[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Rabe

Es war einmal ein König von Dunkelbusch namens Milluccio, welcher die Jagd so leidenschaftlich liebte, dass er die notwendigen Geschäfte der Regierung und seines Hauses vernachlässigte, um der Fährte eines Hasen oder dem Flug einer Drossel nachzugehen. Während er aber diesem Vergnügen auf solche Weise oblag, führte ihn der Zufall eines Tages in einen Wald, welcher aus seinem Erdreich und seinen Bäumen eine dicht gedrängte Schlachtreihe gebildet hatte, damit sie von den Sonnenrossen nicht durchbrochen würde. Dort nun fand der König auf einem schönen Marmorstein einen frisch getöteten Raben, und sobald er dessen purpurrotes Blut über den schneeweißen Stein gespritzt sah, stieß er einen tiefen Seufzer aus und rief: »O Himmel, könnte ich nicht eine so weiße und rote Frau bekommen, wie dieser Stein hier ist, und deren Haare und Augenbrauen so schwarz wären, wie die Federn dieses Raben sind?«

In diesen Gedanken versenkte er sich dergestalt, dass er eine Zeitlang dem Stein glich und eine Marmorstatue zu sein schien, die sich um die Liebe eines anderen Marmors bewarb. Indem er sich nun diesen unseligen Gedanken in den Kopf setzte und ihn ohne Unterlass mit der Speise des Verlangens nährte, wuchs derselbe unversehens von einem Zahnstocher zu einem Balken, von einem Holzapfel zu einem indischen Kürbis, von einer Feuerkieke zu einem Hochofen und von einem Zwerg zu einem Riesen empor, dergestalt, dass er an nichts anderes dachte als an jenes Bild, das in seinem Herzen wie ein Stein in dem andern eingefügt war. Wo er auch die Augen hinwandte, zeigten sie ihm jene Gestalt, die er in der Brust herumtrug, und alles übrige vergessend, hatte er nichts anderes im Kopf als jenen Marmor, so dass sein Bruder Jennariello, der ihn so bleich und entstellt umherschleichen sah, endlich zu ihm sprach: »Was ist denn mit dir vorgegangen, lieber Bruder, dass sich der Schmerz in deinen Augen einquartiert und sich die Verzweiflung unter der verblassten Fahne deines Angesichts hat anwerben lassen? Was ist dir denn zugestoßen? Sprich, öffne deinem Bruder dein Herz.«

Milluccio stieß hierauf ein Gemisch von Worten und Seufzern aus, dankte ihm für sein Anerbieten und sagte, dass er an seiner Liebe nicht zweifle, dass aber seinem Kummer nicht abzuhelfen wäre, da er von einem Stein herkäme, auf den er seine Wünsche ohne Hoffnung auf Frucht gesät hätte; von einem Stein, von dem er nicht einmal einen Pilz von Befriedigung erwarte; von einem Sisyphusstein, den er auf den Berg der Pläne trüge und der, auf dem Gipfel angelangt, husch, wieder hinunterrolle. Endlich aber, nach vielen Bitten, teilte er seinem Bruder alle näheren Umstände seiner unglücklichen Liebe mit, worauf ihn Jennariello, so gut er konnte, tröstete und zu ihm sagte, er solle nur guten Mutes sein und sich seinen traurigen Gedanken nicht zu sehr ergeben; denn er wäre entschlossen, um seinetwillen die Welt so lange zu durchziehen, bis er eine Frau fände, welche das Abbild jenes Steins wäre. Jennariello ließ hierauf sogleich ein großes Schiff rüsten, belud es mit Waren und segelte als Kaufmann gekleidet nach Venedig, dem Spiegel Italiens, dem Sammelplatz aller tugendhaften und gescheiten Menschen und Hauptbuch aller Wunder der Kunst und der Natur, woselbst er sich einen Geleitbrief zur Fahrt nach der Levante ausfertigen ließ und dann nach Kairo unter Segel ging.

