[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Jäger und die Nachtigall

In einer Stadt lebte einst ein Jäger. Nie kehrte er ohne Beute von der Jagd zurück, denn er war ein guter Schütze, und die Einwohner der Stadt achteten ihn. Einmal konnte der Jäger jedoch nichts erlegen. Er dachte: Wenn ich mit leeren Händen heimkehre, werden das alle sehen und aufhören, mich zu achten. Ich will weiterziehen, vielleicht läuft mir irgendein Tier vors Gewehr, sonst schäme ich mich vor den Leuten. So ging der Jäger weiter, als er unvermittelt auf einer Weizenähre eine wunderschöne schlagende Nachtigall bemerkte. Sofort hob der Waidmann sein Gewehr, um zu zielen. Als die Nachtigall den Jäger gewahrte, erschrak sie, brach ihr Lied ab und sagte mit zitternder Stimme: »Nun hat also mein letztes Stündlein geschlagen! He, Jäger, was willst du?«

»Ich will dich erlegen«, entgegnete der Jäger. »Ich weiß, deine Hand zittert nicht. Du hast dein Ziel noch nie verfehlt. Deshalb auch bin ich aus deinem Jagdrevier geflohen. Doch ich bin so klein, und mein Körper ist so mager, dass mein Fleisch dir nicht einmal einen hohlen Zahn füllen und deine Zunge mich nicht einmal spüren wird. Deshalb töte mich nicht. Ich möchte mich bei den Wiesenblumen tummeln, mein Lied singen und die Herzen der Menschen erfreuen.« Der Jäger sagte: »Ach, Nachtigall! Deine Worte klingen zwar schön, aber ich will dich nicht töten, um dich zu verspeisen. Ich bin's gewohnt, mit reicher Beute heimzukehren, und wenn ich in der Stadt nichts vorzuweisen habe, so ist's für mich eine große Schande.«

Da erwiderte die Nachtigall: »Habe Geduld, ich will dir drei Ratschläge erteilen! Danach magst du mich töten.«

»Sprich, Nachtigall, ich will deinen Rat hören.« Und die Nachtigall belehrte ihn: »Glaube nicht, was man nicht glauben kann. Bedaure nicht, was du getan hast. Strecke deine Hand nicht danach aus, was du sowieso nicht erlangen kannst.« Als der Jäger die Worte der Nachtigall vernahm, ließ er sein Gewehr sinken. Ihm gefielen die weisen Ratschläge, und er sagte: »So will ich dein Leben schonen.«

Die Nachtigall flog auf den Zweig eines hohen Baumes und rief: »He, Jägersmann! Ich habe dich belogen. Denn ich fürchte den Tod nicht. Ich habe in meinem Magen einen Edelstein, groß wie ein Gänseei. Er ist so wertvoll, dass sieben Padischahs ihn nicht bezahlen könnten. Ich wollte nur nicht, dass er einem so herzlosen Menschen wie dir in die Hände fällt.« Der Jäger hob sein Gewehr, brachte es in Anschlag, konnte jedoch im dichten Laub die Nachtigall nicht erkennen, obwohl er ihre Stimme vernahm. Da warf er das Gewehr fort und kletterte auf den Baum. Als er seinen Fuß auf einen morschen Zweig stellte, brach er ab, der Jäger stürzte hinab und verletzte sich. Stöhnend rief er die Nachtigall: »Liebste Nachtigall, komm und hilf mir!«

Die Nachtigall flog herbei, ließ sich neben dem Jäger nieder und sprach: »He, Waidmann! Für alle gibt es eine Arznei, doch für dich nicht.«

»Warum für mich nicht?« fragte der Jäger. »Ich gab dir drei Ratschläge, doch keiner hat dir genutzt. Mit Mühe schlucke ich ein Weizenkorn, du aber glaubtest mir, dass ich einen Edelstein im Magen habe, so groß wie ein Gänseei. Ich habe dir gesagt: Bedaure nicht, was du getan hast. Du hast mein Leben geschont, doch als ich dir von dem Edelstein erzählte, hast du es bedauert. Auch den dritten Ratschlag hast du vergessen: Strecke deine Hand nicht danach aus, was du sowieso nicht erlangen kannst. Ich halte mich auf den dünnen Halmen der Ähren, auf schwankenden Zweigen. Du aber bist mir nach auf den Baum geklettert, um mich zu fangen. Nein, ich will dir nicht helfen, dummer Jäger. Für alle auf der Welt gibt es eine Arznei, doch für dich nicht!«