[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der dankbare Königssohn

Einst hatte sich ein König in einem tiefen Walde verirrt und konnte, soviel er auch suchte, nicht den Rückweg finden, obwohl er schon kreuz und quer umhergeirrt war. Da trat ein fremder Mann zu ihm und sagte: »Was suchst du, Brüderchen, in diesem dunklen Wald, in dem nur schreckliche Tiere hausen?« Der König erwiderte: »Ich habe mich verirrt, und nun suche ich den Heimweg.«

»Wenn du mir versprichst, das zu geben, was dir als erstes auf deinem Hof entgegenläuft, so will ich dir den Weg weisen«, sagte der Fremde. Der König dachte eine Weile tief nach und sprach dann: »Warum sollte ich meinen besten Jagdhund verlieren? Ich werde schon selbst aus dem Walde herausfinden.« Der Fremde ging seines Weges, aber der König irrte noch drei Tage lang im dichten Wald umher, bis er nichts mehr zu essen hatte, und doch konnte er den verschwundenen Pfad nicht wieder finden, der ihn heimgeführt hätte.

Da trat der fremde Mann das zweite Mal zu ihm und sagte: »Versprich mir zu geben, was dir auf deinem Hof als erstes entgegenläuft!« Doch der König wollte nicht und versprach dem Fremden auch diesmal nichts. Traurig und böse irrte er wieder im Wald umher, bis er erschöpft an einem Baum niedersank. Da kam der fremde Mann zum dritten Mal zum König und sagte: »Sei doch nicht dumm! Was kann ein Hund dir schon bedeuten, dass du ihn für dein Leben nicht hergeben willst? Versprich mir, was ich bat, und du sollst mit dem Leben davonkommen!«

»Mein Leben ist mehr wert als das von tausend Hunden!« antwortete der König. »Ein ganzes Königreich mitsamt dem Volk hängt daran. Es sei denn, ich werde deinen Wunsch erfüllen, führe mich heim.«

Kaum hatten diese Worte seine Lippen berührt, da fand er sich auf einer Lichtung am Waldesrande wieder, von wo auch sein Schloss schon zu sehen war. Er schritt drauf zu, und das erste, was ihm am Tor begegnete, war die Amme mit seinem Kind auf dem Arm, das dem Vater die Hände entgegenstreckte. Der König war sehr erschrocken, er schimpfte mit der Amme und befahl, das Kind sofort wegzubringen. Sein treuer Hund kam ebenfalls schwanzwedelnd angelaufen, jedoch gab der König ihm für seine Treue nur einen derben Fußtritt. Als sich der Zorn des Königs etwas gelegt hatte, ließ der König sein Kind, einen schönen Jungen, gegen die Tochter eines armen Bauern tauschen. So wuchs der Sohn des Königs auf dem Hof armer Leute auf, während die Tochter des Bauern in der königlichen Wiege auf Seidenkissen schlief.

Nach einem Jahr kam der fremde Böse seinen Lohn fordern und nahm das kleine Mädchen mit, denn von dem Tausch hatte er nichts erfahren und dachte, es wäre wirklich das Kind des Königs. Der König aber war höchst erfreut, dass seine List so trefflich geglückt war. Er ließ ein riesiges Fest feiern und beschenkte die Eltern des kleinen Mädchens reichlich, so dass es seinem Sohn in der Hütte an nichts fehlte. Er traute sich aber noch nicht, den Sohn zu sich zurückzuholen, denn er befürchtete, seine List könnte dadurch ans Tageslicht kommen.

Inzwischen war der Königssohn zum Jüngling herangewachsen und lebte bei seinen neuen Eltern in Freude und Ehren, worüber er aber sehr unglücklich war. Denn als er hörte, wie er gerettet worden war, wurde er traurig darüber, dass ein unschuldiges Mädchen das büßen musste, was sein Vater leichten Sinnes verschuldet hatte. So schwor er, das arme Mädchen zu retten oder mit ihr gemeinsam zugrunde zu gehen. Es bedrückte seine Seele, auf Kosten der Jungfer König zu sein.

Da legte er sich eines Tages heimlich Bauernkleider an, lud sich einen Sack mit Erbsen auf den Buckel und suchte den tiefen, dunklen Wald auf, wo sein Vater sich vor achtzehn Jahren verirrt hatte. Im tiefen Wald angelangt, rief er mit klagender Stimme: »Oh, ich armer Wicht! Wie habe ich mich doch verirrt! Wer könnte mir den Weg aus dem Walde weisen?«

Nach einer Weile kam ein fremder Mann zu ihm, mit langem, grauem Bart und einem Lederranzen am Gürtel, grüßte freundlich und sagte: »Ich kenne mich in dieser Gegend hier gut aus und kann Euch, wenn Ihr mir guten Lohn versprecht, führen, wohin das Herz begehrt.«

»Was kann ich armer Mann Euch schon versprechen«, erwiderte der schlaue Königssohn. »Ich bin von niederer Herkunft und habe nichts bei mir, denn die Sachen, die ich trage, gehören meinen Brotgebern, denen ich für Nahrung und Kleider diene.«

Der Fremde bemerkte den Erbsensack auf seinem Rücken und meinte: »Ein bisschen Hab und Gut besitzt Ihr ja. Der Sack dort auf Eurem Rücken scheint recht schwer zu sein!«

»Im Sack sind Erbsen«, erwiderte der Jüngling. »Meine alte Tante hat ihn mir geschenkt. Um auf kürzerem Wege heimzukommen, wählte ich den Pfad geradeaus durch diesen Wald, und wie Ihr nun seht, habe ich ihn verfehlt.«