Als er nun dort angelangt und in die Stadt gegangen war, sah er einen Mann, der einen sehr schönen Falken trug, welchen Jennariello sogleich kaufte, um ihn seinem Bruder zu bringen, da dieser ein leidenschaftlicher Jäger war. Bald danach begegnete er einem andern Mann mit einem herrlichen Ross, das er gleichfalls kaufte, worauf er sich in ein Wirtshaus begab, um sich von den Mühseligkeiten der Seereise zu erholen.

Am folgenden Morgen aber, um die Zeit, da das Heer der Sterne beim Feuer des Sonnengenerals die Zelte von der Himmelsebene abbricht und sich zurückzieht, fing Jennariello an, die Stadt zu durchwandern, indem er seine Augen wie ein Luchs überall umher warf und alle Frauen, die er auf seinem Wege antraf, betrachtete, um zu sehen, ob er vielleicht auf einem Angesicht von Fleisch eine Ähnlichkeit mit einem Steine wahrnehme. Während er nun so ohne bestimmtes Ziel überall umherging und sich wie ein Dieb, der Furcht vor den Häschern hat, bald da-, bald dorthin wandte, begegnete er einem Bettler, welcher ein ganzes Hospital von Pflastern und eine ganze Trödelbude von Lumpen auf dem Leib hatte und zu ihm sprach: »Was ist dir denn, mein wackrer Mann? Du bist ja so niedergeschlagen.«

»Was nützt es, dir das zu sagen?« versetzte Jennariello. »Es wäre nur verlorene Müh und so gut wie tauben Ohren predigen.«

»Nur sachte, Freund«, erwiderte der Bettler, »wenn Darius nicht einem Stallknecht das, was ihm drückte, erzählt hätte, wäre er nicht Gebieter von Persien geworden. Es will daher nicht viel sagen, wenn du einen Bettler wissen lassest, was du auf dem Herzen hast; denn es ist kein Spänchen so dünn, dass es nicht als Zahnstocher dienen könnte.«

Als Jennariello den Bettler so verständig und überlegt reden hörte, teilte er ihm mit, was ihn in dieses Land geführt hatte, worauf der Bettler erwiderte: »Jetzt sieh nun, mein Sohn, wie man niemand verachten muss; denn wenn ich gleich nur Kehricht bin, so bin ich doch gut genug, das Feld deiner Hoffnungen zu düngen. Gib also wohl Acht, was ich dir jetzt sage. Ich werde nämlich unter dem Vorwand, um Almosen zu bitten, an die Haustür der jungen und schönen Tochter eines Zauberers pochen, dann tue die Augen gehörig auf, sieh sie an, beschaue sie, betrachte sie, begucke sie, miss sie von Kopf zu Fuß; denn du wirst in ihr das Abbild derjenigen finden, die dein Bruder wünscht.« So sprechend, klopfte der Bettler an die Tür eines nicht weit entfernten Hauses, worauf Liviella öffnete und ihm ein Stück Brot zuwarf.

Sobald Jennariello sie erblickte, glaubte er ein Gebilde nach dem ihm von seinem Bruder gegebenen Modell vor sich zu sehen; er gab daher dem Bettler ein reiches Almosen und entließ ihn, er selbst aber kehrte ins Wirtshaus zurück, verkleidete sich dort als Tabulettkrämer, indem er in zwei Kästen die herrlichsten Sachen der Welt mit sich führte, und ging hierauf, seine Waren ausrufend, so lange vor dem Hause Liviellas auf und ab, bis sie ihn hereinrief und all die schönen Krausen, Schleier, Bänder, Flore, Kanten, Spitzen, Halstücher, Kragen, Nadeln, Schminktöpfchen und herrlichen Kopfzieraten, die er mit sich führte, in Augenschein nahm.

