[swahili, "Geschichte, Legende"]

Die Füchsin, der Wolf und der Dachs

Einmal begaben sich der Wolf und die Füchsin auf eine Wanderung. Als Wegzehrung besaßen sie drei Tschureks. Sprach der Wolf: »Es wäre eigentlich ganz schön, wenn wir zu den Fladen noch etwas Fleisch hätten.«

»Was tut man nicht alles, wenn es einen nach etwas gelüstet«, entgegnete die Füchsin. »Dort an dem roten Felsen wohnt der Dachs in seinem Bau. Wir könnten ihn mitnehmen und ihm unterwegs das Fell über die Ohren ziehen. Da hätten wir auch unser Fleisch.« Als sie vor dem Dachsbau standen, rief die Füchsin: »He, Dachs, komm heraus! Ich will zur Kirmes, geh mit! Ich hab auch einen feinen Schmaus für dich!« Bei diesen Worten kroch der hungrige Dachs aus seinem Bau. Als er den Wolf erblickte, erschrak er zwar, ließ sich aber nichts anmerken und folgte den beiden. Während sie ihres Weges zogen, überlegte die Füchsin: Der Wolf könnte den Dachs möglicherweise allein fressen. Da muss ich aufpassen, dass ich nicht zu kurz komme. Schließlich machten die Tiere Rast, um etwas zu verzehren. Sprach die Füchsin: »Weshalb soll jeder einen Tschurek fressen? Wir werden uns deshalb doch nicht verzanken. Halten wir es so: Wer von uns der Ehrlichste ist, mag den Fladen haben. Die restlichen zwei heben wir uns für später auf.« Der Wolf und der Dachs waren einverstanden.

Fragte die Füchsin: »Gevatter Wolf, wie hältst du es mit dem Trinken?«

»Hab nie in meinem Leben auch nur ein Gläschen angerührt«, gab der Wolf zur Antwort. »Auch ich trinke nie«, sprach die Füchsin. »Seit ich gehört habe, dass die Menschen aus Hirse Busa brauen, mache ich um jedes Hirsefeld einen großen Bogen.« Der Dachs sprang auf und wollte fortlaufen. »Wo willst du hin, mein Lieber?« Antwortete der Dachs: »Wo übers Trinken gesprochen wird, ist kein Platz für mich. Will rasch zum Ustas Alibek Gadshi.« Der Dachs bekam also den Fladen, und die Tiere setzten ihren Weg fort.

Als sie Mittagsrast hielten, schlug die Füchsin vor: »Wollen wir einmal hören, wer von uns der Älteste ist. Er mag den zweiten Fladen verzehren. Den dritten heben wir uns noch auf.« Alle waren es zufrieden.

Fragte die Füchsin den Wolf: »Gevatter Wolf, weißt du, wann Alibek-Gadshi auf der Erde erschien?«

»Nein, hab keine Ahnung«, erwiderte der Wolf. »Da bist du noch sehr jung«, meinte die Füchsin. »Zu Zeiten Alibek-Gadshis war ich verlobt, und mein Bräutigam zog in den Krieg.« Der Dachs brach in bittere Tränen aus. »Warum weinst du, mein Lieber?«

»Wie sollte ich nicht weinen«, entgegnete der Dachs. »Zu Lebzeiten von Alibek-Gadshi war ich verheiratet und besaß zwei erwachsene Söhne. Sie fielen in jenem Krieg, von dem du sprachst. Du hast mich an all meinen Kummer erinnert, und da kamen mir halt die Tränen.« Wieder mussten die Tiere dem Dachs den Tschurek überlassen. Der Wolf wurde zornig, doch die Füchsin wisperte ihm beschwichtigend zu: »Gemach! Was einmal auf dem Teppich liegt, das verschwindet nicht so rasch.« Sie packten den letzten Fladen ein und zogen weiter.

