[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Sohn des Blinden

Es war einmal ein Junge, der hatte keine Eltern mehr. Er zog in die Welt hinaus, um jemanden zu suchen, bei dem er unterkommen könnte; denn, wohl oder übel, wenn man tagsüber arbeitet, will man wissen, wo man abends einkehren und das verdiente Geld verwahren kann, sei es, dass man es in einen Tuchzipfel einbindet oder es in ein Stück Vieh oder in sonst einen Besitz umwandelt. Als er eine Weile gegangen war, begegnete er einem Hirten, der Schafe hütete. »Guten Tag, Väterchen, wie geht es dir? Weidest du die Schafe?«

»Danke, mein Junge, es geht ja, ich schlage die Zeit tot, die ich noch zu leben habe, dass Gott erbarm', denn wenn einem das Augenlicht fehlt, hat man gar nichts. Und du, was läufst du in dieser Gegend herum?«

»Die Not treibt mich, Väterchen; ich suche mir einen Herrn; denn sieh', ich habe meine Eltern verloren. Und da habe ich mir gesagt: ich will bei jemandem unterkommen; denn wenn ich ihm auch nicht sehr nützlich sein kann, so doch wenigstens so viel, dass er mir einen Rat gibt, und auch der ist gut, wenn man ihn befolgt.«

»Was für einen Herrn möchtest du denn?« fragte der Alte. »Ganz gleich, nur muss ich sehen, dass er ein rechter Christ ist, denn arbeiten, das kann ich, wenigstens so viel, dass ich mir ein Stückchen Brot bei ihm verdiene.«

»Nun«, seufzte der Alte, »sieh, es wäre keine große Sache, dass du bei mir bleibst; aber, wie gesagt, ich bin blind, und vielleicht gefällt dir das nicht.« Der Junge dachte ein wenig nach und sprach: »Nein, Väterchen, das tut nichts. Du findest schon auch dein Glück. Ich will hier bleiben, denn wir haben beide unsere Not.«

Und von dem Tag an blieb der Junge bei dem Alten, achtete auf seine Worte und hörte auf ihn wie ein rechter Sohn. Ja, nach einer Zeit fing der Junge an, zu dem Hirten »Vater« zu sagen, und der Alte nannte ihn immerzu: »Du mein, kluger und fleißiger Junge.« Er lernte allerlei Dinge, und besonders das Handwerk eines Hirten verstand er bis ins kleinste. Er lernte auch auf der Flöte blasen, so schön, dass ich glaube, keine Engelstimme im Himmel des Herrn hätte ihn da übertroffen; dafür will ich meinen Kopf einsetzen.

Eines Tages sagte der Junge: »Vater, ich gehe mit den Schafen auf eine andere Weide.«

»Geh, mein Junge, aber wohin denn?«

»Auf die Feenwiese, denn dort habe ich wunderschönes Gras gesehen und klares Wasser zum Tränken.«

»Gut, gut, mein Junge, aber zuvor musst du wissen, dass es fremder Grund ist, vor dem musst du dich hüten wie vor dem Feuer; und dazu sage ich dir noch: gesund kommst du von der Feenwiese nicht zurück. Auch ich, mein kluger und fleißiger Sohn, habe wie du gedacht, und sieh', ich bin blind geworden. Kümmere dich um deine Sachen und gib dich mit unserer Weide zufrieden, denn sie ist für unsere Schafe groß genug, und du findest darauf genug Gras.«

Der Junge tat, als ob er auf ihn höre, und brach auf. Er zog sich schön an und nahm auch seine Flöte mit. »Hü! Schäfchen, hü! Zur wunderschönen Wiese der Feen, dort ist das Gras zart und das Wasser klar und genug Schatten zu Mittag. Hü! Hü!«

Und sie kamen dort an; die Schafe fingen an, fröhlich zu weiden, und der Sohn des Hirten begann, auf der Flöte zu blasen.

Welch' herrliche Weisen er blies! Zwar waren alle Weisen schön, die er konnte, aber eine war ohnegleichen. Eine süße Weise, so süß wie eine Honigwabe und wehmütig, du lieber Gott! Wahrhaftig, wenn jemand von Stein gewesen wäre, er wäre dennoch lebendig geworden. So war es! Und am Schluss ging die Weise schön langsam in einen prächtigen Reigen über, und ich sage nur eines: wenn zwei alte Weiblein mit schneeweißem Haar ihn gehört hätten, es wäre ein Wunder gewesen, wenn sie nicht den Spinnrocken sieben Meilen weit weggeworfen und sich an den Händen gefasst hätten!

