[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der gerechte Müller

Mullah Magomed-Gadshi ging das Mehl zu Ende. Es war Winter, und es war grimmig kalt. Im Wehr hatte sich nur wenig Wasser gestaut, und vor der Mühle standen in langer Schlange die Wartenden. Die Frau des Mullah riet ihrem Mann: »Geh du zur Mühle! Du bist ein würdiger, geachteter Mann im Aul, da wird der Müller es nicht wagen, dich warten zu lassen.« Der Mullah belud also seinen Esel mit einem Sack Weizen und machte sich auf zur Mühle. Unterwegs traf er den Müller, der nach Hause zum Mittagessen ging. Ehrerbietig entbot er dem Mullah seinen Gruß. Jener dankte herablassend und bat den Müller, seinen Weizen behänd zu mahlen. Er, der Mullah, könne nicht so lange stehen. »Selbstverständlich bin ich bereit, dir den Weizen sofort zu mahlen. Mir ist es einerlei. Doch die Leute, die schon so lange warten, werden damit nicht einverstanden sein«, gab der Müller zu bedenken. Der Mullah brauste auf, beschimpfte den Müller, drohte ihm mit Allahs Zorn und Schloss mit den Worten: »Wenn du meinen Weizen nicht zuerst mahlst, will ich zu Allah beten und ihn bitten, das Wasser im Mühlwerk einfrieren zu lassen, auf dass deine Mühle nicht mehr mahlen kann.«

Erwiderte der Müller: »Ach, Mullah, ist's da nicht einfacher, Allah zu bitten, dir dein Getreide in Mehl zu verwandeln?« Verdrossen biss sich der Mullah auf die Lippen, wendete seinen Esel und begab sich heim.