[swahili, "Geschichte, Legende"]

Das kalte Herz II

Als Peter am Montagmorgen in seine Glashütte ging, waren nicht nur seine Arbeiter da, sondern auch andere Leute, die man nicht gern sieht, nämlich der Amtmann und drei Gerichtsdiener. Der Amtmann wünschte Peter einen guten Morgen, fragte, wie er geschlafen habe, und zog dann ein langes Register heraus, darauf waren Peters Gläubiger verzeichnet. »Könnt Ihr zahlen oder nicht?« fragte der Amtmann mit strengem Blick. »Und macht es nur kurz, denn ich habe nicht viel Zeit zu versäumen, und in den Turm sind es drei gute Stunden.« Da verzagte Peter, gestand, dass er nichts mehr hatte, und überließ es dem Amtmann, Haus und Hof, Hütte und Stall, Wagen und Pferde zu schätzen. Und als die Gerichtsdiener und der Amtmann umhergingen und prüften und schätzten, dachte er, bis zum Tannenbühl ist's nicht weit - hat mir der Kleine nicht geholfen, so will ich es einmal mit dem Großen versuchen! Er lief dem Tannenbühl zu, so schnell, als ob die Gerichtsdiener ihm auf den Fersen wären. Es war ihm, als er an dem Platz vorbeirannte, wo er das Glasmännlein zuerst gesprochen hatte, als halte ihn eine unsichtbare Hand auf. Aber riss sich los und lief weiter bis an die Grenze, die er sich früher wohl gemerkt hatte, und kaum hatte er, beinahe atemlos, »Holländer-Michel! Herr Holländer-Michel!« gerufen, als auch schon der riesengroße Flößer vor ihm stand.

»Kommst du?« sprach dieser lachend. »Haben sie dir die Haut abziehen und deinen Gläubigern verkaufen wollen? Nun, sei ruhig! Dein ganzer Jammer kommt - wie gesagt - von dem kleinen Glasmännlein, von dem Frömmler her. Doch komm«, fuhr er fort und wandte sich gegen den Wald, »folge mir in mein Haus! Dort wollen wir sehen, ob wir handelseinig werden.«

»Handelseinig?« dachte Peter. »Was kann er denn von mir verlangen, was kann ich an ihn verhandeln? Soll ich ihm etwa dienen - oder was will er?« Sie gingen zuerst über einen steilen Waldsteig hinauf und standen dann mit einemmal an einer dunklen, abschüssigen Schlucht. Holländer-Michel sprang den Felsen hinab, wie wenn es eine sanfte Marmortreppe wäre. Aber bald wäre Peter in Ohnmacht gesunken, denn als jener unten angekommen war, machte er sich so groß wie ein Kirchturm und reichte ihm einen Arm, so lang wie ein Weberbaum, und eine Hand daran, so breit wie der Tisch im Wirtshaus - und rief mit einer Stimme, die heraufschallte wie eine Totenglocke: »Setz dich nur auf meine Hand und halte dich an den Fingern, so wirst du nicht fallen!« Peter tat zitternd, wie jener befohlen, nahm Platz auf der Hand und hielt sich am Daumen des Riesen.

Er ging weit und tief hinab, aber dennoch wurde es zu Peters Verwunderung nicht dunkler. Im Gegenteil, die Tageshelle schien sogar zuzunehmen in der Schlucht, aber er konnte sie lange in den Augen nicht vertragen. Der Holländer-Michel hatte sich, je weiter Peter herabkam, wieder kleiner gemacht und stand nun in seiner früheren Gestalt vor einem Haus, so gering oder gut, als es reiche Bauern im Schwarzwald haben. Die Stube, wohin Peter geführt wurde, unterschied sich in nichts von den Stuben anderer Leute als dadurch, dass sie einsam schien.

Die hölzerne Wanduhr, der ungeheure Kachelofen, die breiten Bänke, die Gerätschaften auf den Gesimsen waren hier wie überall. Michel wies ihm einen Platz hinter dem großen Tisch an, ging dann hinaus und kam bald mit einem Krug Wein und Gläsern wieder. Er goss ein, und nun schwatzten sie, und Holländer-Michel erzählte von den Freuden der Welt, von fremden Ländern, schönen Städten und Flüssen, dass Peter - am Ende große Sehnsucht danach bekommend - dies auch offen dem Holländer erzählte.

»Wenn du im ganzen Körper Mut und Kraft, etwas zu unternehmen, hast, da können ein paar Schläge des dummen Herzens dich zittern machen. Und dann die Kränkungen der Ehre, das Unglück- für was soll sich ein vernünftiger Kerl um dergleichen bekümmern? Hast du's im Kopf empfunden, als dich letzthin einer einen Betrüger und schlechten Kerl nannte? Hat es dir im Magen weh getan, als der Amtmann kam, dich aus dem Haus zu werfen? Was, sag an, was hat dir weh getan?«

»Mein Herz«, sprach Peter, indem er die Hand auf die pochende Brust presste. Denn es war ihm, als ob sein Herz sich ängstlich hin und her wendete.

»Du hast - nimm es mir nicht übel -, du hast viele hundert Gulden an schlechte Bettler und anderes Gesindel weggeworfen, was hat es dir genützt? Sie haben dir dafür Segen und einen gesunden Leib gewünscht, ja - bist du deswegen gesünder geworden? Um die Hälfte des verschleuderten Geldes hättest du einen Arzt holen können. Segen - ja, ein schöner Segen, wenn man gepfändet und ausgestoßen wird! Und was war es, das dich getrieben hat, in die Tasche zu greifen, sobald ein Bettelmann seinen zerlumpten Hut hinstreckte? Dein Herz, auch wieder dein Herz - und weder deine Augen noch deine Zunge, deine Arme noch deine Beine, sondern dein Herz! Du hast es dir - wie man richtig sagt - zu sehr zu Herzen genommen.«

»Aber wie kann man sich denn angewöhnen, dass es nicht mehr so ist? Ich gebe mir jetzt alle Mühe, es zu unterdrücken, aber dennoch pocht mein Herz und tut mir weh!«

»Du freilich«, rief jener mit Lachen, »Du armer Schelm kannst nichts dagegen tun! Aber gib mir das kaum pochende Ding, und du wirst sehen, wie gut du es dann hast.«

»Euch mein Herz?« schrie Peter mit Entsetzen, »da müsste ich ja auf der Stelle sterben! Nimmermehr!«

»Ja, wenn dir einer Eurer Herren Chirurgen das Herz aus dem Leibe operieren würde, da müsstest du wohl sterben. Bei mir ist das ein anderes Ding. Doch komm herein und überzeuge dich selbst!« Er stand bei diesen Worten auf, öffnete eine Kammertür und führte Peter hinein. Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als er über die Schwelle trat, aber er achtete nicht darauf, denn der Anblick, der sich ihm bot, war sonderbar und überraschend. Auf mehreren Gesimsen von Holz standen Gläser, mit durchsichtiger Flüssigkeit gefüllt, und in jedem dieser Gläser lag ein Herz. Auch waren an den Gläsern Zettel angeklebt und Namen darauf geschrieben, die Peter neugierig las. Da war das Herz des Amtmanns, das Herz des dicken Ezechiel, das Herz des Tanzbodenkönigs, das Herz des Oberförsters. Da waren sechs Herzen von Kornwucherern, acht von Werbeoffizieren, drei von Geldverleihern - kurz, es war eine Sammlung der angesehensten Herzen in der Umgebung von zwanzig Stunden.

»Schau!« sprach Holländer-Michel, »diese alle haben des Lebens Ängste und Sorgen weggeworfen. Keines dieser Herzen schlägt mehr ängstlich und besorgt, und ihre ehemaligen Besitzer befinden sich wohl dabei, dass sie den unruhigen Gast aus dem Hause haben!«

»Aber was tragen sie denn jetzt dafür in der Brust?« fragte Peter, den dies alles, was er gesehen, beinahe schwindeln machte.

»Dies«, antwortete jener und reichte ihm aus einem Schubfach ein steinernes Herz.

