[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Gerste des Knechtes

Ein Knecht war bei einem wohlhabenden Bauern für ein Jahr in den Dienst getreten (für welchen Lohn, weiß ich nicht). Als er im Herbst drosch, flog ihm dabei ein Gerstenkorn in den Mund. Der Knecht sagt darauf zu seinem Bauern: »Da mir nun dieses Gerstenkorn von selbst zwischen die Zähne geflogen ist, gib mir für dieses Korn zu Anfang einen guten Platz, damit ich es in die Erde stecke, welchen auch immer ich dafür aussuchen werde, für das Korn und seinen Samen auf zehn Jahre, und ich werde dir allein dafür zehn Jahre dienen.« Der Bauer war einverstanden.

Der Knecht steckte im Frühling sein Korn in das Aussaatbeet im Garten. Über den Sommer war es üppig und hoch aufgewachsen. Im Herbst nahm er die Ähre ab, rieb sie aus und hatte beide Hände voll Gerstenkörner. Im nächsten Frühling säte er seine Gerste wieder im Garten aus, wieder wuchs sie schön groß empor, und im Herbst drosch er bereits ein ganzes Maß voll aus. Im dritten Jahr säte er seine Gerste schon auf dem Felde bei der Scheune aus. Und wie schön wuchs die Gerste empor! Die Bäuerin wurde böse, wenn sie die Gerste des Knechtes sah. Als es auf den Herbst zuging, frühmorgens beim Hahnenschrei, fasste sie einen Entschluss, lief hinaus zum Felde an der Scheune, legte sich hin, rollte sich über die Gerste des Knechtes und walzte so schließlich das ganze Feld glatt wie einen Tisch.

Als am Morgen die Sonne aufgeht, sieht sie, dass die Gerste des Knechtes ganz glatt niedergewalzt ist. Sie fragt den Mond: »Hast du nicht gesehen, wer diese Nacht die Gerste des Knechtes glatt gewalzt hat?« Der Mond antwortete: »Solange ich am Himmel war, stand die Gerste noch heil da, und ich habe sie heil zurückgelassen, als ich unterging. Vielleicht hat das Siebengestirn etwas gesehen, das blieb bis zum Hellwerden am Himmel.« Nun fragt die Sonne das Siebengestirn. Das sagte, es hätte gesehen, wie die Bäuerin angelaufen kam und die Gerste glatt walzte. Da fragte die Sonne das Siebengestirn: »Na, und hast du ihr dafür nichts angetan?« Das Siebengestirn: »Ja, ich habe ihr einen Baumstumpf mit Wurzeln in den Weg geworfen.« Die Sonne sagt: »Das ist gut.«

Und als die Bäuerin nach Hause lief, stieß sie mit dem Fuß an den Baumstumpf und schürfte sich ein wenig die Haut ab. Davon begann ihr Fuß zu schwellen, schließlich schwoll ihr ganzer Leib an, und sie musste sterben. Die Gerste des Knechtes aber richtete sich wieder auf und erholte sich, bis sie gemäht wurde. Im Herbst drosch der Knecht schon einige Scheffel aus.

So ging es bis zum Ende der zehn Jahre, wo er schließlich alles Land seines Bauern mit seiner Gerste besäte, und er hatte doch mit nur einem Gerstenkorn begonnen!