[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der weiße Wolf

Es war ein König, der hatte drei Töchter: Eine war schön, die andere noch schöner, die dritte aber noch weit schöner - oder: die allerjüngste war auch die allerschönste. Der Vater wollte nach Vilnius fahren, eine Magd zu dingen, die nach dem Rechten sehen, die Schweine füttern, überall ausfegen und saubermachen sollte. Die Jüngste und Schönste sagt: »Vater, ich brauche keine Mägde. Ich werde selbst nach dem Rechten sehen. Wenn Ihr nach Vilnius fahrt, dann bringt mir ein Sträußlein lebendiger Blumen mit.« Und er fuhr nach Vilnius. Der einen kaufte er ein Kleid, der zweiten kaufte er ein kostbares Tuch, doch für die dritte suchte er in der ganzen Stadt, in allen Kramläden - er fand kein Sträußlein lebendiger Blumen. Er fuhr nach Hause durch den Wald. Von zu Hause waren es noch drei oder vier Meilen, da sieht er am Wege einen weißen Wolf sitzen, und auf seinem Kopfe hat er ein Sträußlein lebendiger Blumen. Da gebot der König seinem Kutscher: »Steige aus, nimm das Sträußlein lebendiger Blumen und bringe es mir!« Da hub der Wolf an zu sprechen und sagte: »Mächtiger König, umsonst bekommt man ein Sträußlein lebendiger Blumen nicht!« Der König sagte: »Was begehrst du? Ich werde dich mit Geld überschütten!« Da antwortete der Wolf und sagte: »Dein Geld begehre ich nicht, ich möchte nur das - und das versprich mir! -, dem du zuerst begegnen wirst.« Der König dachte: Mein Schloss ist noch weit, es wird mir wohl ein Tier begegnen, ein Vogel vielleicht, das kann ich versprechen.

Er fuhr aber bis hin zu seinem Schloss, doch nichts war ihm begegnet. Er fuhr auf den Hof - da kam ihm die jüngste Tochter entgegen. Und Vater und Mutter fingen bitterlich an zu weinen. Die Tochter aber sagte: »Vater, Mutter, warum weint ihr so bitterlich?« Sie sagen: »Ach, wir haben dich einem weißen Wolf versprochen. Er wird am dritten Tage auf den Hof kommen, dann musst du mit ihm gehen.«

Am dritten Tage kam der Wolf auf den Hof und pfiff: »Gib mir das Meine, das du mir versprochen hast!« Sie kleideten und schmückten ihm ein Kammermädchen. Da sagte der Wolf: »Setze dich auf meinen Rücken, ich bringe dich zu meinem Hof.« Er trug sie bis zu der Stelle, wo er mit seinem Sträußchen lebendiger Blumen gesessen hatte, und sagte: »Setzen wir uns, und ruhen wir ein wenig aus!« Sie setzten sich, um sich auszuruhen. Da sagte der Wolf: »Was würde dein Vater tun, wenn ihm dieser große Wald gehörte?« Sie sagt: »Mein Vater ist arm - er würde Bäume fallen, Fässer daraus machen und sie verkaufen, dann hätte er immer einen Bissen Brot.« Der Wolf sagte: »Das ist nicht die Richtige. Setze dich auf meinen Rücken - ich werde dich zum Schloss zurückbringen, woher ich dich geholt habe.« Er trug sie zurück und sagte: »Gebt mir die Richtige! Denn wenn ihr sie mir nicht gebt, komme ich mit Ungewitter, werfe alle eure Mauern und Gemächer um, und ihr werdet hier keine Bleibe mehr haben.« Da weinten der Vater und die Mutter. Sie sagten: »Mein Kindlein, geh, wir haben dich doch dem weißen Wolf versprochen.« Sie kleidete sich an, ergriff ihre lebendigen Blumen, band sie zusammen und nahm sie mit.