»So?« erwiderte er und konnte sich eines Schauers, der ihm über die Haut ging, nicht erwehren. »Ein Herz von Marmorstein? Aber horch einmal, Herr Holländer-Michel, das muss doch gar kalt sein in der Brust!«

»Freilich, aber ganz angenehm kühl. Warum soll denn ein Herz warm sein? Im Winter nützt dir die Wärme nichts, da hilft ein guter Kirschgeist mehr als ein warmes Herz, und im Sommer, wenn alles schwül und heiß ist - du glaubst nicht, wie dann solch ein Herz abkühlt. Und - wie gesagt - weder Angst noch Schrecken, weder törichtes Mitleid noch anderer Jammer pocht an solch ein Herz.«

»Und das ist alles, was Ihr mir geben könnt?« fragte Peter unmutig. »Ich hoffte auf Geld, und Ihr wollt mir einen Stein geben!«

»Na, ich denke, an hunderttausend Gulden hättest du fürs erste genug! Wenn du es geschickt anwendest, kannst du bald Millionär werden.«

»Hunderttausend?« rief der arme Köhler freudig. »Nun, so poche doch nicht so ungestüm in meiner Brust! Wir werden bald fertig sein miteinander. Gut, Michel! Gebt mir den Stein und das Geld, und die Unruh könnt Ihr aus meinem Gehäuse herausnehmen!«

»Ich dachte es doch, dass du ein vernünftiger Bursche bist«, antwortete der Holländer freundlich lächelnd, »komm, lass uns noch eins trinken, und dann will ich das Geld auszahlen.«

So setzten sie sich wieder in die Stube zum Wein, tranken und tranken wieder, bis Peter in einen tiefen Schlaf verfiel.

Kohlenmunk-Peter erwachte beim fröhlichen Schmettern eines Posthorns, und siehe da - er saß in einem schönen Wagen, fuhr auf einer breiten Straße dahin, und als er sich aus dem Wagen bog, sah er in blauer Ferne hinter sich den Schwarzwald liegen. Anfänglich wollte er gar nicht glauben, dass er es selbst sei, der in diesem Wagen sitze. Denn auch seine Kleider waren nicht mehr dieselben, die er gestern getragen hatte. Aber er erinnerte sich doch an alles so deutlich, dass er endlich sein Nachsinnen aufgab, und rief: »Der Kohlenmunk-Peter bin ich, das ist ausgemacht - und kein anderer!«

Er wunderte sich über sich selbst, dass er gar nicht wehmütig werden konnte, als er jetzt zum erstenmal aus der stillen Heimat, aus den Wäldern, wo er so lange gelebt hatte, auszog. Selbst nicht, als er an seine Mutter dachte, die jetzt wohl hilflos und im Elend saß, konnte er eine Träne aus dem Auge pressen oder auch nur seufzen - denn es war ihm alles so gleichgültig. »Ach, freilich«, sagte er dann, »Tränen und Seufzer, Heimweh und Wehmut kommen ja aus dem Herzen, und dank dem Holländer-Michel ist meines so kalt wie Stein.«

Er legte seine Hand auf die Brust, und es war ganz ruhig dort, nichts rührte sich. »Wenn er mit den Hunderttausenden so gut Wort hielt wie mit dem Herzen, so soll es mich freuen«, sprach er und fing an, seinen Wagen zu untersuchen. Er fand Kleidungsstücke aller Art, wie er sie nur wünschen konnte, aber kein Geld. Endlich stieß er auf eine Tasche und fand viele tausend Taler in Gold und Scheinen auf Handelshäuser in allen großen Städten. »Jetzt hab ich's, wie ich's wollte«, dachte er, setzte sich bequem in die Ecke des Wagens und fuhr in die weite Welt.

Er fuhr zwei Jahre in der Welt umher und schaute aus seinem Wagen links und rechts an den Häusern hinauf, schaute, wenn er anhielt, nichts als das Schild seines Wirtshauses an, lief dann in der Stadt umher und ließ sich die schönsten Sehenswürdigkeiten zeigen. Aber es freute ihn nichts, kein Bild, kein Haus, keine Musik, kein Tanz. Sein Herz von Stein nahm an nichts Anteil, und seine Augen, seine Ohren waren abgestumpft für alles Schöne. Nichts war ihm mehr geblieben als die Freude an Essen und Trinken und der Schlaf, und so lebte er, indem er ohne Zweck durch die Welt reiste, zu seiner Unterhaltung speiste und aus Langeweile schlief. Hier und da erinnerte er sich zwar, dass er fröhlicher und glücklicher gewesen war, als er noch arm war und arbeiten musste, um sein Leben zu fristen. Da hatte ihn jede schöne Aussicht ins Tal, hatten ihn Musik und Gesang ergötzt, da hatte er sich stundenlang auf die einfache Kost, die ihm die Mutter zu dem Meiler brachte, gefreut. Wenn er so über die Vergangenheit nachdachte, so kam es ihm ganz sonderbar vor, dass er jetzt nicht einmal lachen konnte - und sonst hatte er über den kleinsten Scherz gelacht. Wenn andere lachten, so verzog er nur aus Höflichkeit den Mund, aber sein Herz lächelte nicht mit. Er fühlte dann, dass er zwar überaus ruhig war, aber zufrieden fühlte er sich doch nicht. Es war nicht Heimweh oder Wehmut, sondern Öde, Überdruss, freudloses Leben, was ihn endlich wieder in die Heimat trieb.

Als er von Straßburg herüberfuhr und den dunklen Wald seiner Heimat erblickte, als er zum erstenmal wieder jene kräftigen Gestalten, jene freundlichen, treuen Gesichter der Schwarzwälder sah, als sein Ohr die heimatlichen Klänge - stark, tief, aber wohltönend - vernahm, da fühlte er schnell nach seinem Herzen. Denn sein Blut wallte stärker, und er glaubte, er müsse sich freuen und müsse weinen zugleich, aber wie konnte er nur so töricht sein - er hatte ja ein Herz aus Stein!

Sein erster Gang war zum Holländer-Michel der ihn mit alter Freundlichkeit aufnahm. »Michel«, sagte er zu ihm, »gereist bin ich nun und habe alles gesehen. Ist aber alles nur dummes Zeug, und ich hatte nur Langeweile. Oberhaupt, Euer steinernes Ding, das ich in der Brust trage, schützt mich zwar vor manchem. Ich erzürne mich nie, bin nie traurig, aber ich freue mich auch nie, und es ist mir, als wenn ich nur halb lebte. Könnt Ihr das Steinherz nicht ein wenig beweglicher machen? Oder - gebt mir lieber mein altes Herz! Ich hatte mich in fünfundzwanzig Jahren daran gewöhnt, und wenn es auch zuweilen einen dummen Streich machte, so war es doch munter und ein fröhliches Herz.«

Der Waldgeist lachte grimmig und bitter. »Wenn du einmal tot bist, Peter Munk«, antwortete er, »dann soll es dir nicht fehlen. Dann sollst du dein weiches, rührbares Herz wiederhaben, und du kannst dann fühlen, was kommt, Freud oder Leid. Aber hier oben kann es nicht mehr dein werden. Doch, Peter! Gereist bist du wohl, aber so, wie du lebtest, konnte es dir nichts nützen. Lass dich jetzt irgendwo hier im Wald nieder, baue ein Haus, heirate, treib dein Vermögen um - es hat dir nur an Arbeit gefehlt. Weil du müßig warst, hattest du Langeweile und schiebst jetzt alles auf dies unschuldige Herz.« Peter sah ein, dass Michel recht hatte, was den Müßiggang betraf, und nahm sich vor, reich und immer reicher zu werden. Michel schenkte ihm noch einmal hunderttausend Gulden und entließ ihn als seinen guten Freund.