Der Abend brach herein. Als die Tiere ihr Nachtlager aufschlugen, meinte die Füchsin: »Wollen wir uns nicht ohne Nachtmahl zur Ruhe legen? Morgen früh mag dann der den Fladen bekommen, der den interessantesten Traum hatte.« Die anderen stimmten der Füchsin zu, und so legten sie sich schlafen. Mitten in der Nacht erwachte der Dachs und erinnerte sich des Sprichwortes: Wer den Wolf fürchtet, wird nie eine Herde halten. Also fraß der Dachs rasch den dritten Tschurek und schlief wieder ein.

Morgens fragte die Füchsin den Wolf: »Was hast du Schönes geträumt, Gevatter?« Der Wolf hob an zu erzählen: »Ich träumte, ich war auf der Hochzeit des Sohns vom Khan und ließ die feinsten Speisen und Weine auftragen. Ich aß und trank nach Herzenslust und amüsierte mich bei Spiel und Tanz...« Unterbrach ihn die Füchsin: »Und ich war zu dieser Hochzeit als Tschawusch geladen. Da hab ich als erste alle Gerichte probiert, bevor sie auf den Tisch kamen.«

»Ihr sprecht die reine Wahrheit«, mischte sich der Dachs in die Unterhaltung ein. »Denn ich war ebenfalls auf dieser Hochzeit. Nur stand ich an der Tür. Nicht einmal einen Kanten Brot habt ihr für mich übrig gehabt. Zusehen musste ich, wie ihr es euch auf der Hochzeit gut sein ließet. Da bin ich nach Hause gelaufen, habe den Tschurek gefressen und mich schlafen gelegt.« Als die Füchsin vernahm, dass auch der dritte Fladen verzehrt war, ließ sie enttäuscht die Ohren hängen wie ein müder Esel. »O Dachs«, meinte sie klagend, »selten kriechst du ans Tageslicht. Lebst in der Finsternis. Wie kommt es, dass du so pfiffig bist?« Wütend wollte sich der Wolf auf den Dachs stürzen, doch die Füchsin dachte bei sich: Wenn er ihn reißt, bleib ich am Ende ohne meinen Anteil! Deshalb flüsterte sie dem Wolf flugs etwas ins Ohr. Da setzten sie zu zweit ihren Weg fort, der Dachs aber kehrte gemächlich zu seinem Bau zurück.

Als er die Spuren der Füchsin und des Wolfs vor dem Eingang bemerkte, rief er laut: »Liebster Bruder! Wenn ich früher heimkam, hast du mich immer freudig und munter begrüßt. Was ist geschehen? Warum willst du nicht mit mir reden? Wenn ich dich ernstlich gekränkt haben sollte, so will ich fortziehen von hier und mir einen anderen Bau suchen.« Die Füchsin gab keinen Laut von sich, doch der Wolf konnte sich nicht zurückhalten und erwiderte: »Grüß dich, mein lieber Bruder! Ich freue mich über deine Heimkehr wie eh und je. Tritt ein!« Als der Dachs die Wolfsstimme vernahm, rannte er zum Schäfer. Da entlud der Wolf seinen ganzen Ingrimm auf die Füchsin. »Du alte Betrügerin, hast mir Fleisch versprochen und mich sogar um die Fladen gebracht!« Er wollte sich schon auf sie stürzen, doch die Füchsin ermahnte ihn salbungsvoll: »Gevatter Wolf, ein schneller Strom erreicht nie das Meer. Nur auf dem Boden der Ruhe funkelt das Gold.« Die Listenreiche wollte entschlüpfen, doch der Schäfer stand schon vor dem Dachsbau und schob einen großen Rollstein vor den Eingang. Der Dachs aber rief: »Füchsin, sag, was hab ich euch getan, dass ihr so schlecht an mir handelt? Nicht von ungefähr heißt es: Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!« Dann stimmte der Dachs ein Dankeslied an: »Hunden Jahre mag der Schäfer werden,
der dem Dachs half aus der Not.
Dachs und Schäfer haben sich verschworen,
dass der Dachs nicht litt den Tod.«