Da trug sie der weiße Wolf bis zu der Stelle, wo er mit der anderen gesessen hatte. Er sagte: »Setzen wir uns, und ruhen wir uns ein wenig aus!« Dann fragte der weiße Wolf das Fräulein und sagte: »Was würde dein Vater tun, wenn dieser große Wald sein eigen wäre?« Die Jungfer sagt: »Mein Vater würde Bäume fällen, Häuser bauen und Pächter darauf setzen. Mein Vater ist auch jetzt schon reich, doch dann würde er noch reicher sein.« Da sagte er: »Das ist die Richtige. Setze dich auf meinen Rücken, ich bringe dich zu meinem Hof.« Er trug sie durch die großen Wälder zu seinem Hof. Der Hof war von schönen Gebäuden umgeben und gepflastert. Da sagte die Jungfer: »Ein schöner Hof und schöne Gemächer, nur dass mein Vater und meine Mutter fern sind!« Da sagte er: »Nach einem Jahr besuchen wir deine Eltern.«

Als sie jedoch ein halbes Jahr gemeinsam gelebt hatten, kam der weiße Wolf eines Tages nach Hause und sagte: »Mein Herz, mache dich fertig, zur Hochzeit zu reisen. Deine älteste Schwester heiratet. Ich werde dich hintragen. Und wenn ich wiederkomme, um dich abzuholen, dann höre auf niemanden, weder auf Vater noch auf Mutter. Wenn ich pfeife, dann steh auf von Speise und Trank und komm zu mir, denn wenn ich dich dort verlasse, dann findest du allein nicht den Weg zu mir durch die großen Wälder.« Dann trug er sie hin zur Hochzeit, kehrte um und ließ sie dort.

Gegen Abend kam er wieder angelaufen. Er ging mehrmals an den Gemächern entlang und pfiff, und sie stand sofort vom Trinken und Essen auf, ging zu ihm und setzte sich auf seinen Rücken. Er trug sie wieder zu seinem Hof. Gemeinsam verlebten sie die zweite Hälfte des Jahres.

Eines Tages kam der Wolf nach Hause, sprach mit ihr und sagte: »Mein Herz, wir werden zu deinen Eltern zur Hochzeit reisen. Deine mittlere Schwester heiratet. Doch diesmal gehen wir beide und übernachten dort.« Der Wolf war aber ein schöner junger Herr, der nur einen Wolfspetz trug. Sie gingen beide zur Hochzeit und übernachteten dort. Zur Nacht, als alle schlafen gingen, führte man sie in ein kleines Gemach und brachte sie dort zu Bett. Da sah die Königin, dass er das Fell auszog und dass er ein schöner junger Mann war. Rasch gebot sie ihren Küchenmägden, im Ofen Feuer zu machen und den Pelz hineinzuwerfen. Kaum hatten sie das Fell hineingeworfen, da kam der junge Herr auch schon angestürmt. Er jagte wie der Wind durch die Tür, lief hin zu seinem Hof und ließ sie dort zurück. Und sie zog weinend auf allerlei Pfaden durch die weiten Wälder, doch fand sie zu ihm weder Weg noch Steg.

So wanderte sie einen halben Monat umher und kam an eine kleine Hütte mitten im Walde. Sie ging hinein. Da sitzt der Wind und blies. Sie fragt: »O Wind, hast du den weißen Wolf nicht gesehen?«

»Ich habe geblasen Tag und Nacht, vor kurzem erst kam ich nach Hause, doch ich habe nichts gesehen.« Er gab ihr einen Schuh, womit sie mit einem Schritt einhundert Meilen zurücklegen konnte. Sie schritt zu einem Stern und sagte: »Sternlein, hast du nicht den weißen Wolf gesehen?« Er sagt: »Ich habe die liebe lange Nacht hindurch geleuchtet, doch ich habe ihn nicht gesehen.« Er gab ihr einen Schuh, womit sie mit einem Schritt zweihundert Meilen zurücklegen konnte. Sie schritt zum Mond und sagte: »Lieber Mond, hast du nicht den weißen Wolf gesehen?« Er sagt: »Ich habe die lange Nacht hindurch geschienen, vor kurzem erst bin ich nach Hause gekommen, doch ich habe ihn nicht gesehen.« Er gab ihr einen Schuh, womit sie mit einem Schritt vierhundert Meilen zurücklegen konnte.