Bald vernahm man im Schwarzwald die Mär, der Kohlenmunk-Peter oder Spielpeter sei wieder da und noch viel reicher als zuvor. Es ging auch jetzt wie immer. Als er am Bettelstab war, wurde er in der »Sonne« zur Tür hinausgeworfen, und als er jetzt an einem Sonntagnachmittag seinen ersten Einzug dort hielt, schüttelten sie ihm die Hand, lobten sein Pferd, fragten nach seiner Reise, und als er wieder mit dem dicken Ezechiel um harte Taler spielte, stand er in der Achtung so hoch als je. Er trieb jetzt aber nicht mehr das Glashandwerk, sondern den Holzhandel, aber nur zum Schein. Sein Hauptgeschäft war, mit Korn und Geld zu handeln. Der halbe Schwarzwald wurde ihm nach und nach schuldig. Aber er lieh Geld nur um zehn Prozent aus oder verkaufte Korn an die Armen, die nicht gleich zahlen konnten, um den dreifachen Wert. Mit dem Amtmann stand er jetzt in enger Freundschaft, und wenn einer Herrn Peter Munk nicht auf den Tag bezahlte, so ritt der Amtmann mit seinen Dienern hinaus, schätzte Haus und Hof, verkaufte es flugs und trieb Vater, Mutter und Kind in den Wald. Anfangs machte dies dem reichen Peter einige Unlust, denn die armen Gepfändeten belagerten dann haufenweise seine Tür. Die Männer flehten um Gnade, die Weiber suchten das steinerne Herz zu erweichen, und die Kinder winselten um ein Stücklein Brot. Aber als er sich ein paar tüchtige Fleischerhunde angeschafft hatte, hörte diese Katzenmusik - wie er es nannte - bald auf. Er pfiff und hetzte, und die Bettelleute flogen schreiend auseinander. Am meisten Beschwerde machte ihm »das alte Weib«. Das war niemand anders als die Frau Munkin, Peters Mutter. Sie war in Not und Elend geraten, als man ihr Haus und Hof verkauft hatte, und ihr Sohn, als er reich zurückgekehrt war, hatte sich nicht mehr nach ihr umgesehen. Da kam sie nun zuweilen, alt, schwach und gebrechlich, an einem Stock vor das Haus. Hinein wagte sie sich nimmer, denn er hatte sie einmal weggejagt. Aber es tat weh, von den Wohltaten anderer Menschen leben zu müssen, da ihr der eigene Sohn ein sorgenloses Alter hätte bereiten können. Aber das kalte Herz wurde nimmer gerührt von dem Anblick der bleichen, wohlbekannten Züge, von den bittenden Blicken, von der welken, ausgestreckten Hand, von der hinfälligen Gestalt. Mürrisch zog er, wenn sie sonnabends an die Tür pochte, einen Sechsbätzner heraus, schlug ihn in ein Papier ein und ließ ihn durch einen Knecht hinausreichen. Er vernahm ihre zitternde Stimme, wenn sie dankte und wünschte, es möge ihm wohl gehen auf Erden. Er hörte sie hüstelnd von der Tür schleichen, aber er dachte weiter nicht mehr daran, als dass er wieder sechs Batzen umsonst ausgegeben hatte.

Endlich kam Peter auch auf den Gedanken zu heiraten. Er wusste auch, dass im ganzen Schwarzwald jeder Vater ihm gern seine Tochter geben würde. Aber er war schwierig in seiner Wahl, denn er wollte, dass man auch hierin sein Glück und seinen Verstand preisen sollte. Daher ritt er im ganzen Wald umher, schaute hier, schaute dort, und keine der schönen Schwarzwälderinnen dünkte ihn schön genug. Endlich, nachdem er auf allen Tanzböden umsonst nach der Schönsten ausgeschaut hatte, hörte er eines Tages, die Schönste und Tugendsamste im ganzen Wald sei eines armen Holzhauers Tochter. Sie lebe still und für sich, besorge geschickt und emsig ihres Vaters Haus und lasse sich nie auf dem Tanzboden sehen, nicht einmal zu Pfingsten oder zur Kirmes. Als Peter von diesem Wunder des Schwarzwalds hörte, beschloss er, um sie zu werben, und ritt nach der Hütte, die man ihm bezeichnet hatte. Der Vater der schönen Lisbeth empfing den vornehmen Herrn mit Staunen, und er staunte noch mehr, als er hörte, es sei dies der reiche Herr Peter und er wolle sein Schwiegersohn werden. Er besann sich auch nicht lange, denn er meinte, all seine Sorge und Armut werde nun ein Ende haben - sagte zu, ohne die schöne Lisbeth zu fragen, und das gute Kind war so folgsam, dass sie ohne Widerrede Frau Peter Munkin wurde.

Aber es ging der Armen nicht so gut, als sie sich geträumt hatte. Sie glaubte ihr Hauswesen wohl zu verstehen, aber sie konnte Herrn Peter nichts zu Dank machen. Sie hatte Mitleid mit armen Leuten, und da ihr Eheherr reich war, dachte sie, es sei keine Sünde, einem alten Bettelweib einen Pfennig oder einem alten Mann einen Schnaps zu reichen. Aber als Herr Peter dies eines Tages merkte, sprach er mit zürnenden Blicken und rauer Stimme: »Warum verschleuderst du mein Vermögen an Lumpen und Straßenläufer? Hast du was mitgebracht ins Haus, das du wegschenken könntest? Mit deines Vaters Bettelstab kann man keine Suppe wärmen, und du wirfst das Geld hinaus wie eine Fürstin! Noch einmal lass dich erwischen, und du sollst meine Hand fühlen!« Die schöne Lisbeth weinte in ihrer Kammer über den harten Sinn ihres Mannes, und sie wünschte oft, lieber daheim zu sein in ihres Vaters ärmlicher Hütte, als bei dem reichen, aber geizigen, hartherzigen Peter zu hausen. Ach, hätte sie gewusst, dass er ein Herz von Marmor hatte und weder sie noch irgendeinen Menschen lieben konnte, so hätte sie sich wohl nicht gewundert.

Sooft sie aber jetzt unter der Tür saß, und es ging ein Bettelmann vorüber und zog den Hut und hob seinen Spruch an, so drückte sie die Augen zu, das Elend nicht zu sehen, und sie ballte die Hand fester, damit sie nicht unwillkürlich in die Tasche fahre, ein Kreuzerlein herauszulangen. So kam es, dass die schöne Lisbeth im ganzen Wald verschrien wurde, und es hieß, sie sei noch geiziger als Peter Munk. Aber eines Tages saß Frau Lisbeth wieder vor dem Hause und spann und summte ein Liedchen dazu, denn sie war munter, weil es schön Wetter und Herr Peter ausgeritten war übers Feld. Da kommt ein altes Männlein des Weges daher, das trägt einen großen, schweren Sack, und sie hört es schon von weitem keuchen. Teilnehmend sah ihm Frau Lisbeth zu und dachte, einem so alten, kleinen Mann sollte man nicht mehr so schwer aufladen. Indes wankte und keuchte das Männlein heran, und als es gegenüber von Frau Lisbeth war, brach es unter dem Sack beinahe zusammen. »Ach, habt die Barmherzigkeit, Frau, und reicht mir nur einen Trunk Wasser!« sprach das Männlein. »Ich kann nicht weiter, ich muss elend verschmachten.«

»Aber Ihr solltet in Eurem Alter nicht mehr so schwer tragen«, sagte Frau Lisbeth.

»Ja, wenn ich nicht Boten gehen müsste, der Armut halber und um mein Leben zu fristen«, antwortete er. »Ach, eine so reiche Frau wie Ihr weiß nicht, wie weh Armut tut und wie wohl ein frischer Trunk bei dieser Hitze.«

Als sie dies hörte, eilte sie ins Haus, nahm einen Krug vom Gesims und füllte ihn mit Wasser. Doch als sie zurückkehrte und nur noch wenige Schritte von ihm war und das Männlein sah, wie es so elend und verkümmert auf dem Sack saß, da fühlte sie inniges Mitleid, bedachte, dass ja ihr Mann nicht zu Hause war, und so stellte sie den Wasserkrug beiseite, nahm einen Becher, füllte ihn mit Wein, legte ein gutes Roggenbrot darauf und brachte es dem Alten. »So, und ein Schluck Wein mag Euch besser bekommen als Wasser, da Ihr schon gar so alt seid«, sprach sie. »Aber trinkt nicht zu hastig und esst auch Brot dazu!«

Das Männlein sah sie staunend an, bis große Tränen in seinen alten Augen standen. Es trank und sprach dann: »Ich bin alt geworden, aber ich habe wenig Menschen gesehen, die so mitleidig waren und ihre Gaben so schön und herzig zu spenden wussten wie Ihr, Frau Lisbeth! Aber es wird Euch auch dafür recht wohl gehen auf Erden - solch ein Herz bleibt nicht unbelohnt.«

»Nein - und den Lohn soll sie auf der Stelle haben!« schrie eine schreckliche Stimme, und als sie sich umsahen, war es Herr Peter mit blutrotem Gesicht.