Nachdem sie alle seine Sachen immer wieder von neuem betrachtet hatte, sagte sie zu ihm, dass er ihr noch irgend etwas Schönes zeigen sollte, weshalb Jennariello erwiderte: »In diesen beiden Kästen, edle Jungfrau, habe ich nur wohlfeile und gewöhnliche Dinge. Wenn Ihr aber die Gewogenheit besitzen wollet, nach meinem Schiff zu kommen, so würde ich Euch die seltensten Dinge der Welt vorzeigen können; denn dort habe ich Kostbarkeiten, die eines gekrönten Hauptes würdig sind.« Liviella, welche, um der Weibernatur keinen Abbruch zu tun, das gehörige Maß Neugier besaß, versetzte darauf: »Fürwahr, wenn mein Vater nicht eben aus dem Hause wäre, so wollte ich mir wohl einmal einen Spaziergang nach Eurem Schiff erlauben.«

»Desto eher könntet Ihr jetzt hinkommen«, entgegnete Jennariello, »denn er würde Euch vielleicht diese Freude nicht bewilligen, und ich verspreche, Euch Herrlichkeiten zu zeigen, dass Ihr darüber außer Euch geraten werdet; Halsbänder und Ohrgehänge, Kästchen, Putztische und Papparbeiten, mit einem Wort Dinge, dass Ihr vor Staunen die Hände zusammenschlagen sollt.«

Als nun Liviella diese schönen Sachen alle aufzählen hörte, rief sie eine Nachbarin, damit diese sie begleite, und begab sich nach dem Schiff. Kaum aber hatte sie dasselbe bestiegen, so ließ Jennariello, während er sie durch den Anblick der vielen Herrlichkeiten, die er mitgebracht hatte, gefesselt hielt, die Anker lichten und die Segel aufspannen, dergestalt, dass sie, ehe Liviella die Augen von den Waren abzog und wahrnahm, dass sie das Ufer verlassen hatten, sich bereits weit auf hohem Meer befanden.

Kaum jedoch wurde Liviella des ihr gespielten Streichs endlich gewahr, so fing sie an, Olympia in umgekehrtem Sinne zu sein; denn während jene darüber gejammert hatte, dass sie auf einem Felsen zurückgelassen wurde, jammerte Liviella darüber, die Felsen des Ufers zu verlassen. Sobald ihr indes Jennariello sagte, wer er wäre, wohin er sie führe, was für ein Glück sie erwarte und ihr außerdem die Schönheit, die herrlichen Eigenschaften und die Tugenden Milluccios, besonders aber die Liebe schilderte, mit welcher dieser sie empfangen würde, brachte er es endlich so weit, dass sie sich beruhigte, ja sogar den Wind anflehte, sie so schnell als möglich das vollständige Bild des Umrisses, den ihr Jennariello gezeichnet hatte, sehen zu lassen. Indem sie nun so fröhlich weiterschifften, fingen plötzlich die Wellen unter dem Schiff zu murren an, so dass, obwohl sie anfangs nur ganz leise redeten, der Schiffspatron, der diese Art Sprache sehr wohl verstand, ausrief: »Hallo, jeder auf seinen Platz! Es naht ein Sturm, bei dem uns Gott gnädig sein möge.« Kaum waren diese Worte gesprochen, so wurden sie auch schon durch das Pfeifen des Windes bestätigt, und in demselben Augenblick war der Himmel mit Wolken bedeckt, und das Meer fing an, hohl zu gehen. Da nun die Wogen voller Neugier, zu wissen, was sie nichts anginge, ungeladen auf das Verdeck kamen, so schöpfte sie der eine mit einer Wanne in einen Zuber, jener jagte sie mittels einer Pumpe hinaus, und während von den Matrosen, weil es sich de causa propria handelte, der eine auf das Steuer, der andere auf das Segel und der dritte auf das Tauwerk achtete, stieg Jennariello zum Mastkorb empor, um mit einem Fernrohr umherzuspähen, ob er vielleicht Land entdecke, wo sie Zuflucht finden könnten.

Indem er nun aber dabei war, eine Entfernung von fünfzig Meilen mit zwei Spannen Fernrohr zu durchmessen, sah er plötzlich ein Taubenpaar herbei fliegen, welches sich auf eine Segelstange niedersetzte, worauf das Männchen sagte: »Rucke, rucke!« und das Weibchen ihn fragte: »Was hast du denn, mein lieber Mann, dass du so klagst?«

»Dieser arme Prinz«, versetzte der Täuberich, »hat einen Falken gekauft, welcher, kaum in die Hände seines Bruders gelangt, ihm die Augen auskratzen wird, doch brächt' er ihn nicht, weil's ihn tat reuen, oder sollte er ihm Warnung leihen, so würde er zum Marmorstein.«

