[swahili, "Geschichte, Legende"]

Das Unglück

Es lebten einmal, noch zur Zeit der Leibeigenschaft, zwei Brüder, und sie waren Bauern. Der eine war reich, doch der andere lebte in großer Armut, ihm wollte nichts gelingen. Er lebte so eine Zeit im Elend dahin und konnte auf keinen grünen Zweig kommen. Da wurde er des elenden Lebens überdrüssig, fasste einen Entschluss, nahm alles, was er hatte, und fuhr damit in ein anderes Dorf. Dort fand er ein verlassenes Haus (denn damals, zur Zeit der Leibeigenschaft, verließen die hörigen Bauern oft ihre Hütten und gingen heimlich auf und davon, so dass der Herr nicht erfahren konnte, wohin sie geflohen waren). So floh der Bauer, um unter einem anderen Herrn zu scharwerken, und wollte dort ein neues Leben anfangen. Doch wie er sich so umsieht, merkt er, dass sein Beil nicht da ist - er hat es in der Stube auf der Bank liegenlassen. Er macht sich auf, das Beil zu holen.

Er kommt zu seinem Haus und sieht - in der Stube brennt Licht. Er geht hinein und sieht - hinter dem Ofen sitzt ein altes Weib und ist dabei, sich die Schuhe anzuziehen. Da fragt der Bauer sie: »Wohin willst du gehen, und wer bist du, dass du dir mitten in der Nacht die Schuhe anziehst?« Sie antwortet: »Ich bin dein Unglück. Weil du weggezogen bist in ein anderes Haus, so komme ich dir nun nach.« Da wurde der Mann zornig auf die Alte, ergriff das Beil und schlug ihr damit gerade auf den Kopf. Und er schlug so lange mit dem Beil, bis er sie in kleine Stücke zerhackt hatte. Danach steckte er die Stückchen in einen Beutel, brachte sie fort und steckte sie unterwegs unter den Stamm eines Baumes.

Er kam zu seiner Frau: »Na«, sagt er, »nun wollen wir in unser Haus zurückkehren!« Doch seine Frau fragt: »Warum denn?« Er sagt: »Als ich nach Hause kam, fand ich da eine Alte, die sich die Schuhe anzog. Ich fragte: ›Wer bist du, und wohin willst du, dass du dir die Schuhe anziehst?‹ Sie antwortete: ›Ich bin dein Unglück - ich will dir nachkommen, wohin du gezogen bist.‹ Da habe ich sie mit dem Beil zerhackt, in einen Beutel gesteckt und unter einen Baumstamm geschoben. Jetzt ist sie weg, und so können wir wieder zurückkehren.«

Und in derselben Nacht kehrten sie wieder zurück, und niemand hatte gemerkt, dass er weg gewesen war. Er fing also ein neues Leben an, und alles gelang ihm, und er wurde alsbald wohlhabend. Doch sein Bruder fragte ihn: »Wie bist du so reich geworden?«

»Ich habe mein Unglück gefangen«, sagte er, »habe es mit dem Beil zerhackt und unter einen Stamm am Wege geschoben.«

Aber sein Bruder beneidete ihn um sein gutes Leben, ging zu jenem Baumstamm und meinte, er könnte das Unglück wieder auf ihn loslassen. Dort angekommen, zog er den Beutel heraus, band ihn auf, und die Alte - schwupp! aus dem Beutel.

Jetzt bringt er das Weib auf den Weg zu seinem Bruder. Er bringt sie bis zu dessen Haus und sagt zu der Alten: »Geh hier in dieses Haus!«

»Nein«, sagt das Weib, »hier wohnt ein ganz abscheulicher Bauer. Ich habe hier einige Jahre gewohnt, doch als er mich einmal erwischte, da hat er mich mit dem Beil ganz zerhackt und unter jenen Stamm geschoben. Ich danke es nur dir - wenn du mich nicht herausgezogen hättest, müsste ich hier ewig faulen.« Und sie sagt: »Ich will in jenes Haus dort gehen«, und sie wies auf sein eigenes Haus. Da erschrak der Reiche in tiefster Seele - er wollte seinem Bruder Böses tun und hat sich das Böse selbst angetan! Er geht nach Hause, und die Alte folgt ihm sogleich. Aber danach hat sie sich ihm nicht mehr gezeigt. Von da an ging es ihm von Tag zu Tag schlechter, und so sehr ging es mit ihm bergab, dass er bald nichts mehr hatte. Doch sein Bruder wurde sehr reich.