»Und sogar meinen besten Wein gießt du aus an Bettelleute, und meinen Becher gibst du an die Lippen der Straßenläufer? Da, nimm deinen Lohn!« Frau Lisbeth stürzte zu seinen Füßen und bat um Verzeihung. Aber das steinerne Herz kannte kein Mitleid, er drehte die Peitsche um, die er in der Hand hielt, und schlug sie mit dem Handgriff aus Ebenholz so heftig vor die schöne Stirn, dass sie leblos dem alten Mann in die Arme sank. Als Peter dies sah, war es doch, als reute ihn die Tat auf der Stelle. Er beugte sich herab, zu sehen, ob noch Leben in ihr sei, aber das Männlein sprach mit wohlbekannter Stimme: »Gib dir keine Mühe, Kohlen-Peter! Es war die schönste und lieblichste Blume des Schwarzwalds, aber du hast sie zertreten, und nie mehr wird sie wieder blühen.«

Da wich alles Blut aus Peters Wangen, und er sprach: »Also Ihr seid es, Herr Schatzhauser? Nun, was geschehen ist, ist geschehen, und es hat wohl so kommen müssen! Ich hoffe aber, Ihr werdet mich nicht bei dem Gericht anzeigen als Mörder.«

»Elender!« erwiderte das Glasmännlein. »Was würde es mir nützen, wenn ich deine sterbliche Hülle an den Galgen brächte? Nicht irdische Gerichte sind es, die du zu fürchten hast, sondern andere und strengere! Denn du hast deine Seele an den Bösen verkauft.«

»Und hab' ich mein Herz verkauft«, schrie Peter, »so ist niemand daran schuld als du und deine betrügerischen Schätze! Du tückischer Geist hast mich ins Verderben geführt, mich getrieben, dass ich bei einem andern Hilfe suchte, und auf dir liegt die ganze Verantwortung!« Aber kaum hatte er dies gesagt, so wuchs und schwoll das Glasmännlein und wurde so hoch und breit, und seine Augen wurden so groß wie Suppenteller, und sein Mund war wie ein geheizter Backofen, und Flammen sprühten daraus hervor. Peter warf sich auf die Knie, und sein steinernes Herz schützte ihn nicht davor, dass seine Glieder zitterten wie Espenlaub. Mit Geierkrallen packte ihn der Waldgeist im Nacken, drehte ihn um, wie Wirbelwind dürres Laub, und warf ihn dann zu Boden, dass ihm alle Rippen krachten. »Erdenwurm!« rief er mit einer Stimme, die wie der Donner rollte, »ich könnte dich zerschmettern, wenn ich wollte, denn du hast gegen den Herrn des Waldes gefrevelt! Aber um dieses toten Weibes willen, die mich gespeist und getränkt hat, gebe ich dir acht Tage Frist. Bekehrst du dich nicht zum Guten, so komme ich und zermalme deine Gebeine, und du fährst hin in deinen Sünden!«

Es war schon Abend, als einige Männer, die vorbeigingen, den reichen Peter Munk auf der Erde liegen sahen. Sie wandten ihn hin und her und suchten, ob noch Atem in ihm sei, aber lange war ihr Suchen vergeblich. Endlich ging einer ins Haus und brachte Wasser herbei und besprengte ihn. Da holte Peter tief Atem, stöhnte und schlug die Augen auf, schaute lange um sich her und fragte dann nach Frau Lisbeth - aber keiner hatte sie gesehen. Er dankte den Männern für ihre Hilfe, schlich sich in sein Haus und suchte überall. Aber Frau Lisbeth war weder im Keller noch auf dem Boden, und das, was er für einen schrecklichen Traum gehalten hatte, war bittere Wahrheit. Wie er nun so ganz allein war, da kamen ihm sonderbare Gedanken. Er fürchtete sich vor nichts, denn sein Herz war ja kalt - aber wenn er an den Tod seiner Frau dachte, kam ihm sein eigenes Hinscheiden in den Sinn und wie belastet er dahingehen werde - schwer belastet mit Tränen der Armen, mit tausend ihrer Flüche, die sein Herz nicht erweichen konnten, mit dem Jammer der Elenden, auf die er seine Hunde gehetzt hatte, belastet mit der stillen Verzweiflung seiner Mutter, mit dem Blut der schönen, guten Lisbeth. Und konnte er doch nicht einmal dem alten Mann, ihrem Vater, Rechenschaft geben, wenn er käme und fragte: »Wo ist meine Tochter, dein Weib?« Wie wollte er einem andern Antwort geben, dem alle Wälder, alle Seen, alle Berge gehören und - das Leben der Menschen?

Es quälte ihn auch nachts im Traum, und alle Augenblicke wachte er auf von einer süßen Stimme, die ihm zurief: »Peter, schaff dir ein wärmeres Herz!« Und wenn er erwacht war, schloss er doch schnell wieder die Augen. Denn der Stimme nach musste es Frau Lisbeth sein, die ihm diese Warnung zurief. Am andern Tag ging er ins Wirtshaus, um seine Gedanken zu zerstreuen, und dort traf er den dicken Ezechiel. Er setzte sich zu ihm, sie sprachen dies und jenes - vom schönen Wetter, vom Krieg, von den Steuern und endlich auch vom Tod und wie da und dort einer so schnell gestorben sei. Da fragte Peter den Dicken, was er denn vom Tod halte und wie es nachher sein werde. Ezechiel antwortete ihm, dass man den Leib begrabe, die Seele aber fahre entweder auf zum Himmel oder hinab in die Hölle.

»Also begräbt man das Herz auch?« fragte Peter gespannt. »Ei, freilich, das wird auch begraben!«

»Wenn aber einer sein Herz nicht mehr hat?« fuhr Peter fort.

Ezechiel sah ihn bei diesen Worten schrecklich an. »Was willst du damit sagen? Willst du mich foppen? Meinst du, ich habe kein Herz?«

»Oh, Herz genug - so hart wie Stein«, erwiderte Peter.

Ezechiel sah ihn verwundert an, schaute sich um, ob es niemand gehört habe, und sprach dann: »Woher weißt du es? Oder pocht vielleicht das deinige auch nicht mehr?«

»Pocht nicht mehr - wenigstens nicht hier in meiner Brust!« antwortete Peter Munk. »Aber sag mir - da du jetzt weißt, was ich meine -, wie wird es gehen mit unseren Herzen?«

»Was kümmert dich dies, Gesell?« fragte Ezechiel lachend. »Hast ja auf Erden vollauf zu leben und damit genug. Das ist ja gerade das Bequeme an unseren kalten Herzen, dass uns keine Furcht befällt bei solchen Gedanken.«

»Wohl wahr! Aber man denkt doch daran, und wenn ich auch jetzt keine Furcht mehr kenne, so weiß ich wohl doch noch, wie sehr ich mich vor der Hölle fürchtete, als ich noch ein kleiner, unschuldiger Knabe war.«

»Nun - gut wird es uns gerade nicht gehen«, sagte Ezechiel. »Hab' mal einen Schulmeister danach gefragt, der sagte mir, dass nach dem Tode die Herzen gewogen werden, wie schwer sie sich versündigt hätten. Die leichten steigen auf, die schweren sinken hinab, und ich denke, unsere Steine werden ein gutes Gewicht haben.«

»Ach freilich«, erwiderte Peter, »und es ist mir oft selbst unbequem, dass mein Herz so teilnahmslos und ganz gleichgültig ist, wenn ich an solche Dinge denke.«

So sprachen sie. Aber in der nächsten Nacht hörte er fünf- oder sechsmal die bekannte Stimme in sein Ohr lispeln: »Peter, schaff dir ein wärmeres Herz!« Er empfand keine Reue, dass er sie getötet hatte, aber wenn er dem Gesinde sagte, seine Frau sei verreist, so dachte er immer dabei: »Wohin mag sie wohl gereist sein?« Sechs Tage hatte er es so getrieben, und immer hörte er nachts diese Stimme, und immer dachte er an den Waldgeist und seine schreckliche Drohung. Aber am siebenten Morgen sprang er von seinem Lager auf und rief: »Nun ja, will sehen, ob ich mir ein wärmeres Herz schaffen kann - denn der gleichgültige Stein in meiner Brust macht mir das Leben nur langweilig und öde.« Erzog schnell seinen Sonntagsstaat an, setzte sich auf sein Pferd und ritt dem Tannenbühl zu.