Hierauf rief jener wieder: »Rucke, rucke!« Und wiederum fragte das Weibchen: »Klagst du noch immer? Ist noch etwas los?«

»Jawohl«, versetzte der Täuberich, »denn er hat auch ein Pferd gekauft, und das erste Mal, wenn sein Bruder darauf wird Reiter sein, so bricht er alsbald Hals und Bein; doch brächt er's nicht, weil's ihn tat reuen, oder sollte er ihm Warnung leihen, so würde er zum Marmorstein!«

Kaum hatte der Täuberich dies gesprochen, so rief er wieder: »Rucke, rucke!«

»Ach Himmel, so viele Rucke-rucke«, sprach die Taube, »was ist denn nun noch los?« Und jener fuhr fort: »Der Prinz bringt seinem Bruder auch eine schöne Frau; aber die erste Nacht, in der sie beieinander schlafen, werden sie beide von einem gräulichen Drachen verschlungen werden; doch brächt er sie nicht, weil's ihn tat reuen, oder sollte er ihm Warnung leihen, so würde er zum Marmorstein!« Noch hatte er diese Worte nicht beendet, so ließ der Sturm nach, und die Unruhe des Meeres sowie das Toben des Windes legten sich.

Aber nun erhob sich in der Brust Jennariellos ein weit größerer Sturm durch das, was er gehört hatte; wohl zwanzigmal wollte er alle jene Dinge in die See werfen, um dem Bruder nicht die Ursache seines Verderbens zu bringen, andererseits aber dachte er an sich selbst und dass die ganze Sache ihn selbst so nahe anging, indem er, wenn er seinem Bruder die Geschenke nicht brächte oder ihn warnte, in einen Marmorstein verwandelt zu werden fürchtete, weshalb er auch beschloss, lieber an das »Nomen proprium« als an das »Apellativum« zu denken, da das Hemd ihm näher war als der Rock.

Indem er nun so in dem Hafen von Dunkelbusch anlangte, fand er den Bruder schon am Ufer, welcher das Schiff hatte zurückkehren sehen und ihn daher voll Hoffnung erwartete. Sobald er daher sah, dass ihm Jennariello diejenige brachte, welche er in seinem Herzen trug, und nach Vergleichung der beiden Gesichter wahrnahm, dass auch nicht der mindeste Unterschied zwischen ihnen bestand, empfand er eine so große Glückseligkeit, dass ihn die zu schwere Bürde der Wonne fast unter ihrer Last erdrückt hätte, und seinen Bruder mit großer Freude umarmend, sprach er: »Was ist das für ein Falke, den du da auf der Faust trägst?« Jennariello versetzte: »Ich habe ihn für dich zum Geschenk gekauft.«

»Wohl kann ich sehen«, entgegnete Milluccio, »dass du mich liebst, da du dir alle Mühe gabst, alle meine Wünsche zu erfüllen, und fürwahr, wenn du mir einen kostbaren Schatz gebracht hättest, so würde er mir nicht so viel Freude gemacht haben wie dieser Falke.« Während er diesen aber in die Hand nehmen wollte, ergriff Jennariello rasch ein großes Messer, das er an der Seite hängen hatte, und hieb dem Vogel den Kopf ab. Als der König dies sah, wurde er von dem größten Erstaunen ergriffen und glaubte, sein Bruder wäre närrisch geworden, dass er eine solch wahnsinnige Handlung begangen hatte; um aber die Freude des Wiedersehens nicht zu trüben, schwieg er still.

Indem er nun hierauf das Pferd erblickte und auf seine Frage, wem es gehöre, vernahm, dass es sein wäre, wandelte ihn das Verlangen an, es einmal zu reiten. Während er sich jedoch die Steigbügel halten ließ, durchschnitt Jennariello schnell mit dem Messer die Beine des Rosses. Dies fuhr dem König gewaltig in die Nase, da er glaubte, dass ihm Jennariello dies zum Ärger getan hätte, und der Kamm fing ihm an zu schwellen; jedoch schien es ihm nicht an der Zeit, seinem Unmut Luft zu machen, um seiner Braut nicht gleich das erste Zusammentreffen zu verbittern.

