[swahili, "Geschichte, Legende"]

Das Rätsel

Es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, und er ließ bekanntmachen, dass, wer der Prinzessin ein Rätsel aufgäbe, das sie nicht lösen könne, sie zur Frau bekommen sollte, wem aber die Prinzessin das Rätsel löste, der sollte sterben. Und da die Prinzessin sehr hübsch war, kamen aus allen Gegenden viele Fürsten und Grafen, um ihr ein Rätsel aufzugeben und zu sehen, ob sie sie nicht heimführen könnten. Doch allen sagte sie des Rätsels Lösung, und allen brachte sie den Tod.

Nun gab es aber auch einen Hirten, der wohnte mit seiner Mutter nahe beim schloss. Er geht zu seiner Mutter und sagt zu ihr: »Mutter, mach mir das Vesperbrot fertig, denn ich will der Prinzessin ein Rätsel aufgeben, das sie nicht lösen kann, und will sehen, ob ich sie nicht zur Frau bekomme.« Und die Mutter sagte: »Höre, mein Sohn, red doch nur keinen Unsinn. Wie willst du ein Rätsel wissen, das sie nicht lösen kann, wo sie doch die Rätsel von all den edlen Herren gelöst hat, die bei ihr gewesen sind?« Darauf sagte er: »Mutter, das tut nichts zur Sache. Mach mir das Vesperbrot fertig; ich will indessen die Eselin holen, um in das schloss zu reiten.«

Nun gut; die Mutter machte sich also daran, ihm das Essen zu bereiten und vergiftete dabei drei Brote, denn lieber sollte er auf dem Wege sterben als vom König erhängt werden. Er ging indes und holte seine Flinte und stieg auf die Eselin, die Panda hieß, und zog los.

Und auf einem Berg, wo ein Feuer brannte, sah er eine Häsin und schoss auf sie, aber er traf sie nicht. Dafür traf er eine andere Häsin, auf die er nicht geschossen hatte, und er ging hin und sagte: »Da hab ich ja schon einen Teil der Geschichte. Ich schoss auf den, den ich sah, und tötete den, den ich nicht sah.« Und dann schlachtete er die Häsin und nahm die Jungen heraus und briet sie. Und als sie schön gebraten waren, aß er sie auf. Und dann sagte er: »Da hab ich auch schon den weiteren Teil der Geschichte. Ich aß von dem Gebratenen, das nicht geboren noch gewachsen war.«

Und während er dabei war, die Jungen zu essen, hatte sich die Eselin Panda daran gemacht, die drei vergifteten Brote zu fressen, und vergiftete sich daran und starb. Und es kamen drei Krähen, die fraßen von der toten Eselin und starben auch. Als er nun sah, dass die Eselin gestorben war, weil sie die vergifteten Brote gefressen hatte, sagte er: »Gut; nun hab ich auch schon den Schluss der Geschichte, die ich der Prinzessin sagen will. Meine Mutter tötete Panda, Panda tötete drei.«

Er packte dann seine Sachen zusammen und machte sich auf den Weg zum schloss. Er kommt dort an und bittet um die Erlaubnis, eintreten und mit der Prinzessin sprechen zu dürfen. Man sagt ihm, er solle heraufkommen. Er geht ins Zimmer der Prinzessin und sagt ihr dies Rätsel: »Ich schoss auf den, den ich sah,
ich tötete den, den ich nicht sah.
Ich aß von dem Gebratenen,
das nicht geboren noch gewachsen war.
Meine Mutter tötete Panda,
Panda tötete drei.
Nun ratet Ihr, was das wohl sei.«
Und die Prinzessin dachte nach und grübelte und grübelte, doch konnte sie das Rätsel nicht lösen. Und als der König sah, dass seine Tochter das Rätsel nicht gleich lösen konnte, sagte er: »Ja, dann soll man also diesem Herrn ein Bett zum Schlafen geben, denn die Prinzessin hat zum Lösen drei Tage Zeit.« Und da gaben sie ihm ein Bett, worin er schlafen konnte.

Und in der ersten Nacht schickte die Prinzessin ihre Kammerjungfer in das Schlafgemach des Hirten, um zu sehen, ob sie es nicht fertig brächte, die Lösung zu erfahren. Und die Jungfer ging hin und kam an das Bett des Hirten und sagte zu ihm: »Herr, ich bin hergekommen, damit Ihr mir die Lösung sagt.« Und der Hirt schlief die Nacht bei der Jungfer, doch sagte er ihr die Lösung nicht.

