[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Gänse - die Schwäne

Es lebte einmal ein Bauer mit seiner Frau, die hatten ein Töchterchen und ein kleines Söhnchen.

»Töchterchen«, spricht die Mutter, »wir gehn auf Arbeit, gib gut acht auf das Brüderchen! Geh nicht vom Hof, sei brav, wir kaufen dir auch ein Tüchlein.«

Vater und Mutter waren weggegangen, das Töchterchen aber hatte bald vergessen, was ihr aufgetragen war. Es setzte das kleine Bruderlein auf die Wiese unters Fenster, lief hinaus auf die Straße und hatte bald im Eifer des Spieles alles um sich her vergessen.

Da kamen die Gänse - die Schwäne geflogen, ergriffen das Knäblein und trugen es fort auf ihren Flügeln.

Das Mädchen kommt vom Spiel zurück, fort ist das Brüderlein! Es rief ach und weh, lief hin und her - aber Brüderchen blieb verschwunden. Tränenüberströmt ruft das Mädchen nach ihm, fleht es an, sich doch zu melden. Sie habe ja solche Angst vor Vater und Mutter. Aber das Brüderchen antwortet nicht.

Da läuft es hinaus ins weite Feld und sieht gerade noch die Gänse - die Schwäne gern Unflug treiben und kleine Kinder entführen. Die Schwester stürzte ihnen nach. Sie lief und lief, da sieht sie einen Backofen stehen.

»Backofen, Backofen, sag mir schnell, wo sind die Gänse - die Schwäne hingeflogen?«

Der Ofen antwortet: »Kost erst mal von meinen Roggenpiroggen - so will ich es dir sagen.«

»Ich ess' doch deine Roggenpiroggen nicht, bei meinem Väterchen werden solche aus Weizenmehl kaum gegessen...«

Der Ofen sagte nichts, die Schwester lief weiter, da sieht sie einen Apfelbaum.

»Apfelbaum, Apfelbaum, sag mir schnell, wohin sind die Gänse - die Schwäne geflogen?«

»Iß von meinen Holzäpfeln, dann sage ich dir's!«

»Bei meinem Väterchen werden richtige Äpfel kaum gegessen...«

Der Apfelbaum sagte nichts und das Mädchen lief weiter. Da kommt es an einen Milchfluß mit Ufern aus Grütze.

»Milchfluss mit Grützeufern, wo sind die Gänse - die Schwäne hingeflogen?«

»Iß erst von meiner Grütze mit Milch, dann will ich es dir sagen.«

»Bei meinem Väterchen wird kaum Sahne gegessen...«

Lang lief das Mädchen so durch Wald und Feld. Der Tag neigt sich dem Ende zu, es bleibt ihm nichts übrig, als umzukehren und heimzugehen.

Da sieht es plötzlich ein Häuslein auf einem Hühnerbein, mit nur einem Fensterlein - das dreht sich unentwegt um sich herum. In dem Häuslein spinnt eine alte Baba-Jaga Flachs, und auf der Bank sitzt das Brüderchen und spielt mit silbernen Äpfeln.

Das Mädchen trat in die Hütte.

»Guten Tag, Großmutter!«

»Guten Tag, Jungfer! Was führt dich zu mir?«

»Über Moos und Sumpf bin ich gegangen, nass am Leibe mir die Kleider hängen. Bin gekommen, um mich zu wärmen.«

»So setzt dich einstweilen und spinn mir den Flachs!«

Die Baba-Jaga gab ihr das Spinnrad, sie selber aber ging hinaus.

Das Mädchen spinnt, da springt plötzlich ein Mäuschen unter dem Ofen hervor und springt zu ihm.

»Jungfer, Jungfer, gib mir Brei, so sag' ich dir etwas Gutes!«

Das Mädchen gab ihm etwas Brei, und das Mäuschen sagte:

»Die Baba-Jaga ist gegangen, ein Bad zu richten. Sie wird dich baden, wird dich waschen, wird dich in den Ofen setzen, wird dich braten, wird dich essen, sich auf deinen Knöchlein wälzen.«

Das Mädchen sitzt da, mehr tot als lebendig und weint. Das Mäuslein spricht aber: »Zaudere nicht, nimm dein Brüderlein und lauf, ich will aber für dich den Flachs hier spinnen.«

Das Mädchen nahm das Brüderlein und lief davon. Die Baba-Jaga aber kommt ans Fenster und ruft: »Spinnst du noch, Jungfer?«

Das Mäuschen antwortet: »Ich spinne, Großmutter...«

Die Baba-Jaga hatte das Bad gerichtet und kommt das Mädchen holen. Die Stube war aber leer. Da schrie sie: »Ihr Gänse - ihr Schwäne, nehmt die Verfolgung auf! Die Schwester trägt das Brüderlein fort!«

Die Kinder kommen zum Milchfluß. Da sieht das Schwesterlein auch schon die Gänse kommen: »Mütterchen Flüsschen, verbirg uns doch!«

»Iß erst was von meiner bescheidenen Grütze!«

Das Mädchen aß und bedankte sich. Da verbarg sie der Fluss unter seinem Ufer.

Die Gänse - die Schwäne flogen vorbei und sahen sie nicht. Das Mägdelein lief weiter mit seinem Brüderlein.

Die Gänse - die Schwäne aber waren umgekehrt und kommem ihnen nun entgegen geflogen.

Gleich werden sie sie entdecken! Was tun? - Oh, welche Not! Da sieht sie den Apfelbaum: »Lieber Apfelbaum, verbirg uns doch!«

»Iß doch von meinen Holzäpfeln.«

Das Mädchen aß schnell einen Apfel und sagte auch danke schön. Da neigte der Apfelbaum seine Zweige und verbarg sie unter den Blättern.

Die Gänse - die Schwäne aber flogen vorbei und sahen sie nicht.

Das Mädchen lief weiter, hatte es gar nicht mehr weit, da haben die Gänse - die Schwäne sie doch erspäht. Mit lautem Gegacker und Geschnatter kamen sie heran geflogen, schlagen mit den Flügeln, und es fehlt nicht mehr viel, so werden sie das Brüderlein den Schwesterlein aus dem Armen reißen...

Da kommt das Mädchen zum Backofen gelaufen: »Ach, Backofen, Lass mich doch in dich hineinschlüpfen!«

»Koste erst meine Roggenpiroggen!«

Das Mädchen steckte flink eine Pirogge in den Mund und schlüpfte mit dem Brüderlein in den Ofen hinein.

Die Gänse - die Schwäne flatterten eine Weile schreiend um den Backofen herum und mussten schließlich unverrichteter Dinge wieder umkehren und zur Baba-Jaga zurückfliegen.

Das Mädchen sagte dem Ofen schönen Dank und langte glücklich mit dem Brüderlein zu Hause an.

Und da kamen auch gerade der Vater und die Mutter heim...