Von dieser aber verwandte er seine Augen nicht eine Minute lang und drückte ihr fortwährend die Hände.

Hierauf in dem königlichen Palaste angelangt, lud er alle vornehmen Herren und Damen der Stadt zu einem schönen Feste ein, woselbst man in dem Saale eine ganz natürliche Reitschule von Pferden, welche Curbetten und Kreuzvolten machten, nebst einer Anzahl Füllen in Gestalt von Frauen erblickte. Nach Beendigung des Balles aber und nachdem man einem reichlichen Mahl den Garaus gemacht hatte, begab man sich zur Ruhe. Jennariello aber, welcher an nichts anderes dachte, als seinem Bruder das Leben zu retten, verbarg sich hinter dem Bette des Brautpaares, und indem er so bereitstand, die Ankunft des Drachens abzuwarten, erschien plötzlich um Mitternacht ein gräuliches Untier in dem Gemach, welches Flammen aus den Augen und schwarzen Dampf aus dem Rachen spie und durch den Schrecken, den es einflößte, ein guter Makler für Apotheker gewesen wäre und allen ihren Niederschlagpulvern einen raschen Absatz verschafft haben würde.

Kaum erblickte also Jennariello das Ungeheuer, so fing er an, mit einem Damaszenersäbel, den er unterm Mantel trug, auf den Drachen rechts und links los zu hauen, und unter anderem holte er einmal so gewaltig aus, dass er einen Pfosten des Bettes, in dem der König schlief, mittendurch hieb, so dass dieser bei dem Geräusch erwachte und der Drache verschwand. Als nun Milluccio seinen Bruder mit einem Schwert in der Hand dastehen und den Bettpfosten durchgehauen sah, erhob er ein lautes Geschrei und rief: »Heda, holla, Leute! Hilfe, Hilfe! Dieser Verräter von einem Bruder will mich ermorden!« Bei diesem Lärm eilten einige Kammerdiener, welche in dem Vorzimmer schliefen, herbei, so dass der König Jennariello alsbald ergreifen und ins Gefängnis bringen ließ.

Kaum aber öffnete die Sonne am darauf folgenden Morgen ihr Kontor, um den Gläubigern des Tages ihre Lichtforderungen auszuzahlen, so berief Milluccio seine Räte, und nachdem er ihnen den Vorfall mitgeteilt hatte, zu welchem außerdem die bei der Tötung des Falkens und des Rosses an den Tag gelegte böse Absicht, den König zu kränken, hinzutrat, so waren alle der Meinung, dass Jennariello den Tod verdiene. Selbst die Bitten Liviellas vermochten es nicht, das Herz des Königs zu erweichen, welcher vielmehr sagte: »Fürwahr, du liebst mich nicht, Frau, da dir das Leben des Schwagers mehr gilt als das deines Mannes; denn mit deinen eigenen Augen hast du gesehen, wie mich der Meuchelmörder mit einer Klinge, die ein Haar in der Luft gespalten hätte, durchbohren wollte; und wenn die Säule des Bettes für mich nicht zur Säule des Lebens geworden wäre und mich geschützt hätte, wärst du jetzt deines Gemahls beraubt.« Und so sprechend, befahl er, der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen.