Im Tannenbühl, wo die Bäume dichter standen, saß er ab, band sein Pferd an und ging schnellen Schrittes dem Gipfel des Hügels zu, und als er vor der dicken Tanne stand, hob er seinen Spruch an: »Schatzhauser im grünen Tannenwald,
Bist viele hundert Jahre alt,
Dein ist all Land, wo Tannen stehen,
Lässt dich nur Sonntagskindern sehn.«
Da kam das Glasmännlein hervor, aber nicht freundlich und traulich wie sonst, sondern düster und traurig. Es hatte ein Röcklein von schwarzem Glas an, und ein langer Trauerflor flatterte vom Hut herab, und Peter wusste wohl, um wen es trauerte.

»Was willst du von mir, Peter Munk?« fragte es mit dumpfer Stimme.

»Ich hab' noch einen Wunsch, Herr Schatzhauser«, antwortete Peter mit niedergeschlagenen Augen.

»Können Steinherzen noch wünschen?« sagte jener. »Du hast alles, wessen du für deinen schlechten Sinn bedarfst, und ich werde schwerlich deinen Wunsch erfüllen.«

»Aber Ihr habt mir doch drei Wünsche zugesagt! Einen hab' ich immer noch übrig.«

»Doch kann ich ihn versagen, wenn er töricht ist«, fuhr der Waldgeist fort, »aber wohlan, ich will hören, was du willst!«

»So nehmt mir den toten Stein heraus und gebt mir mein lebendiges Herz!« sprach Peter.

»Hab' ich den Handel mit dir gemacht?« fragte das Glasmännlein. »Bin ich der Holländer-Michel, der Reichtum und kalte Herzen schenkt? Dort bei ihm musst du dein Herz suchen!«

»Ach, er gibt es nimmer zurück«, antwortete Peter.

»Du dauerst mich, so schlecht du auch bist«, sprach das Männlein nach einigem Nachdenken. »Aber weil dein Wünsch nicht töricht ist, so kann ich dir wenigstens meine Hilfe nicht versagen. So höre - dein Herz kannst du mit keiner Gewalt mehr bekommen, wohl aber durch List, und es wird vielleicht nicht schwer sein. Denn Michel bleibt doch nur der dumme Michel, obgleich er sich ungemein klug dünkt. So gehe denn geraden Weges zu ihm hin und tue, wie ich dir heiße!« Und nun unterrichtete er ihn in allem und gab ihm ein Kreuzlein aus reinem Glas. »Am Leben kann er dir nicht schaden, und er wird dich freilassen, wenn du ihm dies vorhalten und dazu beten wirst. Und hast du dann, was du verlangst, erhalten, so komm wieder, zu mir an diesen Ort!«

Peter Munk nahm das Kreuzchen, prägte sich alle Worte ins Gedächtnis und ging weiter zu Holländer-Michels Behausung. Er rief dreimal seinen Namen, und alsbald stand der Riese vor ihm. »Du hast dein Weib erschlagen?« fragte er mit schrecklichem Lachen. »Hätte es auch so gemacht! Sie hat dein Vermögen an das Bettelvolk gebracht. Aber du wirst für einige Zeit außer Landes gehen müssen, denn es wird Lärm machen, wenn man sie nicht findet, und du brauchst wohl Geld und kommst, um es zu holen?«

»Du hast es erraten«, erwiderte Peter, »und nur recht viel diesmal! Denn nach Amerika ist es weit.«

Michel ging voran und brachte ihn in seine Hütte. Dort schloss er eine Truhe auf, worin viel Geld lag, und langte ganze Rollen heraus. Während er es so auf den Tisch hinzählte, sprach Peter: »Du bist doch ein loser Vogel, Michel, dass du mich belogen hast, ich hätte einen Stein in der Brust und du habest mein Herz!«

»Und ist es denn nicht so?« fragte Michel staunend. »Fühlst du denn dein Herz? Ist es nicht kalt wie Eis? Hast du Furcht oder Gram? Kann dich etwas reuen?«

»Du hast mein Herz nur stillstehen lassen, aber ich habe es noch wie sonst in meiner Brust - und Ezechiel auch, der hat es mir gesagt, dass du uns angelogen hast! Du bist nicht der Mann dazu, der einem das Herz unbemerkt und ohne Gefahr aus der Brust reißen könnte! Da müsstest du zaubern können.«

»Aber ich versichere dir«, rief Michel unmutig, »du und Ezechiel und alle reichen Leute, die es mit mir halten, haben solche kalten Herzen wie du, und ihre rechten Herzen habe ich hier in meiner Kammer.«

»Ei, wie dir das Lügen von der Zunge geht!« lachte Peter. »Das mach du einem andern weis! Meinst du, ich habe auf meinen Reisen nicht solche Kunststücke zu Dutzenden gesehen? Aus Wachs nachgeahmt sind deine Herzen hier in der Kammer! Du bist ein reicher Kerl, das gebe ich zu - aber zaubern kannst du nicht!«

Da ergrimmte der Riese und riss die Kammertür auf. »Komm herein und lies die Zettel alle, und jenes dort - schau - das ist Peter Munks Herz. Siehst du, wie es zuckt? Kann man das auch aus Wachs machen?«

»Und es ist doch aus Wachs«, antwortete Peter. »So schlägt ein rechtes Herz nicht, ich habe das meinige noch in der Brust. Nein, zaubern kannst du nicht!«

»Aber ich will es dir beweisen!« rief jener ärgerlich. »Du sollst es selbst fühlen, dass dies dein Herz ist.« Er nahm es, riss Peters Wams auf und nahm einen Stein aus seiner Brust und zeigte ihn vor. Dann nahm er das Herz, hauchte es an und setzte es behutsam an seine Stelle, und alsbald fühlte Peter, wie es pochte, und er konnte sich wieder darüber freuen.

»Wie ist es dir jetzt?« fragte Michel lächelnd.

»Wahrhaftig, du hast doch recht gehabt«, antwortete Peter, indem er behutsam sein Kreuzlein aus der Tasche zog. »Hätte ich doch nicht geglaubt, dass man dergleichen tun könne!«

»Nicht wahr? Und zaubern kann ich, das siehst du. Aber komm, jetzt will ich dir den Stein wieder hineinsetzen.«

»Langsam, Herr Michel!« rief Peter, trat einen Schritt zurück und hielt ihm das Kreuzlein entgegen. »Mit Speck fängt man Mäuse - und diesmal bist du der Betrogene.« Und zugleich fing er an zu beten, was immer ihm nur einfiel.

Da wurde Michel kleiner und immer kleiner, fiel nieder und wand sich hin und her wie ein Wurm und ächzte und stöhnte - und alle Herzen umher fingen an zu zucken und zu pochen, dass es klang wie in der Werkstatt eines Uhrmachers. Peter aber fürchtete sich, es wurde ihm ganz unheimlich zumut, er rannte zur Kammer und zum Haus hinaus und klomm, von Angst getrieben, die Felswand hinauf. Denn er hörte, dass Michel sich aufraffte, stampfte und tobte und ihm schreckliche Flüche nachschickte. Als er oben war, lief er dem Tannenbühl zu. Ein schreckliches Wetter zog auf, Blitze fielen links und rechts an ihm nieder und zerschmetterten die Bäume, aber er kam wohlbehalten im Revier des Glasmännleins an.

Sein Herz pochte freudig, und nur darum, weil es pochte. Dann aber sah er mit Entsetzen auf sein Leben zurück wie auf das Gewitter, das hinter ihm rechts und links den schönen Wald zersplitterte. Er dachte an Frau Lisbeth, sein schönes, gutes Weib, das er aus Geiz gemordet hatte. Er kam sich selbst wie der Auswurf der Menschen vor, und er weinte heftig, als er an des Glasmännleins Hügel kam.