»Du bist also ein Waisenkind, wenn ich recht gehört habe«, sagte der fremde Mann mit einem boshaften Lächeln. »Möchtest du nicht in meine Dienste treten? Ich suche gerade einen flinken Knecht für meine kleine Wirtschaft, und du bist ganz nach meinem Sinn.«

»Warum auch nicht, wenn wir uns einig werden«, antwortete der Königssohn. »Als Knecht bin ich geboren, und fremdes Brot schmeckt überall gleichsam bitter, deshalb ist es mir einerlei, wo ich arbeite. Was versprecht Ihr mir als Jahreslohn?«

»Na«, meinte der Fremde, »jeden Tag reichlich zu essen, zweimal in der Woche gibt's Fleisch, arbeitest du außer Hause, gibt es auch Butter zum Brot, Sommer- und Winterkleider sowie ein Stück eigenes Ackerland.«

»Also abgemacht«, sagte der schlaue Königssohn. »Ich will mit Euch gehen.«

Der fremde Böse schien mit dem abgeschlossenen Handel recht zufrieden zu sein, er drehte sich auf der Ferse im Kreise herum und trällerte, dass es im Wald widerhallte.

Nach einer Weile machte er sich mit seinem neuen Knecht auf den Heimweg, wobei er dem Jüngling mit süßen Worten um den Bart ging, dabei aber nicht bemerkte, wie jener alle zehn bis fünfzehn Schritte hinterm Rücken eine Erbse fallen ließ. In der Nacht schliefen die beiden unter einer schattigen Fichte, um am nächsten Tag ihren Weg fortzusetzen, bis sie bei Sonnenuntergang zu einem großen Stein gelangten. Dort blieb der Alte stehen, blickte scharf in alle Richtungen um sich, pfiff plötzlich laut und stampfte dreimal mit der Ferse auf den Erdboden. Da öffnete sich unter dem Stein ebenso plötzlich ein geheimes Tor, das einen Eingang zu einer Höhle verbarg. Nun ergriff der böse Mann den Jüngling beim Arm und befahl mit lauter Stimme: »Folge mir!« Sogleich umgab die beiden stockfinstere Dunkelheit, und dem Königssohn schien, als führte der Weg sie immer tiefer in die Erde hinein. Es dauerte eine ganze Weile, bis wieder etwas Licht zu schimmern begann, doch dieses Licht war weder mit dem der Sonne noch mit dem des Mondes zu vergleichen. Ängstlich blickte der Königssohn empor, konnte aber weder Himmel noch Sonne sehen. Eine strahlende Nebelwolke schwebte zu ihren Köpfen und schien alles ringsumher zu verdecken, und das, was zu sehen war, wirkte äußerst sonderbar.

Der Erdboden und das Wasser, die Bäume und Pflanzen, die Tiere und die Vögel, alles erschien anders, als der Königssohn es bisher gesehen hatte. Am meisten befremdend aber war die sonderbare Stille ringsumher, denn er hörte kein einziges Geräusch. Ringsumher war es so still, dass er nicht einmal seine eigenen Schritte vernehmen konnte. Hier und dort waren auf den Zweigen Vögel zu sehen, die die Hälse streckten, doch kein einziger Laut entrang sich ihren Schnäbeln. Die Hunde rissen die Mäuler auf, als wollten sie bellen, die Ochsen hoben die Köpfe, als wollten sie muhen, doch weder Bellen noch Muhen war zu hören. Das Wasser floss ohne Rauschen über die Steine des flachen Grundes, der Wind bog die Wipfel der Bäume, aber das Rauschen dessen war nicht zu hören. Fliegen und Käfer flogen ohne Summen dahin. Der alte Böse sagte kein Wort, und wenn der Jüngling von Zeit zu Zeit etwas zu sagen gedachte, bemerkte er, dass die Worte ihm auf den Lippen erstarben.

So waren sie lange in dieser stillen Welt vorangeschritten, als dem Königssohn vor lauter Furcht das Herz stehen zu bleiben drohte, das Haar ihm zu Berge stieg und die kalte Angst seine Glieder erzittern ließ, da hörte er schließlich das erste Geräusch, welches dieses schattenhafte Leben wahrhaftig zu beleben schien. Es war, als wäre eine große Pferdeherde durchs Moor gebrochen. Der alte Böse öffnete den Mund, schnalzte mit der Zunge und sagte: »Der Breikessel kocht, wir werden zu Hause erwartet!« Wieder waren sie ein gutes Stückchen weiter geschritten, als der Königssohn das Gepolter eines Sägewerkes hörte. Der Alte sagte: »Die Alte schläft schon und schnarcht.«

Als sie darauf auf einen Hügel gelangten, sah der Königssohn in einiger Entfernung das Gehöft seines Herrn. Es waren so viele Gebäude, dass man es eher für ein Dorf als für den Wohnsitz einer einzigen Familie halten konnte. Schließlich kamen sie an und blieben am Tor vor einer leeren Hundehütte stehen. »Kriech hinein«, befahl der fremde Böse barsch, »und verhalte dich still, bis ich mit der Alten wegen dir gesprochen habe. Sie ist ziemlich eigensinnig und kann fremde Leute im Hause nicht ausstehen.«