Sie schritt zur Sonne und sagte: »Liebe Sonne, hast du nicht den weißen Wolf gesehen?« Sie sagt: »Ich habe ihn gesehen, doch dein weißer Wolf schickt sich an, eine andere zu heiraten. Er hat sich schon eine andere Jungfer ausgesucht, und sie dient bei ihm.« Dann sagt sie: »Geh am gläsernen Berg entlang, und du wirst eine Schmiede finden. Lass dir dort Füße und Hände beschlagen und Lass dir eine Kette von vier Klaftern Länge schmieden. Dann klettere auf den Berg und Lass dich in den Hof hinab.« Dann gab ihr die Sonne einen Schuh, womit sie mit einem Schritt fünfhundert Meilen zurücklegen konnte. Sie gab ihr ein Spinnrad: Wenn sie damit Moos spann, war auf der Spule Seide. Sie gab ihr ein Messer: Wenn sie damit in einen verrotteten Baum schnitt, so fielen goldene Späne herab. Sie gab ihr eine Gabel: Wenn sie damit in Holzspäne stach, so waren die Löcher in Gold gefasst.

Da stieg sie auf den Berg. Sie ließ sich in den Hof hinab. Dort nahm man sie an, die Betten zu machen und abzuwaschen. Wenn sie alle ihre Arbeiten verrichtet hatte, setzte sie sich und spann mit ihrem Spinnrad. Doch zeigte sie ihr Gesicht nicht, sie hatte ihren Kopf verhüllt, damit niemand sie erkannte.

Ihr Mann wartete noch bis zum Sonntag, dann sollte die Hochzeit mit der anderen Gemahlin sein.

Als sie so auf ihrem Spinnrad spann, da sagte die andere, die Magd des Herrn, zu ihr: »Liebe Alte, gib mir dieses Spinnrad!« Sie sagt: »Wenn du mich diese Nacht unter dem Bett deines Bräutigams liegen lässt, dann gebe ich dir dieses Spinnrad.« Sie sagt: »Ich erlaube es dir.« Doch sie befahl dem Diener, in die Stadt zu gehen und die stärksten Getränke für den Herrn zu kaufen. Der Diener kaufte für den Herrn Getränke und brachte sie nach Hause. Da gab ihm seine Magd diese starken Getränke zu trinken, brachte ihn zu Bett und ließ das alte Mütterchen die Nacht über unter dem Bett liegen.

Als sie unter das Bett gekrochen war, da erzählte sie ihr Leben von Anfang an: Sie berichtete also, dass sie drei Schwestern waren und sie die jüngste und schönste; wie sie dem weißen Wolf versprochen wurde; wie sie zur Hochzeit gingen, wie sie auf der einen allein war, auf der anderen mit ihm zusammen; wie ihre Mutter den Mägden befohlen hatte, den Pelz zu verbrennen, und wie der junge Herr in vollem Zorn davon gestürmt war wie der Wind und sie allein zurückgelassen hatte; wie sie ihn nun weinend suchen ging - sie war zum Wind gegangen, zum Stern, zum Mond, ging immer weiter und hatte die Sonne gefunden; wie die Sonne gesagt hatte, sie habe ihn gesehen, doch er schicke sich schon an, eine andere zu heiraten; wie sie eine Kette von vier Klaftern schmieden ließ, um auf den gläsernen Berg zu steigen; wie sie sich dann in den Hof hinab gelassen und die zweite Gemahlin ihr erlaubt hatte, unter dem Bett des Bräutigams zu liegen.

Der weiße Wolf aber hörte nichts; nur die Wächter, die des Nachts nicht schliefen, hörten, was sie erzählte. Am anderen Morgen sagten sie dem Herrn: »Hört, was in dieser Nacht die Alte unter Eurem Bett alles erzählt hat.« Da erkannte er, dass das seine erste Frau war, die ihn aufgesucht hatte. Er wartete bis zum Sonntag. Alle Könige kamen zu ihm gefahren.

Er sagte: »Höret nun an, o ihr Könige alle, was ich euch sagen werde. Weil ich von einer Truhe den Schlüssel verloren hatte, ließ ich jetzt einen neuen machen, fand nun aber den alten wieder. Was meint ihr, welcher ist wohl der bessere?« Da sagten die Könige: »Der alte ist immer besser als der neue.« Er sagt: »So ist meine erste Gattin besser als die zweite.« Da ließ er seine Magd rufen und sagte: »Scher dich weg. Meine erste Gattin ist gekommen - ich habe nicht gedacht, dass sie mich so sehnlich suchen und endlich finden würde. So ist sie nun mein, und ich bin der Ihre. Doch du weiche von hier und gehe zu deinem Vater zurück.«