Der Schatzhauser saß schon unter dem Tannenbaum und rauchte aus seiner kleinen Pfeife, doch er sah munterer aus als zuvor. »Warum weinst du, Kohlenpeter?« fragte er. »Hast du dein Herz nicht erhalten? Liegt noch das kalte in deiner Brust?«

»Ach, Herr!« seufzte Peter. »Als ich noch das kalte Steinherz trug, da weinte ich nie - meine Augen waren so trocken wie das Land im Juli. Jetzt aber will es mir beinahe das alte Herz zerbrechen, was ich getan habe! Meine Schuldner habe ich ins Elend gejagt, auf Arme und Kranke die Hunde gehetzt, und Ihr wisst es ja selbst, wie meine Peitsche auf die schöne Stirn fiel!«

»Peter! Du warst ein großer Sünder«, sprach das Männlein. »Das Geld und der Müßiggang haben dich verdorben, bis dein Herz zu Stein wurde und nicht Freud, nicht Leid, keine Reue, kein Mitleid mehr kannte. Aber Reue versöhnt - und wenn ich nur wüsste, dass dir dein Leben recht leid tut, so könnte ich schon noch was für dich tun.«

»Ich will nichts mehr«, antwortete Peter und ließ traurig sein Haupt sinken. »Mit mir ist es aus, ich kann mich mein Lebtag nicht mehr freuen. Was soll ich so allein auf der Welt tun? Meine Mutter verzeiht mir nimmermehr, was ich ihr getan habe, und vielleicht habe ich sie unter den Boden gebracht, ich Ungeheuer! Und Lisbeth, meine Frau! Schlagt mich lieber auch tot, Herr Schatzhauser, dann hat mein elendes Leben mit einemmal ein Ende!«

»Gut«, erwiderte das Männlein, »wenn du es nicht anders willst, so kannst du es haben.« Er nahm ganz ruhig sein Pfeifchen aus dem Mund, klopfte es aus und steckte es ein. Dann stand er langsam auf und ging hinter die Tannen. Peter aber setzte sich weinend ins Gras, sein Leben war ihm nichts mehr wert, und er erwartete geduldig den Todesstreich. Nach einiger Zeit hörte er leise Tritte hinter sich und dachte: »Jetzt wird er kommen.«

»Schau dich doch einmal um, Peter Munk!« rief das Männlein. Peter wischte sich die Tränen aus den Augen und schaute sich um und sah - seine Mutter und Lisbeth, seine Frau, die ihn freundlich anblickten. Da sprang er freudig auf: »So bist du nicht tot, Lisbeth? Und auch Ihr seid da, Mutter, und habt mir vergeben?«

»Sie wollen dir verzeihen«, sprach das Glasmännlein, »weil du wahre Reue fühlst, und alles soll vergessen sein. Zieh jetzt heim in deines Vaters Hütte und sei ein Köhler wie zuvor. Bist du brav und bieder, so wirst du dein Handwerk ehren, und deine Nachbarn werden dich mehr lieben und achten, als wenn du zehn Tonnen Gold hättest.« So sprach das Glasmännlein und nahm Abschied von ihnen.

Die drei lobten und segneten es und gingen heim.

Das prachtvolle Haus des reichen Peter stand nicht mehr. Der Blitz hatte es angezündet und mit all seinen Schätzen niedergebrannt. Aber nach der väterlichen Hütte war es nicht weit. Dorthin ging jetzt ihr Weg, und der große Verlust kümmerte sie nicht.

Aber wie erstaunten sie, als sie an die Hütte kamen! Sie war zu einem schönen Bauernhaus geworden, und alles darin war einfach, aber gut und reinlich.

»Das hat das gute Glasmännlein getan!« rief Peter.

»Wie schön!« sagte Frau Lisbeth. »Und hier ist mir viel heimischer als in dem großen Haus mit dem vielen Gesinde.«

Von jetzt an wurde Peter Munk ein fleißiger, wackerer Mann. Er war zufrieden mit dem, was er hatte, trieb sein Handwerk unverdrossen, und so kam es, dass er durch eigene Kraft wohlhabend wurde und angesehen und beliebt im ganzen Wald. Er zankte nie mehr mit Frau Lisbeth, ehrte seine Mutter und gab den Armen, die an seine Tür pochten. Als nach Jahr und Tag Frau Lisbeth einen schönen Knaben gebar, ging Peter nach dem Tannenbühl und sagte sein Sprüchlein. Aber das Glasmännlein zeigte sich nicht. »Herr Schatzhauser!« rief er laut. »Hört mich doch, ich will ja nichts anderes, als Euch zu Gevatter bitten bei meinem Söhnlein!« Aber er gab keine Antwort, nur ein kurzer Windstoß sauste durch die Tannen und warf einige Tannenzapfen herab ins Gras. »So will ich dies zum Andenken mitnehmen, weil ihr Euch doch nicht sehen lassen wollt!« rief Peter, steckte die Zapfen in die Tasche und ging nach Hause. Als er aber zu Hause das Sonntagswams auszog und seine Mutter die Taschen umwandte und das Wams in den Kasten legen wollte, da fielen vier stattliche Geldrollen heraus, und als man sie öffnete, waren es lauter gute, neue badische Taler und kein einziger falscher darunter. Und das war das Patengeschenk des Männleins im Tannenwald für den kleinen Peter.

So lebten sie still und unverdrossen fort, und noch oft nachher, als Peter Munk schon graue Haare hatte, sagte er: »Es ist doch besser, zufrieden zu sein mit wenigem, als Gold und Güter zu haben und ein kaltes Herz.«

Es mochten schon etwa fünf Tage vergangen sein, während Felix, der Jäger und der Student immer noch unter den Räubern gefangen saßen. Sie wurden zwar von dem Hauptmann und seinen Untergebenen gut behandelt, aber dennoch sehnten sie sich nach der Befreiung. Denn je mehr die Zeit fortrückte, desto höher stieg auch ihre Angst vor Entdeckung. Am Abend des fünften Tages erklärte der Jäger seinen Leidensgenossen, dass er entschlossen sei, in dieser Nacht auszubrechen, und wenn es ihn das Leben kosten sollte. Er munterte seine Gefährten zum gleichen Entschluss auf und zeigte ihnen, wie sie ihre Flucht ins Werk setzen könnten. »Den, der uns zunächst steht, nehme ich auf mich. Es ist Notwehr, und Not kennt kein Gebot - er muss sterben.«

»Sterben!« rief Felix entsetzt, »Ihr wollt ihn totschlagen?«

»Dazu bin ich fest entschlossen, wenn es darauf ankommt, zwei Menschenleben zu retten! Wisset, dass ich die Räuber mit besorgten Mienen habe flüstern hören, im Wald werde nach ihnen gefahndet, und die alten Weiber verrieten in ihrem Zorn die böse Absicht der Bande. Sie schimpften auf uns und gaben zu verstehen, wenn die Räuber angegriffen würden, so müssten wir ohne Gnade sterben.«

»Gott im Himmel!« schrie der Jüngling entsetzt und verbarg sein Gesicht in den Händen.