So war es! Aber was meint ihr jetzt, wenn ich euch sage, dass gerade die Feen, als sie die zuckersüße Weise des Schafhirten hörten, aus ihrem Schloss herauseilten und zu den Schafen gingen, die dort unten am. Berg wie ein weißer Fleck zu sehen waren! Sie kamen tanzend herbei, und der Junge blies immer schöner; und die Feen drehten sieh immer heftiger im Reigen, bis die Flöte des Jungen krach! zersprang.

Ach, erschraken da die Feen und fragten: »Junge, hast du keine andere?«

»Nein, schöne Feen, aber ich mache mir gleich eine.«

Er lief zu einem dicken Baum. Schnell zog er die Axt hervor und, spaltete ihn von unten bis nahe an die Spitze, dann sagte er: »Kommt, Herrinnen, und haltet hier, denn ich steig' hinauf, um die Zweige von oben auseinander zu brechen und sie dann abzuhauen.«

Eilends steckten die Feen ihre schönen Hände in die Baumspalte, aber der Sohn des Schafhirten ließ los, und die Mädchen waren gefangen. Da fingen sie an zu weinen und zu jammern und baten schließlich den schönen Sohn des Blinden, er solle sie freilassen, aber er schüttelte den Kopf und sprach: »Nein und abermals nein! Ich lasse euch von hier nicht weg, hört mich an und glaubt mir, ich lass' euch nicht eher weg, bis ihr mir die Augen meines Vaters zurückbringt, und bis die kleinste von euch als Braut in das Haus meines Vaters einzieht. Dabei bleibt es!«

Wie sehr sich die armen Seelchen auch quälten und krümmten vor Schmerzen, all ihr Flehen war umsonst, denn der Junge stand beiseite und wollte nicht einmal hinschauen.

Die Zeit verging, und die Feen glaubten, vielleicht erbarmt sich der Sohn des Schafhirten doch; aber sie täuschten sich schrecklich. Und als die Sonne schon nicht mehr hoch am Himmel stand, rief der Junge: »Hü! Hü! Meine Schäfchen! Gehen wir nach Haus; morgen kommen wir wieder zur Feenwiese, wo genug Gras und Wasser und Schatten ist!«

Da fingen die Feen an, noch mehr zu weinen, und sie weinten so, dass man hätte glauben können, sie beklagten einen Toten, der ins Grab gesenkt wird; und im Weinen kamen sie mit dem Jungen überein und schlossen Frieden. Die winzig kleine Fee, die so schön war wie ein Tautropfen, wurde freigelassen, damit sie die Augen des Alten bringe und gutes Papier und einen Gänsekiel, um es mit einem Schriftstück zu bekräftigen.

Und sie ging und kam wieder zurück; da nahm der Hirtenjunge die Augen seines Vaters. Darauf setzten sie sich auf den Brunnenkranz, und er schrieb die Worte des Vertrages auf, so wie er es für richtig hielt. Und die junge Fee musste mit Blut aus ihrem Finger unterschreiben, dass sie ihn freiwillig heirate. Und alle unterschrieben sie mit der ins Blut getauchten Feder, danach ließ er sie frei, dass sie auf ihr Schloss gingen. Nur die eine Fee blieb als Braut bei ihrem Liebsten.

Bei diesem Geschäft war die Zeit schon vorüber gegangen, in der die Schafe zum Melken kommen sollten, und der Blinde machte sich Sorgen; aber er wurde schnell wieder froh, als er die Glöckchen läuten hörte. Und er freute sich nicht nur deshalb; denn als er sah, dass er wieder Herr seines Augenlichtes wurde, als er auch seinen Sohn erblickte, mit der schönen Braut zur Seite, wer kann wissen, wie froh der Alte gewesen ist! Ja, ich sage: gut, dass ihn Gott behütet hat, dass er den Verstand nicht verlor. Wie leicht stirbt der Mensch vor großem Ärger, aber Der dort oben im Himmel möge einen auch vor zu großer Freude bewahren!

Sicherlich hat der Jüngling danach seine Fee geheiratet, und es tut mir sehr leid, dass ich euch nun nicht sagen kann, was für eine Hochzeit das war, zu der alle Schafhirten der Welt zusammenkamen, in schöner ländlicher Tracht - die Schafhirten, die sich gut auf so wundersame Dinge verstehen!