Als Jennariello sein Urteil vernahm und dadurch, dass er recht gehandelt hatte, sich in solches Unglück gestürzt sah, wusste er sich weder zu retten noch zu helfen; denn, wenn er nicht sprach, so war es schlimm für ihn, im umgekehrten Fall aber noch schlimmer. Wie er sich auch drehen mochte, war er übel daran und musste fürchten, aus dem Regen in die Traufe zu kommen; denn wenn er schwieg, verlor er den Kopf unter dem Eisen, und wenn er sprach, beschloss er sein Leben in einem Stein. Endlich, nach vielfachen Wechseln seines Entschlusses, blieb er dabei stehen, seinem Bruder alles zu entdecken. Da er durchaus sterben musste, so hielt er es für besser, seinen Bruder von der Wahrheit zu unterrichten und seine Tage zu beenden, nachdem er sich in dessen Augen als unschuldig erwiesen hatte, statt die Wahrheit für sich zu behalten und wie ein Verräter aus der Welt geschafft zu werden. Er ließ daher den König wissen, dass er mit ihm von etwas höchst Wichtigem zu sprechen hätte. Vor ihn geführt, sprach er zuerst von der Liebe, die er stets für seinen Bruder gehabt habe; dann ging er auf die Täuschung über, die er gegen Liviella begangen habe, um dessen Wünsche zu befriedigen, ferner auf das, was er von den Tauben in Bezug auf den Falken vernommen hatte, und dass er, um nicht in einen Marmorstein verwandelt zu werden, ihm denselben zwar brachte, aber, ohne ihm das Geheimnis zu offenbaren, den Vogel tötete (bei welchen Worten Jennariello bereits fühlte, wie seine Beine erstarrten und zu Marmor wurden). Indem er ebenso die Sache vom Pferd berichtete, verwandelte er sich zusehends bis an den Gürtel in Stein und verhärtete sich auf Mitleid erregende Weise, was er zwar unter anderen Umständen mit barem Geld bezahlt haben würde, jetzt aber brach es ihm das Herz. Als er nun zuletzt zu der Erzählung des Kampfes mit dem Drachen kam, blieb er ganz in Stein verwandelt mitten im Saal wie eine Bildsäule stehen, so dass der König bei diesem Anblick die Torheit und das unüberlegte Urteil, das er über seinen so guten und liebevollen Bruder gefällt hatte, verwünschte.

Länger als ein Jahr trauerte er um ihn, indem er stets, wenn er an ihn dachte, Tränen vergoss.

Inzwischen hatte Liviella ein wunderschönes Zwillingspaar von Söhnen bekommen. Als sie einige Monate nachher eines Tages aufs Feld hinaus spazieren gegangen war, der König aber mit den zwei Kleinen mitten im Saale stand und die Bildsäule, das Denkmal seiner Torheit, durch die er sich des Besten aller Menschen beraubt hatte, mit tränenvollen Augen betrachtete, trat plötzlich ein stattlicher Greis ein, dessen Haar ihm auf die Schultern herabwallte und dessen Bart ihm die Brust bedeckte. Dieser verneigte sich vor dem König und sprach zu ihm: »Was gäbest du darum, o König, wenn dein Bruder seine frühere Gestalt wiederbekäme?« Worauf der König versetzte: »Ich gäbe mein Königreich darum.«

»Hier handelt es sich nicht um Dinge«, erwiderte der Greis, »die durch Güter belohnt werden können, sondern da es hier auf ein Leben ankommt, so muss es durch ein anderes Leben bezahlt werden.« Teils nun aus Liebe für Jennariello, teils, weil er sich das Unglück desselben vorwerfen hörte, entgegnete der König: »Glaube mir, ehrwürdiger Greis, dass ich das Leben für das meines Bruders hingeben würde, und wenn er nur den Stein verließe, wäre ich gern zufrieden, selbst statt seiner in denselben eingeschlossen zu werden.« Als der Greis dies vernahm, entgegnete er: »Ohne dass du dein Leben daransetzest, würde das Blut dieser deiner Kinder genügen und, auf die Bildsäule gestrichen, derselben sogleich wieder Leben verleihen.«

Bei diesen Worten versetzte der König: »Kinder werden geschaffen, solange nur die irdene Form dazu vorhanden ist; darum können auch mir andere zuteil werden, einen Bruder aber darf ich nie wieder zu bekommen hoffen.« Nachdem er so gesprochen hatte, opferte er vor einem Bild von Stein die zwei unschuldigen Kinder, und mit dem Blut derselben bestrichen, wurde die Statue sogleich wieder lebendig, worauf sich die beiden Brüder mit unbeschreiblicher Freude umarmten.

