[swahili, "Geschichte, Legende"]

Bingo

Eines Tages stieg Nsambe auf die Erde herab. Er fuhr auf dem Fluss und hatte seine Freude daran. Er saß nämlich in einem Einbaum, der bewegte sich von ganz allein, wirklich ganz allein, Nsambe musste nichts tun. In der Nähe eines großen Dorfes hielt er an. Dorthin wollte er unerkannt gehen, um sich unter die Menschen zu mischen. Da kam ein Mädchen zum Fluss, um Wasser zu schöpfen. Nsambe sah sie, und sie gefiel ihm, denn sie arbeitete gut, und so fleißig sie war, so schön war sie auch. Sie wurde schwanger, und er nahm sie mit, weit, weit, in das Land, aus dem man nicht zurückkehrt. Mboya, so hieß das Mädchen, kehrte niemals wieder. Als die Zeit herangekommen war, gebar Mboya einen Sohn und nannte ihn Bingo - warum, weiß ich nicht, keiner hat es mir gesagt, das mag ein Name von dort sein. Bingo wuchs jeden Tag, und Mboya liebte ihn mehr als alles andere auf der Welt. In seine Haare steckte sie die Elali, die Lieblingsblumen der Vögel, seine kleine Nase zierte ein Perlenschmuck. Hals und Arme waren mit Kupferbändern geschmückt, die jeden Morgen sorgfältig geputzt wurden. Bingo wuchs unaufhörlich, und Mboya liebte ihn immer mehr.

Nsambe ärgerte das sehr. Eines Tages geriet er in Zorn, weil Bingo ihm einen Fisch gestohlen hatte. Er stieß Mboya in ihre Hütte, verprügelte Bingo und stürzte ihn aus der Höhe herab. Bingo fiel lange. Schon war er fast tot, da glitt er in die Fluten eines großen Gewässers, das von Bergen umgeben war - das war sein Glück! Noch besser war, dass er sich zugleich nahe am Ufer befand. Ein alter Mann saß mit seinen Netzen in einem Einbaum, um Fische zu fangen. Der fischte Bingo aus dem Wasser und führte ihn in seine Hütte. Der Name des Greises war Otoyom.

Kaum hatte Nsambe Bingo hinab gestoßen, eilte Mboya, ihrem Sohn zu helfen. Ihr habt doch schon gelegentlich nachts im

Wald ein umherirrendes Licht gesehen? Wer geht da um? Habt ihr die Stimme einer Frau gehört, die unter den Bäumen herumgeistert, ruft und klagt? Fürchtet euch nicht, das ist Mboya, die ihr Kind sucht, denn eine Mutter ermüdet nicht.

Bingo ist also heruntergefallen, Mboya weggezogen - Nsambe stürzt ihnen hinterher. Er will um jeden Preis Bingo wieder finden. Er sucht auf den Bergen, er sucht auf dem Meer: »Meer, Meer, verbirgst du Bingo?« und auf der Erde: »Erde, Erde, verbirgst du Bingo?«

Die Erde und das Meer antworten: »Nein, nein!« Unmöglich ihn zu finden. Otoyom, der große Zauberer, der die hohe Abkunft Bingos kannte, will ihn nicht ausliefern und verbirgt ihn gut.

Bingo hatte sich in die Tiefe einer Höhle geflüchtet. Die Höhle ist groß und schwarz. Bingo denkt in seinem Herzen: »Hier bin ich in Sicherheit«, und hält sich lange darin verborgen. Währenddessen verfolgt Nsambe ihn unermüdlich. Jeden Tag sagt er: »Ich werde Bingo wieder finden und sein Herz essen.« Aber Bingo versteckt sich tief in der Höhle, mitten im Wald. Als Nsambe in diesen Wald kommt, begegnet er dem Chamäleon. »Chamäleon, hast du Bingo gesehen?« Das verrät aber nichts, sondern sagt nur: »Ich sah wohl einen Mann vorbeigehen, aber wer hat mir seinen Namen gesagt?«

»Und wohin ging er? Wo ist sein Dorf?«

»Er ging mal hierhin, mal dahin. Sein Dorf ist auf der anderen Seite des Waldes.«

»Ist es weit dorthin?«

»Die Tage sind lang, jeder Tag ist eine lange Zeit. Ja, es ist weit.«

Enttäuscht ging Nsambe weiter. Während er überall nach Bingos Spur sucht, läuft das Chamäleon zur Höhle: »Bingo, gib acht! Dein Vater sucht dich.« Das Chamäleon geht weiter bis auf die Spitze eines nahe gelegenen Felsens.

