan immer schneller heran. Das Leben des alten Florentiners schien mir ein zu geringes Gewicht, dem Untergang meines Hauses gegenüber, zu haben. Sein Liebstes musste er gemordet sehen, und dies war Bianka, seine Tochter. Hatte ja sie so schändlich an meinem Bruder gefrevelt, war ja doch sie die Ursache unseres Unglücks. Gar erwünscht kam sogar meinem rachedurstigen Herzen die Nachricht, dass in dieser Zeit Bianka zum zweitenmal sich vermählen wollte, es war beschlossen, sie musste sterben. Aber mir selbst graute vor der Tat, und auch Pietro traute sich zu wenig Kraft zu; darum spähten wir umher nach einem Mann, der das Geschäft vollbringen könne. Unter den Florentinern wagte ich keinen zu dingen, denn gegen den Gouverneur würde keiner etwas Solches unternommen haben. Da fiel Pietro der Plan ein, den ich nachher ausgeführt habe; zugleich schlug er dich als Fremden und Arzt als den Tauglichsten vor. Den Verlauf der Sache weißt du. Nur an deiner großen Vorsicht und Ehrlichkeit schien mein Unternehmen zu scheitern. Daher der Zufall mit dem Mantel.

Pietro öffnete uns das Pförtchen an dem Palast des Gouverneurs; er hätte uns auch ebenso heimlich wieder hinausgeleitet, wenn wir nicht, durch den schrecklichen Anblick, der sich uns durch die Türspalte darbot, erschreckt, entflohen wären. Von Schrecken und Reue gejagt, war ich über zweihundert Schritte fortgerannt, bis ich auf den Stufen einer Kirche niedersank. Dort erst sammelte ich mich wieder, und mein erster Gedanke warst du und dein schreckliches Schicksal, wenn man dich in dem Hause fände. Ich schlich an den Palast, aber weder von Pietro noch von dir konnte ich eine Spur entdecken; das Pförtchen aber war offen, so konnte ich wenigstens hoffen, dass du die Gelegenheit zur Flucht benützt haben könntest.

Als aber der Tag anbrach, ließ mich die Angst vor der Entdeckung und ein unabweisbares Gefühl von Reue nicht mehr in den Mauern von Florenz. Ich eilte nach Rom. Aber denke dir meine Bestürzung, als man dort nach einigen Tagen überall diese Geschichte erzählte mit dem Beisatz, man habe den Mörder, einen griechischen Arzt, gefangen. Ich kehrte in banger Besorgnis nach Florenz zurück; denn schien mir meine Rache schon vorher zu stark, so verfluchte ich sie jetzt, denn sie war mir durch dein Leben allzu teuer erkauft. Ich kam an demselben Tage an, der dich der Hand beraubte. Ich schweige von dem, was ich fühlte, als ich dich das Schafott besteigen und so heldenmütig leiden sah. Aber damals, als dein Blut in Strömen aufspritzte, war der Entschluss fest in mir, dir deine übrigen Lebenstage zu versüßen. Was weiter geschehen ist, weißt du, nur das bleibt mir noch zu sagen übrig, warum ich diese Reise mit dir machte.

Als eine schwere Last drückte mich der Gedanke, dass du mir noch immer nicht vergeben habest; darum entschloss ich mich, viele Tage mit dir zu leben und dir endlich Rechenschaft abzulegen von dem, was ich mit dir getan.«

Schweigend hatte der Grieche seinen Gast angehört; mit sanftem Blick bot er ihm, als er geendet hatte, seine Rechte. »Ich wusste wohl, dass du unglücklicher sein müsstest als ich, denn jene grausame Tat wird wie eine dunkle Wolke ewig deine Tage verfinstern; ich vergebe dir von Herzen. Aber erlaube mir noch eine Frage: Wie kommst du unter dieser Gestalt in die Wüste? Was fingst du an, nachdem du in Konstantinopel mir das Haus gekauft hattest?«

»Ich ging nach Alessandria zurück«, antwortete der Gefragte. »Hass gegen alle Menschen tobte in meiner Brust, brennender Hass besonders gegen jene Nationen, die man die gebildeten nennt. Glaube mir, unter meinen Moslemiten war mir wohler! Kaum war ich einige Monate in Alessandria, als jene Landung meiner Landsleute erfolgte.

Ich sah in ihnen nur die Henker meines Vaters und meines Bruders; darum sammelte ich einige gleichgesinnte junge Leute meiner Bekanntschaft und schloss mich jenen tapferen Mamelucken an, die so oft der Schrecken des französischen Heeres wurden. Als der Feldzug beendigt war, konnte ich mich nicht entschließen, zu den Künsten des Friedens zurückzukehren. Ich lebte mit einer kleinen Anzahl gleichdenkender Freunde ein unstetes und flüchtiges, dem Kampf und der Jagd geweihtes Leben; ich lebe zufrieden unter diesen Leuten, die mich wie ihren Fürsten ehren; denn wenn meine Asiaten auch nicht so gebildet sind wie Eure Europäer, so sind sie doch weit entfernt von Neid und Verleumdung, von Selbstsucht und Ehrgeiz.«

Zaleukos dankte dem Fremden für seine Mitteilung, aber er verbarg ihm nicht, dass er es für seinen Stand, für seine Bildung angemessener fände, wenn er in christlichen, in europäischen Ländern leben und wirken würde. Er fasste seine Hand und bat ihn, mit ihm zu ziehen, bei ihm zu leben und zu sterben.

Gerührt sah ihn der Gastfreund an. »Daraus erkenne ich«, sagte er, »dass du mir ganz vergeben hast, dass du mich liebst. Nimm meinen innigsten Dank dafür!« Er sprang auf und stand in seiner ganzen Größe vor dem Griechen, dem vor dem kriegerischen Anstand, den dunkel blitzenden Augen, der tiefen Stimme seines Gastes beinahe graute. »Dein Vorschlag ist schön«, sprach jener weiter, »er möchte für jeden andern lockend sein - ich kann ihn nicht benützen. Schon steht mein Ross gesattelt, erwarten mich meine Diener; lebe wohl, Zaleukos!« Die Freunde, die das Schicksal so wunderbar zusammengeführt, umarmten sich zum Abschied. »Und wie nenne ich dich? Wie heißt mein Gastfreund, der auf ewig in meinem Gedächtnis leben wird?« fragte der Grieche.

Der Fremde sah ihn lange an, drückte ihm noch einmal die Hand und sprach: »Man nennt mich den Herrn der Wüste; ich bin der Räuber Orbasan.«