Zitternd kroch der Königssohn in die Hundehütte, und es tat ihm schon leid, dass er mit diesem bösen Mann mitgegangen war. Es dauerte eine geraume Zeit, bis der Alte zurückkam, ihn aus dem Versteck hervorkommen hieß und grimmig sagte: »Höre zu auf das Gesetz des Hauses, und hüte dich, dagegen zu verstoßen, sonst könnte es dir übel ergehen: Halte Ohr und Auge offen
doch den Mund stets fest verschlossen.
Führe aus, was dir geheißen,
doch behalte stets im Sinn:
eine Antwort nur dem Fragenden!«
Als der Königssohn über die Schwelle trat, erblickte er ein sehr schönes Mädchen mit leuchtenden Augen und lockigem Haar. Da dachte er im Stillen, dass er solch hübsches Mädchen noch nie gesehen hatte. Das hübsche Mädchen richtete den Tisch her, verlor kein einziges Wort, stellte das Abendessen darauf und setzte sich dann leise an den Herd, als hätte es den Fremden überhaupt nicht bemerkt. Dort nahm es die Stricknadeln zur Hand und begann, Socken zu stricken. Der alte Böse setzte sich allein an den Tisch und kümmerte sich weder um den Knecht noch um das Mädchen. Auch die Alte war nirgends zu sehen. Der Alte aber schien einen unermesslichen Appetit zu haben. In kurzer Zeit verschlang er alles, was auf dem Tisch stand und wovon sich mindestens zehn Leute hätten satt essen können. Schließlich sagte er zu dem Mädchen: »Kratze nun die Kessel aus, es wird für euch noch reichen. Die Knochen wirf dem Hund vor!«

Der Königssohn zog ein schiefes Gesicht, weil er mit dem Mädchen und dem Hund noch den Rest teilen sollte. Alsbald aber hellte sich sein Gesicht auf, als er sah, dass er doch noch eine recht stattliche Portion bekam. Beim Essen spähte er heimlich unverwandt zum Mädchen hin, und er hätte alles dafür hingegeben, um mit dem Mädchen auch nur ein einziges Wort zu wechseln. Sobald er jedoch den Mund auftun wollte, blickte ihn das Mädchen ängstlich an, als wollte es sagen: »Sag, bitte, nichts!« Deshalb versuchte der Königssohn mit den Augen zu sprechen und zeigte ihr seinen Appetit, denn was das Mädchen gekocht hatte, schmeckte vortrefflich, und es sollte sie nun freuen, dass es dem Fremden so gut schmeckte.

Nach dem Abendbrot sagte der Alte zum Königssohn: »Zwei Tage kannst du dich ausruhen und dich im Hause umschauen. Übermorgen Abend aber sollst du zu mir kommen, damit ich dir die Arbeit für den nächsten Tag zuteilen kann, denn das Gesinde muss stets früher auf den Beinen sein als ich selbst. Das Mädchen wird dir dein Nachtlager weisen.« Der Königssohn hob an zu sprechen, doch der alte Böse fiel wie eine Gewitterwolke über ihn her und herrschte ihn an: »Du Knecht! Vergehst du dich gegen die Hausordnung, wirst du gleich deinen Kopf verlieren. Halte deinen Mund und leg dich schlafen!«

Das Mädchen gab ihm mit dem Finger einen Wink, öffnete die Tür und gab dem Königssohn zu verstehen, er möge in die Kammer treten. Dem Königssohn schien, als hätte er in den Augen des Mädchens eine Träne bemerkt, und gern hätte er noch ein Weilchen auf der Schwelle verweilt, doch er fürchtete sich vor dem Alten und trat ein.

Dieses hübsche Mädchen kann nie und nimmer die Tochter des alten Bösen sein, dachte der Königssohn, denn sie hat ein zu gutes Herz. Vielleicht ist es dasselbe arme Mädchen, das man an meiner Stelle hergeschickt hat und deswegen ich diesen wagehalsigen Weg unternommen habe. Es war schon ziemlich spät in der Nacht, als er endlich auf seinem Lager einschlief, geplagt von Angst einflößenden Träumen. Im Traum begegnete er vielen Gefahren, denen er nicht zu entkommen vermochte, und immer war es das schöne Mädchen, das ihm zu Hilfe eilte.

Als er am nächsten Morgen erwachte, war sein erster Gedanke, alles so zu tun, wie er es den Augen des schweigenden Mädchens ablesen konnte. Er fand das flinke Mädchen schon bei der Arbeit, half vom Brunnen Wasser holen, hackte Holz, schürte das Feuer unterm Herd und ging dem Mädchen zur Hand. Am Nachmittag ging er auf den Hof, um sich auch dort umzuschauen, und es wunderte ihn sehr, dass er die Alte nirgends erblicken konnte. Im Stall fand er ein weißes Pferd, eine schwarze Kuh mit einem Kalb, das einen weißen Kopf hatte, in den anderen Ställen schienen den Stimmen nach Gänse, Enten, Hühner und anderes Federvieh zu sein. Doch waren diese Ställe verschlossen. Das zweite Morgenbrot und das Mittagsbrot waren ebenso schmackhaft zubereitet wie am vorigen Abend, und der Königssohn wäre mit seiner Lage recht zufrieden gewesen, wenn das Sprechverbot ihm in Gesellschaft des Mädchens nicht so schwer gefallen wäre.