»Noch haben sie uns das Messer nicht an die Kehle gesetzt«, fuhr der Jäger fort, »darum lasst uns ihnen zuvorkommen! Wenn es dunkel ist, schleiche ich auf die nächste Wache zu. Sie wird anrufen, ich werde ihr zuflüstern, die Gräfin sei plötzlich sehr krank geworden, und während er sich umsieht, stoße ich ihn nieder. Dann hole ich Euch ab, junger Mann, und der zweite kann uns ebenso wenig entgehen - und beim dritten haben wir leichtes Spiel.«

Der Jäger sah bei diesen Worten so schrecklich aus, dass Felix sich vor ihm fürchtete. Er wollte ihn überreden, von diesen blutigen Gedanken abzustehen, als die Tür der Hütte leise aufging und schnell eine Gestalt hereinschlüpfte. Es war der Hauptmann. Behutsam schloss er sie wieder und winkte den beiden Gefangenen, sich ruhig zu verhalten. Er setzte sich neben Felix nieder und sprach: »Frau Gräfin, Ihr seid in einer schlimmen Lage. Euer Gemahl hat nicht Wort gehalten, er hat nicht nur das Lösegeld nicht geschickt, sondern er hat auch die Regierungskräfte aufgeboten. Bewaffnete Mannschaften streifen von allen Seiten durch den Wald, um mich und meine Leute auszuheben. Ich habe Eurem Gemahl gedroht, Euch zu töten, wenn er Miene macht, uns anzugreifen. Doch es muss ihm entweder an Eurem Leben wenig liegen, oder er traut unseren Schwüren nicht. Euer Leben ist in unserer Hand und nach unseren Gesetzen verwirkt! Was wollt ihr dagegen einwenden?«

Bestürzt sahen die Gefangenen vor sich nieder, sie wussten nicht zu antworten. Denn Felix erkannte wohl, dass das Geständnis über seine Verkleidung ihn nur noch mehr in Gefahr bringen würde.

»Es ist mir unmöglich«, fuhr der Hauptmann fort, »eine Dame, die meine vollkommene Achtung hat, so in Gefahr zu bringen. Darum will ich Euch einen Vorschlag zur Rettung machen - es ist der einzige Ausweg, der Euch übrigbleibt. ich will mit Euch entfliehen!«

Erstaunt, überrascht blickten ihn beide an. Er aber sprach weiter: »Die Mehrzahl meiner Gesellen ist entschlossen, nach Italien zu ziehen und unter einer weitverbreiteten Bande Dienste zu nehmen. Mir für meinen Teil behagt es nicht, unter einem andern zu dienen, und darum werde ich keine gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen. Wenn Ihr mir nun Euer Wort geben wollt, Frau Gräfin, für mich zu sprechen und Eure mächtigen Verbindungen zu meinem Schutz anzuwenden, so kann ich Euch noch befreien, ehe es zu spät ist!«

Felix schwieg verlegen. Sein redliches Herz sträubte sich, den Mann, der ihm das Leben retten wollte, einer Gefahr auszusetzen, vor welcher er ihn nachher nicht schützen konnte. Als er immer noch schwieg, fuhr der Hauptmann fort: »Man sucht gegenwärtig überall Soldaten. Ich will mit dem geringsten Dienst zufrieden sein. Ich weiß, dass ihr viel vermögt, aber ich will ja nichts weiter als Euer Versprechen, etwas für mich in dieser Sache zu tun.«

»Nun denn«, antwortete Felix mit niedergeschlagenen Augen, »ich verspreche Euch, was ich tun kann, was in meinen Kräften steht, anzuwenden, um Euch nützlich zu sein. Liegt doch - wie es Euch auch ergehe - ein Trost für mich darin, dass ihr Euch diesem Räuberleben freiwillig entzogen habt.«

Gerührt küsste der Hauptmann die Hand dieser gütigen Dame, flüsterte ihr noch zu, sich zwei Stunden nach Anbruch der Nacht bereit zu halten, und verließ dann ebenso vorsichtig, wie er gekommen war, die Hütte. Die Gefangenen atmeten freier, als er weggegangen war. »Wahrlich!« rief der Jäger, »dem hat Gott das Herz gelenkt! Wie wunderbar sollen wir gerettet werden! Hätte ich mir träumen lassen, dass in der Welt noch etwas dergleichen geschehen könnte und dass mir ein solches Abenteuer begegnen sollte?«

Freudig bewegt und doch voll banger Besorgnis über das Gelingen des Planes durchlebten sie die nächsten Stunden. Es war schon dunkel, als der Hauptmann in die Hütte trat, ein Bündel Kleider niederlegte und sprach: »Frau Gräfin, um unsere Flucht zu erleichtern, müsst Ihr diese Männerkleidung anlegen. Macht Euch fertig! In einer Stunde treten wir den Marsch an.« Mit diesen Worten verließ er die Gefangenen, und der Jäger hatte Mühe, nicht laut zu lachen. Sie öffneten das Bündel und fanden ein hübsches Jagdkleid mit allem Zubehör, das Felix vortrefflich passte. Endlich kam der Hauptmann. Er war vollständig bewaffnet und brachte dem Jäger die Büchse, die man ihm abgenommen hatte, und ein Pulverhorn. Auch den Studenten gab er eine Flinte, und Felix reichte er einen Hirschfänger für den Fall der Not. Es war ein Glück für die drei, dass es sehr dunkel war, denn vielleicht hätten die leuchtenden Blicke dem Räuber Felix' wahren Stand verraten können. Als sie behutsam aus der Hütte traten, bemerkte der Jäger, dass der gewöhnliche Posten diesmal nicht besetzt war. So war es möglich, dag sie unbemerkt an den Hütten vorbeischleichen konnten, doch schlug der Hauptmann nicht den gewöhnlichen Pfad ein, sondern er näherte sich einem Felsen, der ganz senkrecht und - wie es schien - unzugänglich vor ihnen lag. Als sie dort angekommen waren, machte der Hauptmann auf eine Strickleiter aufmerksam, die an dem Felsen herabgespannt war. Er warf seine Büchse auf den Rücken und stieg zuerst hinauf, dann rief er die Gräfin, ihm zu folgen, und bot ihr die Hand zur Hilfe. Der Jäger stieg zuletzt hinauf. Hinter diesem Felsen zeigte sich ein Fußpfad, den sie einschlugen und rasch vorwärts gingen.

»Dieser Fußpfad«, sprach der Hauptmann, »führt nach der Aschaffenburger Straße. Dorthin wollen wir uns begeben, denn ich habe genau erfahren, dass sich ihr Gemahl, der Herr Graf, gegenwärtig dort aufhält.«

Schweigend zogen sie weiter, der Räuber immer voran. Nach drei Stunden hielten sie an. Der Hauptmann lud Felix ein, sich auf einen Baumstamm zu setzen und auszuruhen. »Ich glaube, wir werden, ehe eine Stunde vergeht, auf das Militär stoßen. in diesem Fall bitte ich Sie, mit dem Anführer der Soldaten zu sprechen und um gute Behandlung für mich zu bitten.« Felix sagte dies zu, obwohl er sich von seiner Fürsprache geringen Erfolg versprach. Nach einer halben Stunde brachen sie auf und näherten sich schon der Landstraße. Der Tag fing an heraufzukommen, und die Dämmerung verbreitete sich schon im Wald, als ihre Schritte plötzlich durch ein lautes: »Halt! Steht!« unterbrochen wurden. Sie hielten, und fünf Soldaten rückten gegen sie vor und bedeuteten ihnen, sie müssten folgen und sich vor dem kommandierenden Major über ihre Reise ausweisen. Als sie noch etwa fünfzig Schritte gegangen waren, sahen sie links und rechts im Gebüsch Gewehre blitzen, eine große Schar schien den Wald besetzt zu haben. Der Major saß mit mehreren Offizieren unter einer Eiche, und als er eben anfangen wollte, sie auszufragen, sprang einer der Männer auf und rief: »Mein Gott, was sehe ich? Das ist ja Gottfried, unser Jäger!«

»Jawohl, Herr Amtmann!« antwortete der Jäger mit freudiger Stimme, »da bin ich - und wunderbar gerettet aus der Hand des schlechten Gesindels!«

