[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Zaubergarten und seine Herrin

Es war einmal ein Khan. Er war streng und klug und besaß drei Söhne. Die Söhne liebten ihren Vater, und als der Khan im Alter erblindete und krank und siech wurde, fragten die Söhne: »Vater, sollte es wirklich keine Arznei für deine Augen geben? Gibt es kein Mittel gegen deine Krankheit?«

»Doch«, erwiderte der Khan. »Die Früchte aus einem Zaubergarten würden mir helfen, doch sie sind für uns unerreichbar: Die Herrin der ewigen Jugend bewacht sie.«

Die Söhne beschlossen, sich auf die Suche nach dem Zaubergarten zu begeben. Als erster zog der Älteste aus. Er fütterte sein Pferd, nahm eine zuverlässige Waffe, ritt an seinem Berg, ritt an einem fremden Berg vorbei, ließ ein verschneites Tal hinter sich, dann ein vereistes Tal und begegnete gegen Morgen einem Greis mit schlohweißem Bart, der sich zur Erde hinabbeugte und mit Fäden aus Grashalmen die Risse in dem von der Sonnenglut ausgedörrten Weg zusammennähte. Der älteste Sohn war über diese Beschäftigung so verwundert, dass er sich einer spöttischen Bemerkung nicht zu enthalten vermochte. »Du wirst nähen und nähen und doch nie zu Ende kommen«, sagte er. »Du wirst reiten und reiten und dennoch dein Ziel nicht erreichen«, erwiderte der Greis. Diese Worte erzürnten den Sohn des Khans, und er ritt weiter. Endlich gelangte er in eine Gegend, wo die Milch in Strömen floss und auch im Winter die Weintrauben reiften. Wenn es irgendwo in der Welt einen Zaubergarten gibt, so muss er hier liegen, dachte der Jüngling. Er füllte seine Satteltasche mit all den herrlichen Früchten und kehrte nach Hause zurück. »Was kommst du nicht früh und nicht spät?« fragte der Vater. »Hattest du einen weiten Weg, mein Sohn?«

»Ja, mein Vater«, erwiderte der älteste Sohn. »Ich kam in eine Gegend, wo die Milch in Strömen fließt und mitten im Winter Weintrauben reifen. Wenn es irgendwo in der großen weiten Welt Zaubergärten gibt, so bin ich dort gewesen.« Sprach der Khan: »O weh, mein Sohn, zu diesen Gärten ist es viel weiter. Die Orte, an denen du weiltest, habe ich in jungen Jahren schneller erreicht, als ein Greis brauchte, um in aller Ruhe sein Pfeifchen zu schmauchen.«

Die Reihe kam an den mittleren Sohn. Auch er nahm sich eine zuverlässige Waffe und ein feuriges Ross, ritt über Berge und durch tiefe Täler und begegnete ebenfalls dem Greis, der die Risse im Weg vernähte. »Du wirst nähen und nähen und doch nie zu Ende kommen«, sagte der Jüngling. »Dir wird's ähnlich ergehen«, erwiderte der Greis. Lachend ritt der Sohn des Khans weiter. Er kam an den Ufern vorbei, wo die Milch in Strömen floss, ließ die Erde hinter sich, auf der auch im Winter die Weintrauben reiften, und geriet endlich in eine Gegend, wo sich Berge von Butter auftürmten, wo glutheißer Sandstaub aufwirbelte und man zugleich bis zu den Knien im Morast versank. Dann gelangte er in Gärten, wie es sie wohl nur im Paradies geben mag. Der Jüngling füllte seine Satteltaschen mit den wundervollsten Früchten und kehrte nach Hause zurück. »Was kommst du nicht früh und nicht spät?« fragte der Vater. »Hattest du einen weiten Weg, mein Sohn?«

»Er war wohl weit, mein Vater«, entgegnete der Sohn. »Ich kam durch Gegenden, in denen die Milch in Strömen fließt, die Butter sich zu Bergen türmt, ich war dort, wo mitten im Winter Weintrauben reifen, und dort, wo dicht beieinander Sumpfland liegt und Sandstaub aufwirbelt, und kam schließlich in Gärten, wie es sie wohl nur im Paradies gibt. Wenn es auf der großen weiten Welt einen Zaubergarten gibt, so liegt er dort.« Sprach der Khan: »O weh, mein Sohn, in die Gegend, in der du weiltest, gelangte ich in jungen Jahren schneller, als eine flinke Hausfrau Chinkaly bereitet. Bis zu den Zaubergärten ist es viel, viel weiter.«