Als aber eben die beiden armen Kinder in einen Sarg gelegt wurden und mit aller gebührenden Ehre begraben werden sollten, kehrte die Königin nach Hause zurück. Daher ließ Milluccio seinen Bruder sich verbergen und sagte zu dessen Gemahlin: »Was gäbst du darum, liebe Frau, wenn mein Bruder wieder lebendig würde?«

»Ich gäbe das ganze Königreich darum«, versetzte Liviella; worauf der König weiter fragte: »Würdest du aber wohl das Blut deiner Kinder darum geben?«

»Das freilich nicht«, entgegnete jene, »denn ich könnte nicht so grausam sein, mir mit meinen eigenen Händen die Sterne meiner Augen auszureißen!«

»Weh mir!« rief nun der König aus. »Um meinen Bruder wieder ins Leben zu rufen, habe ich meine Kinder geopfert, und dies war der Preis für das Leben Jennariellos.«

So sprechend, zeigte er ihr die toten Kinder in dem Sarge. Bei diesem entsetzlichen Anblick gebärdete sich die Königin wie wahnsinnig und rief: »O meine Kinder, ihr Stützen meines Lebens, ihr Sterne meines Daseins, ihr Quellen meines Blutes, wer hat die Fenster meiner Sonne so rot angestrichen, wer ohne Erlaubnis des Arztes die Pulsader meines Lebens geöffnet? Weh mir, meine Kinder, meine Kinder, jede Hoffnung für mich ist mit euch vernichtet, jedes Licht verfinstert, jede Freude vergiftet, jede Stütze geraubt, ihr seid vom Schwert durchstochen, ich vom Schmerz durchbohrt; ihr seid in eurem Blut ertrunken, ich ertrinke in meinen Tränen; weh mir, dass ihr, um eurem Oheim das Leben wiederzugeben, eure Mutter getötet habt! O meine Kinder, meine Kinder! Warum antwortet ihr denn nicht eurer Mutter, die euch das Blut in euren Adern gab und es jetzt aus ihren Augen weint? Wohlan, da mir jetzt mein trauriges Geschick die Quellen meiner Glückseligkeit vertrocknet zeigt, so will ich auch nicht länger, meines Schmuckes beraubt, in der Welt leben!«

So klagend, lief sie an ein Fenster, um sich hinauszustürzen. In demselben Augenblick aber kam ihr Vater in einer Wolke durch das nämliche Fenster in den Saal und rief ihr zu: »Halt ein, Liviella! Meine Absicht ist jetzt erreicht, ich habe mich an Jennariello, der in mein Haus kam, um mir meine Tochter zu entführen, dadurch gerächt, dass ich ihn, in einen Stein gesperrt, so lange Monde als Marmorstatue dastehen ließ. Ich habe dich für dein unziemendes Betragen, dass du dich ohne meine Erlaubnis auf ein fremdes Schiff begabst, dadurch gezüchtigt, dass ich dir deine beiden Kinder oder vielmehr deine beiden Juwelen, von ihrem eigenen Vater ermordet, zeigte, habe den König, deinen Gemahl, für das Gelüst einer Frau, das er sich in den Kopf gesetzt hatte, dadurch bestraft, dass ich ihn zuerst zum Richter seines Bruders und dann zum Henker seiner Kinder machte, und auf diese Weise drei Fliegen mit einem Schlage getötet. Da ich euch alle aber nur kratzen und nicht vernichten wollte, so will ich euch jetzt wiederum alles Gift in Zuckerwerk verwandeln; darum sollst du auch deine Kinder und meine Enkel, die jetzt noch schöner sind als früher, wieder an dein Herz drücken. Du aber, Milluccio, als der Gemahl meiner Tochter, komm in meine Arme; denn ich erkenne dich von Stund als meinen Sohn an, so wie ich auch Jennariello sein Vergehen gegen mich verzeihe, indem er alles nur einem so trefflichen Bruder zuliebe getan hat.«

Kaum hatte er geendet, so erschienen die beiden Kinder, die der Großvater gar nicht genug herzen und küssen konnte. Zur allgemeinen Freude kam auch noch Jennariello als dritter Teilnehmer hinzu, welcher nach Erduldung so vieler Leidensstürme jetzt in einem Meere von Glückseligkeit schwamm, obwohl er der erlittenen Gefahren eingedenk war, indem er bedachte, wie töricht sein Bruder gewesen war und wie vorsichtig man sein müsse, um nicht ins Unglück zu stürzen, denn: »Aller Menschen Klugheit ist nur falsch und schief.«