Die Offiziere staunten, ihn hier zu sehen. Der Jäger aber bat den Major und den Amtmann, mit ihm auf die Seite zu treten, und erzählte, wie sie errettet worden waren. Erfreut über diese Nachricht traf der Major sogleich seine Maßnahmen, den wichtigen Gefangenen weitertransportieren zu lassen. Den jungen Goldschmied aber führte er zu seinen Kameraden, stellte ihn als den heldenmütigen Jüngling vor, der die Gräfin durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet hatte, und alle schüttelten Felix freudig die Hand, lobten ihn und konnten sich nicht genug von ihm und dem Jäger von ihren Schicksalen erzählen lassen. Indessen war es völlig Tag geworden. Der Major beschloss, die Befreiten selbst in die Stadt zu begleiten. Felix musste sich zu ihm in den Wagen setzen. Der Student, der Jäger, der Amtmann und andere Leute ritten vor und hinter ihnen, und so zogen sie im Triumph der Stadt zu. Wie ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht von dem Überfall in der Waldschänke und von der Aufopferung des jungen Goldarbeiters verbreitet. Es war daher nicht zu verwundern, dass in der Stadt die Straßen gedrängt voll Menschen waren, die den jungen Helden sehen wollten, und ein tausendstimmiges »Hoch!« füllte die Lüfte. Felix war beschämt und gerührt von der rauschenden Freude der Menge. Aber ein noch rührenderer Anblick stand ihm vor dem Rathause bevor. Ein Mann in mittleren Jahren, in reicher Kleidung, empfing ihn an der Treppe und umarmte ihn mit Tränen in den Augen. »Wie kann ich Dir vergelten, mein Sohn!« rief er. »Du hast mir viel gegeben, als ich nahe daran war, unendlich viel zu verlieren! Du hast mir die Gattin, meinen Kindern die Mutter gerettet, denn ihre zarte Gesundheit hätte die Schrecken einer solchen Gefangenschaft nicht ertragen.« Es war der Gemahl der Gräfin, der diese Worte sprach. Sosehr sich Felix sträubte, einen Lohn für seine Tat zu bestimmen, so unerbittlich schien der Graf darauf bestehen zu wollen. Da fiel dem Jüngling das unglückliche Schicksal des Räuberhauptmannes ein. Er erzählte, wie er ihn gerettet und wie diese Rettung eigentlich der Gräfin gegolten habe. Der Graf, gerührt sowohl von der Handlung des Hauptmanns wie durch den Beweis edler Uneigennützigkeit, den Felix durch die Wahl seiner Bitte ablegte, versprach, das Seinige zu tun, um den Räuber zu retten.

Noch an demselben Tage aber führte der Graf, begleitet von dem wackeren Jäger, den jungen Goldschmied zu seinem Schloss, wo die Gräfin - noch immer besorgt um das Schicksal des jungen Mannes, - sehnsüchtig auf Nachricht wartete. Wer beschreibt ihre Freude, als ihr Gemahl, den Retter an der Hand, in ihr Zimmer trat! Sie fand kein Ende, ihn zu befragen, ihm zu danken. Sie ließ ihre Kinder herbeibringen und zeigte ihnen den hochherzigen Jüngling, dem ihre Mutter so unendlich viel verdankte. Und die Kleinen fassten seine Hände, und ihr kindlicher Dank, ihre Versicherungen, dass er ihnen nach Vater und Mutter auf der ganzen Erde der Liebste sei, waren ihm die schönste Entschädigung für manchen Kummer, für die schlaflosen Nächte in der Hütte der Räuber.

Als die ersten Augenblicke dieses frohen Wiedersehens vorüber waren, winkte die Gräfin einem Diener, welcher bald darauf jene Kleider und das wohlbekannte Ränzchen herbeibrachte, welche Felix der Gräfin in der Waldschenke überlassen hatte. »Es steht Euch wieder zu Diensten«, sprach die Gräfin, »doch will ich Euch den Vorschlag machen, diese Kleider zum Andenken mir zu überlassen und zum Tausch dafür die Summe anzunehmen, welche die Räuber als Lösegeld für mich bestimmten!« Felix erschrak über die Größe des Geschenks. »Gnädige Gräfin«, sprach er bewegt, »ich kann dies nicht annehmen. Die Kleider sollen Euer sein, jedoch die Summe, von der Ihr sprecht, kann ich nicht annehmen. Erhaltet mir Eure Gnade statt andern Lohnes, und sollte ich Eurer Hilfe bedürfen, so könnt Ihr darauf rechnen, dass ich Euch darum bitten werde!« Die Gräfin und ihr Gemahl gaben endlich nach, und schon wollte der Diener die Kleider und das Ränzchen wieder wegtragen, als Felix sich an das Geschmeide erinnerte, das er im Gefühl so freudiger Szenen ganz vergessen hatte. »Halt!« rief er. »Nur etwas müsst ihr mir noch aus meinem Ränzchen zu nehmen erlauben, gnädige Frau! Das übrige ist dann ganz und völlig Euer.«

»Schaltet nach Belieben«, sprach sie, »doch, wenn man fragen darf - was liegt Euch denn so sehr am Herzen, dass Ihr es mir nicht überlassen mögt?«

Der Jüngling hatte während dieser Worte sein Ränzchen geöffnet und ein Kästchen von rotem Saffianleder herausgenommen. »Was mein ist, könnt ihr alles haben«, erwiderte er lächelnd, »doch dies gehört meiner lieben Frau Patin! ich habe es selbst gefertigt und muss es ihr bringen. Es ist ein Schmuck, gnädige Frau«, fuhr er fort, indem er das Kästchen öffnete, »ein Schmuck, an welchem ich mich selbst versucht habe.«

Sie nahm das Kästchen, aber nachdem sie kaum einen Blick darauf geworfen hatte, fuhr sie betroffen zurück. »Wie? Diese Steine!« rief sie. »Und für Eure Patin sind sie bestimmt, sagtet Ihr?«

»Jawohl«, antwortete Felix, »meine Frau Patin hat mir die Steine geschickt. ich habe sie gefasst und bin auf dem Wege, sie selbst zu überbringen.«

Gerührt sah ihn die Gräfin an, Tränen drangen aus ihren Augen. »So bist du Felix, unser Patchen, der Sohn unserer Kammerfrau Sabine! - Felix! Ich bin es ja, zu der du kommen wolltest - so hast du deine Patin gerettet, ohne es zu wissen!«

»Wie? ihr seid die Gräfin Sandau, die so viel an mir und meiner Mutter getan hat? Und dies ist Schloss Mayenburg, wohin ich wandern sollte? Wie danke ich dem gütigen Geschick, das mich so wunderbar mit Euch zusammentreffen ließ! So habe ich durch die Tat meine große Dankbarkeit bezeugen können!«

»Du hast mehr an mir getan, als ich je hätte an dir tun können. Doch solange ich lebe, will ich dir zeigen, wie unendlich viel wir alle dir schuldig sind. Mein Gatte soll dein Vater, meine Kinder sollen deine Geschwister - ich selbst will deine treue Mutter sein!«

So sprach die Gräfin und hielt Wort. Sie unterstützte den glücklichen Felix auf seinen Wanderungen reichlich. Als er zurückkam als ein geschickter Arbeiter in seiner Kunst, kaufte sie ihm in Nürnberg ein Haus, richtete es vollständig ein, und ein nicht geringer Schmuck in seinem besten Zimmer waren schön gemalte Bilder, welche die Szenen in der Waldschenke und Felix' Leben unter den Räubern darstellten. Dort lebte Felix als ein geschickter Goldarbeiter, der Ruhm seiner Kunst verband sich mit der wunderbaren Sage von seinem Heldenmut und verschaffte ihm Kunden im ganzen Reich. Viele Fremde ließen sich in die Werkstatt des berühmten Meisters Felix führen, die angenehmsten Besuche waren ihm aber der Jäger, der Zirkelschmied, der Student und der Fuhrmann. Sooft der letztere durch Nürnberg fuhr, sprach er bei Felix vor. Der Jäger brachte ihm fast jedes Jahr Geschenke von der Gräfin, der Zirkelschmied aber ließ sich - nachdem er in allen Ländern umhergewandert war - bei Meister Felix nieder. Eines Tages besuchte sie auch der Student. Er war indessen ein bedeutender Mann im Staate geworden, schämte sich aber nicht, bei Meister Felix und dem Zirkelschmied ein Abendessen zu verzehren. Sie erinnerten sich an alle Szenen der Waldschenke, und der ehemalige Student erzählte, er habe den Räuberhauptmann in Italien wiedergesehen, er diene als braver Soldat dem König von Neapel. Felix freute sich, als er dies hörte. Ohne diesen Mann wäre er vielleicht nicht in jene gefährliche Lage geraten, aber ohne ihn hätte er sich auch nicht aus Räuberhand befreien können.

Und so geschah es, dass der wackere Meister Goldschmied nur friedliche und freundliche Erinnerungen hatte, wenn er zurückdachte an das Wirtshaus im Spessart.