Da sagte der jüngste Sohn des Khan: »So will ich ausziehen und den Zaubergarten ausfindig machen.« Er nahm denselben Weg wie seine Brüder, und als er Berge und Schluchten hinter sich hatte, begegnete er dem Greis, der die Risse im Weg nähte. »Kann ich dir vielleicht helfen, Vater?« fragte der Jüngling freundlich. »Danke, mein Sohn, lieber möchte ich dir helfen.«

»Oh, wenn du das könntest!« Der Jüngling war hocherfreut über das Angebot und erzählte dem Alten von seinem Auftrag. Nachdem der Greis ihm aufmerksam zugehört hatte, meinte er: »Deine Aufgabe ist lösbar, nur lasse dir Zeit und sieh dich vor, wenn du etwas Seltsames erblickst.« Dann erzählte der Greis, der Jüngling müsse vorbei an Orten, wo Milch und Honig in Strömen fließen und wo sich die Butter bergehoch türmt, er müsse danach noch einmal so lange reiten, wie er von daheim gebraucht habe, er müsse die Abendsonne grüßen und die Morgensonne erreichen, er müsse vorbeireiten an einem Kristallturm und an einem silbernen Turm, er dürfe erst anhalten vor einem goldenen Turm. Dort würden sich Gärten ausbreiten, in denen die Früchte gedeihen, welche Kranke gesund machen. »Wenn du dich dem eisernen Tor des Gartens näherst«, warnte abschließend der Greis, »hüte dich, es mit den Händen zu berühren! Nimm einen eisernen Stab und stoße mit ihm das Tor auf! Wenn du den Garten betrittst, umwickle deine Füße mit Gras und pflücke die Früchte auf keinen Fall mit den Händen, sondern mit einem am Ende gespaltenen Stock!«

»Hab Dank für deinen Rat, Vater«, erwiderte der Jüngling. Er wünschte dem Greis Gesundheit und setzte seinen Weg fort.

Ob er lange Zeit brauchte oder nicht, der Jüngling kam an den Flüssen vorbei, an den Butterbergen, an den Türmen und stand in der Abenddämmerung vor dem Zaubergarten. Kaum hatte er mit einem eisernen Stab das Tor berührt, taten sich die Torflügel vor ihm auf. »Herrin, erwache! Wir werden mit Eisen gestoßen! Das Eisen ist stärker als wir!«

»Schweigt! Lasst mich schlafen!« Die Herrin des Zaubergartens war unwillig, weil sie in ihrer Ruhe gestört wurde. »Was sollte euch sonst anstoßen, wenn nicht Eisen.« Sie meinte, ein Torflügel habe den anderen angestoßen. Inzwischen hatte der Sohn des Khans seine Füße mit Gras umwickelt und war in den Garten getreten. »Erwache, Herrin!« jammerten die Blumen. »Gras drückt uns nieder.«

»Schweigt! Lasst mich schlafen!« entgegnete die Herrin unwillig. »Was sollte euch sonst niederdrücken, wenn nicht das Gras?« Der Sohn des Khans hatte mittlerweile das Ende eines Steckens gespalten und begann die Früchte zu pflücken. »Erwache, Herrin!« raunten die Früchte. »Es ist wohl ein Zweig, der uns berührt, ein Zweig reißt uns ab.«

»Schweigt und stört mich nicht!« murmelte die Herrin mürrisch. »Was kann euch schon berühren, wenn nicht ein Zweig.«