Bingo verwischt sorgfältig die Spuren seiner Schritte, dann betritt er einen oft benutzten Pfad mit hartem Boden, und von da aus kehrt er in seine Höhle zurück. Vorsichtig geht er rückwärts, mit dem Rücken voran. Er tritt in die Höhle und verbirgt sich im hintersten Winkel. Sofort webt Ndambo, die Spinne, ihr Netz vor dem Eingang, ein dichtes, starkes Netz, und das Chamäleon wirft eilig Mücken und Insekten in die Maschen. Nsambe sucht unermüdlich. Schließlich begegnet er Viere, der Schlange: »Viere, hast du Bingo gesehen?« Viere antwortet: »Ja, ja. Er ist in der Höhle hier im Wald.« Nsambe eilt zu der Höhle. »Was ist das?« spricht er, »Fußspuren, die sich entfernen?« Er erblickt das Spinnennetz und die Mücken, die darin gefangen sind. »Ein Mensch kann nicht hier sein«, überlegt er, und das Chamäleon von der Spitze des Felsens sagt: »Ah, du bist es, guten Tag.«

»Guten Tag, Chamäleon, hast du Bingo in dieser Höhle gesehen?«

»Ja, aber das ist schon lange, lange her. Er ist weggegangen. Ich glaube, man sieht auf dem Erdboden noch die Spuren seiner Schritte.«

»Wirklich, sie sind noch da. Ich will ihnen nachgehen. Chamäleon, du hast mir sehr geholfen.«

Nsambe ist schon weit, weit, sehr weit weg, da wagt Bingo sich erst aus der Höhle hervor. »Chamäleon, du hast mir sehr geholfen. Nimm das als Lohn: Du sollst nach Belieben die Farben wechseln können, so kannst du deinen Feinden entkommen.« Zur Spinne aber sagt er: »Auch du hast mir sehr geholfen, was kann ich für dich tun?«

»Nichts«, antwortet die Spinne, »mein Herz ist zufrieden.«

»Gut«, spricht Bingo, »so sollst du von jetzt an als Glücksbringerin gelten.« Er ging. Auf seinem Weg fand er Viere, die Schlange, und mit einem Tritt seiner Ferse zermalmte er ihr den Kopf.

Endlich wurde Nsambe der vergeblichen Verfolgungsjagd müde. Er stieg wieder in die Höhe und ließ Bingo in Ruhe.

Bingo hatte die Weisheit seines Pflegevaters bekommen. Als Otoyom gestorben war, wusch er dessen Körper und salbte ihn sorgfältig. Den Schädel bewahrte er auf, um ihn zu ehren und in seinem Haus zu behüten. Er bestrich ihn mit roter Farbe und ölte ihn zu den großen Festen; so blieb der Geist Otoyoms Bingo nahe. Bingo hat uns beigebracht, die Schädel der Ahnen zu ehren und ihren Geist bei uns zu halten. Schande über alle, die nicht die Häupter der Alten ehren. Als Bingo ein großer Mann geworden war, bereiste er die Welt, alle Menschen, alle Stämme. Er war gut und lehrte die Menschen, gut zu sein. Mit einem grünen Stein, den er an seinem Hals trug, konnte er alle Arten von Wundern bewirken. In diesen Stein hatte Nsambe seinen Namen gezeichnet und ihn Bingos Mutter, Mboya, geschenkt, gleich am ersten Tag, als er sie sah. Mboya wiederum hatte den grünen Stein Bingo übergeben. Wenn Bingo wollte, verließ er seinen Körper; die Pfeile erreichten ihn nicht, die Äxte verwundeten ihn nicht, die giftigen Stacheln verletzten nie seinen Fuß.