Von der Schwalbe und den andern Vögeln
Eine Schwalbe sah, dass ein Mann Lein säte, und da sie fein von Verstande, gedachte sie, wenn der Lein aufginge, könnten die Menschen Netze und Schlingen daraus machen, um die Vögel damit zu fangen. Sie begab sich daher sogleich zu den Vögeln, ließ sie zusammen berufen und erzählte ihnen, wie der Mann Lein gesäet und sie versichert sein könnten, dass, wenn er aufginge, ihnen großer Nachteil daraus erwüchse; sie rate ihnen daher, hinzugeben und ihn, bevor er Wurzel fasse, auszureißen; denn manches lasse sich im Anfange leicht beseitigen, was später schwer oder gar nicht wieder gutzumachen sei. Doch die Vögel nahmen es auf die leichte Achsel, befolgten den Rat nicht, und die Schwalbe drang wiederholt in sie, bis sie endlich bemerkte, dass sie gar nichts mehr darauf gaben. Unterdes aber war der Flachs schon so groß gewachsen, dass ihn die Vögel weder mit den Flügeln, noch mit den Schnäbeln mehr entwurzeln konnten. Da sie ihn so hoch sahen und nun keinen Rat gegen das Übel wussten, das ihnen drohte, bereuten sie's sehr, nicht früher dazu getan zu haben, aber die Reue kam zu spät und konnte nichts mehr nützen. Die Schwalbe dagegen, da sie sah, dass sie das heranrückende Unglück nicht abwenden wollten, war schon früher zu jenem Manne geflogen, hatte sich in seinen Schutz begeben und bei ihm Sicherheit für sich und ihr Geschlecht gewonnen; und seitdem leben die Schwalben unter der Obhut der Menschen und sind sicher vor ihnen, während die andern Vögel, die sich nicht vorsehen mochten, täglich in Netzen und Schlingen gefangen werden.
Wenn ihr vor dem euch drohenden Übel sicher sein wollt, so rüstet und verwahrst euch, bevor es eintreten kann. Ein Weiser sagt: Vermutest du irgend vorher ein Unglück, so suche dich davor zu schützen, denn es ist nicht weise, die Dinge vorzusehen, nachdem sie geschehen; klug genug aber ist der, welcher an irgendeinem Wahrzeichen oder Umstande das nahende Übel erkennt und Rat schafft, auf dass es ihn nicht ereile.
Gleich anfangs wende die Gefahr.