Nachdem der Sohn des Khans seine Satteltaschen mit den Früchten gefüllt haue, wollte er sich auf den Heimweg begeben. Doch da fuhr ihm durch den Kopf: Warum soll ich, wo ich nun schon einmal hier im Zaubergarten bin, mir nicht auch die Herrin anschauen? Einen einzigen Blick auf sie werfen? Dachte es und betrat den goldenen Turm. Er bekam seinen Mund nicht wieder zu vor Erstaunen. So viel Schönes hatte sein Auge noch nicht geschaut. Es war taghell, und auf festlichen Tafeln standen leckere Speisen und Getränke. Es fehlte an nichts, nicht einmal an Nachtigallenmilch. Der Sohn des Khans griff munter zu und schlenderte weiter. Da gewahrte er die Herrin des Zaubergartens auf ihrem Ruhelager. Sie schlief zwar, doch das Leuchten, das von ihr ausging, tauchte den ganzen Turm in strahlendes Licht. Der Jüngling konnte es sich nicht versagen und küsste das wunderschöne Mägdelein auf die Wange, die die Farbe der zarten Morgenröte trug. Sofort legte sich auf die Stelle, die der Jüngling berührt hatte, schwarze Abenddämmerung. Die Herrin des Zaubergartens erwachte aber nicht, sind die sanften Lippen eines unschuldigen Jünglings für ein Mädchen doch so zart wie Wildblumen fürs Gras. Der Sohn des Khans verlor alle Lust, heimzukehren.

Doch dort wartete der kranke Vater. Und der Jüngling folgte dem Ruf der Pflicht. »Sei gegrüßt, mein Sohn!« sprach der Vater. »Du bist nicht früh gekommen. Anscheinend hattest du einen weiten Weg?«

»Ja, Vater«, sprach sein Sohn und fügte wehmütig hinzu: »Ich war im Zaubergarten. Seine Herrin geht mir nicht mehr aus dem Sinn.«

Unterdessen war die Herrin des Zaubergartens, die gegen Morgen erwachte, an die gedeckte Tafel getreten und bemerkte, dass jemand ihr Essen und ihre Getränke berührt hatte. Sie schaute in den Spiegel und sah die Farbe der Abenddämmerung auf ihrer Wange. Sie fragte den Spiegel: »Sprich, wer war heute Nacht bei uns?« Der Spiegel erzählte es ihr. Da sammelte die Herrin des Zaubergartens ihr Heer und zog an seiner Spitze in das Reich des weisen alten Khans. Sie umzingelte sein Khanat und befahl, dass man ihr den Helden vorführe, der sich erkühnt hatte, die Früchte in ihrem Garten zu pflücken.

Ich werde sagen, dass ich sie als erster gepflückt habe, dachte der älteste der drei Brüder und trat vor die Herrin. »Du also hast die Früchte in meinem Garten gepflückt?« fragte die Herrin. »Ja«, erwiderte der älteste Bruder. »Wie hast du sie gepflückt?«

»Was heißt wie?« Der Jüngling war verwundert. »Mit den Händen natürlich.« Da lachte die Herrin des Zaubergartens. »Geh heim, nicht du warst in meinem Garten.« Nun beschloss der mittlere Bruder, vor die Herrin des Zaubergartens zu treten. Doch ihm erging es wie dem ältesten. Schließlich machte sich der jüngste Bruder auf. »Du also bist der Kühne, der die Früchte in meinem Garten gepflückt hat?« Mit diesen Worten empfing ihn die Herrin des Zaubergartens. »Wer sonst?« entgegnete der Jüngling. »Wie hast du sie gepflückt?« Der Jüngling erzählte, wie er die verzauberten Wächter des Gartens - die Torflügel am Eingang, die Blumen und die Früchte - überlistet hatte.

Da erhob sich die Herrin des Zaubergartens und küsste den Jüngling vor allem Volk dreimal auf die rechte und dreimal auf die linke Wange. »Das ist die Vergeltung«, erklärte sie lachend. »Unser Brauch verlangt es, dass wir uns gestohlenes Gut doppelt und dreifach zurückholen.« Voller Freuden führte der jüngste Sohn des Khans die Herrin des Zaubergartens zu seinem Vater. Sofort wurde es licht im Palast. Die Herrin des Zaubergartens strich zuerst mit den Händen über ihr eigenes Antlitz, das die Farbe der Morgenröte trug, dann über das Gesicht des Greises, und er konnte wieder sehen. Danach strich das schöne Mädchen mit ihren Händen über die Brust des Khans, und die Krankheit floh aus seinem Körper. Der jüngste Sohn des Khans ehelichte die Herrin des Zaubergartens, und sie bekamen Söhne, die dem Vater glichen, und Töchter, die der Mutter glichen, und sie leben in Glück und in Freuden bis zum heutigen Tag.