[swahili, "Geschichte, Legende"]

Der Reiher

Ein Reiher schreitet stolz auf hohen Beinen, und reckt und streckt dabei den Hals, den feinen, an eines Baches Bord entlang. Die Sonne lacht, im klaren Wasser tummeln sich fröhlich Hechte, dicke Karpfen bummeln und bieten sich zu leichtem Fang.

Der Reiher aber lässt im Wohlbehagen sich gar nicht stören, denkt: für meinen Magen ist es noch nicht die rechte Zeit; die Leckerbissen will ich mir erjagen, wenn's mit dem Hunger ist soweit.

So sonnt er träumend sich auf einem Bein. Da stellt der Hunger sich ganz plötzlich ein. Voll Appetit äugt er ins Wasser, wär' gern jetzt Hecht- und Karpfenprasser, doch schmale Schleien kann er nur entdecken. »Solch Bettelmahl soll einem Reiher schmecken?« Verächtlich pfeift er: »Gut, so wart' ich noch!« Die Schleien schwimmen fort, und aus dem Loch vom Grund ein Gründling flirrt empor, kaum fingerlang und dünn wie Rohr.

»Den Schnabel aufzutun nach solchem Dreck fällt keinem Reiher ein, drum schert euch weg! Ich werd' mich zu gedulden wissen für einen würd'gen Leckerbissen.«

Bald steht er, hungersmatt, auf beiden Beinen; umsonst! kein einziger Fisch will mehr erscheinen.

Was nun? ... Er schwankt zur nahen Wiesenecke, frisst gierig-froh dort eine bitt're Schnecke!

Wer gar zu anspruchsvoll begehrt zu jeder Zeit den höchsten Wert, wird manches Mal zu guter Letzt durch allerkleinste Ding ergötzt.