Am Abend des zweiten Tages ging der Königssohn zum Alten, um zu hören, welche Arbeit er zu verrichten hätte. Der böse Mann sagte: »Morgen hast du eine leichte Arbeit. Nimm die Sense und mähe für das weiße Pferd soviel Futter, wie es für den Tag braucht, und fahre den Mist aus. Sollte ich die Krippe leer vorfinden oder den Mist noch im Stall, wird es dir übel ergehen. Hüte dich davor!«

Der Königssohn freute sich im Stillen: »Mit dem bisschen werde ich schon fertig werden. Ich habe zwar bis heute noch nie eine Sense zur Hand genommen, aber ich habe öfter gesehen, wie leicht die Landleute damit umgingen. Und an Kraft fehlt es mir nicht.«

Als er sich gerade zur Ruhe legen wollte, kam das Mädchen heimlich und leise zu ihm geschlichen und fragte flüsternd: »Was für eine Arbeit hat man dir gegeben?«

»Morgen hab ich eine leichte Arbeit«, entgegnete der Königssohn. »Ich muss für das Pferd Futter mähen und den Mist ausfahren, das ist alles.«

»Oh, du armes Geschöpf!« seufzte das Mädchen. »Wie solltest du damit zurechtkommen? Das Pferd, die Großmutter des Alten, ist ein unersättliches gefräßiges Tier, für das auch zwanzig Mäher kaum das Futter zu mähen schaffen, und zehn weitere hätten zu tun, um den Mist auszufahren. Wie willst du allein mit all dem fertig werden? Höre aber meinen Rat an, und behalte alles genau! Hast du dem Pferd einiges Futter vorgeschüttet, musst du aus Weidenzweigen einen festen Reifen winden und aus hartem Holz einen Keil schnitzen, so dass das Pferd dich bei deiner Arbeit beobachten kann. Es wird dich dann gleich fragen, wozu du diese Dinge brauchst, und du musst ihm antworten: ›Mit diesem Reifen werde ich dir das Maul zubinden, wenn du mehr fressen solltest, als ich dir vorwerfe, und mit diesem Keil werde ich dir das Loch hinten verkeilen, solltest du mehr fallen lassen, als ich Lust hätte, aus dem Stall zu fahren.‹« Mit diesen Worten schlich sich das Mädchen ebenso heimlich davon, wie es gekommen war, und der Jüngling hatte nicht einmal Zeit, sich zu bedanken. In Gedanken wiederholte er noch einmal die Worte der Jungfer, damit er nichts davon vergesse, und dann schlief er ein.

Früh am Morgen des nächsten Tages machte er sich an die Arbeit. Flink ließ er die Sense sausen und sah mit Freuden, dass er nach einer Weile schon soviel geschafft hatte, dass er den Rechen zur Hand nehmen konnte. Als er das erste Futter dem Pferd vorgeworfen hatte und bald mit dem zweiten im Stall erschien, sah er mit Schrecken, dass die Krippe leer war und auf dem Boden schon eine reichlich halbe Fuhre Mist lag. Nun sah er, dass er ohne den Rat des Mädchens verloren gewesen wäre, darum wollte er ihn unverzüglich befolgen.

Als er nun dabei war, den Reifen zu drehen, wandte sich das Pferd zu ihm um und fragte: »Söhnchen, was gedenkst du mit dem Reifen zu tun?«

»Nichts Besonderes«, erwiderte der Königssohn, »ich werde den Reifen fertigwinden, damit ich dir dein Maul zubinden kann.« Das weiße Pferd seufzte daraufhin tief und hörte sofort auf zu kauen. Der Jüngling fegte den Stallboden sauber und begann dann, den Keil zu schnitzen. »Was willst du mit dem Keil machen?« fragte das Pferd wieder. »Nichts Besonderes«, erwiderte der Königssohn. »Daraus wird ein Pfropfen, damit ich dir hinten dein Loch verstopfen kann.« Wiederum seufzte das Pferd tief und schien verstanden zu haben, denn die Mittagszeit war längst vorbei, in der Krippe lag aber immer noch genug Futter und der Stallboden war sauber wie zuvor.

Da kam der Alte nachschauen, und als er sah, dass im Stall volle Ordnung herrschte, fragte er erstaunt: »Bist du selbst so schlau, oder hast du schlaue Ratgeber?« Der pfiffige Königssohn antwortete schnell: »Ich habe weiter niemanden, als meinen schwachen Kopf.« Der Alte trat böse brummelnd aus dem Stall.

Am Abend sagte der Alte: »Morgen reicht die Arbeit nicht für den ganzen Tag, das Mädchen hat im Haus zu tun, deshalb musst du die schwarze Kuh melken. Sieh zu, dass kein Tropfen Milch im Euter bleibt, andernfalls könnte es dich das Leben kosten.« Der Königssohn ging und dachte bei sich: »Wenn da nicht wieder eine List dahinter steckt!« Als er sich gerade zur Ruhe legen wollte, kam das Mädchen zu ihm und fragte: »Was für eine Arbeit hat man dir für morgen gegeben?«

»Morgen ist nichts weiter zu tun, als die schwarze Kuh zu melken, so dass kein Tropfen Milch im Euter bleibt«, erwiderte der Königssohn. »Oh du unglückliches Geschöpf! Wie willst du es vollbringen«, seufzte das Mädchen. »Du solltest wissen, lieber fremder Jüngling, dass du, wenn du die Kuh auch vom frühen Morgen bis zum späten Abend melken würdest, das Euter nie leer kriegst. Es fließt immer neue Milch wie aus einem Quell hinzu. Nun sehe ich, dass der Alte dein Verderben wünscht. Mach dir aber keine Sorgen, denn solange ich lebe, soll dir kein Haar gekrümmt werden. Höre gut zu und führe genau aus, was ich dich lehre, so wird alles gut ausgehen. Wenn du melken gehst, nimm eine Pfanne voller heißer Kohlen und ein Schmiedeeisen mit. Bist du im Stall, so lege das Eisen auf die Kohlen und blase sie zu kräftiger Glut. Fragt dich die schwarze Kuh, wozu du das machst, so antworte ihr, was ich dir nun leise ins Ohr flüstere.«

Das Mädchen flüsterte ihm nun ein paar Worte ins Ohr und ging dann leise auf Zehenspitzen davon, so wie es gekommen war. Der Königssohn aber legte sich auf sein Lager zur Ruhe.