Am nächsten Morgen stand die Jungfer auf und ging zur Prinzessin und die Prinzessin sagte zu ihr: »Nun, hat er dir die Lösung gesagt?«

Und sie antwortete: »Nein, Hoheit, die ganze Nacht habe ich mit ihm geschlafen, aber die Lösung wollte er mir nicht sagen.«

»Ja, dann muss heute Nacht eine andere Jungfer gehen«, sagte die Prinzessin.

Und so ging in der zweiten Nacht eine andere Kammerjungfer hin und kam ans Bett des Hirten und sagte zu ihm: »Ich bin hergekommen, damit Ihr mir die Lösung sagt.« Und der Hirt sagte zu ihr, sie sollte sich erst einmal zu ihm ins Bett legen, dann wollte er sehen, ob er ihr die Lösung sagen werde oder nicht. Und er schlief die ganze Nacht bei ihr, doch am nächsten Morgen, als sie aufstand, wollte er ihr nichts sagen. Da ging nun die zweite Jungfer sehr betrübt zu der Prinzessin hin und sagte zu ihr: »Hoheit, aus dem kann man nichts herausbringen. Die ganze Nacht habe ich bei ihm geschlafen, doch nichts hat er mir verraten.«

Und da nur noch eine Nacht übrig war, nach der die Prinzessin entweder die Lösung wissen oder den Hirten heiraten musste, ging sie selbst an das Bett des Hirten, um zu sehen, ob er ihr die Lösung nicht verriete. Sie geht also zu ihm hin und sagt: »Ja, da bin ich nun selber, um die Lösung von Euch zu hören.« Und er sagt zu ihr: »Wenn Ihr heute Nacht bei mir schlaft, so sage ich sie Euch morgen früh.« Nun gut, sie sagte darauf, das sei in Ordnung, und legte sich zu ihm ins Bett. Und als sie neben ihm lag, sagte er: »Ja, aber wenn Ihr mit mir schlafen wollt, müsst Ihr Euer Hemd ausziehen.« Sie zog nun das Hemd aus, und der Hirt zog es an. Dann sagte er: »Und Ihr müsst mir auch noch einen Ring mit Eurem Namen geben.« Und sie gab ihm den Ring und schlief die ganze Nacht bei dem Hirten.

Und am nächsten Morgen, als sie aufstand, sagte sie zu ihm: »Gut, Ihr habt also nun alles bekommen, was Ihr haben wolltet; jetzt sagt mir die Lösung.« Und der Hirt sagte sie ihr.

Was tut sie nun aber darauf? Sie geht hin zu ihrem Vater und sagt zu ihm: »Vater, ich weiß jetzt die Lösung und kann sie dem Hirten sagen.« Da ließ der Vater den Hirten rufen, und die Prinzessin löste das Rätsel, wie er es ihr gesagt hatte. Darauf sagte der Vater: »Ja, nun gibt es keinen andern Ausweg; Ihr müsst jetzt Euer Leben lassen.« Der Hirt sagte nichts. Doch eine Stunde bevor man ihn abführte, sagte er zum König: »Euer Majestät, gestattet Ihr mir ein Wort?« Der König sagte ja, er solle nur reden.

Da sagte er: »Ja, Herr König, seht, in der ersten Nacht, in der ich im schloss schlief, besuchte mich eine weiße Taube. Nun frage ich Euch, wenn an Euer Bett eine weiße Taube gekommen wäre, was hättet Ihr getan?« Und der König antwortet: »Mit ihr geschlafen.« Da sagt der Hirt: »Seht, Euer Majestät, das hab ich auch getan.« Und darauf sagte er: »Und wenn die weiße Taube, die mich in der ersten Nacht besuchte, auch schön war, so war die noch schöner, die in der zweiten Nacht kam. Und nun frage ich Euch, wenn diese zweite weiße Taube Euch besucht hätte, was hättet Ihr getan?« Der König antwortet: »Mit ihr geschlafen.« Und der Hirt sagt darauf: »Seht, Euer Majestät, das hab ich auch getan.«

Und dann sagte er: »Die dritte Nacht aber besuchte mich Eure Tochter, die noch viel schöner ist als die beiden anderen, und mit ihr hab ich auch geschlafen.« Darauf sagt der König zu ihm: »Du sagst, du hast mit meiner Tochter geschlafen? Wie kannst du das beweisen?« Und der Hirt knöpfte seinen Brustlatz auf und holte das Hemd der Prinzessin hervor und zeigte auch den Ring mit ihrem Namen. Und als der König das sah, fragte er die Prinzessin, ob es wahr sei, dass sie mit dem Hirten geschlafen habe. Und da sie es nicht leugnen konnte, musste sie ja sagen. Darauf befahl der König, die Hochzeit vorzubereiten, und der Hirt heiratete die Prinzessin.