[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Bei und der Kadi

Ob es nun so war oder nicht, jedenfalls lebte unweit von Saamin ein Bei, bei dem ein junger Knecht arbeitete. Eines Tages beschimpfte der Bei seinen Knecht wegen einer unwichtigen Kleinigkeit. Der Knecht war bitter gekränkt und kündigte seinem Brotherrn. Als der Bei dem Knecht seinen ehrlich verdienten Lohn aber nicht auszahlen wollte, ging dieser zum Kadi. »Was willst du? Hast du eine Beschwerde?« fragte der. »Ja, ich habe eine Beschwerde, Kadi, aber ich kann sie Euch nur unter vier Augen sagen.« Der Kadi dachte sich: »Es sieht aus, als könnte mir dieser Bursche etwas einbringen, also werde ich mit ihm unter vier Augen sprechen.« Er schickte seine Gehilfen hinaus und ermunterte den Knecht: »Also erzähle!«

»Wisset, Herr, ich habe bei einem Bei gearbeitet, aber er hat mir meinen Lohn nicht bezahlt. Treibt bitte seine Schuld ein!« Der Kadi überlegte hin und her und meinte: »Sage mir zuerst, wie viel du mir dafür geben wirst, dann bringe ich die Sache in Ordnung.«

»Ich bin doch ein armer Mann, Herr...«

»Die Hälfte der Schuldsumme bekommst du, die Hälfte ich, sonst werde ich mich nicht darum kümmern«, erklärte der Kadi. »Ich werde den Bei rufen lassen und dein Geld von ihm verlangen. Komm morgen früh wieder!«

Am nächsten Morgen erschien der Bei beim Kadi, grüßte und ließ sich auf dem Teppich nieder. »Ich bitte darum, Herr, dass Ihr meinen Knecht ausschelten und beschämen möget«, begann der Bei. »Die Leute sagen, er sei zu Euch gekommen, hört diesen Tagedieb nicht an, Herr!« Noch hatte der Bei nicht alles gesagt, da trat der Knecht ein. Der Kadi aber sagte zum Bei: »Es wird dir nicht gelingen, Bei, dir das Geld deines Knechtes anzueignen. Sofort gibst du es ihm, noch ehe du diesen Platz verlässt!« Da sagte sich der Bei im Stillen: »Aha, der Knecht hat dem Kadi also etwas versprochen.« Er passte einen Augenblick ab, als der Knecht ihn nicht ansah, breitete die Arme aus, als umfasse er etwas Großes, und zwinkerte dem Kadi zu. Der dachte sich: »Aha, er will mir wohl etwas versprechen! Besser, ich lasse mir diesen Bei nicht entgehen, denn von ihm werde ich wohl mehr Nutzen haben als von dem Knecht.« Er sah den Bei verstohlen an. Der breitete wieder die Arme aus und zwinkerte. Dem Kadi schlug das Herz noch höher. »Fluch deinem Vater!« schrie er den Knecht an. »Du bist ein Verleumder und Dieb! Geh mir aus den Augen, sonst lass ich dich ins Gefängnis werfen!« Traurig ging der Knecht davon. Kaum war er draußen, forderte der Kadi den Bei auf: »Nun bringe mir, was du im Sinn hattest!« Der Bei erhob sich und ging auf den Basar. Der Kadi aber jubelte, sein Herz wollte ihm vor Freude schier zerspringen: »Was mag das wohl sein, was so schwer zu umfassen ist? Wahrscheinlich ein Krug voller Silber- oder Goldmünzen. Wann wird er ihn wohl bringen?« Mag der Kadi sitzen und warten, hört, was der Bei tat.

Aus dem Hause des Kadis ging der Bei auf den Basar und kaufte eine riesige Wassermelone, so groß wie ein Schaf. Er umfasste sie mit beiden Armen und schleppte sie zum Kadi. »Oho, der arme Bei schleppt sich auch noch mit einer Melone ab«, dachte der Kadi. Der Bei trat näher und legte die Melone vor den Kadi. »Du hast sogar eine Melone geholt, Bei!« schmunzelte der. »Was wir versprochen haben, das halten wir, Herr.« Dem Kadi stockte der Atem vor schlimmer Vorahnung, der Bei aber zerschnitt die Melone in zwei Hälften, die eine schob er dem Kadi zu, die andere nahm er selbst. »Nehmt sie Euch, Herr!« bot er dem Kadi an. Beide aßen soviel sie konnten. Was übrig blieb, das blieb eben übrig. Schließlich sagte der Bei: »Die Melone hätten wir gekostet, jetzt hört nicht mehr auf diesen Tölpel und erlaubt, dass ich weggehe, Herr!« Der Kadi aber verlangte: »Schieb es nicht auf, Bei, bring das Ding!«

»Ich verstehe nicht, wovon Ihr sprecht, Kadi.«

»Wie? Ihr habt es vergessen? Ihr habt doch mit Euren Armen gezeigt, dass Ihr mir etwas Großes geben werdet. Darum habe ich den Knecht beschimpft und davongejagt.«

»Jetzt habe ich Euch verstanden, Herr. Ich meinte doch eine Wassermelone! Ihr selbst habt gesehen, dass man sie nur mit beiden Armen umfassen konnte. Mit großer Mühe habe ich sie hergeschleppt. Was wollt Ihr denn noch?«

»Scher dich weg!« fuhr ihn der Kadi an. »Ich habe dir geglaubt und darum viel Geld verloren!« Der Bei erhob sich und ging davon.

Der Kadi ist vor Wut sogar krank geworden.