Beim ersten Morgengrauen stand er auf, nahm den Eimer und die Kohlenpfanne mit dem Schmiedeeisen und ging in den Stall. Hier tat er so, wie das Mädchen ihm geheißen. Die schwarze Kuh schaute ihm ein Weilchen misstrauisch zu und fragte dann: »Was machst du da, Söhnchen?«

»Nichts weiter«, war die Antwort des Jünglings. »Ich werde das Schmiedeeisen erhitzen, denn manche Kuh hat die dumme Angewohnheit, nach dem Melken Milch im Euter zu behalten. Da weiß ich mir keinen besseren Rat!« Die schwarze Kuh seufzte aus tiefstem Herzen und schielte ängstlich zum Jüngling hin. Der Königssohn nahm den Melkeimer, melkte die Kuh, und als er nach einer Weile nachschaute, kam kein Tropfen mehr aus dem Euter.

Etwas später kam auch der Alte in den Stall, drückte ein paar Mal die Zitzen, und als daraus keine Milch mehr kam, fragte er finster: »Bist du selbst so schlau, oder hast du schlaue Ratgeber?« Der Königssohn erwiderte: »Ich habe weiter niemanden, als meinen schwachen Kopf.« Der Alte ging schlechter Laune seines Weges.

Als der Königssohn am Abend zu ihm ging, um nach Arbeit für den nächsten Tag zu fragen, sagte der Alte: »Ich habe auf der Wiese noch einen Haufen Heu stehen, das bei trockenem Wetter eingefahren werden müsste. Du kannst es morgen tun, sieh aber zu, dass kein Hälmchen liegen bleibt, es könnte dich dein Leben kosten.« Freudigen Sinnes ging der Königssohn hinaus und dachte: »Das Heueinfahren ist eine leichte Arbeit, ich brauche es nur aufzuladen, das Pferd wird es schon nach Hause fahren. Die Großmutter des alten Bösen soll es nicht zu leicht haben.«

Am Abend kam wieder das Mädchen heimlich zu ihm und fragte nach der Arbeit des nächsten Tages. Der Königssohn aber sagte lachend: »Morgen soll ich Heu einfahren und sehen, dass kein Hälmchen liegen bleibt. Das wäre meine ganze Tagesarbeit.«

»Oh du unglückliches Geschöpf«, seufzte das Mädchen. »Du wirst es nie schaffen, würdest du auch ein Dorf voller Leute zu Hilfe rufen. Denn was oben weg gehoben wird, wächst von unten wieder dazu. Höre gut zu, was ich dir sage. Du musst morgen vor Morgengrauen aufstehen, aus dem Stall das weiße Pferd und einen starken Strick nehmen, dann zum Heuschober gehen und das weiße Pferd mit dem Strick vor den Schober spannen. Hast du es getan, klettere auf den Schober und beginne zu zählen - eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs und immer so weiter. Das Pferd fragt dich sogleich, was du da zählst, und du musst sagen, was ich dir nun ins Ohr flüstere.«

Als das Mädchen es ihm ins Ohr geflüstert hatte, war es im Handumdrehen aus der Kammer verschwunden. Der Königssohn aber ging schlafen.

Als er am nächsten Morgen erwachte, nahm er einen festen Strick, eilte in den Stall, holte das weiße Pferd heraus, schwang sich auf dessen Rücken und ritt zum Schober, der mindestens fünfzig Mal so groß war als er gedacht hatte. Der Königssohn befolgte den Rat des Mädchens in allen Stücken, und als er auf dem Schober von eins bis zwanzig gezählt hatte, fragte das Pferd verwundert: »Was zählst du da, Söhnchen?«

»Nichts weiter«, war die Antwort. »Ich zähle zum Zeitvertreib die Wölfe dort am Waldesrand, es sind aber so viele, dass ich sie nicht zählen kann.« Sobald aus dem Munde des Königssohnes das Wort »Wölfe« fiel, lief das weiße Pferd davon und war einige Augenblicke später mitsamt dem Schober daheim. Der Alte konnte sich nicht genug wundern, als er schon am frühen Vormittag sah, dass der Knecht mit seiner Tagesarbeit fertig war. »Bist du selbst so schlau, oder hast du schlaue Ratgeber?« fragte der Alte, worauf der Königssohn erwiderte: »Habe weiter niemanden, als meinen schwachen Kopf.« Fluchend und mit dem Kopf schüttelnd, ging der Alte seines Weges.

