[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Geschenke der alten Frau

Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Frauen geheiratet, die ständig im Streit miteinander lagen. Eines Tages begab sich die eine von ihnen in das Haus einer alten Frau, das hinter dem Wald lag. Sie bat die Alte: »Mutter, ich bin eine arme Frau. Hilf mir aus meiner Bedrängnis.« Die alte Frau aber hatte die Pocken, und so sprach sie zu ihr: »Bleib erst einmal hier, bis meine Pocken geheilt sind.« Da pflegte die Frau die Alte, bis sie genesen war.

Eines Tages bekam die Frau großen Hunger und sagte zu der Alten: »Ich bin ja so hungrig.« Da sprach die alte Frau zu ihr: »Geh, nimm Kuhfladen und Sand und schütte beides in einen Topf.« Die Frau tat, wie die Alte sie geheißen hatte, sie füllte beides in einen Topf. Der Kuhfladen wurde zu Rindfleisch und der Sand zu Reis. Nun begannen beide zu essen. Als sie die Mahlzeit beendet hatten, wandte sich die Frau an die Alte: »Meine Mutter, deine Pocken sind geheilt. Ich will nun wieder nach Hause gehen.« Die alte Frau erwiderte: »Ja, ich will dir die Hilfe geben, um die du gebeten hattest.« Sie schickte die Frau zu der Stelle, wo die Eier aufbewahrt wurden, und gab ihr den Rat: »Wenn du hinkommst, werden die Eier anfangen zu reden. Auf keinen Fall darfst du eins von denen mitnehmen. die rufen: ›Nimm mich!‹ Hol dir eins von denen, die ›Nimm mich nicht!‹ rufen.«

Die Frau begab sich zu dem benannten Platz, und wirklich, alle Eier fingen an zu rufen ›Nimm mich!‹ oder ›Nimm mich nicht!‹ Sie nahm eins von denen, die ›Nimm mich nicht !‹ riefen, kehrte zu der Alten zurück, und die erklärte ihr: »Kehre nun nach Hause zurück und lass deinen Mann einen Platz von allem, was darauf wächst, Gras, Sträucher, Bäume, reinigen und wirf dann das Ei auf den Boden. An dieser Stelle wird ein großes Haus stehen!«

Die Frau ging nun nach Hause und tat alles genau so, wie die alte Frau gesagt hatte. Da entstand aus dem Ei ein großes Haus. Nun hatte der Mann diese Frau sehr viel lieber als früher. Als die andere Frau das merkte, ging sie ebenfalls zu der Alten und sprach zu ihr: »Ich will auch ein Haus von dir.« Die alte Frau erwiderte: »Ja, aber erst musst du mir die Pocken waschen, die ich auf dem Leib habe.« Das gefiel der jungen Frau gar nicht. Sie war erstaunt, dass sie eine solche Arbeit übernehmen sollte. Zwar machte sie es dann, aber sie wusch die Pocken nicht sorgfältig. Beim Waschen spie sie immer aus. Die alte Frau bemerkte wohl, wie nachlässig die junge Frau alles machte, aber sie sagte nichts dazu. Als die Frau mit dem Waschen der Pocken fertig war, sagte sie: »Ich habe Hunger.« Die alte Frau forderte sie nun auf: »Geh, nimm Kuhfladen und Sand, und schütte beides in einen Topf.« Die Frau musste sich sehr zusammennehmen, denn es ekelte sie vor dem Kuhfladen. Darum nahm sie Bananenblätter und schob damit Kuhfladen und Sand in den Topf. Der alten Frau gefiel es gar nicht, wie die Junge arbeitete, aber sie ließ mit keiner Miene ihre Unzufriedenheit merken.

Als das Essen fertig war, wollte die junge Frau nichts davon zu sich nehmen. Sie sagte: »Jetzt will ich heimgehen. Ich bleibe nicht länger, wo mich der Hunger tötet.« Da sagte die Alte: »Ja. aber geh zuvor noch dorthin, wo ich meine Eier aufbewahre. Nimm ein Ei, das ruft: ›Nimm mich nicht, nimm mich nicht!‹ Auf keinen Fall darfst du ein Ei nehmen, das ruft: ›Nimm mich!‹« Als die junge Frau hinkam, vernahm sie gleich ein Ei, das rief: »Nimm mich nicht! Nimm mich nicht!« Aber sie hörte auf ein anderes Ei, das rief: »Nimm mich!« Das nahm sie. Als sie nun zu der alten Frau zurückkehrte, wollte sie ihr das Ei nicht zeigen. Die Alte fragte: »Willst du mir nicht das Ei zeigen?« Aber die junge Frau antwortete ihr nicht. Da sprach die alte Frau: »So schlecht, wie du deine Aufgaben erfüllt hast, wirst du auch belohnt werden.«

Nun ging die Frau heim. Zu Hause sagte sie zu ihrem Mann: »Ich glaube, von jetzt ab wirst du mich genauso lieb haben wie die andere, denn ich bringe dir hier auch so etwas mit wie sie. Ruf die Leute zusammen, damit sie einen großen Platz von Gebüsch und Gras säubern.« Nachdem der Platz gereinigt war, warf die Frau das Ei auf den Boden. Aber kein Haus kam heraus. stattdessen sprangen viele Krieger hervor. Die schlugen die Frau und schossen mit ihren Gewehren in das Dorf. Dann kehrten sie in das Ei zurück. Die Frau warf das Ei noch einmal auf den Boden. Da kamen die Krieger wieder und begannen von neuem zu schießen. So ging es sieben Tage lang. Die Krieger töteten viele, viele Leute. Die wenigen Menschen, die noch übrig waren, gingen zu der alten Frau und fragten sie: »Warum hast du dieser Frau ein solches Ei gegeben?« Die Alte erwiderte: »Die Frau kam in mein Haus und war frech und dreist. Sie hörte einfach nicht auf meine Worte. Als ich sie zu meinen Eiern schickte, sprach ich nämlich zu ihr: ›Das Ei, das sagt: ›Nimm mich!‹, das nimmst du nicht, und das Ei, das sagt: ›Nimm mich nicht!‹, das nimmst du.‹ Sie aber nahm das Ei, das gesagt hatte: ›Nimm mich!‹« Und sie fuhr fort: »Geht nun! Wenn die Krieger euch wieder schlagen wollen, so ruft nur: ›Alte Frau!‹ Dann werden sie euch nichts mehr tun.«