[swahili, "Geschichte, Legende"]

Das Rasiermesser

Als das Rasiermesser eines schönen Tages aus seinem Griff, der ihm als Scheide diente, herauskam und sich ins Fenster legte, sah es die Sonne sich in seinem Leibe spiegeln. Da fühlte es sich von ungeheurem Glanz durchströmt und in Gedanken an sein Handwerk sprach es zu sich selber:

»Niemals will ich wieder in die enge Stube zurück, aus der ich kam! Mögen die Götter verhüten, daß meine leuchtende Schönheit so erniedrigt wird. Welcher Unsinn, die eingeseiften Knasterbärte dummer Bauern zu rasieren, was ist das für Hausknechtsarbeit! Ist dieser blitzende Leib dazu geschaffen? O bei Gott, nein - ich will mich an einem verborgenen Ort verstecken und dort in stiller Ruhe mein weiteres Leben verbringen.«

Und so tat das Rasiermesser.

Als es nun einige Zeit in seinem Versteck zugebracht hatte, kehrte es eines Tages an die Luft zurück. Aber o Schreck! Es merkte, daß es aussah wie eine alte, verrostete Säge, die Sonne blitzte nicht mehr auf der stumpfen Fläche. Vergebens war alle Reue, nutzlos alles Klagen.

»Wieviel besser hätte ich getan«, sprach das Rasiermesser bei sich, »meine scharfe, nun verdorbene Schneide beim Barbier zu üben! Wo ist mein glänzender Leib? Weh mir, der tückische Rost hat ihn zerfressen.«

Ganz so, meine Lieben, wird es denen ergehen, die sich dem Müßiggang hingeben, anstatt zu arbeiten. Sie werden, wie unser Rasiermesser, ihre scharfe Schneide verlieren, und der Rost der Unwissenheit wird ihre Form verderben.