Als es dämmerte am Abend, ging der Königssohn wiederum nach der Arbeit für den nächsten Tag fragen. Der Alte sagte: »Morgen sollst du das Kalb mit dem weißen Kopf hüten. Sieh aber zu, dass es nicht in den Wald läuft, es könnte dir das Leben kosten.«

Als er sich gerade zur Ruhe legen wollte, kam das Mädchen heimlich zu ihm in die Kammer und fragte nach der Arbeit für den nächsten Tag. Der Königssohn sagte: »Morgen muss ich das weißköpfige Kälblein hüten.«

»Oh du unglückliches Geschöpf«, seufzte das Mädchen, »das wirst du nie schaffen, denn das Kälblein ist ungeheuer lauflustig, so dass es an einem Tag dreimal um die ganze Welt laufen könnte. Höre gut zu, was ich dich lehre: Nimm diesen Seidenfaden und binde ein Ende an den linken Fuß des Kälbleins, das andere Ende aber an die kleine Zehe deines linken Fußes, so wird das Kälblein sich keinen Schritt von dir entfernen, ob du nun sitzt oder schläfst.« Darauf entfernte sich das Mädchen, und der Königssohn legte sich schlafen.

Am anderen Morgen tat er, wie das Mädchen ihm geheißen, und führte das Kälblein am Seidenfaden wie ein treues Hündchen auf die Weide. Bei Sonnenuntergang führte er es zurück in den Stall, wo der Alte schon auf ihn wartete und böse dreinschauend fragte: »Bist du selbst so schlau, oder hast du schlaue Ratgeber?« Der Königssohn erwiderte: »Habe weiter niemanden, als meinen schwachen Kopf.« Wieder ging der Alte böse brummelnd seines Weges.

Spät am Abend ging der Königssohn wieder zum Alten, um die Aufgabe für den nächsten Tag zu erfahren. Der Alte gab ihm ein Säckchen mit Gerstenkörnern und sagte: »Morgen ist für dich ein Festtag, da kannst du von früh bis spät schlafen, dafür musst du aber heute Nacht arbeiten. Säe sogleich diese Gerste aus, sie wird schnell wachsen und reifen. Du musst sie ernten, dreschen und danach mahlen. Aus dem gewonnenen Malz aber sollst du mir ein Bier brauen, so dass ich beim Erwachen eine Kanne frisches Bier trinken kann. Sieh zu, dass du meinen Befehl genau befolgst, sonst könnte es dich leicht das Leben kosten!«

Schweren Herzens ging der Königssohn in seine Kammer, blieb auf der Schwelle stehen und begann, bitterlich zu weinen: »Das ist die letzte Nacht meines Lebens, solch eine Arbeit vermag kein Sterblicher zu verrichten. Hier kann mir auch nicht der beste Rat des Mädchens helfen. Oh ich unglückliche Seele!« Es öffnete sich eine Tür, und das schöne Mädchen trat zu ihm. Das Mädchen fragte ihn, warum er so traurig sei, und der Jüngling antwortete mit Tränen in den Augen, welche Aufgabe der Alte ihm für diese Nacht erteilt hatte. Als er schwieg, sagte sie lächelnd: »Heute Nacht, mein lieber Königssohn, kannst du ruhig schlafen und morgen noch den ganzen Tag dazu. Höre also gut zu! Nimm diesen kleinen Schlüssel hier, der die Tür des dritten Federviehhauses öffnet, in dem die dienenden Geister wohnen. Wirf das Gerstensäckchen in den Stall, und wiederhole Wort für Wort, was der Alte dir befohlen. Du musst nur noch hinzufügen: ›Weicht ihr auch nur ein Haarbreit von meinem Befehl ab, findet ihr alle ein gemeinsames Ende. Braucht ihr jedoch Hilfe, so steht heute Nacht die Tür des siebenten Speichers offen, in dem die mächtigsten Geister des alten Bösen leben.‹«

Der Königssohn tat alles so, wie ihm geraten, und ging selbst zu Bett. Als er am nächsten Morgen erwachte und in die Brauküche schaute, sah er, dass das Bier in vollem Gange gärte und nur so schäumte. Er kostete das frische Bier, füllte dann eine große Kanne mit schäumendem Bier und brachte sie dem Alten, der gerade aufgewacht war. Aber an Stelle eines Dankeswortes sagte der Alte nur verdrossen: »Das hast du dir nicht selbst ausgedacht! Ich sehe, du hast gute Freunde und Ratgeber gefunden. Na schön, heute Abend werden wir ausgiebiger miteinander reden.«

Am Abend sagte der Alte: »Morgen habe ich keine Arbeit für dich, du sollst aber, sobald ich erwache, an mein Bett treten und mir zum Morgengruß die Hand reichen.« Der Königssohn lachte im Stillen über die sonderbaren Launen des Alten und erzählte es auch dem Mädchen. Das Mädchen wurde bei seinen Worten jedoch sehr ernst und sagte: »Hüte dich! Morgen früh will dich der Alte fressen. Nur eins kann dich vor deinem Unglück bewahren. Du musst einen Eisenspaten im Ofen zum Glühen bringen und ihn an Stelle der eigenen Hand in die seine drücken.« Mit diesen Worten entfernte sich das Mädchen, und der Königssohn ging schlafen.

Am Morgen hatte er den Spaten schon lange vor Erwachen des Alten zum Glühen gebracht. Schließlich hörte er, wie der Alte rief: »He Knecht, du Faulpelz, wo bleibst du? Sag mir guten Morgen!« Als der Königssohn mit dem glühenden Spaten eintrat, rief der Alte mit jammernder Stimme: »Oh, ich bin heute krank und kann dir nicht die Hand reichen. Komm aber am Abend wieder, dass ich dir deine Arbeit zuweisen kann.«

Am Abend begab er sich wieder zum Alten, der diesmal sehr freundlich war und lächelnd sagte: »Ich bin mit dir sehr zufrieden! Komm morgen früh mit dem Mädchen zu mir, denn ich weiß, dass ihr euch schon lange lieb habt, deshalb sollt ihr Mann und Frau werden!« Der Königssohn wäre beinahe vor lauter Freude aufgesprungen, doch zum Glück erinnerte er sich rechtzeitig an die strenge Hausordnung. Als er aber vor dem Schlafengehen seiner Liebsten sein Glück verkündete und dachte, das Mädchen müsste ebenso erfreut sein, nahm er voll Verwunderung wahr, dass das schöne Mädchen kreidebleich wurde. Es sagte: »Nun hat der Alte gemerkt, dass ich deine Ratgeberin gewesen bin, und nun will er unser beider Verderben. Noch heute Nacht müssen wir fliehen und uns retten, sonst würde es unser Ende sein. Nimm das Beil, geh in den Stall und schlag dem Kalb den Kopf ab und spalte den Schädel. Im Gehirn des Kalbes findest du eine kleine rote Kugel, die musst du mir bringen. Alles Übrige überlasse mir.«

Der Königssohn ging in den Stall. Das Kalb lag neben der Kuh, und beide schliefen fest. Als er aber dem Kalb den Kopf abgeschlagen hatte, seufzte die Kuh im Schlaf so tief, als hätte sie schlecht geträumt. Der Jüngling hob flink das Beil und spaltete den Schädel. Und siehe da! - Im Stall wurde es plötzlich so hell, als stünde die Sonne am Mittagshimmel. Die kleine rote Kugel leuchtete wie eine kleine Sonne. Der Königssohn wickelte die Kugel behutsam in ein Tuch und versteckte sie unter seiner Jacke. Am Hoftor fand der Königssohn das Mädchen. In der Hand hielt es ein kleines Bündelchen. »Wo hast du die Kugel?« fragte das Mädchen. »Hier!« erwiderte der Jüngling und gab die Zauberkugel dem Mädchen. »Wir müssen schnell fliehen!« sprach das Mädchen und schob einen Zipfel des Tuches etwas beiseite, so dass helles Licht hervorströmte und ihnen den nächtlichen Weg beleuchtete.

Wie der Königssohn gedacht hatte, waren die Erbsen aufgegangen, und so brauchten sie nicht zu befürchten, den Weg zu verfehlen.

Auf dem Weg erzählte das Mädchen dem Jüngling, was sie einst erlauscht hatte, als der Alte mit seinem Weib heimlich tuschelten. Das Mädchen sollte eine Königstochter sein, die der alte Böse durch List ihren Eltern abgehandelt hatte. Der Königssohn wusste darüber jedoch besser Bescheid, sagte aber nichts, sondern war nur im Herzen froh, dass die Rettung des. Mädchens so gut verlaufen war.

Der alte Böse erwachte am Morgen spät aus seinem Schlaf und rieb sich eine Zeitlang die Augen. Dann erfreute er sein Herz mit dem Gedanken, die beiden jungen Menschen heute früh auf einmal zu verzehren. Nach einer Weile rief er: »He, Knecht und Magd, wo bleibt ihr?« Fluchend schrie er noch ein paar Mal, doch weder Knecht noch Magd ließen sich sehen. Schließlich kroch er voller Zorn aus dem Bett. Da fand er nur ein leeres Haus. Und nun merkte er auch, dass die Nachtlager der beiden in der letzten Nacht unberührt geblieben waren. Sofort eilte er in den Stall. Als er das tote Kalb ohne Kugel sah, wusste er Bescheid. Er fluchte, so dass es ringsum finster wurde, öffnete eilig die Türen des dritten Geisterstalles und sandte seine Gehilfen aus, die geflohenen Menschen einzufangen. »Bringt sie mir, egal, wo ihr sie findet, ich muss sie wiederhaben!« So sprach der alte Böse, und die Geister fegten davon wie vom Wind getragen.

Die Fliehenden hatten gerade eine weite Ebene erreicht, als das Mädchen im Laufen innehielt: »Irgend etwas ist nicht so, wie es sein müsste«, sagte es. »Die Kugel in meiner Hand bewegt sich, wir werden wohl verfolgt!« Als sie zurückblickten, sahen sie eine schwarze Wolke, die sich ihnen eilig näherte. Das Mädchen drehte die Kugel dreimal in der Hand und sprach: »Höre, Kugel, in der Hand,
fließen Lass mich nun geschwind,
fließen wie ein Strom dahin
und den Mann als Fischlein drin!«
Augenblicklich waren beide verwandelt. Das Mädchen wurde zu einem breiten Strom, und der Königssohn tummelte sich als Fischlein in seinen Wellen. Die Geister brausten über sie hinweg, machten aber bald kehrt und flogen zurück nach Hause. Den Strom und das Fischlein darin beachteten sie nicht. Sobald die Verfolger verschwunden waren, verwandelten sich Strom und Fisch wieder zum Mädchen und zum Jüngling, und sie setzten als Menschen ihren Weg fort.

Als die müden Geister zurückgekehrt waren, fragte der alte Böse, ob ihnen auf ihrem Weg nichts Sonderbares aufgefallen wäre. »Nichts Besonderes«, war die Antwort. »Nur ein breiter Strom floss dahin, und ein einziges Fischlein schwamm darin.« Voller Zorn kreischte der Alte: »Ihr Schafsköpfe! Das waren sie ja, das waren sie ja!« Schnell riss er die Türen des fünften Stalles auf, ließ die Geister hinaus und gab ihnen den Befehl, den Strom auszusaufen und das Fischlein auf dem Trockenen gefangen zu nehmen. Die Geister fuhren wie der Wind davon.

Die Fliehenden waren inzwischen an einen Wald gelangt, da blieb das Mädchen stehen und sagte: »Irgend etwas ist nicht so, wie es sein müsste. Das Kugelchen in meiner Hand regt sich wieder.« Als sie sich umschauten, erblickten sie wiederum eine Wolke, viel schwärzer als die erste und mit roten Rändern. »Das sind unsere Verfolger!« rief das Mädchen. Sie drehte das Kugelchen dreimal in der Hand und sprach: »Höre, Kugel, in der Hand,
Lass uns anders werden nun geschwind!
Verwandle mich zum Rosenstrauch
und den Mann als Blüte drauf.«
Augenblicklich waren sie verwandelt. Das Mädchen wuchs als Rosenstrauch, und der Jüngling blühte daran als prächtige Rose. Brausend stürmten die Verfolger über sie hinweg und kehrten nach einer Weile in entgegengesetzter Richtung zurück. Den Strom und das Fischlein darin hatten sie nicht gefunden, um den Rosenstrauch aber kümmerten sie sich nicht. Als die Verfolger aus dem Blick schwanden, verwandelten sich beide wieder zurück. »Habt ihr sie nicht gefunden?« fragte der Alte, als seine Geister keuchend zurückkehrten. »Nein!« erwiderte der Anführer der Geister. »Wir fanden weder Strom noch Fischlein darin.«

»Habt ihr denn nichts anderes Auffälliges auf eurem Wege gesehen?« fragte der Alte. »Am Waldesrande wuchs ein Rosenstrauch mit einer schönen Blüte drauf.«

»Schafsköpfe!« schrie der Alte. »Das waren sie ja, das waren sie ja!« Nun öffnete er die Türen des siebenten Stalles und ließ seine mächtigsten Geister heraus. »Bringt sie mir wieder, einerlei, wo ihr sie findet, lebendig oder tot! Ich muss sie wiederkriegen!« Wie der Sturmwind sausten die Geister von dannen.

Die Fliehenden hielten gerade im Walde Rast. Plötzlich rief das Mädchen: »Irgend etwas ist nicht so, wie es sein müsste! Das Kugelchen will mir aus der Tasche springen. Das sind bestimmt wieder die Verfolger.« Das Mädchen nahm die Kugel hervor, drehte sie dreimal in der Hand und sagte: »Höre, Kugel, in der Hand,
Lass uns anders werden nun geschwind!
Verwandle mich zu sanftem Wind,
den Mann sogleich zum Mückenkind!«
Augenblicklich waren beide verwandelt. Das Mädchen löste sich gleichsam in der Luft auf, und der Königssohn schwebte darin wie ein Mücklein. Wie ein Wirbelwind rauschten die mächtigen Geister über ihnen dahin und vorbei und kehrten erst nach langer Zeit wieder in entgegengesetzter Richtung zurück nach Hause, denn sie hatten weder den Rosenstrauch noch sonst etwas Besonderes bemerkt. Die Geister waren aber noch nicht weit entfernt, da verwandelten sich der sanfte Wind und das Mücklein wieder zum Mädchen und zum Jüngling. »Nun müssen wir uns beeilen!« rief das Mädchen. »Sonst kommt der Alte selbst, und der durchschaut jeden Zauber.«

Sie legten eine tüchtige Strecke im Laufschritt zurück, bis sie den dunklen Weg erreichten, wo ihnen die Kugel beim Emporsteigen den Pfad beleuchtete. Erschöpft und keuchend gelangten sie schließlich zum großen Stein. Hier wurde die Kugel wieder dreimal in der Hand gedreht, und das Mädchen sprach: »Höre, Kugel, in der Hand!
Heb uns nun den Stein empor,
Lass ihn dienen uns als Tor!«
Augenblicklich rollte der Stein beiseite, und sie gelangten glücklich zurück auf die Erde. »Gott sei Dank!« rief das Mädchen. »Wir sind gerettet! Hier hat der alte Böse keine Macht über uns, und vor seiner List werden wir uns hüten. Aber nun müssen wir uns trennen Du gehst zu deinen Eltern, und ich werde meine Eltern aufsuchen«

»Nein, nicht!« sagte der Königssohn. »Ich möchte mich nicht von dir trennen, du sollst mitkommen und meine Gemahlin werden. Du hast mir in meiner Not beigestanden, nun sollst du auch die Tage der Freude mit mir teilen.«

So folgte sie dem Jüngling schließlich. Im Walde trafen sie einen Holzfäller, der ihnen erzählte, dass im königlichen Schloss Trauer herrsche, da vor einigen Jahren der Sohn des Königs auf unverständliche Weise verschwunden und wie vom Erdboden verschluckt worden war. So ging der Jüngling zuerst zu seinem Vater ins Schloss. Das Mädchen aber wartete in einer Hütte, bis der Königssohn seinen Vater benachrichtigt hatte.

Der alte König war jedoch bereits gestorben, als der Sohn zu Hause eintraf. Das unglückliche Verschwinden seines einzigen Sohnes hatte seinen Lebtagen ein schnelles Ende gesetzt. Noch auf dem Sterbebett hatte er bereut, dass er so leichtsinnig gehandelt und so das unschuldige Mädchen dem fremden Bösen zugeführt hatte, weshalb Gott ihm zur Strafe den Sohn genommen hatte. Als der junge König dann ging, um seine Braut heimzuführen freute sich das ganze Land auf das junge Königspaar. Es wurde eine wunderschöne Hochzeit gehalten, die vier Wochen dauerte. Und danach lebten sie noch viele Jahre in Glück und Frieden.